Suche

Abo

Wann verlagern Unternehmen ihren Hauptsitz ins Ausland?

Im Wettbewerb um die Ansiedlung von Hauptsitzen zählt die Schweiz zu den weltweit attraktivsten und erfolgreichsten Standorten. Die politische Auseinandersetzung darüber, welche Auswirkungen verschiedene Initiativen und Vorstösse auf die Attraktivität der Schweiz als Standort für Hauptsitze haben, wird intensiv und teilweise hochemotional geführt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben, dass Unternehmen ihren Hauptsitz ins Ausland verlagern.

Foto: Keystone


In der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte spielt die Frage, wann Unternehmen ihren Hauptsitz ins Ausland verlegen, eine wichtige Rolle. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche Studien zur Auslandsverlagerung von Betriebs- oder Produktionsstätten. Demgegenüber gibt es bislang nur wenige empirische Analysen zur Verlagerung von Hauptsitzen. Der Entscheid, einen Hauptsitz zu verlegen, wird jedoch nicht zwingend nach den gleichen Kalkülen getroffen wie jener zur Verlagerung von anderen Unternehmensbereichen.

Drei Arten von Einflussfaktoren


Zur Identifikation möglicher Einflussfaktoren wurden für die vorliegende Untersuchung in der bestehenden Fachliteratur systematisch die Faktoren herausgearbeitet und zu einem strukturierten Gesamtbild zusammengefasst, die bereits empirisch bestätigt werden konnten. Insgesamt lieferten 8 wissenschaftliche Studien 42 Einflussfaktoren auf die Verlagerung von Hauptsitzen ins Ausland. Unternehmen verfügen im Normalfall über genau einen Unternehmenshauptsitz, können darüber hinaus aber auch weitere Divisionshauptsitze besitzen. Dies ist insbesondere bei multinationalen Unternehmen häufig der Fall. Den ausgewerteten Studien folgend wurden sowohl Hauptsitze ganzer Unternehmen (Unternehmenshauptsitze) als auch Hauptsitze einzelner Unternehmensdivisionen (Divisionshauptsitze) betrachtet. Die identifizierten Einflussfaktoren lassen sich in drei Kategorien untergliedern:

  • Unternehmensbezogene Faktoren: Eigenschaften eines Unternehmens, die beeinflussen, dass ein Hauptsitz ins Ausland verlagert wird;
  • standortbezogene Push-Faktoren: standortspezifische Rahmenbedingungen, die beeinflussen, dass ein Hauptsitz von einem Standort wegverlagert wird;
  • standortbezogene Pull-Faktoren: standortspezifische Rahmenbedingungen, die beeinflussen, dass ein Hauptsitz an einen Standort hin verlagert wird.


Tabelle 1 ordnet die einzelnen Einflussfaktoren den Kategorien zu und fasst sie zu inhaltlich homogenen Gruppen zusammen. Die Gruppen sind nach der Anzahl an Einzeleinflüssen absteigend sortiert. Die Übersichtstabelle zeigt die beeinflussenden Faktoren, inwieweit der Effekt proportional oder antiproportional zum beeinflussenden Faktor gerichtet ist, auf welcher Ebene die Verlagerungen untersucht wurden, die Anzahl der untersuchten Fälle, die Region, in der die Untersuchung erfolgte und die Studie, in welcher der jeweilige Einfluss nachgewiesen wurde.

Unternehmensbezogene Faktoren


Bei den unternehmensbezogenen Faktoren konnten besonders häufig verschiedene Effekte nachgewiesen werden, die auf der Eigentümerstruktur des Unternehmens basieren. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Unternehmen einen Hauptsitz ins Ausland verlagert, je höher der Anteil ausländischer Anteilseigner ist. Dies trifft auch zu, wenn ein Unternehmen mit der Erstnotierung an einer ausländischen Börse gelistet ist. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit niedriger, je stärker sich die Unternehmensanteile auf wenige Besitzer konzentrieren oder wenn das Heimatland auch Anteilseigner am Unternehmen ist, z.B. über einen Staatsfonds.Eine weitere wichtige Gruppe von Faktoren bezieht sich auf die Segmentierung des Unternehmens und der Headquarter-Leistungen. Ein Hauptsitz wird tendenziell eher verlagert, je höher die Anzahl an Divisionen oder (Divisions-)Hauptsitzen im Unternehmen ist. Insgesamt werden regionale Divisionshauptsitze eher verlagert als globale Unternehmenshauptsitze, wobei die Wahrscheinlichkeit der Verlagerung eines Divisionshauptsitzes mit zunehmendem Anteil der Mitarbeitenden der Division an der Mitarbeiterzahl des Gesamtunternehmens sinkt. Ausserdem zeigt sich, dass Mischkonzerne seltener einen Hauptsitz verlagern als Unternehmen mit geringerem Diversifikationsgrad.Erwartungsgemäss wirken sich verschiedene Masse der Auslandsorientierung eines Unternehmens auf die Neigung aus, einen Hauptsitz ins Ausland zu verlagern. Entsprechend tendieren ausländische Unternehmen eher dazu, einen Hauptsitz zu verlagern. Sowohl ein hoher Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen als auch ein hoher Anteil an Geschäftsaktivitäten im Ausland korrespondieren mit einer höheren Neigung, den Hauptsitz zu verlegen. Hat eine Division einen hohen Anteil an Mitarbeitenden im Ausland, neigen Unternehmen ebenfalls eher dazu, deren Hauptsitz ins Ausland zu verlagern. Hat dagegen ein multidivisionales Unternehmen als Ganzes einen hohen Anteil der Mitarbeitenden im Ausland, tendiert es eher dazu, die Hauptsitze der Divisionen im Heimatland zu belassen, um die Führung der Divisionen enger zusammenzuhalten.Auch in Bezug auf das Kerngeschäft eines Unternehmens lassen sich relevante Einflüsse feststellen. So ist die Wahrscheinlichkeit einer Verlagerung höher, wenn ein Hauptsitz relativ unabhängig von den anderen Geschäftseinheiten operiert oder wenn ein Unternehmen in seinem Kerngeschäft Dienstleistungen anbietet. Gegenläufige Effekte zeigten sich bei verschiedenen Massen für die Unternehmensgrösse. Unternehmen mit höherem Umsatz verlagern tendenziell eher einen Hauptsitz ins Ausland, während dies bei höherer Mitarbeiterzahl eher nicht der Fall ist. Ferner sinkt mit zunehmendem Unternehmensalter die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Verlagerung eines Hauptsitzes kommt. Fusionen und Übernahmen wirken sich hingegen positiv auf diese Wahrscheinlichkeit aus.

Standortbezogene Push-Faktoren


Die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen einen Hauptsitz weg verlegen, korrespondiert zum einen mit der absoluten Höhe der Unternehmenssteuern, der relativen Höhe des Steuersatzes auf repatriierte ausländische Unternehmensgewinne im Vergleich zu anderen potenziellen Standorten sowie mit dem Vorliegen besonderer Besteuerungsregelungen. Zum anderen spielt das an einem Standort verfügbare Humankapital bei einer Abwanderungsentscheidung eine Rolle. Ist dort die allgemeine Beschäftigungsquote hoch, ist auch die Tendenz zu Verlagerungen hoch. Befinden sich hingegen viele Hauptsitze von Unternehmen aus der gleichen Branche an einem Standort, fällt die Neigung zur Abwanderung geringer aus. Ein weiterer potenzieller Push-Faktor ist die Lage eines Standorts. Demnach tendieren Unternehmen seltener dazu, einen Hauptsitz von einem Standort mit grossem Flughafen weg zu verlegen.

Standortbezogene Pull-Faktoren


Ein breit nachgewiesener positiver Einfluss auf die Ansiedlung von Hauptsitzen stellt das an einem Standort verfügbare Humankapital dar. Hauptsitze werden tendenziell eher in die Nähe anderer Hauptsitze verlagert. Dies gilt auch, wenn an einem Standort vielfältige Kompetenzen im Bereich Unternehmensdienstleistungen verfügbar sind. Ebenso werden Standorte bevorzugt, in denen ein hoher Anteil der Beschäftigen im Bereich Unternehmens- und Finanzdienstleistungen sowie in der jeweiligen Branche des Unternehmens tätig ist.Allgemein tendieren Unternehmen eher dazu, ihren Hauptsitz an Standorte mit hoher Einwohnerzahl sowie mit hohem Pro-Kopf-Einkommen zu verlagern. Standorte, in denen die Löhne bei Hauptsitzen und Anbietern von Unternehmensdienstleistungen oder ganz allgemein im Durchschnitt hoch liegen, werden dagegen tendenziell gemieden. Standorte mit hohem Pro-Kopf-Einkommen werden anscheinend eher mit einer hohen Lebensqualität für die Mitarbeitenden assoziiert, wohingegen die Löhne der potenziellen Arbeitnehmenden und die Preise von Serviceanbietern eher als Kostenfaktoren aufgefasst werden.Die zentrale geografische Lage eines Standorts innerhalb eines Wirtschaftsraumes hat ebenfalls einen positiven Einfluss. Darüber hinaus ist von Bedeutung, wie gut die weltweite Erreichbarkeit – z.B. durch interkontinentale Flüge – ist.Analog zu den Push-Faktoren konnten bei den Pull-Faktoren Einflüsse der Besteuerung auf die Neigung, einen Hauptsitz an einen bestimmten Standort zu verlagern, nachgewiesen werden. Hier sind die Eigenschaften der Besteuerung entsprechend gegenläufig ausgerichtet: Höhere Unternehmenssteuern an einem Standort tragen grundsätzlich dazu bei, dass Unternehmen eher davon absehen, einen Hauptsitz dort hin zu verlagern. Abschliessend erweist sich ein gutes allgemeines Geschäftsklima als förderlich.

Unternehmenseigenschaften beeinflussen die Standortwahl wesentlich


Durch die systematische Auswertung der bestehenden empirischen Studien liessen sich drei verschiedene Kategorien von Faktoren identifizieren, die Unternehmen nachweislich bei der Entscheidung beeinflussen, einen Hauptsitz ins Ausland zu verlagern. Dabei beziehen sich 21 der 42 signifikanten Einflüsse auf Unternehmenseigenschaften. Besonders umfangreich erforscht sind die Einflüsse, die von der Eigentümerstruktur, der Segmentierung und der Auslandsorientierung sowie dem Kerngeschäft der Unternehmen ausgehen. Auf Ebene der standortbezogenen Rahmenbedingungen wurden bisher 6 Push-Faktoren und 15 Pull-Faktoren nachgewiesen. Eine besondere Bedeutung kommt dem Humankapital, dem steuerlichen Umfeld und der geografischen Lage zu. Faktoren dieser Gruppen wirken sowohl als Push- wie auch als Pull-Faktoren.Die bisherigen Erkenntnisse vermitteln den Eindruck, dass für die Entscheidung, einen Hauptsitz ins Ausland zu verlagern, unternehmensspezifische Faktoren von mindestens genauso grosser Bedeutung sind wie standortspezifische Rahmenbedingungen. Bei der Interpretation der Resultate muss allerdings berücksichtigt werden, dass den analysierten Studien völlig unterschiedliche Datenquellen zugrunde liegen und teilweise lediglich verfügbare Sekundärdaten ausgewertet wurden. Dies führt dazu, dass nur Effekte untersucht wurden, für die entsprechende Daten erhältlich waren. Dies kann zu Verzerrungen zwischen theoretisch begründbaren Hypothesen und tatsächlich in Studien getesteten Hypothesen führen. Eine einschränkende Anmerkung ist ferner bezüglich der nachgewiesenen Effekte und deren Auswertungen über die verschiedenen Studien hinweg zu machen. Da die hier aufgezeigten Effekte nicht in einem Gesamtmodell getestet wurden, bleibt unklar, inwieweit die Effekte auch gleichzeitig auftreten.

Weiterer Untersuchungsbedarf


Insgesamt zeigt der Überblick, dass sich bislang nur wenige Studien empirisch mit der Frage auseinandergesetzt haben, welche Faktoren einen Einfluss darauf haben, dass Unternehmen einen Hauptsitz ins Ausland verlagern. Ausserdem zeigt sich, dass Themengebiete zahlreicher politischer Initiativen und Vorstösse bisher nicht untersucht wurden. Diese sind u.a. in den Bereichen Gesellschafts-, Wettbewerbs- und Arbeitsrecht angesiedelt. Für eine sachorientierte wirtschaftspolitische Debatte darüber, welche Auswirkungen die verschiedenen Dossiers auf die Attraktivität der Schweiz als Standort für Hauptsitze haben, sind daher vertiefende empirische Untersuchungen dringend notwendig.

Tabelle 1: «Überblick der Einflussfaktoren auf die Verlagerung von Hauptsitzen ins Ausland»

Kasten 1: Untersuchungsdesign

Untersuchungsdesign


Die Auswahl der einbezogenen Studien basiert auf klar definierten Kriterien. Die systematische Suche nach grundsätzlich anwendbaren Studien erfolgte anhand der einschlägigen thematischen Schlagworte aus dem normierten Vokabular der Datenbanken Econbiz und EBSCO Host – Business Source Premier. Darauf aufbauend wurden Zitationen von und auf diese Studien weiterverfolgt, um auch Studien zu finden, die nicht direkt in der Suche erschienen. Abschliessend wurden diejenigen Studien für die weiterführende Auswertung ausgewählt, welche die folgenden vier Kriterien erfüllen:

  • Studien, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht worden sind;
  • Studien, die quantitative statistische Verfahren anwenden, um signifikante empirische Zusammenhänge nachzuweisen;
  • Studien, welche die Effekte auf Verlagerungen von Hauptsitzen bestehender Unternehmen untersuchen;
  • Studien, welche die Verlagerungen über Landes- oder Staatengrenzen (zwischen US-Bundesstaaten) hinweg berücksichtigen.


Nach Anwendung dieser Kriterien blieben acht Studien zur Auswertung übrig. Im vorliegenden Beitrag werden alle Faktoren aufgeführt und nach Einflusskategorien gruppiert, bei denen in einer der analysierten Studien ein signifikanter Effekt auf die Verlagerung von Hauptsitzen nachgewiesen werden konnte.

Kasten 2: Literatur

Literatur

  • Bel, G., Fageda, X. (2008): Getting There Fast: Globalization, Intercontinental Flights and Location of Headquarters. In: Journal of Economic Geography, 8. Jg., Nr. 4, S. 471–495.
  • Benito, G.R.G., Lunnan, R., Tomassen, S. (2011): Distant Encounters of the Third Kind: Multinational Companies Locating Divisional Headquarters Abroad. In: Journal of Management Studies, 48. Jg., Nr. 2, S. 373–394.
  • Birkinshaw, J., Braunerhjelm, P., Holm, U., Terjesen, S. (2006): Why Do Some Multinational Corporations Relocate Their Headquarters Overseas? In: Strategic Management Journal, 27. Jg., Nr. 7, S. 681–700.
  • Davis, J.C., Henderson, J.V. (2008): The Agglomeration of Headquarters. In: Regional Science and Urban Economics. 38. Jg., Nr. 5, S. 445–460.
  • Forsgren, M., Holm, U., Johanson, J. (1995): Division Headquarters Go Abroad – A Step in the Internationalization of the Multinational Corporation. In: Journal of Management Studies, 32. Jg., Nr. 4, S. 475–491.
  • Laamanen, T., Simula, T., Torstila, S. (2012): Cross–Border Relocations of Headquarters in Europe. In: Journal of International Business Studies, 43. Jg., Nr. 2, S. 187–210.
  • Strauss-Kahn, V., Vives, X. (2009): Why and Where do Headquarters Move? In: Regional Science and Urban Economics, 39. Jg., Nr. 2, S. 168–186.
  • Voget, J. (2011): Relocation of Headquarters and International Taxation. In: Journal of Public Economics, 95. Jg., Nr. 9–10, S. 1067–1081.

Zitiervorschlag: Michael Beier, Christian Hauser, (2013). Wann verlagern Unternehmen ihren Hauptsitz ins Ausland. Die Volkswirtschaft, 01. September.