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Finanzierungsansätze für Verkehrsinfrastrukturen und deren Einfluss auf die Produktivität

Als Teil des Forschungsprojektes des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur Produktivität der Infrastrukturen wurde die Effizienz von Bahnverkehrsunternehmen im internationalen Vergleich ermittelt. Für die beiden Unternehmen SBB und BLS zeigt sich, dass sie bezüglich der technischen Effizienz zu den europäischen Spitzenreitern gehören. Bezüglich der Kosteneffizienz lagen beide Unternehmen 2004 noch unter dem europäischen Durchschnitt, konnten aber zwischen 2004 und 2009 stark aufholen und lagen 2009 über dem europäischen Durchschnitt. Die Studie konnte weder einen Einfluss der Finanzierungsart noch der vertikalen Separierung auf die gemessene Effizienz identifizieren.

Ausgangslage und Forschungsauftrag


In einer Volkswirtschaft spielen Infrastrukturnetze eine wichtige Rolle. Versorgungsinfrastrukturen – wie Strom, Gas, Wasser, Telekommunikation – sowie die verschiedensten Verkehrswege sind wichtige Standortfaktoren und eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Ursprünglich in staatlichem Eigentum, wurden diese Sektoren in den letzten Jahrzehnten mehrheitlich liberalisiert, für die internationale Konkurrenz geöffnet und teilweise auch privatisiert. Als wichtige Zielsetzung für die fortlaufende Marktöffnung ist die zu erwartende Intensivierung des Wettbewerbs zu nennen, die zu einer Steigerung der Effizienz der Unternehmen und zu neuen Angeboten führt. Die im Folgenden vorgestellte Studie analysiert die Produktivität bzw. Effizienz
Vaterlaus S., Zenhäusern P., Leukert K., Suter S., Fischer B. (2011): Produktivität und Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen, Finanzierungsansätze für Verkehrsinfrastrukturen und deren Einfluss auf die Produktivität. Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, Strukturberichterstattung Nr. 48/1, Bern. von Bahnverkehrsinfrastrukturen im internationalen Vergleich (Benchmarking). Im ersten, deskriptiven Teil wird das internationale Angebot an Verkehrsleistungen – gegliedert nach Verkehrsträgern (Modal Split) – dargestellt sowie das Ausmass der Finanzierung der Bahninfrastruktur und des Bahnbetriebs durch staatliche Zuschüsse aufgezeigt. Im zweiten, analytischen Teil wird die Effizienz von europäischen Bahnunternehmen und deren Entwicklung über die Zeit mithilfe mehrdimensionaler Benchmarkingmethoden ermittelt. Im Fokus der Untersuchung stehen die beiden grössten Schweizer Bahnunternehmen SBB und BLS. Im Wesentlichen wurden die folgenden Forschungsfragen beantwortet:− Wie ist die Effizienz der Schweizer Bahnunternehmen im internationalen Vergleich zu beurteilen?− Wie hat sich die Effizienz der Bahnunternehmen in den vergangenen Jahren entwickelt? − Hat die Art der Finanzierung der Bahnunternehmen einen Einfluss auf deren Effizienz?− Beeinflusst die vertikale Separierung von Eisenbahnunternehmen die ermittelte Effizienz?

Verkehrsspezifische Rahmenbedingungen


Die Verkehrsinfrastrukturen der europäischen Länder unterscheiden sich erheblich. Dies kann u.a. auf geografische Gegebenheiten und historische Entwicklungen zurückgeführt werden. Entsprechend variiert der Anteil der Wertschöpfung des Verkehrssektors an der gesamten Bruttowertschöpfung von Land zu Land sehr stark; die Bandbreite beträgt zwischen ca. 2% in Irland und über 10% in Lettland. In der Schweiz leistet der Verkehrssektor mit 3,6% einen eher geringen Anteil an der Wertschöpfung, wobei mehr als die Hälfte davon im Landverkehr generiert wird. Beim Verhältnis zwischen Strassen- und Schienenkilometern liegt die Schweiz im europäischen Durchschnitt. Auf einen Kilometer Schienenweg kommen hierzulande 14 Kilometer Strasse. Weit höher liegt die Bedeutung der Strasse dagegen in Irland und den Niederlanden, wo das Strassennetz um das 50-fache grösser ist als das Schienennetz. Bezüglich des Modal Split – d. h. der Nutzung der verschiedenen Verkehrsinfrastrukturen – ist die Schweiz sowohl im Personenverkehr als auch im Güterbereich das Land mit dem zweithöchsten Anteil der Schiene am Verkehrsmarkt. Beim per Zug abgewickelten Personenverkehr liegt dieser Anteil bei 15%. Im Güterverkehrsbereich wird in der Schweiz fast die Hälfte des Transportvolumens über den Zug bewegt. Dabei sind über 60% der transportierten Güter dem Transitverkehr zuzurechnen.

Finanzierung des Bahnverkehrs


Die Finanzierung des Bahnsektors erfolgt in vielen Ländern zum Teil über staatliche Zuschüsse. Mit dem öffentlichen Mittelzufluss an die Bahnen werden politische Zielsetzungen verfolgt (Industrie-, Regional-, Umweltpolitik etc.). Um davon ausgehende negative Wirkungen auf die Effizienz der Bereitstellung von Verkehrsleistungen zu begrenzen, werden etwa im Rahmen der EU-Verkehrspolitik die Bedingungen der Subventionen für Eisenbahnverkehrsunternehmen durch Leitlinien der Europäischen Kommission (2008) flankiert. Der Umfang der Finanzierung durch die öffentliche Hand unterscheidet sich zwischen den Ländern. Durchschnittlich fliessen zwei Drittel der Subventionen in die Infrastruktur (Infrastrukturinvestitionen) und ein Drittel als Fahrzeuginvestitionen in den Betrieb.
Vgl. SCI Verkehr (2009). Wie stark sich die staatliche Bezuschussung zwischen verschiedenen Ländern unterscheidet, zeigt sich anhand des Verhältnisses der öffentlichen Bahnmittel zur Summe der Bahnbetriebseinnahmen. Die Schweiz weist mit rund 50% einen vergleichsweise hohen Anteil öffentlicher Mittel an der Finanzierung des Bahnbetriebs auf (vgl. Grafik 1). Nicht nur im Ländervergleich lassen sich Unterschiede im Grad der öffentlichen Finanzierung ausmachen. Auch die Unternehmen innerhalb eines Landes weisen unterschiedliche Anteile staatlicher Zuschüsse an den Umsätzen auf. Bei den SBB beträgt dieser Anteil gemäss SCI Verkehr (2009) 35%, was deutlich unter dem schweizerischen Durchschnitt von 50% liegt. Betrachtet man die staatlichen Zuschüsse relativ zum Streckennetz, weisen die SBB nach der italienischen FNM bei den integrierten Unternehmen den zweithöchsten Wert auf (vgl. Grafik 2). Auch die BLS erhält pro Kilometer Netzlänge relativ gesehen einen hohen staatlichen Zuschuss. Anders sieht es aus, wenn als Vergleichsmassstab die zurückgelegten Zugkilometer angewendet werden (ohne Abbildung). In diesem Fall weisen sowohl SBB als auch BLS durchschnittliche Werte auf. Diese Differenz kann durch die im internationalen Vergleich hohe Zugdichte beider Unternehmen erklärt werden.

Produktivität von Bahnunternehmen

Vorgehen zur Messung der Produktivität


Um die Eisenbahnunternehmen hinsichtlich ihrer Produktivität bzw. Effizienz zu beurteilen, wurden mehrdimensionale Benchmarkingmethoden eingesetzt. Neben der technischen Effizienz – d. h. dem Verhältnis zwischen dem Einsatz an Mitarbeitern bzw. dem Wagenmaterial und dem Output (z. B. «Zugkilometer») – wurde auch die Kosteneffizienz betrachtet. Die Kosteneffizienz legt dar, welches Bahnunternehmen bei gegebenen Personen- und Güterzugkilometern die niedrigsten Betriebs- oder Gesamtkosten aufweist. Zum Einsatz kommen sowohl nicht-parametrische Methoden (Data Envelopment Analyse, DEA) als auch parametrische Methoden (Quantilsregressionen). Als Datengrundlage dient die Statistik der Union Internationale des Chemins de Fer (UIC) der Jahre 2004 und 2009, in der sich im Fall der Schweiz Angaben zur SBB, BLS und BLS Cargo finden.In einem ersten Schritt wurden integrierte Bahnunternehmen miteinander verglichen: also Unternehmen, die sowohl den Güter- und Personenverkehr betreiben, wie auch die Infrastrukturen bauen und unterhalten. Hierzu wurden – neben den 27 integrierten Bahnunternehmen des Datensatzes – weitere 16 Unternehmen «hypothetisch» integriert, indem pro Land die Daten des Infrastrukturbetreibers mit denen der Güter- und Personenverkehrsunternehmen zu einem integrierten Unternehmen aggregiert wurden. Für die Schweiz wird die SBB als voll integriertes Unternehmen und das Aggregat von BLS und BLS Cargo als hypothetisch integriertes Unternehmen in den Analysen berücksichtigt.Die Modellwahl zur Erklärung der technischen Effizienz und der Kosteneffizienz wurde zum einen auf Basis einer umfangreichen statistischen Überprüfung theoretisch möglicher Bestimmungsfaktoren durchgeführt. Zum anderen erfolgte eine Bewertung der Ergebnisse anhand der wissenschaftlichen Literatur. Einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Modellwahl hat der Umfang der verfügbaren Daten, da bei einer zu kleinen Stichprobe keine belastbaren Effizienzberechnungen mehr durchgeführt werden können.

Produktivität im Zeitablauf


In einem ersten Schritt wurden für alle integrierten und hypothetisch integrierten Unternehmen für die Jahre 2004 und 2009 verschiedene Formen der Effizienz ermittelt: technische Effizienz, Kosteneffizienz des laufenden Betriebs und Gesamtkosteneffizienz (vgl. Tabelle 1).Die Schweizer Unternehmen SBB und BLS/BLS Cargo erzielen sowohl bei der Anwendung der nicht-parametrischen als auch der parametrischen Methode bei der technischen Effizienz im Jahr 2004 Höchstwerte. Zwischen 2004 und 2009 ist bei der parametrischen Methode die branchenweite Tendenz einer abnehmenden Effizienz sichtbar: Die Effizienz des Medianunternehmens verschlechtert sich um rund 10 Prozentpunkte, jene der SBB um 8 und jene der BLS/BLS Cargo um 4 Prozentpunkte. Ausserdem ist im Jahr 2009 im Vergleich zum Jahr 2004 eine grössere Streuung der Effizienz der Unternehmen erkennbar. Bezüglich der Kosteneffizienz sind der Durchschnitt und die Standardabweichung der Betriebs- und Gesamtkosten-Effizienzwerte im Jahr 2004 für beide Methoden vergleichbar. Die Durchschnittseffizienz liegt bei der DEA jedoch um ca. 10 Prozentpunkte niedriger als bei der Quantilsregression. Insbesondere die SBB erzielt in der Quantilsregression bei der Kosteneffizienz deutlich höhere Effizienzwerte als in der DEA. Grundsätzlich liegt die Kosteneffizienz der Schweizer Unternehmen im Jahr 2004 unter der technischen Effizienz. Einen Effizienzwert von 100% erreichen in der DEA über die verschiedenen Jahre und Modelle fünf bis sieben Unternehmen. Diese im Vergleich zur technischen Effizienz rund um die Hälfte geringere Anzahl lässt sich mit der geringeren Anzahl an Variablen im Modell – und deshalb geringeren Differenzierungsmöglichkeiten – erklären. Über die Jahre hinweg lässt sich im Durchschnitt eine Verbesserung der Kosteneffizienz beobachten. Insbesondere die SBB vermag mit gut 30 Prozentpunkten eine deutliche Verbesserung zu realisieren. In der Quantilsregression erreicht die SBB sowohl bei den Betriebs- als auch den Gesamtkosten eine Effizienz von 100% (vgl. Tabelle 2).Aus den nicht-parametrischen Berechnungen für die technische Effizienz und die Kosteneffizienz lässt sich der Malmquist-Index für SBB und BLS/BLS Cargo berechnen. Dieser Index ermöglicht eine Aufteilung der gesamten Produktivitätsentwicklung in die Veränderung der Branchenproduktivität und die individuelle Effizienzveränderung. Bei der Kosteneffizienz ist die individuelle Effizienzsteigerung zwischen 2004 und 2009 sowohl bei SBB als auch bei BLS/BLS Cargo höher ausgefallen als die Branchenentwicklung. Bei der technischen Effizienz hat insbesondere BLS/BLS Cargo eine höhere individuelle Effizienzsteigerung als die Branche zu verzeichnen. Die Ergebnisse der Effizienzberechnungen über die Zeit zeigen, dass die Schweizer Unternehmen bei der technischen Effizienz in beiden Jahren zu den besten Unternehmen gehören. Bei der Kosteneffizienz schneiden sie im Jahr 2004 schlechter ab als der Durchschnitt, können sich jedoch bis 2009 stärker verbessern als der Durchschnitt der übrigen integrierten Bahnunternehmen.

Einfluss der Finanzierung sowie weiterer Umfeldfaktoren auf die Produktivität


Da in Benchmarking-Modellen nicht beliebig viele Parameter aufgenommen werden können, besteht die Möglichkeit, dass die ermittelten Effizienzwerte Verzerrungen aufgrund nicht berücksichtigter Strukturen oder Umfeldfaktoren aufweisen. Um die Vollständigkeit der Modellspezifikation zu prüfen, werden Second-Stage-Analysen durchgeführt. Dabei wird geschaut, ob gewisse erklärende Variablen die im ersten Schritt festgestellten Effizienzunterschiede zu erklären helfen. In Betracht kommen auch Einflussfaktoren, die sich der Beeinflussung des Unternehmens entziehen. Die Second-Stage-Analyse zeigt, dass die Bevölkerungsdichte einen negativen Einfluss auf die Kosteneffizienz hat, da vermutlich das Schienennetz komplexer ausgestaltet und höher frequentiert bedient werden muss. Die Höhe des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf hat einen positiven Einfluss auf die technische Effizienz und einen uneinheitlichen auf die Kosteneffizienz. Unternehmen mit einem hohen Anteil an elektrifizierten Strecken schneiden in der Kosteneffizienz systematisch schlechter ab als jene mit einem geringen Anteil. Für SBB und BLS, deren gesamtes Streckennetz elektrifiziert ist, bedeutet dies, dass sich ihre Effizienz – je nach betrachtetem Modell und Methode – erhöhen könnte, wenn die elektrifizierten Leitungen explizit im Modell enthalten wären.Interessant ist auch die Analyse, ob die Höhe der staatlichen Subventionen die Effizienz beeinflusst. Hierzu wird die staatliche Hilfe pro Netzlänge hinsichtlich ihres Einflusses auf die Effizienzwertverteilung untersucht. Es lassen sich nur im Fall des nicht-parametrischen Ansatzes Effekte erkennen: Die technische Effizienz fällt bei einem hohen Subventionsanteil höher aus. Die Kosteneffizienz hingegen ist mit zunehmenden Subventionen pro Netzlänge niedriger. Für die übrigen untersuchten Kennzahlen zur Finanzierung lassen sich keine statistisch signifikanten oder eindeutigen Effekte ablesen, so dass für den vorliegenden Datensatz die technische Effizienz und die Kosteneffizienz nicht stark durch die Art der Finanzierung beeinflusst sind.

Rolle der vertikalen Integration


Im Rahmen der Studie wurde auf verschiedene Weise untersucht, inwieweit eine vertikale Separierung der ehemals integrierten Bahnunternehmen einen Effizienzgewinn gebracht hat. Dabei hat sich gezeigt, dass bei den Berechnungen mit den Daten der integrierten und hypothetisch integrierten Unternehmen keine systematischen Unterschiede der Effizienzwerte zu beobachten sind. Für einen Vergleich der Unternehmen innerhalb ihres Tätigkeitsfeldes ist die Stichprobengrösse nicht ausreichend. Die Durchführung eines Effizienzvergleichs von Unternehmen, die in sehr unterschiedlichem Umfang im Bahngeschäft tätig sind, erweist sich angesichts der grossen Heterogenität der Strukturen als schwierig. Deshalb lassen sich bei dieser Analyse keine eindeutigen Schlussfolgerungen bezüglich des Einflusses der vertikalen Integration ableiten.

Grafik 1: «Bahnbetriebsfinanzierung im Ländervergleich»

Grafik 2: «Staatliche Zuschüsse pro Netzkilometer»

Tabelle 1: «Untersuchte Modelle»

Tabelle 2: «Effizienzwerte»

Kasten 1: Quellen

Quellen


− SCI Verkehr (2009), Weltweite Finanz- und Investitionsbudgets der Eisenbahnen 2009, Finanzielle Ressourcen, Investitionen und Konjunkturprogramme, Berlin (kann bei SCI Verkehr bezogen werden).− Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft; ABl. L 237 vom 24/08/1991 S. 0025-0028.

Zitiervorschlag: Stephan Suter, Barbara Fischer, Karolin Leukert, Stephan Vaterlaus, Patrick Zenhäusern, (2011). Finanzierungsansätze für Verkehrsinfrastrukturen und deren Einfluss auf die Produktivität. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.