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Grundlagen für die Berechnung der Altersvorsorge

Die Alterung der Gesellschaft wird in den kommenden Jahren spürbare Wirkungen auf die Altersvorsorge ausüben. Eine sorgfältige Abschätzung der künftigen Entwicklung der demografischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist zur Sicherstellung der langfristigen Finanzierung der Alterswerke unabdingbar. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) stützt sich hierbei auf aktualisierte wirtschaftliche Eckwerte und verbesserte demografische Szenarien.

Das Gesamtsystem der Altersvorsorge unterliegt den Folgen der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Auswirkungen auf das System der ersten Säule (AHV) unterscheiden sich jedoch von jenen auf das System der zweiten Säule (berufliche Vorsorge). Das Umlageverfahren der ersten Säule, das ein Gleichgewicht zwischen den Erwerbstätigen (laufende Einnahmen) und den Rentnern (Ausgaben) voraussetzt, steht auf dem Prüfstand. Grund dafür sind die strukturellen Veränderungen der Alterspyramide aufgrund der tieferen Geburtenraten und der längeren Lebenserwartung. Das Kapitaldeckungsverfahren der zweiten Säule hingegen ist von der längeren Rentenbezugsdauer betroffen. Das bedeutet, dass die individuellen Guthaben auf einen immer längeren Zeitraum verteilt werden müssen.Die konjunkturellen Entwicklungen widerspiegeln sich in den beiden Systemen ebenfalls unterschiedlich: Die AHV profitiert von einer guten konjunkturellen Entwicklung, weil eine solche in der Regel zu einer Erhöhung der Lohnsumme führt. Langfristig steigt damit auch die Rentensumme. Da aber die Renten auf der Grundlage des Mischindexes (arithmetisches Mittel aus Lohnindex und Preisindex) festgesetzt werden, steigen die Renten etwas moderater als die Löhne. Dieser Mechanismus hat somit eine dämpfende Wirkung auf die Ausgaben der AHV.Für die berufliche Vorsorge gilt dieser konjunkturelle Zusammenhang grundsätzlich nicht. Einerseits wird sie vom Lohnsummen- bzw. vom Beschäftigungswachstum nur am Rande beeinflusst; andererseits ist die Wirkung der konjunkturellen Entwicklung auf die Anlagerenditen ungewiss. Zu bedenken ist auch, dass die Anlagerenditen zu einem nicht unwesentlichen Teil von den im Ausland erwirtschafteten Erträgen abhängen. Entscheidend für die Nachhaltigkeit der beruflichen Vorsorge ist, dass langfristig unabhängig von der Konjunktur eine Rendite erreicht wird, die höher ist als das Lohnwachstum und die Inflation.

Szenarien der langfristigen Perspektivrechnungen bis 2045


In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Altersstruktur der schweizerischen Bevölkerung verändern. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboom-Generation werden in den kommenden Jahren in Pension gehen. Zudem ist die Geburtenrate stark gesunken und die Lebenserwartung steigt weiter an, sodass sich das Verhältnis zwischen der Anzahl älterer Personen und der Anzahl Personen im Erwerbsalter immer mehr verschiebt. Das BSV stützt sich bei der Ausarbeitung der Langzeitperspektiven auf ein Bevölkerungsszenario des Bundesamts für Statistik BFS (Referenzszenario A-17-2010) ab und rechnet mit einem jährlichen Wanderungssaldo von +40 000 Personen ab 2030. Zusätzlich werden zwei Bandbreitenszenarien mit höherer und tieferer Migration berechnet. Grafik 1 zeigt für die drei Szenarien die Verläufe der Migrationssaldi und der Erwerbstätigenquote in Vollzeitäquivalenten.Die wirtschaftlichen Eckwerte beruhen auf den Annahmen, welche auch dem Budget und dem Finanzplan des Bundes aktuell zugrunde liegen. Für die Bandbreitenszenarien wurden sie entsprechend variiert. Die Annahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung sind in Tabelle 1 dargestellt.

Finanzierungsperspektiven der AHV


Dank verschiedener finanzieller Massnahmen, die seit Ende der 1990er-Jahre umgesetzt wurden, sowie den positiven Einflüssen der bilateralen Abkommen und der Migration üben die demografischen Faktoren heute noch keinen beachtlichen Druck auf die Rechnung der AHV aus. Gleichwohl wird die sinkende Geburtenrate – zusammen mit der längeren Lebenserwartung – das Verhältnis von Rentenberechtigten zu den Aktiven vergrössern. Dieses Ungleichgewicht dürfte sich in den 2030er-Jahren, wenn die zweite Welle der Babyboom-Generation der 1970er-Jahre ins Rentenalter kommt, noch akzentuieren.
Zur Entwicklung der Altersquotienten vgl. Grafik 1 im Artikel von Brechbühl auf S. 5 in dieser Ausgabe. Der AHV-Fonds ist heute ausreichend ausgestattet, um die ersten Defizite des Umlageergebnisses, welches die Differenz aus den jährlichen Einnahmen ohne Zinserträge und den Ausgaben ausweist, zu decken. Im Jahr 2011 überstiegen die Einnahmen der AHV von 39 Mrd. Franken die Gesamtausgaben von 38 Mrd. Franken und führten zu einem Überschuss von 1 Mrd. Franken. Die Trennung des AHV-Fonds und des IV-Fonds brachte eine Überweisung von 5 Mrd. Franken à fonds perdu an den IV-Fonds mit sich. Per Ende 2011 deckte der AHV-Fonds 105,5% einer Jahresausgabe. Damit lag diese Grenze über der gesetzlichen Anforderung.
In Art. 107 Abs. 3 AHVG wird gefordert, dass der Ausgleichsfonds in der Regel nicht unter den Betrag einer Jahresausgabe sinken soll. Gemäss den Finanzszenarien der AHV dürfte das Umlageergebnis zwischen 2013 und 2015 negativ werden. Danach dürften die Kapitalerträge das Defizit beim Umlageergebnis bis ungefähr 2020 auffangen können. Ab diesem Zeitpunkt muss in immer stärkerem Masse das Vermögen der AHV in Anspruch genommen werden, um die laufenden Renten zu zahlen (siehe Grafik 2).Ende 2012 betrug das Kapital der AHV 42,2 Mrd. Franken. Davon waren 14,4 Mrd. Franken Schulden der IV. Wenn die verfügbare Liquidität der AHV (d.h. ohne die Berücksichtigung der Schulden der IV) unter 70% einer jährlichen Ausgabe liegt, ist eine Schwelle erreicht, die eine schnelle finanzielle Verschlechterung der Versicherung erwarten lässt. Die künftige Entwicklung der Liquidität der AHV ist unter anderem von der Rückzahlung der Schulden der IV abhängig.Sämtliche Finanzierungszenarien der AHV zeigen, dass der zusätzliche Finanzbedarf ab 2020 mit den heute verfügbaren Mitteln nicht mehr gedeckt werden kann. Im Jahr 2020 wird die Lücke bereits 1,2 Mrd. Franken betragen; im Jahr 2030 werden es 8,6 Mrd. Franken sein. Grafik 3 zeigt, welchen Gegenwert diese Finanzierungslücke in Lohnbeitrags- und in Mehrwertsteuerprozenten ausmacht.

Finanzierungsperspektiven der beruflichen Vorsorge


Die berufliche Vorsorge ist seit zehn Jahren mit einem Rückgang der durchschnittlichen Kapitalrendite konfrontiert. Der Zinssatz der 10-jährigen Bundesobligationen sank seit dem Jahr 2000 von rund 4% auf das Rekordtief von 0,5% gegen Ende 2012 und liegt derzeit wieder etwas über 1%. Die durchschnittliche jährliche Rendite des Pictet BVG-Indexes 2005 BVG-25 plus, der das typische Anlageportefeuille von Schweizer Vorsorgeeinrichtungen abbildet, betrug im gleichen Zeitraum knapp 3,25%. In derselben Periode setzte der seit der 1. BVG-Revision geltende Umwandlungssatz von 6,8% jedoch eine Rendite von 4,5% bis 5,0% voraus. Der Pictet BVG-Index 2005 BVG-25 plus entspricht der Anlagepolitik eines Grossteils der Vorsorgeeinrichtungen und ist somit in der beruflichen Vorsorge weit verbreitet und anerkannt. Aus diesem Grund wird er auch von der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten zur Bestimmung des technischen Referenzzinssatzes verwendet. Seit dem Jahr 2000 erwirtschafteten Vorsorgeeinrichtungen einen tieferen Ertrag aus der Kapitalanlage, als für einen BVG-Umwandlungssatz von 6,8% erforderlich gewesen wäre (siehe Grafik 4). Zudem zeigt der Trend der Kapitalrendite über die vergangenen Jahre klar nach unten.Diese Situation wird verschärft durch die stetige Erhöhung der Lebenserwartung, welche zur Folge hat, dass das Deckungskapital auf eine längere Zeitperiode aufgeteilt werden muss. Diese Ausgangslage führt in der beruflichen Vorsorge dazu, dass der Vermögensertrag primär für die Verzinsung der Kapitalien der Rentenbezügerinnen und -bezüger verwendet werden muss, was zu einer Umverteilung von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden führt. Diese Umverteilung ist umso stärker, je höher der Anteil der Rentendeckungskapitalien an den gesamten Vorsorgekapitalien einer Vorsorgeeinrichtung ist.Diese Entwicklung hat in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen Pensionierungsverluste in Kauf nehmen mussten. Dass dies nicht stärkere negative Auswirkungen auf die Stabilität der beruflichen Vorsorge hat, erklärt sich durch den Umstand, dass der Mindestumwandlungssatz nur für die obligatorische Minimalvorsorge gilt. Die Mehrheit der Vorsorgeeinrichtungen versichert auch im überobligatorischen Bereich und führt die gesetzliche Mindestvorsorge lediglich im Rahmen einer so genannten Schattenrechnung. Diese Vorsorgeeinrichtungen können den Umwandlungssatz unter den gesetzlichen Mindestumwandlungssatz senken und machen davon auch Gebrauch.

Finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen


Die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen ist mit Unsicherheiten behaftet und hängt im Wesentlichen von der mittel- bzw. langfristigen Entwicklung der Finanzmärkte ab. In dieser Hinsicht hat die Schuldenkrise die Ungewissheit verschärft. Der Verlauf des kapitalgewichteten durchschnittlichen Deckungsgrades (siehe Grafik 5) zeigt, dass der Stand vor der Finanzkrise im Jahre 2008 noch nicht wieder erreicht ist.Seit Ende 2011 hat sich zwar die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen wesentlich verbessert. Trotz dieser Stabilisierung konnte die Mehrheit der Vorsorgeeinrichtungen mit den realisierten Gewinnen noch keine ausreichenden Wertschwankungsreserven bilden. Anders gesagt könnten solche Vorsorgeeinrichtungen eine weitere Finanzkrise nicht genügend abfedern. Es besteht also weiterhin ein kurz- bzw. mittelfristiges Risiko von Unterdeckungen.

Grafik 1: «Entwicklung der Bruttoerwerbsquoten und Migrationssaldi für drei Szenarien, 2012–2035»

Grafik 2: «Liquide Mittel des AHV-Fonds in % der Jahresausgaben der AHV gemäss geltendem Recht, 2013–2035»

Grafik 3: «Finanzierungslücke der AHV in Lohnsummen- und Mehrwertsteuerprozenten, 2013–2035»

Grafik 4: «Entwicklung der Kapitalrenditen, 1990–2013»

Grafik 5: «Entwicklung des kapitalgewichteten durchschnittlichen Deckungsgrades, 2004–2013»

Tabelle 1: «Wirtschaftliche Eckwerte (Zuwachsraten) und Wanderungssaldi (absolute Werte) für die drei Szenarien»

Zitiervorschlag: Thomas K. Friedli, Thomas Borek, (2013). Grundlagen für die Berechnung der Altersvorsorge. Die Volkswirtschaft, 01. September.