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Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Ein Instrument zur verantwortungsvollen Unternehmensführung

Mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen verfügt die OECD seit 35 Jahren über ein umfassendes Instrument zur Förderung der verantwortungsvollen Unternehmensführung, das regelmässig ergänzt und weiterentwickelt wird. Am 25. Mai 2011 hat die OECD-Ministerkonferenz in Paris eine aktualisierte Version der OECD-Leitsätze verabschiedet. Die wichtigsten Neuerungen betreffen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte, zur Anwendung der Leitsätze auf die Zulieferkette sowie zu Organisation und Verfahren der nationalen Kontaktpunkte.



Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind Empfehlungen der Regierungen der 34 OECD-Mitgliedstaaten und acht weiterer Unterzeichnerstaaten
Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen, Marokko, Peru und Rumänien. an ihre international tätigen Unternehmen. Sie stellen einen umfassenden Rahmen für die verantwortungsvolle Unternehmensführung (Corporate Social Responsibility, CSR) dar, der global zur Anwendung gelangt. Die Leitsätze setzen einen Standard, ohne für die multinationalen Unternehmen rechtlich verbindlichen Charakter zu haben. Ihre Anwendung beruht somit aus juristischer Sicht auf Freiwilligkeit. Jeder Unterzeichnerstaat hat sich hingegen verpflichtet, die Anwendung der Leitsätze zu fördern und einen nationalen Kontaktpunkt (NKP) einzurichten, bei welchem mögliche Verstösse gegen die Leitsätze gemeldet werden können.

Entstehung der OECD-Leitsätze


Die OECD-Leitsätze aus dem Jahr 1976 nehmen eine Vorreiterrolle ein, gelten sie doch als das älteste und umfassendste zwischenstaatliche CSR-Instrument. Ihre Entstehung und Entwicklung ist eng mit den wirtschaftlichen und politischen Ereignissen der vergangenen vier Jahrzehnte verbunden. Das kräftige Wirtschaftswachstum sowie die Liberalisierung der Weltwirtschaft förderten in der Nachkriegszeit die weltweite Expansion multinationaler Unternehmen. Die wachsende Bedeutung der Konzerne stiess jedoch auch auf Kritik – gerade in Entwicklungsstaaten – und führte in der UNO zu kontroversen Debatten über ein Regelwerk für transnationale Unternehmen. Auch die OECD nahm sich des Themas an, um die Gefahr protektionistischer Rückschläge einzudämmen. Während der Versuch fehlschlug, in der UNO einen Verhaltenskodex für Unternehmen zu verabschieden, unterzeichneten die westlichen Industriestaaten im Rahmen der OECD bereits 1976 die Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen. Diese befasst sich neben den eigentlichen Leitsätzen für multinationale Unternehmen auch mit der Inländerbehandlung ausländischer Investoren, der Vermeidung widersprüchlicher Auflagen für multinationale Unternehmen sowie der internationalen Zusammenarbeit bei investitionsrelevanten Massnahmen. Die Unterzeichnerstaaten hatten die Absicht, mit diesem Instrument das Investitionsklima zu verbessern und gleichzeitig für die Unternehmen einen Standard der verantwortungsvollen Unternehmensführung zu formulieren, welcher den positiven Beitrag multinationaler Konzerne für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt unterstützt. Seit 1976 wurden die OECD-Leitsätze wiederholt überprüft und angepasst, um mit den Entwicklungen der Weltwirtschaft und der CSR-Standards Schritt zu halten. 1984 ergänzte ein Kapitel über den Schutz der Konsumenten die Leitsätze und 1991 ein Kapitel über Umweltschutz, das Standards für ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaftswachstum enthält. Eine Vorreiterrolle spielten die OECD-Leitsätze auch bei der Korruptionsbekämpfung, die bereits in der Urfassung aus dem Jahr 1976 erwähnt wurde – zwei Jahrzehnte vor der Verabschiedung der entsprechenden OECD-Konvention.
Vgl. OECD-Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (1997). Im Jahr 2000 wurde der Umsetzungsmechanismus der Leitsätze gestärkt. Seither können sich NGO, Gewerkschaften oder Einzelpersonen mit einer Eingabe an die NKP wenden, wenn sie der Meinung sind, dass ein Unternehmen die OECD-Leitsätze nicht beachtet.

Die Aktualisierung 2010–2011


Seit der umfassenden Revision der OECD-Leitsätze im Jahr 2000 hat sich durch die fortschreitende Globalisierung das Umfeld für internationale Investitionen und multinationale Unternehmen weiter verändert. Nichtmitglieder der OECD ziehen einen wachsenden Teil der internationalen Investitionen an; zugleich haben multinationale Unternehmen aus Schwellenländern stark an Bedeutung gewonnen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat Mängel der Unternehmensführung aufgezeigt und den Druck zusätzlich erhöht, die OECD-Leitsätze weiterzuentwickeln, damit sie ein weltweit führendes Instrument zur Förderung der verantwortungsvollen Unternehmensführung bleiben. Mit diesem Ziel vor Augen drängten sich zahlreiche inhaltliche und formale Anpassungen auf. Neben der Aktualisierung der bestehenden acht thematischen Kapitel ragen das neue Kapitel Menschenrechte wie auch die Bestimmungen zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen für ihre Zulieferkette als bedeutendste inhaltliche Neuerungen heraus.

Das neue Kapitel Menschenrechte


Mit der Integration des neuen Kapitels zu den Menschenrechten verfolgen die Unterzeichnerstaaten das Ziel, den Unternehmen durch klare Richtlinien aufzuzeigen, wie sie nachteilige Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte identifizieren, verhindern oder beheben können. Die OECD profitierte von der Zusammenarbeit mit dem UNO-Sonderbeauftragten für Unternehmen und Menschenrechte John Ruggie. Das unter seiner Leitung entwickelte Konzept hält fest, dass für den aktiven Schutz der Menschenrechte die Staaten verantwortlich sind (State Duty to Protect). Dies entlässt die Unternehmen jedoch nicht aus der Verantwortung, selbst auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten (Corporate Responsibility to Respect) – insbesondere in Staaten, welche keine entsprechende Gesetzgebung haben oder diese nicht durchsetzen. Im Falle einer Menschenrechtsverletzung wird zudem die Möglichkeit einer Wiedergutmachung (Remedy) gefordert. In den OECD-Leitsätzen wird dieses Konzept operationalisiert, indem den Unternehmen eine spezifische Sorgfaltspflicht (Due Diligence) für die Beachtung der Menschenrechte nahegelegt wird (vgl. Kasten 1

Operationalisierung Menschenrechte


Die OECD-Leitsätze enthalten folgende Empfehlungen an die Unternehmen: − Unternehmen sollen geeignete Massnahmen treffen, um im Rahmen ihrer eigenen Geschäftsaktivitäten mögliche Risiken zu identifizieren und weder Menschenrechtsverletzungen zu verursachen noch dazu beizutragen.− Auch wenn sie nicht selbst für eine Menschenrechtsverletzung verantwortlich sind, sollen sie sich bei ihren Geschäftsbeziehungen für die Vermeidung oder nachträgliche Verringerung allfälliger Verletzungen einsetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Verantwortung für eine Verletzung der Menschenrechte vom einen auf das andere Unternehmen überwälzt wird. − Sie sollen eine unternehmensinterne Menschenrechtspolitik (Policy Commitment) verfassen, die auf Geschäftsleitungsebene verabschiedet und danach transparent kommuniziert und umgesetzt wird.− Wenn trotzdem Menschenrechtsverletzungen festgestellt werden, sollen die Unternehmen, welche diese verursacht oder dazu beigetragen haben, den Opfern geeignete Verfahren zur Wiedergutmachung anbieten.

). Letztere kann Teil des unternehmensinternen Risiko-Managements sein und ist in der Form abhängig von Faktoren wie der Grösse der Unternehmen, dem Sektor oder dem Staat, in dem ein Unternehmen tätig ist.

Anwendung auf die Zulieferkette


Da die Aktivitäten der multinationalen Unternehmen – einschliesslich der Produktionsprozesse – heute in einem weitgehend globalisierten Kontext stattfinden, wird in den OECD-Leitsätzen neu umschrieben, welche allgemeine Sorgfaltspflicht die Unternehmen für ihre Zulieferkette treffen sollten. Diese Ergänzung der Leitsätze gilt als Paradebeispiel für den im Rahmen der Aktualisierung praktizierten Multistakeholder-Dialog mit Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der NGO. Entscheidend für die Zustimmung der Wirtschaftsvertreter war, dass Unternehmen nicht für Verstösse gegen die OECD-Leitsätze in ihrer Zulieferkette verantwortlich gemacht werden und dass der neue Ansatz konkrete und umsetzbare Empfehlungen festlegt:− Unternehmen sollen eine risikogerechte Sorgfaltspflicht ausüben, die negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit in den von den Leitsätzen abgedeckten Bereichen identifiziert, verhindert oder nachträglich abschwächt.
Die drei Kapitel Steuern, Wettbewerb und Wissenschaft/Technologie sind bis auf weiteres von der Sorgfaltspflicht ausgenommen. Dabei sollen sie in erster Linie vermeiden, durch ihre eigene Geschäftstätigkeit negative Auswirkungen zu verursachen oder dazu beizutragen.− Falls ein Unternehmen zwar nicht selbst einen Beitrag zur Verletzung der Leitsätze leistet, aber ein direkter Zusammenhang zu seiner eigenen Tätigkeit besteht (z.B. bei einer Verletzung durch einen Geschäftspartner), soll das Unternehmen zur Vermeidung oder Verminderung der negativen Auswirkungen beitragen. Diese Empfehlung deckt das ganze Spektrum komplexer Zulieferketten ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verantwortung für eine Menschenrechtsverletzung vom einen auf das andere Unternehmen überwälzt würde. − Unternehmen sollen ausserdem soweit als möglich ihre Geschäftspartner zu einem mit den OECD-Leitsätzen kompatiblen Verhalten anhalten. Der Kommentar zu den Leitsätzen legt die Tragweite und Details der neuen Bestimmungen zur Sorgfaltspflicht dar. Während die Unternehmen für mögliche negative Auswirkungen ihrer Aktivitäten vorbeugende oder abschwächende Massnahmen ergreifen sollten, bedarf es für tatsächlich eingetretene Konsequenzen konkreter Abhilfemassnahmen. Bei einer Verletzung der Leitsätze durch Geschäftspartner sollen die Unternehmen soweit wie möglich einen Beitrag zur Verbesserung deren Verhalten leisten. Die Empfehlung reicht von einem koordinierten Vorgehen mit anderen Unternehmen über die befristete Suspendierung eines Vertrags bis zum Abbruch einer Geschäftsbeziehung. Bestimmte Faktoren – wie die Grösse des Unternehmens, der Sektor, die spezifischen Empfehlungen des Kapitels der Leitsätze und der Schweregrad der möglichen Auswirkungen – bestimmen ausserdem die Art der erforderlichen Sorgfaltspflicht. Bei einer Anhäufung von Risikofaktoren empfehlen die Leitsätze, im Dialog mit allen Partnern gemeinsame Leitplanken für ein verantwortungsvolles Supply-Chain-Management zu erarbeiten. Die OECD bietet sich als Plattform für derartige Multistakeholder-Initiativen an.
Vgl. auch Kasten 3 zum Beispiel Bergbau in Konfliktzonen.

Die nationalen Kontaktpunkte


Jeder Unterzeichnerstaat hat sich verpflichtet, einen nationalen Kontaktpunkt einzurichten, um die wirksame Anwendung der Leitsätze zu fördern. Dabei ist es einerseits die Aufgabe des NKP, die Leitsätze bei den Unternehmen durch Promotionsaktivitäten besser bekannt zu machen. Andererseits können interessierte Gruppierungen oder Einzelpersonen beim NKP eine schriftliche Eingabe einreichen, wenn sie der Auffassung sind, dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsätze verstossen hat. Die Eingabe hat in jenem Land zu erfolgen, in welchem der geltend gemachte Verstoss stattgefunden hat. Wenn dieses Land jedoch kein Unterzeichnerstaat der OECD-Leitsätze ist und es dort folglich keinen NKP gibt, so ist die Eingabe in jenem Land einzureichen, in welchem das multinationale Unternehmen seinen Hauptsitz hat. Nach Entgegennahme der Eingabe kann der NKP den Parteien anbieten, eine Vermittlungsfunktion zu übernehmen, um zu einer Lösung des Konflikts beizutragen.In der Schweiz ist der NKP beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Ressort Internationale Investitionen und multinationale Unternehmen angesiedelt. Für die Bearbeitung von Eingaben wird jedoch von Fall zu Fall eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in welcher alle von der Thematik betroffenen Bundesstellen vertreten sind. Damit wird eine breit abgestützte Beurteilung der Eingaben sichergestellt. Seit der Einführung des Beschwerdemechanismus im Jahr 2000 hat der Schweizer NKP über 15 Eingaben erhalten und in 6 Fällen – alleine oder gemeinsam mit dem NKP eines anderen Unterzeichnerstaates – eine Vermittlungsfunktion übernommen (vgl. Kasten 2

Erfahrungen des NKP mit Eingaben


2008 erhielt der NKP der Schweiz eine Eingabe, in der Gewerkschaftsvertreter das lokale Management der russischen Tochtergesellschaft eines Schweizer Unternehmens kritisierten. Die eingebende Partei bemängelte den Willen der Geschäftsleitung, mit den Gewerkschaftsvertretern einen umfassenden Dialog (inkl. Lohnverhandlungen) zu führen. Der NKP der Schweiz empfing Vertreter russischer und internationaler Gewerkschaften sowie Unternehmensvertreter aus Russland und vom Hauptsitz in der Schweiz. Beide Parteien nahmen ausserdem mehrmals schriftlich Stellung. Diese Vermittlungsbemühungen des NKP trugen dazu bei, dass der Dialog zwischen den Gewerkschaftsvertretern und dem Management vor Ort wieder aufgenommen und der Konflikt beigelegt werden konnte. 2009 beendete der Schweizer NKP ein Verfahren, mit dem sich zeitgleich auch die NKP aus Grossbritannien und Australien beschäftigten. Es ging um eine kolumbianische Mine, ein Joint Venture, das sich im Besitz von Unternehmen aus diesen drei OECD-Staaten befand. Gemäss den Verfahrensrichtlinien der OECD übernahm Australien die Federführung. In der Eingabe wurde u.a. kritisiert, dass das Bergbauunternehmen Zwangsumsiedlungen vornehme und die Bestimmungen der Leitsätze zur Offenlegung von Informationen und zum Umweltschutz missachte. Während des laufenden NKP-Verfahrens verbesserte sich die Situation vor Ort, da das Unternehmen externe Berater und einen externen Vermittler beizog. Der australische NKP entschloss sich daher, das Verfahren abzuschliessen und konzentrierte sich in der Abschlusserklärung, welche der Schweizer NKP unterstützte, auf zukunftsgerichtete Empfehlungen an beide Seiten, dass der Dialog zwischen der lokalen Bevölkerung und dem Unternehmen weitergeführt werden soll.

).Die Rolle und Aufgaben der NKP waren ein zentraler Diskussionsgegenstand anlässlich der jüngsten Aktualisierung. In einer einleitenden Grundsatzdebatte haben sich die Unterzeichnerstaaten darauf verständigt, dass die Funktion des NKP nicht grundlegend geändert werden soll. Da es sich bei den Leitsätzen um rechtlich nicht verbindliche Empfehlungen an die Unternehmen handelt, besteht die Rolle der NKP in erster Linie darin, die Unternehmen zu sensibilisieren und bei der Behandlung von Eingaben gemeinsam mit allen betroffenen Parteien aufzuzeigen, wie die Leitsätze in der Praxis umgesetzt werden sollen. Der NKP fungiert dabei als Vermittler und nicht als quasi-richterliche Instanz, die umfassende Sachverhaltsabklärungen vornimmt und darüber urteilt, ob die Leitsätze verletzt worden sind. Der NKP soll somit pro futuro zu einer konsequenten Anwendung der Leitsätze beitragen und nicht ex post über mögliche Verstösse gegen die Leitsätze urteilen.Dennoch wurde anerkannt, dass bei der Sensibilisierung der Unternehmen und der Behandlung von Eingaben erhebliche Unterschiede in der Praxis der einzelnen NKP bestehen. Die Unterzeichnerstaaten haben daher im Rahmen der Aktualisierung detailliertere Vorgaben bezüglich Organisation und Verfahren der NKP ausgearbeitet, um zu einer einheitlichen Umsetzung der Leitsätze beizutragen. So werden z.B. die einzelnen Verfahrensschritte für die Behandlung von Eingaben, einschliesslich Bearbeitungsfristen, genau umschrieben. Zur Verbesserung der Transparenz muss sodann neu für jede Eingabe nach Abschluss des Verfahrens, selbst wenn der NKP darauf nicht eingetreten ist, eine Abschlusserklärung veröffentlicht werden. Schliesslich soll durch einen verstärkten Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen NKP – z.B. im Rahmen von regelmässigen Seminaren oder Evaluationen einzelner NKP – die Wirksamkeit der NKP kontinuierlich gestärkt werden. In diesem Zusammenhang haben sich die Unterzeichnerstaaten auch verpflichtet, den NKP genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Würdigung und Ausblick


Die OECD hat sich während der jüngsten Aktualisierung stark darum bemüht, den Verhandlungsprozess transparent zu gestalten und neben den Unterzeichnerstaaten auch andere interessierte Staaten sowie alle betroffenen Interessengruppen (Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und NGO) einzubeziehen. Dies hat zu einem besseren Verständnis und zu einer tieferen Verankerung der Leitsätze beigetragen.Im Ergebnis hat die Aktualisierung zu einer bedeutenden inhaltlichen Erweiterung der OECD-Leitsätze geführt. Insbesondere mit dem neuen Kapitel zu den Menschenrechten wurde – gestützt auf die Leitlinien von John Ruggie – ein neuer internationaler Standard geschaffen. Das genügt aber noch nicht. Die Unternehmen als Adressaten der OECD-Leitsätze interessiert vor allem, welche konkreten Massnahmen sie treffen müssen, um ihrer Sorgfaltspflicht gerecht zu werden. Neben den Unterzeichnerstaaten, die sektorspezifische Initiativen zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht unterstützen und die Leitsätze einem breiteren Publikum bekannt machen sollen, sind vor allem auch die Unternehmen und ihre Dachverbände gefordert. In Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedern können die Verbände den Erfahrungsaustausch fördern und Unternehmen bei spezifischen Fragestellungen unterstützen. Die OECD hat in einem ersten Schritt bereits einen Leitfaden für den Bergbausektor erarbeitet, der konkrete Vorschläge enthält, wie diese Sorgfaltspflicht beim Abbau von Edelmetallen in Konfliktgebieten ausgestaltet werden kann (vgl. Kasten 3

OECD-Sorgfaltspflicht für den Bergbau in Konfliktzonen


Unternehmen, die in Konfliktzonen Bergbau betreiben, müssen der Sorgfaltspflicht für ihre Zulieferkette besondere Beachtung schenken. Einige für die heutige Industrie unersetzbare Rohstoffe wie Zinn, Tantal und Wolfram (z.B. für die Produktion von Computern, Handys und Autoscheinwerfern) oder Gold werden häufig in Minen in Konfliktgebieten abgebaut. Dabei besteht die Gefahr, dass der Bergbau direkt oder indirekt einen Beitrag an bewaffnete Konflikte und Menschenrechtsverletzungen leistet. Angesichts dieser Risiken empfiehlt die OECD, folgende Sorgfaltspflichten einzuhalten:− Entwicklung solider Managementsysteme für das Unternehmen (z.B. transparente Einkaufspolitik);− Identifizierung und Einschätzung der Risiken in der Zulieferkette;− Entwicklung und Umsetzung einer Strategie, um auf die identifizierten Risiken angemessen zu reagieren;− unabhängige Überprüfung des Systems zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht durch Dritte;− Berichterstattung über die Sorgfaltspflicht für die Zulieferkette, beispielsweise im Jahresbericht.Vgl. OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas (2010).

). Die Aktualisierung der OECD-Leitsätze war somit nicht das Endziel, sondern eine Zwischenetappe, die den Weg für eine nachhaltige globale Wirtschaft weiter ebnen soll. Eine weitere Herausforderung ist die Durchsetzung gleicher Spielregeln für alle international tätigen Unternehmen. Seitens der OECD und insbesondere auch der in einem kompetitiven globalen Umfeld tätigen multinationalen Unternehmen besteht zu Recht die Hoffnung, dass sich die Leitsätze als Standard weltweit durchsetzen. Einige Staaten – wie Costa Rica, Kolumbien und die Ukraine – haben bereits ihr Interesse an der Unterzeichnung der OECD-Instrumente im Investitionsbereich, zu denen die Leitsätze gehören, bekundet. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zusammenarbeit mit den grossen Schwellenländern die eigentliche Herausforderung der kommenden Jahre sein wird. Wenn es darum geht, ein internationales Level Playing Field durchzusetzen, das für alle multinationalen Unternehmen dieselben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzt, wird die Kooperation von G-20-Staaten wie China und Indien unumgänglich sein.

Tabelle 1: «Die Kapitel der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen»

Kasten 1: Operationalisierung Menschenrechte

Operationalisierung Menschenrechte


Die OECD-Leitsätze enthalten folgende Empfehlungen an die Unternehmen: − Unternehmen sollen geeignete Massnahmen treffen, um im Rahmen ihrer eigenen Geschäftsaktivitäten mögliche Risiken zu identifizieren und weder Menschenrechtsverletzungen zu verursachen noch dazu beizutragen.− Auch wenn sie nicht selbst für eine Menschenrechtsverletzung verantwortlich sind, sollen sie sich bei ihren Geschäftsbeziehungen für die Vermeidung oder nachträgliche Verringerung allfälliger Verletzungen einsetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Verantwortung für eine Verletzung der Menschenrechte vom einen auf das andere Unternehmen überwälzt wird. − Sie sollen eine unternehmensinterne Menschenrechtspolitik (Policy Commitment) verfassen, die auf Geschäftsleitungsebene verabschiedet und danach transparent kommuniziert und umgesetzt wird.− Wenn trotzdem Menschenrechtsverletzungen festgestellt werden, sollen die Unternehmen, welche diese verursacht oder dazu beigetragen haben, den Opfern geeignete Verfahren zur Wiedergutmachung anbieten.

Kasten 2: Erfahrungen des NKP mit Eingaben

Erfahrungen des NKP mit Eingaben


2008 erhielt der NKP der Schweiz eine Eingabe, in der Gewerkschaftsvertreter das lokale Management der russischen Tochtergesellschaft eines Schweizer Unternehmens kritisierten. Die eingebende Partei bemängelte den Willen der Geschäftsleitung, mit den Gewerkschaftsvertretern einen umfassenden Dialog (inkl. Lohnverhandlungen) zu führen. Der NKP der Schweiz empfing Vertreter russischer und internationaler Gewerkschaften sowie Unternehmensvertreter aus Russland und vom Hauptsitz in der Schweiz. Beide Parteien nahmen ausserdem mehrmals schriftlich Stellung. Diese Vermittlungsbemühungen des NKP trugen dazu bei, dass der Dialog zwischen den Gewerkschaftsvertretern und dem Management vor Ort wieder aufgenommen und der Konflikt beigelegt werden konnte. 2009 beendete der Schweizer NKP ein Verfahren, mit dem sich zeitgleich auch die NKP aus Grossbritannien und Australien beschäftigten. Es ging um eine kolumbianische Mine, ein Joint Venture, das sich im Besitz von Unternehmen aus diesen drei OECD-Staaten befand. Gemäss den Verfahrensrichtlinien der OECD übernahm Australien die Federführung. In der Eingabe wurde u.a. kritisiert, dass das Bergbauunternehmen Zwangsumsiedlungen vornehme und die Bestimmungen der Leitsätze zur Offenlegung von Informationen und zum Umweltschutz missachte. Während des laufenden NKP-Verfahrens verbesserte sich die Situation vor Ort, da das Unternehmen externe Berater und einen externen Vermittler beizog. Der australische NKP entschloss sich daher, das Verfahren abzuschliessen und konzentrierte sich in der Abschlusserklärung, welche der Schweizer NKP unterstützte, auf zukunftsgerichtete Empfehlungen an beide Seiten, dass der Dialog zwischen der lokalen Bevölkerung und dem Unternehmen weitergeführt werden soll.

Kasten 3: OECD-Sorgfaltspflicht für den Bergbau in Konfliktzonen

OECD-Sorgfaltspflicht für den Bergbau in Konfliktzonen


Unternehmen, die in Konfliktzonen Bergbau betreiben, müssen der Sorgfaltspflicht für ihre Zulieferkette besondere Beachtung schenken. Einige für die heutige Industrie unersetzbare Rohstoffe wie Zinn, Tantal und Wolfram (z.B. für die Produktion von Computern, Handys und Autoscheinwerfern) oder Gold werden häufig in Minen in Konfliktgebieten abgebaut. Dabei besteht die Gefahr, dass der Bergbau direkt oder indirekt einen Beitrag an bewaffnete Konflikte und Menschenrechtsverletzungen leistet. Angesichts dieser Risiken empfiehlt die OECD, folgende Sorgfaltspflichten einzuhalten:− Entwicklung solider Managementsysteme für das Unternehmen (z.B. transparente Einkaufspolitik);− Identifizierung und Einschätzung der Risiken in der Zulieferkette;− Entwicklung und Umsetzung einer Strategie, um auf die identifizierten Risiken angemessen zu reagieren;− unabhängige Überprüfung des Systems zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht durch Dritte;− Berichterstattung über die Sorgfaltspflicht für die Zulieferkette, beispielsweise im Jahresbericht.Vgl. OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas (2010).

Zitiervorschlag: Johannes Schneider, Lukas Siegenthaler, (2011). Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Ein Instrument zur verantwortungsvollen Unternehmensführung. Die Volkswirtschaft, 01. September.