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Grosse Währung eines kleinen Landes: Fluch oder Segen?

Grosse Währung eines kleinen Landes: Fluch oder Segen?

Vor dem Hintergrund der jüngsten Frankenaufwertung und der damit verbundenen Probleme stellen sich unter anderem zwei Fragen: Wie entstand historisch die grosse internationale Bedeutung des Frankens und seine Rolle als «sicherer Hafen»? Entstehen dadurch neben den evidenten Nachteilen auch relevante Vorteile für die Schweiz? Die Währungsgeschichte zeigt erstens, dass stabile Währungen mit internationaler Bedeutung oft von kleinen Staaten geschaffen wurden und der Franken keine Singularität darstellt. Zweitens bietet ein starker Franken in einem Umfeld von internationaler Währungsinstabilität mittel- und langfristig grosse Zins- und Terms-of-Trade-Vorteile, die mehr Beachtung verdienen.


Nach über zehn ruhigen Jahren mit einer mittelfristigen Entwicklung des effektiven Wechselkurses des Franken nach Massgabe der Kaufkraftparität hat sich der Franken seit Mai 2010 stark real aufgewertet. Die Überbewertung betrug im August über 30% und ist seither durch die Vorgabe einer Untergrenze für den Franken/Euro-Kurs auf unter 20% zurückgegangen. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Schweiz in den 1970er- und 1980er-Jahren eine beträchtliche reale Aufwertung des Frankens erlebt hat und die Periode von 1999–2009 die Ausnahme darstellt. Dennoch ist mit einer derart starken Aufwertung innerhalb von nur 16 Monaten die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizerischen Exportindustrie und der mit Importen konkurrierenden Branchen stark gefährdet und damit der schweizerische Produktionsstandort bedroht. Daneben hat eine permanent starke reale Aufwertung einen negativen Effekt auf das Nettoauslandsvermögen der Schweiz, das sich im 3. Quartal 2011 aus Aktiva von 3216 Mrd. Franken und Passiva von 2337 Mrd. Franken zusammensetzt.
Quelle: SNB Statistische Monatshefte, Dezember 2011 R1, R4. Da die Aktiva zu 83% in Fremdwährung und die Passiva zu 64% in Franken zu denominiert sind, unterliegt das schweizerische Nettoauslandvermögen von heute ca. 160% des Bruttoinlandprodukts (BIP) einem beträchtlichen Währungsrisiko. Dieser Currency Mismatch reflektiert die internationale Nachfrage nach Franken, der neben den vier Währungen US-Dollar, Euro, Yen und Pfund international eine relativ grosse Bedeutung besitzt. Schliesslich sind mit der enormen Ausweitung der monetären Basis zur Beschränkung der Aufwertung Inflationsrisiken verbunden, da ein rechtzeitiger Abbau dieser Liquidität zwar technisch machbar ist, aber wegen der stark verzögerten Reaktion der Inflationsrate auf geldpolitische Massnahmen möglicherweise zu spät erfolgen wird.

Ein Blick in die Währungsgeschichte


Aus währungsgeschichtlicher Perspektive ist festzuhalten, dass die heutigen Währungsstabilitätsprobleme grosser Länder oder Währungsgebiete alles andere als neu sind. Die meisten grossen Imperien und Länder waren trotz den evidenten Vorteilen eines grossen Währungsraums bezüglich Transaktions- und Informationskosten nicht in der Lage, eine langfristig stabile Währung zu schaffen. Letztlich haben immer wieder zu hohe und nicht nachhaltig finanzierbare Staatsausgaben zu Münzverschlechterung und exzessiver Papiergeldschöpfung mit inflationären Konsequenzen geführt.Als erstes Beispiel können wir das römische Imperium anführen, in dem der Silber-Denarius nur knapp 200 Jahren stabil gehalten werden konnte. Ab dem Jahr 180 setzte eine inflationäre Münzverschlechterung ein, die dann unter den Soldatenkaisern (235-284) ein dramatisches Ausmass annahm. Erst mit dem goldenen Solidus konnte im Verlauf des 4. Jahrhunderts wieder eine stabile Währung geschaffen werden, die sich in Ostrom und auch international bis zum Niedergang im 11. Jahrhundert als stabile Währung behauptete.
Vgl. Bernholz, (2003), S. 25–31.Auch die monetäre Geschichte des Chinesischen Kaiserreichs von der Sung-Dynastie (960–1272) bis zur Qing-Dynastie (1644–1911) ist aufschlussreich.
Eine sehr gute Darstellung dieses Themas findet sich im Buch von Richard von Glahn (1996). Die frühe Kenntnis des Buchdrucks erlaubte die Einführung von Papiergeld im 11. Jahrhundert, das für grosse Transaktionen viel geeigneter war als die in China verwendeten Kupfermünzen von geringem Wert. Die Möglichkeit der Papiergeldschöpfung ohne metallische Deckung wurde von drei chinesischen Kaiserdynastien zur Finanzierung exzessiver Staatsausgaben missbraucht. Die daraus entstandenen Inflationen führten dazu, dass die Akzeptanz des Papiergelds durch den Staat letztlich nicht durchgesetzt werden konnte und es im 15. Jahrhundert allmählich aufgegeben wurde. Ähnliches ist auch zu den Währungen der europäischen grossen Reiche im späten Mittelalter und der Neuzeit sowie den USA zu vermerken. Die Konvertibilität des britischen Pfundes wurde immer wieder in Kriegs- und Krisenzeiten suspendiert, und nur gerade für die Jahre von 1819–1914 ist eine längere Periode mit Währungsstabilität zu verzeichnen. Den USA gelang es nach der Schaffung des Dollars Ende 18. Jahrhunderts nur 1873–1971 eine relativ stabile Währung mit nur einer Abwertung 1933 zu schaffen. Frankreich war zu seinen «besten Zeiten» (Spätmittelalter, frühe Neuzeit, Revolution und Kaiserreich) erst unter Napoleon in der Lage, eine für gut 110 Jahre stabile Währung zu schaffen. Das frühneuzeitliche spanische Weltreich sowie das 2. und 3. Deutsche Reich mit dem spektakulären Untergang der Mark respektive der Reichsmark in der Hyperinflation von 1923 beziehungsweise der Währungsreform von 1948 liefern weitere Beispiele.
Bernholz (2003) enthält eine Analyse der Inflationsperioden für verschiedene Währungen und im Kapitel 13 von Spuffort(1988) findet sich eine hervorragende Übersicht über die Währungsinstabilität von 1250–1500 in Europa.Die Währungen der meisten Kleinstaaten erfreuten sich ebenfalls keiner grossen Stabilität. Trotzdem gelang es relativ kleinen Ländern mit ausgeprägten Aussenhandelsinteressen immer wieder, langfristig stabile Währungen zu schaffen, die auch in internationalen Transaktionen akzeptiert wurden. Frühe Beispiele sind im 13. Jahrhundert Florenz mit dem Fiorino d‘oro, Venedig mit dem Dukaten und England mit dem Pfund Sterling. Diese Währungen blieben über mehrere Jahrhunderte im grossen und ganzen stabil. Das jüngste Beispiel stellt der im Jahre 1850 nach der Gründung des Bundesstaats 1848 geschaffene Schweizer Franken dar, auf dessen Geschichte wir kurz eingehen wollen.

Geschichte des Schweizer Frankens


Der Schweizer Franken wurde als 5 Gramm Silber mit 90% Feingehalt (gleich einem französischen Franc) definiert. Damit ging das Münzrecht, das vorher bei den Kantonen lag, an den Bund über. Die Regelung der Ausgabe von Banknoten blieb aber bis 1881 bei den Kantonen, und die Schweiz stand weiterhin unter einem Free-Banking-Regime mit privater Notenausgabe.
Vgl. Weber (1992). Mit dem Bankgesetz von 1881 wurde die Notenausgabe national geregelt, und mit der Gründung der Schweizerischen Nationalbank 1907 wurde ein nationales staatliches Notenmonopol eingeführt. Bis zu diesem Jahr war die Schweiz unter der 1865 geschaffenen lateinischen Münzunion
Belgien, Frankreich, Italien, Schweiz und ab 1868 Griechenland. ein monetärer Satellit von Frankreich. Neben der Gründung der SNB stellt der erste Weltkrieg die entscheidende Zäsur für die internationale Bedeutung des Schweizer Frankens dar. Im Gegensatz zu Frankreich ging die Schweiz trotz Kriegsinflation de facto 1924 und de jure 1929 mit einer Nachkriegsdeflation zur alten Goldparität zurück, die auch in der Weltwirtschaftskrise bis 1936 gehalten wurde. Nach der Abwertung des Franc wurde der Franken um 30% abgewertet, doch die Konvertibilität des Frankens wurde – wenigstens für Handelstransaktionen in einem Umfeld von Devisenbewirtschaftung – weitgehend aufrechterhalten. Der Franken zeichnet sich nach dem ersten Weltkrieg im internationalen Vergleich durch eine ausgeprägt relative Stabilität aus. Die Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar, dem Britischen Pfund, dem «alten» französischen Franc (1 neuer Franc = 100 alte Franc) und der italienischen Lira in Tabelle 1 zeigen, dass alle diese Währungen seit 1914 mindestens 80% an Wert gegenüber dem Franken verloren haben. Letztlich ist diese Entwicklung dadurch begründet, dass der Franken nie absichtlich aus fiskalischen Gründen inflationiert wurde. Die Inflationsepisoden in der Schweiz waren hauptsächlich durch äussere Zwänge (Bretton-Woods-System) oder geldpolitische Fehleinschätzungen (Erster Weltkrieg, Liquiditätsüberhang nach DM-Interventionen 1978, SIC und neue Liquiditätsvorschriften 1988) bedingt.

Vorteile eines starken Frankens


Neben den wohlbekannten allgemeinen Vorzügen einer stabilen Währung, auf die aus Platzgründen hier nicht eingegangen wird, gibt es zwei spezielle Vorteile eines starken Frankens. An erster Stelle ist schweizerische Zinsinsel zu nennen: Trotz mehrheitlich freiem Kapitalverkehr sind nach dem Ersten Weltkrieg die Realzinssätze auf festverzinsliche
Das gilt nicht für die Ertragsraten von Aktien. Franken-Aktiva niedriger als bei anderen Währungen. Das Phänomen kommt weitgehend durch eine Verletzung der langfristigen nominalen Zinsparität und nur zu einem geringen Umfang auf Abweichungen von der Kaufkraftparitätshypothese zu Stande. Die plausibelste Erklärung für dieses Phänomen besteht darin, dass der Franken eine Stabilitäts- und Diversifikationsprämie erntet: Anleger sind bereit, für eine grössere Sicherheit einen geringeren Ertrag auf festverzinslichen Frankenanlagen zu akzeptieren.
Vgl. Kugler/Weder di Mauro (2002, 2004, 2005). Hier sei noch darauf hingewiesen, dass das Bankgeheimnis als Erklärung für die Zinsinsel gänzlich untauglich ist: Private Nichtresidente halten in den Schweizer Depots nur wenig festverzinsliche Frankenpapiere. Zudem taucht die Zinsinsel schon vor der Etablierung des Bankgeheimnisses 1934 und auch am Frankenmarkt im Ausland auf. Im heutigen niedrigsten Zinsumfeld spielt dieser Vorteil temporär keine grosse Rolle mehr; er sollte aber in einer längerfristigen Perspektive nicht vergessen werden.Zweitens ist die reale Aufwertung des Frankens mit einer Verbesserung der Terms of Trade (ToT, Exportpreise/Importpreise) mit bedeutenden Konsequenzen für Realeinkommen und Wohlstand verbunden. In Grafik 2 sind die Entwicklungen der Verhältnisse der nominalen und realen Exporte und Importe (Güter und Dienstleistungen) sowie der ToT seit 1980 dargestellt. Dabei zeigt sich eine grosse Divergenz zwischen dem nominalen und realen Export-Import-Verhältnis. Die reale Grösse ist bei starker kurzfristiger Volatilität langfristig stationär mit einem Mittel unter 1, während die nominelle Grösse ein Trend-stationäres Wachstum aufweist und heute bei einem Niveau von rund 1,3 liegt. Dieser Unterschied reflektiert die Verbesserung der ToT, die sich auch als Verhältnis der nominalen und realen Verhältniszahl darstellen lässt. Das ToT-Trendmuster der Entwicklung entspricht grosso modo demjenigen des realen Wechselkurses, der mit Konsumentenpreisen berechnet wird. Konkret bedeutet dies, dass die Frankenpreise der Exporte deutlich stärker gestiegen sind als diejenigen der Importe und somit die Schweiz gesamthaft von der unvollständigen Überwälzung von Wechselkursveränderungen auf Importe und Exporte profitiert hat.
Bei vollständiger Konkurrenz würden Wechselkursveränderungen ceteris paribus zu keinen ToT-Veränderungen führen. Jedoch führen Friktionen – wie Transaktionskosten im weitesten Sinne und monopolistischer Wettbewerb (Pricing to Markets) – zu einer unvollständigen Weitergabe. Der Pass through auf die Importpreise ist in den Industrieländern nicht vollständig und hat tendenziell in den letzten 30 Jahren abgenommen (für die Schweiz vgl. Stulz, 2008). Das hat in den letzten Monaten zu heftigen Diskussionen geführt. Doch gesamthaft wirkt sich dieses Phänomen für die Schweiz positiv aus.Diese Verbesserung der ToT steht letztlich hinter dem starken Verbesserung der Nettoauslandsvermögensposition der Schweiz, die sich seit 1999 von ca. 125% auf heute knapp 160% des BIP erhöht hat. Wichtig ist festzuhalten, dass dieser Wohlstandsgewinn nicht im üblich definierten realen BIP-Wachstum reflektiert wird.
Vgl. Kohli (2004) und Kehoe/Ruhl (2007). Der Grund liegt darin, dass durch die getrennte Deflationierung der nominalen Exporte und Importe mit den jeweiligen Preisindizes der ToT-Effekt auf das Realeinkommen verloren geht. Alternativ kann das sogenannte Command Base GDP (CGDP) verwendet werden, bei dem der nominelle Aussenhandelsüberschuss mit den Importpriesen deflationiert wird und so die dadurch erhöhten realen Importmöglichkeiten berücksichtigt werden. In Grafik 3 ist der Verlauf des BIP diesem alternativen Mass gegenüber gestellt: Es zeigt sich, dass dieser Effekt in der Schweiz sehr bedeutsam ist, da das CGDP heute 20% über dem BIP liegt und damit durchschnittlich seit 1980 um 0,65% pro Jahr stärker gewachsen ist.

Fazit


Neben den offensichtlichen Problemen, die durch exzessive Frankenaufwertungen in internationalen Krisenzeiten entstehen, bietet eine starke Währung in einem instabilen internationalen Umfeld Vorteile, die mehr Beachtung verdienen. Neben den allgemeinen Vorteilen einer stabilen Währung gehört dazu einerseits der langfristig nicht zu vernachlässigende «Zinsbonus» des Frankens, auch wenn dieser im heutigen internationalen Niedrigzinsumfeld temporär nicht so zu Buche schlägt. Andererseits sind die Terms-of-Trade-Gewinne zu nennen, die durch das reale BIP-Wachstum nicht reflektiert werden und für die Schweiz in den letzten 30 Jahren beträchtlich waren.

Grafik 1: «Effektive Wechselkurs des Frankens gegenüber den Währungen von 40 Handelspartnern und relative Konsumentenpreisentwicklung, Januar 1999–November 2011»

Grafik 2: «Verhältnis von Exporten und Importen nominal und real, Terms-of-Trade, 1. Quartal 1980–3. Quartal 2011»

Grafik 3: «BIP und Command Base GDP, 1. Quartal 1980–3. Quartal 2011»

Tabelle 1: «Aufwertung des Frankens seit dem Goldstandard (1875–1914)»

Kasten 1: Literatur

Literatur


− Bernholz, Peter: Monetary Regimes and Inflation: History, Economic and Political Relationships, Edward Elgar, Cheltenham UK, 2003. − Glahn, Richard von: Fountain of Fortune, Money and Monetary Policy in China, 1000–1700, UCP, Berkeley, 1996.− Kehoe, Timothy J., Ruhl Kim J.: Are Shocks to the Terms-of-Trade Shocks to Productivity?, NBER Working Paper 13111, May, 2007.− Kohli, Ulrich: Real GDP, Real Domestic Income, and Terms-of-Trade Changes, in: Journal of International Economics 62, 2004, S. 83–106 − Kugler, Peter, Weder die Mauro, Beatrice: The Puzzle of the Swiss Interest Island: Stylized Facts and a New Interpretation, in: Aussenwirtschaft 57, 2002, S. 49–63.− Kugler, Peter, Weder die Mauro, Beatrice: International Portfolio Holdings and Swiss Franc Returns, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 140, 2004, S. 301–325.− Kugler, Peter, Weder die Mauro, Beatrice: Why are Returns on Swiss Franc Asset so Low?, in: Applied Economics Quarterly, 2005, S. 351–372. − Spufford, Peter: Money and its Use in Medieval Europe, Cambridge University Press, 1988.− Stulz, Jonas: Essays on the Exchange Rate Pass-Through in Switzerland, SNB, Zürich, 2008.− Weber, Ernst Jürg: Free Banking in Switzerland after the Liberal Revolutions in the Nineteenth Century, Dowd, K, (ed.), The Experiment of Free Banking, London 1992, S. 187–205.

Zitiervorschlag: Peter Kugler (2012). Grosse Währung eines kleinen Landes: Fluch oder Segen. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.