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Strategie ja, aber kein Wachstum um jeden Preis!

Der Ruf nach mehr Wachstum ist zwar verführerisch, aber zu kurz gedacht. Wachstum für sich macht keinen Sinn. Die Landschaft als Ressource für den Tourismus ist begrenzt und ihre weitere Zerstörung wäre auch volkswirtschaftlich fatal. Der Tourismus benötigt jedoch eine Strategie, die sich vor allem auch mit der Behebung der vergangenen Fehlentwicklungen, beispielsweise in der Raumplanung, beschäftigt.

Wer die Tourismuspresse der letzten Monate verfolgte, vernahm eigentlich nur positive Meldungen. So vermeldete der Schweizer Tourismus-Verband einen Logiergästeanstieg innert Jahresfrist von 1,9%. Die NZZ folgerte aufgrund der Zahlen der Luxushotellerie, dass «trotz der schweren globalen Wirtschaftskrise vielerorts die hervorragenden Werte des Winters 2008/09 gehalten» wurden. Jüngste Schlagzeilen wie «Inder strömen ins Ferienland Schweiz» und «Im Tourismus ist der Optimismus zurück» belegen die relative Krisenfestigkeit dieser Branche, trotz schwachem Euro und globaler Finanzmarktkrise. Auch die Übersicht «Schweizer Tourismus in Zahlen 2009» des Schweizer Tourismus-Verbandes (STV) weist in zahlreichen Sparten wachsende Erträge aus, mit Ausnahme des gewiss gewichtigen Gastgewerbes, wo der Umsatzeinbruch 2008 markant war, sich aber dann wieder etwas auffing. Der STV folgerte dann auch, dass das «Schlimmste vorüber zu sein scheint».

Der gefährliche Ruf nach dem Zauberwort Wachstum


Ich war dann einigermassen erstaunt, dass der Bundesrat in seiner Mitteilung vom März 2010 das EVD beauftragte, eine Wachstumsstrategie für den Tourismus Schweiz auszuarbeiten. Das Ergebnis liegt inzwischen mit der Revision des Innotour-Gesetzes vor. Es sei zu bedauern, so der Bundesrat, dass die Schweiz nicht mehr zu den grössten Tourismusländern gehören würde und im Länderrating auf Rang 27 (bezüglich internationaler Ankünfte) respektive Rang 17 (bezüglich Einnahmen aus dem internationalen Tourismus) abgerutscht sei. Daher sei eine gezielte Wachstumsoffensive nötig. Diese Argumentation konterkariert die jüngsten Meldungen der Tourismusbranche, die wie eingangs erwähnt völlig Gegenteiliges bekunden. So war auch von Seilbahnen Schweiz im April 2010 zu vernehmen, dass die Branche vor dem Hintergrund der Finanzkrise und dem Wetter auf eine erfolgreiche Wintersaison zurückblicken würde. Wozu daher eine nationale Wachstumsstrategie? Glaubt man tatsächlich, dass globale Finanzkrisen und Währungsveränderungen mit einem Ruf nach dem Zauberwort Wachstum an den Landesgrenzen abprallen?Der Begriff Wachstum ist fast 40 Jahre nach Veröffentlichung des Club-of-Rome-Berichtes «Grenzen des Wachstums» nach wie vor ein Mythos. Dem Wachstum das Wort zu reden, gehört wie eh und je zum Repertoire der Politiker und Wirtschaftsförderer. Mit Wachstum könne man die Arbeitslosigkeit beseitigen, den Wohlstand sichern und den Umweltschutz garantieren. Kein Wachstum würde dann unweigerlich einen Rückschritt, ja Rückfall in ärmere Zeiten bedeuten. Die Frage müsste jedoch lauten, was denn genau wachsen soll: die Konsumansprüche, der Verkehr, die Gesundheitskosten, die Bauzonen? Dies alles trägt ja zum Wirtschaftswachstum bei. So errechneten Urs. P. Gasche und Hanspeter Guggenbühl in ihrem Buch «Das Geschwätz vom Wachstum» (2004) die Folgen eines BIP-Wachstums von 3% jährlich (BIP-Prognose des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco für 2010: 1,4%). Dies würde bedeuten, dass sich die Produktion von Gütern und Dienstleistungen innerhalb von 23,5 Jahren verdoppelte, da prozentuales Wachstum bekanntlich exponentiell verliefe. Man stelle sich also vor: doppelt so viele Seilbahnen, Wellnessresorts, Einkaufszentren und Ferienhäuser, doppelt so grosse Verkehrsbelastung, doppelt so hoher Energie- und Wasserverbrauch. Dies ohne die nicht wachsenden natürlichen Ressourcen wie Boden und Landschaft verbrauchen zu wollen, ist ein Widerspruch, der an Paradoxie grenzt.Der Ruf nach Wachstum ist daher ein gefährlicher, zumal sich die Zufriedenheit der Menschen wohl kaum verdoppeln würde und die Natur die Folgen zu tragen hätte. Ich bin der Meinung, dass die Wachstumsgrenzen im Tourismus bereits vielerorts erreicht oder gar überschritten sind. Man denke nur an verstädterte Tourismusorte, überfüllte Pisten, den hohen Freizeitverkehr und den erheblichen Ressourcenverbrauch an Wasser, Energie und Landschaft. Statt der Frage, wie man noch mehr wachsen könne, sollte man sich vielmehr mit dem volkswirtschaftlich schädigenden Zweitwohnungsbau und den überdimensionierten Bauzonen sowie der Frage nach der Belastungsgrenze für Natur und Landschaft auseinandersetzen. Zudem wäre vom Bundesrat zu erwarten gewesen, dass er auf die eigenen Stärken des Tourismus setzt und sich nicht an einem zweifelhaften Länderrating misst, zumal ein Vergleich des rund 250 Jahre alten heimischen Tourismus mit dem ostasiatischen und osteuropäischen Raum unsinnig ist.

Eine strategische Ausrichtung ist vonnöten


Dennoch ist eine strategische Ausrichtung für den Schweizer Tourismus vonnöten. Das bisherige Innotour-Programm verlief aus Sicht des Landschaftsschutzes durchaus positiv. Projekte wie SchweizMobil, das gut integrierte Feriendorf Urnäsch, oder auch die verschiedenen Qualitätslabel dienen einem Tourismus, welcher auf Qualität, soziale, kulturelle und raumplanerische Integration und die Ausrichtung auf eine einheimische wie ausländische Gästeschicht mit unterschiedlicher Kaufkraft setzt. Einer Verlängerung ist daher durchaus zuzustimmen. Die Frage stellt sich aber, ob der Verpflichtungskredit von 20 Mio. Franken für die Vierjahresperiode nicht erhöht werden müsste. In der Neuausrichtung des Innotour-Programmes fehlt hingegen eine klare thematische Ausrichtung. So wirkt der Hinweis auf die nachhaltige Entwicklung ohne deren Konkretisierung ziemlich hilflos und droht ohne Handlungsziele zu einem Lippenbekenntnis zu werden. Eine Black Box ist die Förderung von regionalen oder lokalen Tourismusvorhaben (Art. 3 Abs. 2b des Revisionsentwurfs), die beispielsweise Anpassungsstrategien an den Klimawandel zum Ziel haben sollen. Hier fragt man sich sofort, ob damit eine Subventionierung von Schneekanonen oder von neuen Skigebietserschliessungen in grösseren Höhen gemeint sei. Dies hätte dann mit der vielbeschworenen Nachhaltigkeit sicher nichts zu tun. Mit einem weiteren Ausbau der touristischen Infrastruktur auf Kosten der Orts- und Landschaftsbilder kann man vielleicht gegenüber China einen Ratingplatz gewinnen; man vergrault damit jedoch die eigenen Touristen im Lande.

Tourismusstrategie ist auf Raumplanung, Natur und Landschaft auszurichten


Stattdessen müsste sich die Tourismusstrategie an inhaltlichen Zielen orientieren und die Fördermittel müssten entsprechend kohärent nach Mehrjahresprogrammen ausgerichtet werden. Eine der grössten inhaltlichen Herausforderungen aus meiner Sicht ist die Qualitätssicherung der zentralen touristischen Güter Natur und Landschaft. So ticken in zahlreichen Ferienorten Zeitbomben, die in den viel zu grossen Bauzonen und dem derzeitigen Bauboom bestehen, vor allem im Bereich der oft hochspekulativen und auf Zweitwohnungen, unsicheren Betriebsversprechungen und banaler Architektur beruhenden Resorts. Würden all diese Projekte (zum Beispiel in Aminona VS) realisiert und die überdimensionierten Bauzonen überbaut, so sähe sich der Tourismus mit einer irreversiblen Schädigung ihres zentralen Kapitals, nämlich der Landschaft, konfrontiert. Da in Zukunft dem Sommertourismus gegenüber dem Wintertourismus in der Schweiz eine wachsende Bedeutung zukommen dürfte und somit grundsätzlich umwelt- und landschaftssensiblere Gäste anzusprechen sind, muss sich die Branche stärker in die Raumplanung und andere Politikbereiche einbringen. Ein wichtiger Ast der staatlichen Tourismuspolitik muss daher die Ressourcenpolitik sein. So sollte eine Tourismusstrategie Massnahmen zur Redimensionierung der Bauzonen in den Tourismusregionen und zur drastischen Zügelung des Zweitwohnungsbaus unterstützen. Innotour müsste darüber hinaus exemplarische Projekte unterstützen, die sich mit dem Klimawandel (Stichwort Netzwerk der Gletschergemeinden), der Förderung der landschaftlichen und kulturellen Vielfalt der Naturpärke, der Umsetzung der Alpenkonvention, den historischen Verkehrswegen und der leider zunehmenden Verbetonierung und Asphaltierung der Alp- und Wanderwege beschäftigen.

Zitiervorschlag: Raimund Rodewald (2010). Strategie ja, aber kein Wachstum um jeden Preis!. Die Volkswirtschaft, 01. September.