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Wie aus Finanzkapital Sachkapital wird

Der Schweizer Finanzsektor ­erwirtschaftet einen ­bedeutenden Teil des Bruttoinlandproduktes (BIP) und bietet Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung. Der Nutzen für die Gesamtwirtschaft geht jedoch idealerweise über diese ­reine Wertschöpfung hinaus. ­Indem Finanzintermediäre ­Finanzkapital in Investitionen überführen und dabei ­Risiken übernehmen sowie Informationsasymmetrien abmildern, übernehmen sie ­wichtige Funktionen zugunsten anderer Sektoren.

Wie und vor allem wie gut dieser finanzielle Intermediationsprozess (welcher nicht nur durch den Finanzsektor, sondern auch von anderen Sektoren erbracht wird) in der Schweiz funktioniert, ist nicht hinreichend erforscht. Fünf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Rahmen der Ressortforschung vergebene Studien thematisieren deshalb verschiedene Aspekte der Finanzintermediation in der Schweiz. Sie werden in der Folge kurz vorgestellt.

Auswirkungen des Finanzsektors auf die Gesamtwirtschaft


Ausgehend von der wissenschaftlich intensiv diskutierten Hypothese, dass ein (zu) grosser Finanzsektor volkwirtschaftlich eher schädlich als nützlich sein kann, untersucht BAK Basel, welche gesamtwirtschaftlichen Effekte ein grosser Finanzsektor auf regionaler Ebene generiert. Dabei zeigt sich: Ab einem Anteil von rund 8% an der Gesamtbeschäftigung bringt ein expandierender Finanzsektor keinen zusätzlichen Wachstumseffekt für die Gesamtwirtschaft. Mögliche Erklärungen sind ein Brain-Drain zulasten anderer Sektoren, erhöhte systemische Risiken oder eine durch Finanzanlagen ausgelöste Aufwertungen der Währung.Die Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Auf aggregierter Ebene sind Analysen über solch heterogene Regionen hinweg notwendigerweise unvollständig, und spezifische Charakteristika der Finanzplätze können nicht ausreichend berücksichtigt werden. So weist der Finanzplatz Zürich – mit einem Beschäftigungsanteil von über 10% – eine starke Ausrichtung auf das Vermögensverwaltungsgeschäft auf und ist damit stark exportorientiert. Die Auswirkungen auf die restliche Wirtschaft dürften deshalb vorwiegend über indirekte Effekte – wie z.B. über die Absorption von Humankapital – und weniger über unwirksame Intermediationsleistungen zugunsten des Inlands erfolgen.

Wird die Wertschöpfung des Finanz­sektors richtig berechnet?


Die erste Studie der Konjunkturforschungsstelle Liechtenstein (KOFL) geht einen Schritt weiter und fragt, ob die direkte Wertschöpfung des Finanzsektors im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) nicht eigentlich zu hoch ausgewiesen wird. Das Grundproblem liegt hierbei darin, dass finanzielle Dienstleistungen der Einlagenverwaltung und Kreditgewährung von den Banken nicht explizit in Rechnung ­gestellt werden. Stattdessen wird von den Banken eine Zinsmarge als Vergütung einbehalten. Im Rahmen der VGR wird dies durch die Financial Services Indirectly Measured (Fisim) erfasst. Nur ein Teil dieses Vermögenseinkommens ist als Entgelt für erbrachte Dienstleistungen zu betrachten; der Rest ist Ausgleich für das übernommene Ausfall­risiko. Nach den Konventionen der VGR handelt es sich dabei aber nicht um Produktion, sondern um Vermögensumverteilung. Analog wird beispielsweise bei den Versicherungen die Risikoprämie nicht zur Wertschöpfung gerechnet. Die KOFL berechnet in ihrer Studie eine Unterscheidung dieser beiden Komponenten innerhalb der Fisim; d.h. die Fisim werden um die darin enthaltenen ­Risikoprämien korrigiert. Gemäss den Berechnungen für die Jahre 2008 – 2010 reduziert sich die Bruttowertschöpfung der Banken beim Übergang zu ­einem Risk-adjusted Fisim auf gut 60% des ursprünglichen Wertes. Dem entspricht eine Reduktion des BIP um gut 1%. Die Bruttowertschöpfung der Banken als Anteil am BIP vermindert sich dadurch um etwa 2,5 Prozentpunkte auf knapp 4% (2010) und liegt damit auch näher am Anteil der Arbeitnehmerentgelte der Kreditinstitute am BIP.

Wie unterscheiden sich die Banken in der Finanzintermediation?


Will man verstehen, wie die Ersparnisse ihren Weg in Sachanlagen finden, muss man die Rolle der Banken in diesem Prozess analysieren. Die Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) zeigt ­jedoch, dass eine Analyse für den Bankensektor als Ganzes zu kurz greift. Die verschiedenen, in der Schweiz tätigen Banken verfolgen ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle, was auch unterschiedliche realwirtschaftliche Konsequenzen mit sich bringt.Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass die Regionalbanken und Sparkassen sowie – in etwas geringerem Umfang – auch die Kantonalbanken fast ausschliesslich im inländischen Hypothekargeschäft tätig sind. Umgekehrt bedeutet dies, dass diese Banken in der Finanzierung von Unternehmensaktivitäten, die nicht mit Immobilienvermögen abgesichert werden können, wenig präsent sind. Trotz der reichlichen Versorgung des Hypothekarmarktes mit Anbietern finden die Autoren jedoch, dass die Banken nur in bestimmten Perioden und nur in begrenztem Umfang zu einer Preisentwicklung der Immobilien beigetragen haben, die nicht durch Fundamentalfaktoren der Nachfrage erklärt werden kann. Etwas differenzierter ist das Inlandgeschäft der Grossbanken, welche sich in spürbar grösserem Umfang auch der Finanzierung von Umlaufvermögen und Ausrüstungsgütern widmen, obschon auch hier das Hypothekargeschäft den grössten Anteil einnimmt. Die verstärkte internationale Ausrichtung ab Mitte der 1990er-Jahre hat jedoch das nationale Geschäft im Vergleich zum Auslandgeschäft deutlich langsamer expandieren lassen. Gemäss der Studie wirken sich die bankspezifischen Geschäftsmodelle bei kurzfristigen Schocks – etwa im monetären Umfeld – nur wenig auf die Investitionen der Realwirtschaft in Ausrüstungsgüter aus. Dies dürfte mit der Dominanz der Immobilienfinanzierung und mit dem hohen Eigenfinanzierungsgrad der Unternehmen zusammenhängen.

Ersparnisüberschuss wird im Ausland ­angelegt


Die zweite Studie der KOF Liechtenstein analysiert in einer Gesamtschau die Überführung der Ersparnisse in Finanz- und Sachanlagen. Sie zeigt, dass nicht nur die Schweiz als Ganzes mehr spart als sie investiert, sondern dass mittlerweile alle institutionellen Sektoren (Unternehmen, Staat, Haushalte) Ersparnisüberschüsse aufweisen. Mehr als die Hälfte der Bruttoersparnis kommt dabei von den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften, welche ihre Investitionen etwa zur Hälfte im Ausland tätigen.
Bedeutsam ist auch die «Zwangsersparnis» der privaten Haushalte durch die Pensionskassen. Zu klären bleibt hierbei allerdings die Rolle der von Tochterfirmen im Ausland erzielten Gewinne, welche der Schweiz gutgeschrieben, aber von hier aus wieder im Ausland in Sachkapital der Töchter investiert werden.Resultat der Sparüberschüsse sind die sehr hohen Bestände an Auslandvermögen. Für die Finanzstabilität wie auch für internationale Übertragungseffekte monetärer und realer Krisen sind jedoch nicht die üblicherweise betrachteten Nettovermögen, sondern die Bruttopositionen – ohne Saldierung der Forderungen und Verbindlichkeiten – massgebend. Auf Basis der Berechnung einer integrierten Sach- und Vermögensbilanz zeigt die Studie, dass die Bruttopositionen in den vergangenen Jahren deutlich stärker ausgeweitet wurden, was zum überwiegenden Teil auf die finanziellen Kapitalgesellschaften zurückzuführen war.Aufgrund der Ergebnisse der KOF Liechtenstein wie auch der KOF Zürich könnte man zum Schluss kommen, dass die Schweiz für die hiesigen Ersparnisse – über die Finanzierung von Immobilien hinaus – zu wenig Anlagemöglichkeiten bietet bzw. dass die Rendite auf Investitionen in Sachkapital in der Schweiz im Vergleich zum Ausland tiefer sei.

Lässt sich in der Schweiz nicht mehr ­rentabel investieren?


Um diese Hypothese zu überprüfen sowie Spar- und Investitionsentscheide der Schweizer Haushalte und Unternehmen zu verstehen, hat das Observatoire de la Finance auf Basis der Erhebungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) Zeitreihen zur Kapitalrendite von KMU, von grösseren, nicht-börsenkotierten Firmen sowie von börsenkotierten Firmen erstellt. Dabei zeigt sich, dass die Sachkapitalrentabilität der nicht-kotierten Firmen mit derjenigen der börsenkotierten durchaus vergleichbar ist. Die Sachkapitalrentabilität der nicht-kotierten grossen Firmen ist sogar besser als jene der kotierten Firmen. In der Schweiz, so scheint es, lässt sich also nach wie vor profitabel investieren.Erstaunlicherweise geht die ähnlich hohe Kapitalrendite der verschiedenen Unternehmensgruppen mit einer unterschiedlichen Produktivität des Sachkapitals (gemessen als Anteil der Wertschöpfung am Anlagevermögen) einher. Entgegen der Erwartung scheint diese bei nicht-kotierten Unternehmen um einiges höher zu liegen als bei kotierten Unternehmen. Dieses Resultat könnte allerdings massgeblich durch buchhalterische Unterschiede bei der Bewertung des Anlagevermögens oder durch eine Konzentration der 
börsenkotierten Unternehmen in kapitalintensiven Branchen beeinflusst sein. Die gute Sachkapitalrentabilität der nicht-kotierten Unternehmen und die daraus gezogenen Folgerungen wären dann zu relativieren.

Zitiervorschlag: Christian Busch, Christian Wipf, (2013). Wie aus Finanzkapital Sachkapital wird. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.