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Vermehrte Zuwanderung aus den Ländern Süd- und Osteuropas

Das Freizügigkeitsabkommen mit den EU/Efta-Staaten (FZA) ­erleichtert den Schweizer Unternehmen die Rekrutierung und Einstellung ausländischer Arbeitskräfte. Damit erweitern sich die ­Wachstumsmöglichkeiten der ­Unternehmen, welche in früheren Aufschwungphasen oft relativ rasch durch einen Fachkräfte­mangel eingeschränkt waren. Der Schweizer Arbeitsmarkt ­erwies sich in den letzten elf Jahren als aufnahmefähig, und ­negative Auswirkungen auf die ansässige Bevölkerung blieben ­relativ eng begrenzt. In den letzten beiden Jahren nahm die Zuwanderung aus Deutschland ab und jene aus Süd- und Osteuropa zu. Die berufliche Zusammensetzung der Zuwanderung blieb bislang jedoch relativ stabil.
Der vorliegende Beitrag stützt sich in wesentlichen Teilen auf den 9. Bericht des Observatoriums zum FZA Schweiz-EU.



Die Einführung der Personenfreizügigkeit mit den EU/Efta-Staaten hat die Arbeitsmarktentwicklung in der Schweiz in den letzten elf Jahren wesentlich geprägt. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg zwischen 2002 und 2012 um insgesamt 565 000 oder 1,3% pro Jahr. Dieser Zuwachs entfiel zur einen Hälfte auf ausländische Kurz- und Jahresaufenthalter sowie Grenzgänger und zur anderen Hälfte auf Schweizerinnen und Schweizer sowie niedergelassene Ausländer. Die Schweiz erwies sich in den letzten Jahren als attraktiver Unternehmensstandort. Gerade auch dank des erleichterten Zugangs zu ausländischen Arbeitskräften im EU/Efta-Raum vermochten die Unternehmen vom starken Weltwirtschaftswachstum zu profitieren. Die Expansion unternehmerischer Tätigkeiten wurde weniger als in vergangenen Aufschwungphasen durch Engpässe bei der Rekrutierung von Fachkräften begrenzt. Auch in der Krise 2009 erwies sich die Zuwanderung als eine Stütze der Schweizer Binnenkonjunktur. Mit der Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem EU/Efta-Raum verstärkte sich auch das Bevölkerungswachstum in der Schweiz, da die Zuwanderung aus Drittstaaten, die heute nur noch zu einem relativ kleinen Teil auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist, konstant blieb. In den letzten elf Jahren wuchs die Bevölkerung in der Schweiz um 0,94% pro Jahr, wobei 0,8 Prozentpunkte auf die Zuwanderung zurückgingen. In den 1990er-Jahren war die Bevölkerung um 0,6% und in den 1980er-Jahren um 0,7% pro Jahr gewachsen; davon waren rund 0,3 respektive 0,4 Prozentpunkte auf die Zuwanderung zurückzuführen.Den Grossteil der Netto-Zuwanderung aus dem EU/Efta-Raum machten in den letzten elf Jahren deutsche Staatsangehörige aus, gefolgt von Portugiesen. Mit der Rezession 2009 verringerte sich der gesamte Wanderungssaldo, wobei jener der Deutschen am stärksten auf den Abschwung reagierte (siehe Grafik 1). In der nachfolgenden Erholungsphase wanderten ab 2011 vermehrt Personen aus südeuropäischen Ländern (Italien, Portugal, Spanien und Griechenland) sowie aus osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten (EU8+2) in die Schweiz ein.

Krise im Euroraum verändert inter­nationale Wanderungsbewegungen


Im Jahr 2007 – also kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise, als sich die Schweizer Wirtschaft in einer konjunkturellen Hochphase befand – machten deutsche Staatsangehörige 63% der Netto-Zuwanderung aus dem EU/Efta-Raum in die Schweiz aus. Lediglich 5% entfielen auf die vier genannten Länder Südeuropas und 8% auf Osteuropa. 2012 machten Deutsche noch 15% der Netto-Zuwanderung aus, während der Anteil der vier südeuropä­ischen Länder auf 51% und jener aus osteuropäischen Ländern auf 20% kletterte. Mit dem globalen konjunkturellen Einbruch und der Verschärfung der Eurokrise haben sich in den letzten Jahren die internationalen Wanderungsbewegungen im EU/Efta-Raum stark gewandelt. In Grafik 2 ist die Bedeutung des internationalen Wanderungssaldos für das Bevölkerungswachstum in verschiedenen Ländern des EU/Efta-Raums abgebildet. Wie zu erkennen ist, hat sich Deutschland zwischen 2008 und 2011 von einem Netto-Abwanderungsland zu einem bedeutenden Netto-Zuwanderungsland entwickelt. Die südeuropäischen Länder entwickelten sich gerade in die entgegengesetzte Richtung. Vor allem Spanien und Italien, aber auch Portugal und Griechenland verzeichneten im letzten Jahrzehnt eine bedeutende Netto-Zuwanderung. Diese schwächte sich mit der Finanzkrise ab, und im Falle von Spanien, Portugal und Griechenland verkehrte sie sich 2011 in eine Netto-Abwanderung. In der Schweiz schwächte sich die 
Netto-Zuwanderung ebenfalls ab. Vergleichsweise stabil blieb die Netto-Zuwanderung dagegen in Norwegen, welches von der Krise nur schwach betroffen war. Diese Entwicklungen unterstreichen die Bedeutung der Arbeitsmarktlage in den Herkunfts- und Zielländern für internationale Migrationsbewegungen. Während Spanien (25%), Portugal (16%) und Italien (11%) im Jahr 2012 deutlich erhöhte Arbeitslosenquoten aufwiesen, lagen die entsprechenden Quoten in Deutschland (5,5%), in der Schweiz (4,2%) und in Norwegen (3,1%) auf relativ tiefem Niveau. Die verstärkte Zuwanderung von Arbeitskräften aus Spanien, Portugal und Italien sowie die Abschwächung der Zuwanderung aus Deutschland in die Schweiz passt insofern gut ins Bild der internationalen Wanderungsbewegungen. Allerdings äusserten sich die Auswirkungen der Krise in den betroffenen Ländern nur zum Teil in einer stärkeren Auswanderung der eigenen Staatsbürger. Mit der Eurokrise büssten diese Länder vor allem auch als Zielländer für Zuwanderer aus anderen Regionen an Attraktivität ein. Zahlreiche ausländische Arbeitskräfte kehrten wegen der Krise in ihre Heimatländer zurück. Gleichzeitig gewannen alternative Zielländer an Anziehungskraft für EU-Staatsbürger, die in einem anderen Land des EU/Efta-Raums nach einer Arbeitsmöglichkeit suchen. So fanden Bertoli et. al (2013) für Deutschland heraus, dass die verstärkte Netto-Zuwanderung von EU8+2-Staatsangehörigen nicht in erster Linie auf die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation in den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten zurückzuführen war, sondern auf die wirtschaftliche Verschlechterung in alternativen Destinationsländern des EU/Efta-Raums (insbesondere Südeuropa für rumänische und Irland für polnische Staatsangehörige). Inwieweit solche Effekte auch die Zuwanderung in die Schweiz beeinflusst haben, wurde bislang nicht untersucht.

Zuwanderung: Mehrheitlich hoch ­qualifizierte Fachkräfte…


Zuwanderer, welche nach Inkrafttreten des FZA aus dem EU/Efta-Raum in die Schweiz gelangten, waren mehrheitlich hoch qualifiziert. 53% der Erwerbstätigen, die im Rahmen des FZA zugewandert waren, verfügten über einen tertiären Bildungsabschluss. Bei den Erwerbstätigen in der Schweiz liegt dieser Anteil bei 34%. Die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte dürfte die Ansiedlung und den Ausbau von wertschöpfungsstarken Sektoren in der Schweiz gestärkt haben.
Vgl. dazu den Artikel von Marc Surchat auf S. 24 ff. in dieser Ausgabe.

…aber auch weniger qualifizierte ­Personen


14% der Zuwanderer, welche nach Inkrafttreten des FZA in die Schweiz kamen, verfügen dagegen über keine nachobligatorische Schulbildung. Der entsprechende Anteil im Total der Erwerbstätigen liegt bei 16%. Der EU/Efta-Raum spielte damit auch als Rekrutierungsgebiet für weniger gut qualifizierte Arbeitskräfte eine Rolle. Dies erklärt sich vor allem damit, dass ausländische Saisonarbeitskräfte seit Inkrafttreten des FZA nur noch im EU/Efta-Raum rekrutiert werden dürfen. Diese Gruppe von Zuwanderern, welche häufiger aus süd- oder osteuropäischen Ländern kommen, weisen entsprechend die für diese Branchen typischen erhöhten Arbeitslosenquoten auf.Wie oben gezeigt, verstärkte sich in den letzten beiden Jahren die Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa. Typischerweise waren Personen aus diesen Ländern in Berufsgruppen mit niedrigeren Qualifikationserfordernissen übervertreten. Eine erste Auswertung des zentralen Ausländerregisters (Zemis) deutet bislang allerdings nicht darauf hin, dass Berufsgruppen mit geringeren Qualifikationserfordernissen zwischen 2008 und 2012 insgesamt an Bedeutung gewonnen hätten. Eine deutlich grössere Bedeutung bei der Zuwanderung erlangte in den letzten vier Jahren das Baugewerbe, welches sich ­bekanntlich aussergewöhnlich dynamisch entwickelt hat. Leicht zugenommen hat die Zuwanderung zudem in Landwirtschaftsberufen, sowie in Berufen der Organisation und Verwaltung. Die Zuwanderung ins Gastgewerbe schwächte sich dagegen – entsprechend der schwächeren Nachfrage – leicht ab. Nicht berücksichtigt ist in dieser vorläufigen Einschätzung allerdings die Zuwanderung von Personen, die sich vorübergehend zur Stellensuche in der Schweiz aufhalten dürfen.

Dynamischer und aufnahmefähiger Schweizer Arbeitsmarkt


Der Schweizer Arbeitsmarkt erwies sich in den letzten Jahren der starken Zuwanderung als aufnahmefähig. Die Erwerbstätigenquote der 15- bis 64-jährigen Bevölkerung lag in den Jahren 2002–2012 bei durchschnittlich 78,5%, bzw. um rund einen Prozentpunkt höher als in den Jahren 1991–2001. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz mit diesen Werten im OECD-Raum zusammen mit den nordeuropäischen Ländern in einer Spitzengruppe. Im Zeitraum 2003–2012 konnten sowohl Angehörige von EU27/Efta-Staaten wie auch Schweizerinnen und Schweizer ihre Erwerbstätigenquote erhöhen, wobei Staatsangehörige der EU27/Efta-Staaten bezüglich ihrer ­Erwerbstätigenquote zur Schweizer Bevölkerung aufschliessen konnten. Über die Zeit relativ konstant und deutlich tiefer lag demgegenüber die Erwerbstätigenquote von ausländischen Personen aus Drittstaaten.Ein analoges Muster zeigt sich auch in den Arbeitslosenquoten der genannten Nationalitätengruppen. Schweizerinnen und Schweizer wiesen über den Zeitraum 2003–2012 permanent die tiefste Arbeitslosenquote aus, wobei keine Verschlechterung der relativen Position über die Zeit zu verzeichnen war. Staatsangehörige aus EU27/Efta-Staaten hatten dagegen ein überdurchschnittliches Arbeitslosenrisiko, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass sie häufiger als Einheimische in Branchen mit erhöhtem Arbeitslosenrisiko tätig sind. Allerdings lag deren Arbeitslosenquote in der Regel rund halb so hoch wie jene der von Drittstaaten, welche oft auf dem Asylweg, als Saisonniers oder über den Familiennachzug in die Schweiz kamen. Sie bekundeten offensichtlich mehr Mühe, vom Stellenwachstum der letzten Jahre in der Schweiz zu profitieren, auch wenn die Arbeitslosenquote gegenüber 2003 eine leicht sinkende Tendenz aufwies. Die Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern stellt auch in anderen Ländern eine Herausforderung dar. Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern, in denen die arbeitsmarktliche Integration von Zuwanderern ausgesprochen gut klappt.
Vgl. OECD 2012. Dies ist einerseits Ausdruck davon, dass die wirtschaftliche Integration früherer Zuwanderungsgenerationen trotz Schwierigkeiten vergleichsweise gut verlaufen ist. Zum anderen zeigt es, dass die aktuelle Zuwanderung, welche vorwiegend aus dem EU/Efta-Raum erfolgt, gut auf die Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen in der Schweiz abgestimmt ist.

Verdrängungseffekte durch ­Zuwanderung?


Eine zentrale Frage im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit ist, ob die verstärkte Zuwanderung, welche durch das FZA begünstigt wurde, zu Verdrängungseffekten bei der ansässigen Bevölkerung geführt hat. Diese Frage wurde in einer aktuellen Studie der Universitäten Zürich und Lausanne detailliert untersucht. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die starke Zuwanderung gewisse Verdrängungseffekte bei höher qualifizierten Arbeitskräften gehabt hat. Sie schätzen, dass die durch die Personenfreizügigkeit ausgelöste zusätzliche Zuwanderung die Arbeitslosenquote von Personen, die in der Schweiz geboren wurden, insgesamt um rund 0,2 Prozentpunkte erhöht hat. Von der Zunahme der Grenzgängerbeschäftigung konnte als Folge des FZA einzig bei hoch qualifizierten früher zugewanderten Arbeitskräften ein leichter Rückgang der Beschäftigungsquote gemessen werden.
Für eine Zusammenfassung der Studie vgl. den Artikel von Sandro Favre, Rafael Lalive und Josef Zweimüller auf S. 8 ff. in dieser Ausgabe.

Lohndruck durch Zuwanderung?


Eine zweite wichtige Frage ist, inwieweit die Zuwanderung der letzten Jahre die Lohnentwicklung der Arbeitnehmenden in der Schweiz beeinflusst hat. Auf der rein beschreibenden Ebene gibt es für diese These keine deutlichen Anzeichen. So sind in den elf Jahren seit Inkrafttreten des FZA die Reallöhne gemäss Lohnindex des Bundesamtes für Statistik (BFS) um jährlich durchschnittlich 0,6% gestiegen. Verglichen mit 1992–2002 fiel das jährliche Wachstum um 0,4 Prozentpunkte höher und verglichen mit 1982–1992 um 0,4 Prozentpunkte tiefer aus. Ökonometrische Studien zu den Auswirkungen des FZA auf die Lohnentwicklung fanden mehrheitlich, dass die Zuwanderung der letzten Jahren das Lohnwachstum in der Schweiz tendenziell gedämpft hat, weil die Fachkräfteknappheit reduziert wurde. Das Ausmass dieses lohndämpfenden Effekts wurde jedoch auch als relativ klein eingeschätzt.
Vgl. Merckx, Wegmüller (2013).Auch hierzu liegt eine aktuelle, sehr umfassende Studie der Universität Genf vor, welche den Zeitraum 1996–2010 anhand der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung abdeckt.
Vgl. Asensio, Graf, Müller (2013). Die Autoren kommen zum Schluss, dass einheimische und ausländische Arbeitnehmende mit tertiärem Bildungsabschluss sowie ausländische Arbeitnehmende ohne nachobligatorische Schulbildung als Folge der Zuwanderung gewisse negative Lohneffekte zu gewärtigen hatten. Den stärksten Lohndruck verzeichneten junge (einheimische oder ausländische) tertiär gebildete Arbeitskräfte mit 10–15 Jahren Berufserfahrung. Wäre der Ausländeranteil in der Periode 2004–2010 konstant geblieben, hätten ihre Reallöhne im Jahr 2010 gemäss Simulationsrechnungen um rund 1,6% höher gelegen. Eine vergleichbare Lohneinbusse (–1,4%) hatten ältere ausländische Arbeitskräfte ohne nachobligatorische Schulbildung mit mehr als 35 Jahren Berufserfahrung zu verzeichnen. Leicht negative Lohneffekte (bis –0,6%) fanden sich zudem bei unqualifizierten ansässigen ausländischen Arbeitnehmenden mit 15- bis 35-jähriger Berufserfahrung. Für die Lohnentwicklung der niedrig qualifizierten einheimischen Arbeitskräfte war die Zuwanderung tendenziell von Vorteil. Gemäss Schätzungen der Autoren lagen deren Reallöhne 2010 um 1,1% über dem Niveau, das sie bei konstantem Ausländeranteil erreicht hätten.

Fazit: Negative Effekte bleiben moderat


Die Zuwanderung in die Schweiz war in den letzten elf Jahren hoch, und die Personenfreizügigkeit begünstigte diese Entwicklung massgeblich. Der Schweizer Arbeitsmarkt erwies sich dabei als aufnahmefähig. Verdrängungseffekte oder negative Lohneffekte blieben auch gemäss neuesten empirischen Erkenntnissen moderat. In den letzten beiden Jahren gewann die Zuwanderung aus den Ländern Süd- und Osteuropas, welche zum Teil sehr stark unter der Wirtschaftskrise Europas leiden, an Bedeutung. Die berufliche Zusammensetzung der Zuwanderung blieb bislang aber relativ stabil. Angesichts der grossen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa und rekordhohen Jugendarbeitslosenquoten in einigen europäischen Ländern werden Migrationsfragen in den kommenden Jahren auch innerhalb der EU auf der wirtschaftspolitischen Agenda stehen.

Grafik 1: «Wanderungssaldo der ausländischen Wohnbevölkerung in die Schweiz nach Staatsangehörigkeit, ­1991–2012»

Grafik 2: «Internationaler Wanderungssaldo im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nach ausgewählten Ländern der EU17/Efta, 2000–2011»

Kasten 1: Arbeitsmarktsituation in den ­Grenzregionen

Arbeitsmarktsituation in den ­Grenzregionen


In den Jahren seit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens gewann auch die Beschäftigung ausländischer Grenzgänger an Bedeutung. Damit setzte sich ein bereits einige Jahre vor Inkrafttreten des Abkommens begonnener Trend fort. Tatsächlich bestanden schon vor Inkrafttreten des FZA – im Gegensatz zur Migration – keine quantitativen Beschränkungen. Allerdings wurde bei der Erteilung von Grenzgängerbewilligungen vor Mitte 2004 der sogenannte Inländervorrang geltend gemacht.

In den Grenzregionen der lateinischen Schweiz – namentlich in den Regionen Genf, Jurabogen und Tessin – nahm der Anteil der Grenzgängerbeschäftigung in den letzten zehn Jahren kräftig zu. Wie entwickelte sich der Arbeitsmarkt in diesen Regionen relativ zu anderen Regionen der Schweiz? In der Entwicklung der Erwerbstätigenquoten der 25- bis 64-jährigen ständigen Wohnbevölkerung waren in den Jahren nach Inkrafttreten des FZA keine systematischen Unterschiede ­zwischen Kantonen mit hohen Grenzgänger­anteilen und den übrigen Kantonen festzu­stellen. Nur im Kanton Genf stieg die ­Erwerbstätigenquote zwischen den Perioden ­1996–2002 und 2008–2012 weniger stark an als in Referenzkantonen mit geringeren Grenzgängeranteilen. In Bezirken mit hohen Grenzgängeranteilen war relativ zu den übrigen Bezirken vor allem in der Westschweiz über die Zeit eine Erhöhung der Arbeitslosenquote festzustellen. Sowohl die Region Genf als auch der Jurabogen verzeichneten gleichzeitig einen starken Zuwachs des Grenzgängeranteils. Kein entsprechender Zusammenhang zeigt sich für den Kanton Tessin.

Die aktuellste Studie zu möglichen Verdrängungseffekten der Personenfreizügigkeit hat den Zusammenhang zwischen der Grenzgängerbeschäftigung und den Arbeitsmarktergebnissen der ansässigen Bevölkerung ebenfalls untersucht.a Auf der aggregierten Ebene findet sich zwischen der Zunahme des Grenzgängeranteils und der Arbeitslosen- bzw. Beschäftigungsquote kein kausal interpretierbarer statistischer Zusammenhang. Negative Beschäftigungseffekte einer Zunahme des Grenzgängeranteils finden sich lediglich bei hoch qualifizierten Arbeitskräften, die früher zugewandert waren. Eine Zunahme des Grenzgängeranteils um 1 Prozentpunkt reduziert deren Beschäftigtenquote um ­geschätzte 0,21%.

Bezüglich der Lohnentwicklung unterscheiden sich Kantone mit hohen Grenz­gängeranteilen nicht systematisch von den übrigen Kantonen. Während die Kantone St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen und Tessin in den Jahren 2002–2010 eine leicht unterdurchschnittliche Lohnentwicklung verzeichneten, wiesen die Kantone Genf, Neuenburg und ­Jura ein überdurchschnittliches Lohnwachstum aus.

a Vgl. dazu den Artikel von Favre, Lalive und Zweimüllerauf S. 8 ff. in dieser Ausgabe.
Kasten 2: Literatur

Literatur

  • Asensio, Noé, Graf, Roman, Müller, Tobias (2013): Die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Löhne in der Schweiz, in: Die Volkswirtschaft, 1/2-2013, S. 43-47.
  • Bertoli, Simone, Brücker, Herbert, Fernandez-Huertas Moraga, Jesus (2013), The European Crisis and Migration to Germany: Expectations and the Diversion of Migration Flows, in: IZA Discussion Papers Series, IZA DP Nr. 7170, Januar 2013.
  • Merckx, Véronique, Wegmüller, Claudio (2013), Auswirkungen der Immigration auf die Löhne: Zehn Jahre Erfahrungen mit der Personenfreizügigkeit, in: Die Volkswirtschaft 1/2-2013, S. 39-42.
  • OECD (2012), Jobs for Immigrants (Vol. 3): Labour Market Integration in Austria, Norway and Switzerland, OECD Publishing.
  • SECO, BFM, BFS, BSV (2013), Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt – 9. Bericht des Observatoriums zum FZA Schweiz-EU, Bern.

Zitiervorschlag: Antoine Lukac, Bernhard Weber, (2013). Vermehrte Zuwanderung aus den Ländern Süd- und Osteuropas. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.