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Regulierungskosten in der beruflichen Grundbildung: Wie viel, weshalb, wofür?

Die Bruttokosten der beruflichen Grundbildung sind unbestritten hoch: Der Aufwand der Lehrbetriebe für die Vermittlung der Kompetenzen und für die Betreuung der Lernenden benötigt Zeit und kostet Geld. Nur ein kleiner Teil davon sind Regulierungskosten. Doch auch diese summieren sich: Die ermittelten Regulierungskosten belaufen sich auf 131 bis 473 Mio. Franken jährlich. Aufgrund der hohen Bruttokosten und der substanziellen Regulierungskosten sind Verbesserungen wichtig. Diese bieten sich ins­besondere bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Pflichten an.

Regulierungskosten in der beruflichen Grundbildung: Wie viel, weshalb, wofür?

Als 2003 die erste Kosten-Nutzen-Erhebung der Universität Bern zur Lehrlingsausbildung erschien, war das Interesse gross.[1] Zum ersten Mal konnten die Kosten, aber auch der Nutzen einer beruflichen Grundbildung für die Betriebe quantifiziert werden. Die Bruttokosten einer dreijährigen beruflichen Grundbildung betragen gemäss der neusten Erhebung im Jahr 2012 durchschnittlich rund 86 000 Franken.[2] Allerdings ist der Nutzen mit rund 95 000 Franken noch etwas höher. Dieses Resultat ist erfreulich, aber es gilt nicht für alle Berufe und Betriebe. Bei etwa einem Drittel der Lehrbetriebe sind die Kosten nach Ende der Ausbildung (noch) nicht gedeckt.

Woran liegt das? Sind Regulierungen daran schuld? Könnten die Kosten der Ausbildung gesenkt werden, wenn die Regulierungen vereinfacht würden? Würden dann noch mehr Betriebe ausbilden? Dies kann nur beantwortet werden, wenn klar ist, welcher Teil der Bruttokosten tatsächlich auf Regulierungen zurückzuführen ist. Genau mit dieser Frage beschäftigt sich die in diesem Beitrag vorgestellte Regulierungskostenstudie.[3]

Lehrbetriebe leisten oft mehr als ­gesetzlich vorgeschrieben


Die Antwort vorneweg: Für die Lehrbetriebe entstehen hohe Kosten aufgrund der Betreuung, Anleitung, Förderung, Kompetenzvermittlung und Unterstützung der Lernenden. Dieser Aufwand ist allerdings nur zu einem kleinen Teil durch Regulierungen bedingt; er besteht vielmehr im Ziel und Zweck der Berufsbildung selbst. So leisten die Lehrbetriebe oftmals deutlich mehr als gesetzlich vorgeschrieben. Zudem werden die Tätigkeiten der Lehrbetriebe durch die gesetzlichen Vorschriften nicht umfassend abgedeckt. Die Unternehmen haben beispielsweise grossen Spielraum, wie sie die Kompetenzen ver­mitteln.

Dennoch gibt es auch im Bereich der Berufsbildung Regulierungskosten, welche sich u.a. aufgrund der hohen Anzahl Lernender (im Jahr 2011 befanden sich rund 212 000 Lernende in einer dualen beruflichen Grundbildung) summieren: Die von uns ermittelten Regulierungskosten belaufen sich auf 131 bis 473 Mio. Franken jährlich. Wie kommt dieses Ergebnis zustande?

Fünf exemplarische Lehrberufe


Wie die weiteren Regulierungskostenstudien basiert auch die vorliegende auf der vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) entwickelten Methodik des «Regulierungs-Checkup».

Aufgrund der grossen Anzahl von rund 250 beruflichen Grundbildungen liess sich die Kostenerhebung nicht für alle Lehrberufe durchführen. Daher haben wir fünf der grössten Lehrberufe unter Berücksichtigung weiterer Kriterien – wie z.B. der Ausbildungsdauer – ausgewählt:

  • Elektroinstallateur/in EFZ;
  • Kaufmann/Kauffrau EFZ;
  • Schreiner/in;
  • Detailhandelsassistent/in EBA;
  • Fachmann/Fachfrau Gesundheit EFZ.


Die Ergebnisse dieser Berufe wurden später auf die Gesamtwirtschaft (d.h. die Gesamtheit aller Lehrberufe) hochgerechnet. Bei einigen gesetzlichen Vorschriften zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Berufen; hier war die Hochrechnung eindeutig. Bei denjenigen Handlungspflichten, deren Regulierungskosten sich je nach Lehrberuf unterschieden, wurde für die Gesamtwirtschaft eine Spannweite ermittelt, basierend auf dem Minimal- und Maximalwert der ausgewählten Lehrberufe.

Zu beachten ist, dass die Untersuchung auf die duale berufliche Grundbildung beschränkt ist. Sie schätzt die Regulierungskosten für Unternehmen (in der Regel Lehrbetriebe). Aufwände der Organisationen der Arbeitswelt wie auch von Prüfungsexpertinnen und -experten wurden nicht quantifiziert.

Welche Pflichten verursachen welche Kosten?


Um die wichtigsten Regulierungen abzubilden, haben wir zunächst die häufigsten und aufwändigsten Handlungspflichten ausgewählt (Kasten 1). Für diese haben wir die jährlichen Regulierungskosten mittels Experten- und Unternehmensschätzung erhoben. Tabelle 1 stellt die Ergebnisse differenziert nach Handlungspflicht und Beruf dar.

201401_06D_Tabelle01.eps[1]

Die Betrachtung der einzelnen Handlungspflichten zeigt ein auf den ersten Blick überraschendes Ergebnis: Bei den Pflichten, welche mit dem Abschluss von Lehrverträgen, den Lehrvertragsauflösungen, dem Arbeitsplatz sowie der Arbeitssicherheit zusammenhängen, treten keine Regulierungskosten auf. Bei diesen Pflichten würden nämlich sämtliche Kosten auch ohne gesetzliche Vorgaben anfallen. Ein Beispiel: Auch ohne die explizite gesetzliche Vorschrift, die Lernenden in Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz zu unterweisen, würden dies die Lehrbetriebe tun. Stellvertretend sei die Aussage eines Unternehmers dazu zitiert: «Es gibt eine gesetzliche Pflicht in Bezug auf die Arbeitssicherheit? Das war mir nicht einmal bekannt. Aber natürlich achte ich darauf, dass meine Lernenden sich bei der Arbeit nicht gefährden.»

Der grösste Teil der jährlichen Regulierungskosten entfällt auf die Handlungspflichten, welche die Dokumentation und Besprechung des Bildungsstands, die überbetrieblichen Kurse, die Qualifikationsverfahren sowie die kantonalen Berufsbildungsfonds betreffen.

Regulierungskosten auf gesamtwirtschaftlicher Ebene relevant


Bislang wurden die Regulierungskosten für die Gesamtwirtschaft betrachtet. Nicht jede Pflicht ist aber für jeden Betrieb und in jeder Situation relevant. Während beispielsweise die Pflichten in Zusammenhang mit dem Qualifikationsverfahren nur Lehrbetriebe mit Lernenden im letzten Lehrjahr betreffen, umfassen die Beiträge an den Berufsbildungsfonds auch Nicht-Lehrbetriebe.

Es ist daher auch von Interesse, welche Regulierungskosten bei einem typischen Lehrverlauf auftreten. Oder anders ausgedrückt: Welche Regulierungskosten fallen an, wenn ein Lehrbetrieb einen Lernenden zusätzlich ausbildet? Je nach Beruf bewegen sich die Regulierungskosten einer Lehre zwischen 900 Franken (Detailhandelsassistenten) bis knapp 5000 Franken (Fachleute Gesundheit).[4] Dabei ist zwar zu beachten, dass sich die Regulierungskosten auf die gesamte – je nach Beruf unterschiedliche – Lehrdauer beziehen. Im Vergleich zu den eingangs erwähnten jährlichen Bruttokosten von 86 000 Franken (für eine dreijährige Ausbildung) sind die Regulierungskosten für die einzelnen Betriebe jedoch in jedem Fall gering.

Mit insgesamt 131 bis 473 Mio. Franken pro Jahr sind sie aber auf gesamtwirtschaftlicher Ebene dennoch substanziell. Die berücksichtigten Regulierungskosten sind zudem nicht die einzigen Aufwände aufgrund von Regulierungen:

  • Die jüngst zahlreich durchgeführten Berufsreformen verursachen ebenfalls Kosten (z.B. Einarbeitung in neue Prüfungsformen), welche in der vorliegenden Studie als einmaliger Aufwand nicht berücksichtigt wurden.
  • Nicht nur in der beruflichen Grundbildung gibt es Regulierungen, sondern in einer Vielzahl von Bereichen. In diesem Zusammenhang sei die Aussage eines Experten erwähnt, dass die Regulierungen für sich betrachtet alle in Ordnung seien, aber dass die Summe der Regulierungen den Aufwand ausmache.

Wie lassen sich die Regulierungen ­vereinfachen?


Zunächst ist zu sagen, dass die Unternehmensvertreter eine hohe Akzeptanz in Bezug auf die gesetzlichen Handlungspflichten im Bereich der beruflichen Grundbildung aufbringen. Dies zeigt sich etwa in der eingangs erwähnten Tatsache, dass das Engagement vieler Lehrbetriebe weit über die gesetzlichen Pflichten hinausgeht. So finden beispielsweise die Dokumentation und Besprechung des Bildungsstands in vielen Betrieben häufiger statt als (minimal) vorgegeben. Das ist insofern kaum überraschend, als Dokumentation und Besprechung des Bildungsstands pädagogische Instrumente darstellen. Oder wie es ein Berufsbildner ausdrückt: «Der Aufwand zur Dokumentation und Besprechung des Bildungsstands ist sehr hoch. Aber: Der Nutzen ist es eben auch

Die Probleme aus Sicht der Betriebe betreffen daher kaum die rechtlichen Grundlagen, sondern stammen vielmehr aus der praktischen Ausgestaltung der gesetzlichen Pflichten. Zusammen mit Experten und Unternehmen wurden drei konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet, welche diesen Problemen begegnen und die Regulierungskosten reduzieren können.

Vorschlag 1 – Vereinfachung des Qualifikationsverfahrens bei der Prüfungsform IPA[5]: Zuhanden der Lehrbetriebe sollte ein «Rahmen» für die Bewertung der IPA erarbeitet werden (je nach Beruf ist dies bereits umgesetzt). Zudem sollte die Prüfungsdauer in einigen Berufen mit IPA verkürzt werden. Dies muss berufsspezifisch erfolgen und ist möglicherweise erst in einem längeren Zeithorizont umsetzbar. Mit den beiden Massnahmen würden die Regulierungskosten im Bereich der Qualifikationsverfahren reduziert. Die Massnahmen beeinträchtigen den Regulierungsnutzen nicht.

Vorschlag 2 – Online-Dienstleistungen: Alle Kursunterlagen der Berufsbildner- und der überbetrieblichen Kurse sollten online zur Verfügung gestellt werden (je nach Beruf ist dies bereits umgesetzt). Die Regulierungskosten der Handlungspflichten bezüglich dieser Kurse könnten dadurch reduziert werden. Zudem ist mit einer Erhöhung der Akzeptanz bei den Lehrbetrieben zu rechnen. Die Massnahme beeinträchtigt den Regulierungsnutzen nicht, und die Kosten sind als gering einzuschätzen.

Vorschlag 3 – Koordination mit Berufsfachschulen: Die Koordination mit den Berufsfachschulen ist zu verbessern; die Berufsfachschulen sollten sich stärker an den Bedürfnissen der Lehrbetriebe orientieren. Die Regulierungskosten würden dadurch reduziert, und die Akzeptanz bei den Lehrbetrieben könnte verstärkt werden. Die Massnahme beeinträchtigt den Regulierungsnutzen nicht. Gemäss Expertenaussagen ist die Umsetzbarkeit allerdings schwierig (Autonomie der Schulen).

Welche Schlüsse ergeben sich aus den Studienergebnissen?


Kommen wir auf die eingangs gestellte Frage zurück: Sind die Regulierungen schuld an den hohen Bruttokosten in der beruflichen Grundbildung? Dies ist nicht der Fall. Dennoch bewegen sich die Regulierungskosten in einer substanziellen Grössenordnung. Die administrative Entlastung der Betriebe sollte daher auch im Bereich der beruflichen Grundbildung immer im Blick behalten werden. Vereinfachungen bieten sich insbesondere in der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Pflichten an.

  1. Vgl. Schweri et al. (2003). []
  2. Vgl. Strupler, Wolter (2012). []
  3. Vgl. B,S,S. (2013). []
  4. Das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) hat mit den erhobenen Regulierungskosten ­weitere Berechnungen durchgeführt und eine Hochrechnung auf die gesamtwirtschaftlichen Regulierungskosten bei einem typischen Lehrverlauf vorgenommen. Die Hochrechnung basiert auf dem durchschnittlichen Anteil der Regulierungskosten an den totalen Kosten der beruflichen Grundbildung und schätzt jährliche Regu­lierungskosten von 153,4 Mio. Franken (vgl. Kuhn et al., 2013). Noch nicht darin enthalten sind die Regulierungskosten in den Bereichen Berufsbildungsfonds (branchenbezogen und kantonal) sowie Berufsbildnerkurse. []
  5. Die individuelle praktische Arbeit (IPA) ist eine Form des Qualifikationsbereichs «praktische Arbeit» im Rahmen des Qualifikationsverfahrens. Bei Berufen mit einer IPA erfolgt die Aufgabenstellung individuell für jeden Kandidaten/jede Kandidatin, und die Prüfung findet im Lehrbetrieb statt. Im Gegensatz dazu gibt es auch Berufe mit einer sog. vorgegebenen praktischen Arbeit (VPA), ­welche eine Sammelprüfung darstellt. []

Literaturverzeichnis

  • B,S,S. (2013): Schätzung der Kosten und Vereinfachung der Regulierungen im Bereich der beruflichen Grundbildung, in Kooperation mit Rambøll Management Consulting, im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation.
  • Kuhn, A., Kriesi, I., Schweri, J. (2013): Regulierungskosten in der beruflichen Grundbildung, Begleitbericht, Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung, im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation.
  • Schweri, J., Mühlemann, S., Pescio, Y., Walther, B., Wolter, S., Zürcher, L. (2003): Kosten und Nutzen der Lehrlingsausbildung aus der Sicht Schweizer Betriebe. Beiträge zur Bildungsökonomie, Band 2. Zürich/Chur: Verlag Rüegger.
  • Strupler, M., Wolter, S. (2012): Die duale Lehre: eine Erfolgsgeschichte – auch für Betriebe. Ergebnisse der dritten Kosten-Nutzen-Erhebung der Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Betriebe. Beiträge zur Bildungsökonomie, Band 4. Zürich/Chur: Verlag Rüegger.

Bibliographie

  • B,S,S. (2013): Schätzung der Kosten und Vereinfachung der Regulierungen im Bereich der beruflichen Grundbildung, in Kooperation mit Rambøll Management Consulting, im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation.
  • Kuhn, A., Kriesi, I., Schweri, J. (2013): Regulierungskosten in der beruflichen Grundbildung, Begleitbericht, Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung, im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation.
  • Schweri, J., Mühlemann, S., Pescio, Y., Walther, B., Wolter, S., Zürcher, L. (2003): Kosten und Nutzen der Lehrlingsausbildung aus der Sicht Schweizer Betriebe. Beiträge zur Bildungsökonomie, Band 2. Zürich/Chur: Verlag Rüegger.
  • Strupler, M., Wolter, S. (2012): Die duale Lehre: eine Erfolgsgeschichte – auch für Betriebe. Ergebnisse der dritten Kosten-Nutzen-Erhebung der Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Betriebe. Beiträge zur Bildungsökonomie, Band 4. Zürich/Chur: Verlag Rüegger.

Zitiervorschlag: Miriam Frey (2014). Regulierungskosten in der beruflichen Grundbildung: Wie viel, weshalb, wofür. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.

Ausgewählte Handlungspflichten

Die Identifikation der wichtigsten Handlungspflichten erfolgte mittels einer Expertenbefragung. Die ausgewählten Handlungspflichten sind:

  • Dokumentieren und Besprechen des Bildungsstands;
  • Zahlen von Beiträgen an den Berufsbildungsfonds: Dabei gilt es zwischen a) branchenbezogenen Berufsbildungsfonds (gesamtschweizerisch) und b) kantonalen Berufsbildungsfonds (branchenübergreifend) zu unterscheiden;
  • Tragen der Kosten für überbetriebliche
    Kurse und dritte Lernorte;
  • Zurverfügungstellung von Arbeitsplatz,
    Einrichtungen und Hilfsmitteln;
  • Unterweisen der Lernenden in Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz, Umweltschutz;
  • Absolvieren eines Berufsbildnerkurses;
  • Abschliessen und Einreichen von Lehrverträgen;
  • Beteiligung am Qualifikationsverfahren;
  • Benachrichtigung der kantonalen Behörden über Lehrvertragsauflösungen.


Als weitere Handlungspflicht wurde das Durchführen von Prozesseinheiten im Lehrberuf der Kaufleute ausgewählt. Da diese allerdings freiwillig sind (die Branchen entscheiden, ob Prozesseinheiten oder Kompetenznachweise für überbetriebliche Kurse angewandt werden), wurden sie in der Studie zwar ausgewiesen, aber nicht in die Hochrechnung der Regulierungskosten mit eingeschlossen.