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Innovation und die Rolle des Staates – eine Einleitung

Innovation und die Rolle des Staates – eine Einleitung

Zwei Drittel aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden in der Schweiz von Privaten geleistet. Sie sind damit massgeblich für Erfolg oder Misserfolg der Schweiz in der Innovation verantwortlich. Der Staat greift nur an wenigen Stellen aktiv ins Innovationssystem ein. Quasi unauffällig spielt er dennoch eine wichtige stabilisierende Rolle: Er schafft auf vielfältige Art und Weise den Nährboden, auf dem Innovationen entstehen können.

Foto: Keystone


Über Innovationen wird viel gesprochen, aber die wenigsten wissen genau, was sie damit meinen. Innovationen zu definieren, ist eine schwierige Angelegenheit. Es ist zwar leicht, eine Vorstellung zu haben, was als Innovation gelten könnte. Aber eine handfeste Definition vorzunehmen, die weder zu breit noch zu engmaschig ist, erweist sich als schwierig.
Auf eine Aufzählung der in der Literatur verbreiteten Definitionen wird an dieser Stelle verzichtet. In der aktuellen Politik des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) gilt eine Neuerung dann als Innovation, wenn sie am Markt erfolgreich ist.

Was sind Innovationen?


Diese Definitionsschwierigkeit liegt im Thema selbst. Innovationen sind immer in irgendeiner Form Neuerungen. Setzt man die Grenzen der Definition zu eng, läuft man Gefahr, entscheidende Veränderungen nicht als solche zu erkennen oder zu spät zu erfassen. Setzt man die Grenzen zu weit, lässt sich fast alles als Innovation verkaufen.Innovationen entstehen aus einem historisch gewachsenen komplexen System heraus, wie es das Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem der Schweiz ist. Dabei spielt es keine Rolle, wer eine Innovation letztlich erzielt – eine einzelne Unternehmung, eine breite Zusammenarbeit verschiedener Akteure oder eine Privatperson in ihrer Garage. Ob ein Land viele Innovationen hervorbringt, liegt am Ende daran, wie gut es seine inneren und äusseren Bedingungen nutzen kann, um Neuerungen zu schaffen und erfolgreich auf den Markt zu bringen.

Wer macht Innovationen in der Schweiz?


Innovationen sind in der Schweiz weitgehend eine Sache privater Akteure. Das zeigt sich einerseits daran, dass seit vielen Jahren gut 70% aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung von Privaten geleistet werden.
Vgl. die diesbezügliche Zeitreihe in: Sollberger, Pierre (2013): Studie zum Beitrag von Forschung und Entwicklung für die Schweizer Wirtschaft aus Sicht der makroökonomischen Statistik, Bundesamt für Statistik, Neuenburg. Andererseits sind die staatlichen Institutionen, die explizit Innovationsförderung betreiben, verhältnismässig klein.Andere, vergleichbar erfolgreiche Nationen – wie Schweden oder Finnland – unterhalten grosse Innovationsagenturen und umfangreiche Innovationsförderprogramme. In der Schweiz beschränkt sich die klassische Innovationsförderung auf die Tätigkeiten der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) mit ihren drei Standbeinen Projektförderung, Start-Up-Unterstützung und Wissens- und Technologietransfer (WTT). Der KTI stehen jährlich rund 100 Mio. Franken an Fördergeldern zur Verfügung. Der überwiegende Teil der staatlichen Forschungsförderung (rund 900 Mio. Franken) fliesst über den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und seine Programme in die Grundlagenforschung. Über die Umwelttechnologieförderung und die Programme von Energie Schweiz fliessen weitere Fördergelder in Wirtschaft und Wissenschaft. Ausserdem leistet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) via die Neue Regionalpolitik einen Beitrag zur Innovationsförderung in den Regionen. Auch die Kantone und Gemeinden engagieren sich im Rahmen ihrer Kompetenzen auf unterschiedliche Arten für Forschung und Innovation, unter anderem (je nach kantonaler Gesetzgebung) durch die Finanzierung der Universitäten oder Steuererleichterungen für innovative Unternehmen.

Was sind die Grundprinzipien des Schweizer Innovationssystems?


Die jeweilige Zuständigkeit von Staat und Privaten hat sich historisch aus zwei wichtigen Prinzipien des Schweizer Politiksystems entwickelt: Subsidiarität und eine liberale Wirtschaftsordnung. Alles, was nicht explizit dem Staat übertragen wurde, liegt in privater Verantwortung.
Der Stand der Forschung ist zusammengefasst in: Hotz-Hart, Beat, Rohner, Adrian (2013): Wirkungen innovationspolitischer Fördermassnahmen in der Schweiz, Universität Zürich, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation. Veröffentlicht in der Studienreihe des SBFI: http://www.sbfi.admin.ch. Beide Prinzipien legen auch die Grundstruktur der Forschungs- und Innovationsförderung fest: Die Forschungsfreiheit ist in der Bundesverfassung verankert; Fördergelder werden nach dem Wettbewerbsprinzip und «bottom-up» auf Eigeninitiative der Forschenden vergeben. Ausschlaggebend ist, wie die Qualität eines Projekts durch ein Expertengremium bewertet wird. Die Schweiz war mit dieser Strategie bis anhin sehr erfolgreich.In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde ein «lineares» Verständnis eines Innovationsprozesses propagiert.
Vgl. hierzu die Zusammenfassung früherer Einzelstudien in den Metastudien Hotz-Hart und Rohner, 2013 («Innensicht») sowie Barjak, Franz (2013): Wirkungen innovationspolitischer Fördermassnahmen in der Schweiz, Fachhochschule Nordwestschweiz, unter Mitarbeit von Miljana Ubiparipovic und Peter Abplanalp, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation («Aussensicht»). Beide Studien sind in der Schriftenreihe des SBFI veröffentlicht: http://www.sbfi.admin.ch. Demnach beginnt eine Innovation in der allgemeinen Grundlagenforschung, wird in der angewandten Forschung konkretisiert und mündet mit der Zeit in konkrete Produkte, die auf dem Markt angeboten werden können. Nach einem solchen Innovationsverständnis muss der Staat die Grundlagenforschung und allenfalls die angewandte Forschung finanzieren, da in diesem Bereich aufgrund der hohen Ungewissheit und des hohen Risikos ein Marktversagen herrscht, während alle anderen Schritte von der Privatwirtschaft übernommen werden können. Dieses Verständnis gilt heute allerdings als überholt. Der Innovationsprozess geht in den meisten Fällen weit weniger linear vor sich.

Was ist die Rolle des Staates?


Der Staat sorgt mit seinen Aktivitäten und finanziellen Beiträgen dafür, dass Innovationen einen guten, vielseitigen Nährboden in der Schweiz finden können. Dazu gehören neben den direkten Investitionen und Hilfestellungen viele weitere Aktivitäten, die auf den ersten Blick nur einen losen Bezug zu Innovationen haben – etwa Investitionen in Infrastruktur, die Sorge um eine hohe Bildungsqualität auf allen Bildungsstufen, sozialpolitische und sozialpartnerschaftliche Institutionen sowie Prinzipen wie Rechtsstaatlichkeit und politische Stabilität. Selbst das staatsbürgerliche Engagement der Bevölkerung bis hin zum Milizsystem spielt darin eine Rolle.

Welchen Einfluss hat das politische System?


Direkte Demokratie und der daraus entstehende Druck zu mehrheitsfähigen Kompromissen führen auch in der Innovationspolitik der Schweiz zu einer «Politik der kleinen Schritte», in der sich in der Vergangenheit nach und nach, Schritt für Schritt herauskristallisiert hat, welche Aufgaben der Staat in welchem Umfang übernehmen soll. Dieser Konsens besteht erst, wenn der Handlungsbedarf politisch mehrheitsfähig wird.An dieser Stelle ist wichtig anzumerken, dass dieser politische Entscheidungsprozess nie abgeschlossen ist und eine Möglichkeit darstellt, Veränderungen im Umfeld, neue Wahrnehmungen oder verschobene Prioritäten ins staatliche Handeln aufzunehmen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der Staat in Zukunft eine andere Rolle spielen könnte, wenn ein Bedarf dazu entsteht. Die Rolle, die sich in diesem sehr langsamen, nicht bewusst gesteuerten Prozess für den Staat bisher ergeben hat, ist vielfältig und zentral, aber nicht aktiv, sondern stabilisierend.Damit ist klar: Über Erfolg oder Misserfolg der Schweiz in der Innovation entscheidet am Ende das Engagement und die Handlungsbereitschaft der Privaten in Wirtschaft und Gesellschaft. Aber der Staat sorgt im Hintergrund dafür, dass sie dafür gute Bedingungen vorfinden.

Zitiervorschlag: Rahel Zurfluh (2013). Innovation und die Rolle des Staates – eine Einleitung. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.