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Die Tertiarisierung der Volkswirtschaften setzt sich fort

In allen Ländern haben sich die Wertschöpfungsanteile der ­Industrie zwischen 1991 und 2010 verringert, während vor ­allem die­jenigen der modernen Dienstleistungen sehr kräftig ­zulegten. In einigen Ländern ­generieren die Dienstleistungsbranchen bereits mehr als zwei Drittel der gesamten Wert­schöpfung des Privatsektors. In der Schweiz sehen wir eine ähnliche Tendenz. Jedoch sind die strukturellen Veränderungen weit weniger stark ausgeprägt als ­beispielsweise in den USA oder in Frankreich.

Die KOF führte im Auftrag des Staats­sekretariats für Wirtschaft (Seco) im Jahre 2008 eine Studie zum wirtschaftlichen Strukturwandel der Schweiz zwischen 1991 und 2005 durch.[1] «Strukturwandel» bedeutet in diesem Zusammenhang eine Veränderung des Wertschöpfungs- bzw. des Beschäftigungs­anteils eines Wirtschaftssektors oder eines Wirtschaftszweiges an der gesamtwirtschaft­lichen Leistungs­erbringung, also dem Bruttoinlandprodukt (BIP). Die Tabelle 1 zeigt die Resul­tate einer Aufdatierung dieser Wertschöpfungsdaten für den Industrie-, den Bau-, und den Dienstleistungsbereich für zehn Länder.

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Sinkende Bedeutung des Aussensektors


Zunächst betrachten wir die Verschiebung der Wertschöpfungsanteile zwischen dem Aussen-, dem Binnen- und dem Staatssektor auf Basis von insgesamt zwölf Teilsektoren (siehe Kasten 1). Ein Vergleich der Veränderung des Anteils der nominellen Wertschöpfung zeigt, dass sich in der Schweiz – ebenso wie in allen anderen Referenzländern, mit Ausnahme der USA – der Wertschöpfungsanteil des Aussensektors zwischen 1998 und 2010 verringert hat. Die Schweiz verzeichnet mit –1,5 Prozentpunkten (PP) nach Schweden (–2,8 PP) und Finnland (–2,4 PP) den stärksten Rückgang des Wertschöpfungsanteils des Aussensektors. Dieses Ergebnis steht im Zeichen des starken internationalen Konjunktureinbruchs im Jahre 2008. Die binnenorientierten Teile der Schweizer Wirtschaft weisen hingegen mit 0,5 PP die grösste Anteilszunahme im Länder­vergleich auf. Deutschland, Finnland und Schweden verzeichnen ebenso Anteilszuwächse im Binnensektor. Relativ starke Anteilsrückgänge sehen wir hingegen in Dänemark, den Niederlanden und den USA.

Der Ländervergleich zeigt auch eine zum Teil erhebliche Zunahme des Staatssektors im weiteren Sinn, also inklusive Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich. Während der Anteil des öffentlichen Sektors in der Schweiz seit 1998 um 1 PP wuchs, verzeichneten Finnland, die Niederlande und Dänemark eine mehr als doppelt so starke Vergrösserung des Staats­sektors. Nur in Schweden und Österreich wuchs der Staatssektor in geringerem Ausmass als in der Schweiz. In keinem Vergleichsland kam es zu einer Verkleinerung des Staatssektors. Die Zuwächse des breiten öffentlichen Sektors sind primär auf das Wachstum des Gesundheits- und Sozial­bereichs zurückzuführen.

Verschiebung hin zum wissensintensiven Sektor hält an


Der Trend zu einer Verschiebung der Wertschöpfungsanteile (bezogen auf die Wertschöpfung des Privatsektors) hin zu wissensintensiven Sektoren bestätigt sich auch im Rahmen dieser Aufdatierung der Kennzahlen. Hightech-Industrie und moderne wissensbasierte Dienstleistungen werden in eine Hauptkategorie «wissensintensiver Sektor» zusammengefasst (siehe Kasten 1). Es zeigt sich deutlich, dass sich die Wertschöpfung abermals hin zum wissensintensiven Sektor verschoben hat. Der Anteil dieses Sektors in der Schweiz stieg im internationalen Vergleich moderat von 46,4% im Jahr 1991 auf 48,6% im Jahr 2010 (siehe Tabelle 2). Die stärksten Anstiege des wissensintensiven Sektors sehen wir in Finnland (9,7 PP), den Niederlanden (8,6 PP) und Dänemark (8,3 PP). Während in Finnland die Zunahme sowohl auf die Entwicklung des Hightech-Sektors als auch der modernen Dienstleistungen zurückzuführen ist, begründen sich die Entwicklungen in den Niederlanden und in Dänemark durch die deutliche Erhöhung der Wertschöpfungsanteile der modernen Dienstleistungsbranchen.

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Industrie verliert – zum Teil auch
Hightech-Branchen


Die Industrie hat in allen Vergleichsländern an Wertschöpfungsanteilen (bezogen auf die Wertschöpfung des Privatsektors) verloren. Besonders stark waren die Verluste in Frankreich (–9,4 PP), den Niederlanden (–7,8 PP) und Dänemark (–7,3 PP). Deutlich weniger stark schrumpfte der Industriesektor in der Schweiz (–2,8 PP), in Österreich (–3,1 PP) und in Finnland (–2,7). Obwohl diese Entwicklung stark auf die ­weniger innovativen Lowtech-Branchen des Industriesektors zurückzuführen sind, verzeichnen auch die forschungs- und entwicklungsintensiveren Hightech-Branchen Verluste bei den Wertschöpfungsanteilen, insbesondere in Frankreich (–3,7 PP), Schweden (–2,9 PP) und den USA (–3,4 PP). In der Schweiz beobachten wir einen uneinheitlichen Verlauf. Während die Hightech-Wertschöpfungsanteile zwischen 1991 und 1998 sanken, stiegen diese zwischen 1998 und 2008 deutlich von 13,9% auf 16,3% an, bevor sie im Jahre 2010 wiederum leicht abnahmen. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir auch in Deutschland. Wenn wir den gesamten Zeitraum betrachten, verzeichneten nur Finnland (+3,5 PP), die Schweiz (+0,6 PP) und Österreich (+1,3 PP) einen Anstieg der Wertschöpfungs­anteile der Hightech-Branchen.

Dienstleistungen legen zu


In allen betrachteten Volkswirtschaften hat sich der Wertschöpfungsanteil der Dienstleistungen im Beobachtungszeitraum erhöht. Nur in einzelnen Perioden kam es zu Rückgängen; in Deutschland zwischen 2005 und 2008 (–1,4 PP), in Finnland zwischen 1991 und 1998 (–2,9 PP), in Italien zwischen 2005 und 2008 (–0,6 PP) und in den Niederlanden ebenfalls in der konjunkturellen Aufschwungsphase zwischen 2005 und 2008 (–0,6 PP). Zu insgesamt sehr starken Steigerungen über den gesamten Untersuchungszeitraum kam es in Frankreich (+9,5 PP), Dänemark (+8,5 PP) und den USA (+8,4 PP). Moderate Anstiege sehen wir hingegen in Italien (1998–2010: 2,3 PP) und in Finnland (3,1 PP). In der Schweiz erhöhten sich die Wertschöpfungsanteile der Dienstleistungsbranchen zwischen 1991 und 2010 um 4,8 PP, wobei die stärksten Anstiege zwischen 1991 und 2005 zu beobachten sind. Seit 2005 stagniert der Dienstleistungsanteil faktisch.

Grössere strukturelle Veränderungen in Finnland, Frankreich, USA, Niederlande


Finnland, Frankreich und die USA verzeichneten über die 20 Beobachtungsjahre einen sehr ausgeprägten strukturellen Wandel. Finnland zeichnet sich vor allem durch eine sehr unstetige Entwicklung aus. Die Lowtech-Branchen verloren nach einem kleinen Anstieg zwischen 1991 und 1998 insgesamt 6,1 PP, während die Hightech-Branchen bis 2008 ihren Wertschöpfungsanteil um 6,5 PP steigern konnten, bevor sich dieser zwischen 2008 und 2010 um 3 PP verringerte. Ähnlich markant sind die Veränderungen im Dienstleistungsbereich. Dort erhöhte sich der Anteil der modernen Dienstleistungen stetig um insgesamt 6,2 PP, sodass die wissensintensiven Sektoren um 9,7 PP zulegten. In Frankreich kam es hingegen zu einem massiven Wertschöpfungsverlust, vor allem bei den Lowtech-, aber auch bei den Hightech-Industrien; der Industriebereich verlor insgesamt 9,4 PP, und sein Wertschöpfungsanteil betrug im Jahre 2010 nur noch 17,5%. Im Gegensatz dazu stieg der Wertschöpfungsanteil vor allem der modernen Dienstleistungsbranchen sehr stark, wodurch sich der Dienstleistungsanteil um insgesamt 9,5% erhöhte. Die Dienstleistungsbranchen hatten im Jahre 2010 einen Wertschöpfungsanteil von 68,1%. Bei den USA fällt zudem auf, dass der Wertschöpfungsanteil moderner Dienstleistungen deutlich angestiegen ist (+10,6 PP) und dass die Hightech-Branchen (–3,4 PP) wie auch die Industrie insgesamt (–7 PP) relativ viel eingebüsst haben. Ein ähnliches Bild sehen wir für die Niederlande, wo sich der Wertschöpfungsanteil der Industrie um 7,8 PP verringerte, während die ­modernen Dienstleistungen um 11,2 PP ­zulegten.

Die Struktur der Volkswirtschaften im Jahre 2010


Deutschland hatte im Jahre 2010 den mit Abstand grössten Industriesektor (33,4%), gefolgt von Finnland (28,9%), Österreich (27%) und Schweden (26,5%). Die Schweiz sticht vor allem durch den relativ hohen Wertschöpfungsanteil der Hightech-Industrien hervor (15,8%); nur Deutschland hatte mit 20,5% einen noch höheren Anteil. Die USA (71,6%), Frankreich (68,1%), Dänemark (67,4%) und die Niederlande (67,4%) haben den anteilsmässig grössten Dienstleistungssektor, wobei die USA mit einem Wertschöpfungsanteil von 42,8% den mit Abstand grössten Wertschöpfungsanteil der modernen Dienstleistungen aufwiesen. In der Schweiz betrug der Wertschöpfungsanteil der Dienstleistungen 64,4%, von denen rund die Hälfte den modernen Dienstleistungsbranchen zuzurechnen ist. Höhere Anteile als die Schweiz für den wissensintensiven Sektor (moderne Dienstleistungen und Hightech-Branchen) wiesen nur die USA und Deutschland auf.

  1. Arvanitis, S., Ley, M., Stucki, T. und M. Wörter (2008): Innovation und Marktdynamik als Determinanten des Strukturwandels, Strukturberichterstattung Nr. 43, herausgegeben vom Staatssekretariat für Wirtschaft, Bern. []

Zitiervorschlag: Spyros Arvanitis, Kushtrim Veseli, (2014). Die Tertiarisierung der Volkswirtschaften setzt sich fort. Die Volkswirtschaft, 01. März.

Untersuchte Sektoren

  • Aussensektor: Industrie, Gastgewerbe, Finanzdienstleistungen, Geschäftsdienstleistungen;
  • Binnensektor: Landwirtschaft, Energie, Baugewerbe, Handel, Transport;
  • Staatssektor: Gesundheits- und Sozialwesen, Bildungswesen, öffentliche Verwaltung.

Wissensintensiver Sektor

  • Hightech-Industrie: Chemie/Pharma, Kunststoffe, Maschinenbau, Elektrotechnik, Elektronik/Instrumente;
  • Moderne Dienstleistungen: Banken, Versicherungen, Informatikdienstleistungen, unternehmensnahe Dienstleistungen (Engineering, Unternehmensberatung etc.).