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Frauen in den Chefetagen – Visionen für unsere Töchter

Mit den Visionen für unsere Töchter geht der Wunsch einher nach Toleranz im Umgang mit möglichst vielen Denkweisen, Ansichten, Werthaltungen und Fragestellungen, die auf alte Fragen neue Antworten generieren. Die Visionen sind nicht primär gendermotiviert. Sie sind vielmehr motiviert vom Nutzen und von der Dringlichkeit des weiblichen Einflusses in führenden Konzernen, um ein Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit und Ethik für unsere nachfolgenden Generationen zu bewirken.
Viele Frauen sind in den Bereitschaftspositionen zum grossen Sprung auf die obersten Karriereleitern der Konzerne. Mögen die Visionen den Boden für das Wirken der Begabtesten auf Chefetagen ebnen. (Bild: Keystone)

Eine Studie der American Management Association (AMA) hat vor Jahren bereits ausdrücklich festgehalten, dass die Qualität der Heterogenität von Teams über Produktivität und Profitabilität entscheide. Die Studie zeigt, dass heterogene Geschäftsleitungen produktiver und profitabler sind; Zukunftsfähigkeit und Innovation, Marketing und Unternehmenskulturen profitieren also von breit gefächerten Talentportfolios und interkulturellen Stärkenprofilen (siehe Kasten 1).

Hier sind einige ausgewählte Visionen, die den Boden für das Wirken der Begabtesten auf Chefetagen ebnen mögen, Töchtern wie Söhnen – bei gleichen Qualifikationen aber zuerst einmal den Töchtern, um auch im helvetischen Rahmen neue Normen zu etablieren und mit der weltweit laufenden Entwicklung der Feminisierung Schritt zu halten.

Erste Vision: Vorstandsetagen sind nur mit gelebter Diversity zukunftsfähig


Diversity ist partiell weiblich, interkulturell und global vernetzt. Sie integriert auch ältere, weise Persönlichkeiten und verbindet diese mit jungen, mutig hinterfragenden Menschen. Diversity vertritt ein Universum selbst im kleinsten Anteil jedes Diskurses. Und braucht in dieser Selbstverständlichkeit kein weiteres Wort mehr über die tragende Bedeutung von Frauen zu führen, weil diese die Chance haben, sie täglich zu praktizieren. Nicht alle Frauen werden auf die Chefetagen wollen; jenen aber, die es wirklich wollen, werden keine Steine mehr in den Weg gelegt.

Innovation beginnt bei der Heterogenität in der Zusammensetzung der Vorstands- und Executivepositionen. Diese sind mit gescheiten, kritischen, zukunftsorientierten und mit Rückgrat ausstaffierten Nachhaltigkeitsleadern bestückt, die sich sowohl für die Wirtschaftlichkeit als auch für Umwelt, Mensch und Diversity engagieren. Sie sind ein Schulterschluss zwischen der alten Welt und der neuen digitalisierten Realität, die alles sofort und überall transparent macht.

Zweite Vision: Der Mehrwert weiblicher Führungskräfte wird gewürdigt, gewollt und befördert


Damit Frauen bestehenden Konzernen und KMU auf obersten Führungsebenen ihr Kapital zur Verfügung stellen, müssen sie in ihrem Mehrwert explizit gewürdigt, gewollt und befördert werden.

Frauen, vorab die Generation Y[1], kämpfen nicht mehr um Anerkennung. Sie wissen, was sie wert sind. Und sind wählerisch geworden, wem sie ihr Können und ihre Lebenszeit zur Verfügung stellen und zu welchem Preis. Ihr Lebensmodell ist multioptional, und sie gehen genauso schnell, wie sie kommen, wenn sie unterminiert werden. Oder sie machen sich selbstständig und leben ihre eigene Wert- und Unternehmenskultur.

Effiziente Top-Level-Gremien müssen weiblicher werden. Frauen eignen sich erstklassig auch als globale Agentinnen in Nachhaltigkeitsfragen. Sie haben die Synapsen zwischen Ethik, Ökonomie und Ökologie quasi einprogrammiert. Nur mit vernetztem und interdisziplinärem Denken sind Umdenken und Zukunftsfähigkeit möglich. Frauen denken anders als Männer. Sie werten und hinterfragen anders. Dieses Anders-Sein ist ein Riesenkapital für den Erfolg jedes Unternehmens.

Viele Frauen sind in den Bereitschaftspositionen zum grossen Sprung auf die obersten Karriereleitern der Konzerne; Akademikerinnen, mobil, mehrsprachig, international orientiert, hoch ambitioniert und kompromisslos, wenn es um Ansprüche an die eigene Leistung und den Arbeitgeber geht, wollen nach oben. Desolate Diskussionen um Frauenthemen mögen sie nicht mehr. Sie wissen, was sie können und wollen. Mit einer fast rigiden Haltung des «Take it or leave it» fordern sie, was sie selber fördern: Abstand von jedem Mittelmass und 24/7-Einsätze: Erreichbarkeit rund um die Uhr, digital vernetzt und mit der ganzen Welt im Kontakt, wollen sie Einfluss nehmen.

Diese neue Frauengeneration fordert ein oder geht. Gerade die Schweiz ist nicht selten überfordert von so viel Klarheit und Commitment. Sie dokumentiert fast täglich eindrücklich, wie sehr solche Frauen auch Angst machen. Damit kommen nur männliche Leader mit ebensolchen Profilen und Leistungsprinzipien klar. Wenn sie es schaffen, mit solchen High-Profile-Teams zu konzipieren, sind sie schlagkräftig, hoch intelligent und gut diversifiziert aufgestellt und können auch höchst komplexe Aufgabenstellungen meistern.

Dritte Vision: Neue Unternehmenskulturen ermöglichen Karriere und Familie


Frauen machen Karriere nicht primär um der Karriere und des Status willen, sondern weil sie einen messbaren Beitrag für eine bessere Welt leisten und eine sinnvolle Investition ihrer Lebenszeit und ihrer Skills wollen. Alles andere ist sekundär.

Diese Frauen haben den zusätzlichen Anspruch, Partnerschaft und Kinder mit einem aufgeschlossenen Arbeitgeber so zu timen und zu koordinieren, dass selbst Familie und Karriere möglich sind. Hier werden also auch die Ansprüche an flexible Arbeitszeitmodelle für Kader beiden Geschlechts und zeitgemässe Arbeitsmodalitäten apriorisch gefordert und realisiert. Innovation und Experimentierfreudigkeit sind ein Bestandteil hoher Motivation und fördern den ganzen Menschen in seinen Ansprüchen an ein ganzheitlich gelebtes Leben in verschiedenen Rollen zur gleichen Zeit. Neue Unternehmenskulturen entstehen hier.

Neue Führungsgremien auf Top-Level haben noch einen weiteren gemeinsamen Nenner: Ethik und Nachhaltigkeit für die Welt von morgen glaubwürdig, verbindlich und zielführend zu definieren und zu steuern. Frauen sorgen sich um die Zukunft. Sie sind am Puls des Lebens, verbunden mit ihrer Besorgtheit um den Zustand der Welt für ihre Kinder und deren Nachfolgegenerationen. Was immer Frauen bewegen, hat in der Regel mit ihrem Beitrag zu einer besseren Welt zu tun. Dies erklärt wohl auch, weshalb so viel Pro-bono-Arbeit durch Frauen geleistet wird.

In der Wirtschaft sind sich Frauen dessen inzwischen sehr wohl bewusst. Sie erwarten deshalb auch, dass Lohn- und Karriereverhandlungen nicht «erkämpft», sondern als Zeichen der Wertschätzung offeriert werden. Dies ist eine weibliche Primärmotivation im Doppelpaket, das – bei Nichteinhalten – nicht selten in einer wenigstens inneren Kündigung landet. Dass sie dabei auch den Anspruch haben, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern vielmehr die Balance von Leistung im Beruf und Leistung als Mutter und Partnerin auszutarieren, versteht sich von selbst.

Die Vision integriert den tiefen Wunsch nach männlichen Partnern, die ebensolche Ansprüche an Arbeit und Leben haben und als echte Partner auf Augenhöhe mit diesen ambitionierten, hoch leistungsfähigen, aber auch in ihrem Frausein verankerten «Töchtern» zu kooperieren. Auch hier wird mit neuen Rollenmodellen lustvoll experimentiert, und alte Zöpfe werden genauso lustvoll eliminiert. Partnerschaft kann beim Wort genommen werden. Und dies beinhaltet auch, dass unsere Töchter vielleicht mehr verdienen und hierarchisch weiter oben stehen als ihre Partner – und dennoch als Frauen wahrgenommen und geliebt werden.

Vierte Vision: Leadership-Prinzipien werden beim Wort genommen


Karriere hat zu tun mit sinnvollem Leben und Wirken. Frauen haben hierin elementare Ansprüche und betrachten Leadership immer auch als Persönlichkeitsentwicklung erster Güte. Es muss Freude und Spass machen, über sich hinauszuwachsen und täglich dazuzulernen. Karriere erfährt hierbei die Konnotation auch des Wachsens an Widerständen, des Lernens aus Fehlern, des Authentisch-Seins und des an Grenzen Wachsens: Karriere ist hierbei sinngebendes Motiv und der Boden, auf dem persönliches Wachstum gedeiht.

Der Umgang mit dem kostbaren Gut Zeit wird besonders sorgsam überwacht. Weniger ist mehr, und das wenige muss es wert sein. Motiviert wird über gelebte Werte, die immer auch Vorbild und Orientierung in einer höchstdiversifizierten Welt bieten und fast schon Familienersatz anbieten.

Die digital vernetzte Welt bildet alles sofort ab, was ist. Mögen unsere Töchter mit weiteren Visionen all das tun und lassen, was viele Generationen vor ihnen aufbereiteten: Hinter ihnen liegen Jahrtausende History. Während Männer weitgehend Geschichte geschrieben und Frauen Geschichte gemacht haben (Rosalind Myles), schreiben wir hoffentlich zusammen ein neues Buch: Visionen für Menschen, die sich der Toleranz, dem Miteinander, dem interkulturellen Dialog und der Diversity verpflichtet haben. In einer globalisierten Welt kompletter Deregulierung geben sie sich kraft ihrer Toleranz und ihres historischen Learnings die Hand und suchen gemeinsam den grösstmöglichen Nenner, um dieser Welt eine Brücke in eine lebbare Zukunft zu bauen.

Unsere Töchter sind die Chefinnen der Zukunft, die Respekt und Nachhaltigkeit auf ihrer Fahne tragen und jene Verantwortung übernommen haben, die den Planeten Erde von einer rücksichtslos oft nur pekuniär fehlgeleiteten Gier nach immer mehr ein Stück weit herauslösen. Wirtschaft im Dienste der Gesellschaft eben – aber auch im Dienste eines Planeten, der ausgebeutet wurde und eine Atempause braucht. Die weiblich sein kann.

  1. Generation der nach 1980 Geborenen, die etwa um das Jahr 2000 zu den Teenagern zählten. Nachfolgegeneration der Generation X. []

Zitiervorschlag: Sonja A. Buholzer (2014). Frauen in den Chefetagen – Visionen für unsere Töchter. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.

Durchmischte Führungsteams erzielen bessere Resultate

Die American Management Association (AMA) und die Vereinigung der Businessfrauen haben die Qualitäten von Führungscrews in mehr als 1000 Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen und Grössenkategorien in einer Studie untersucht. Einerseits nahm sie die Zusammensetzung der Senior Management Teams der Firmen unter die Lupe. Andererseits wurden Daten wie Umsatz, Marktanteil, Aktien- und Buchwert, Rentabilität und Produktivität durchleuchtet. Die Untersuchung lieferte folgende Ergebnisse:

  • Heterogenität im Sinne einer Durchmischung von Geschlechtern, ethnischer Abstammung und Altersgruppen im Führungskader korreliert mit einer besseren Unternehmensleistung.
  • Führungsteams mit einem beträchtlichen Anteil von Persönlichkeiten, die von ausserhalb der Unternehmung stammen, leisten mehr als Gremien, die durch Beförderungen innerhalb der Firma entstanden.
  • Unternehmen, deren Führungskader auch Personen enthalten, die jünger als 40 Jahre sind, zeigen bessere Ergebnisse als Firmen mit durchwegs älteren Managern.
Publikationen der Autorin

Das neueste Management-Buch wird im September 2014 bei Orell Füssli erscheinen. Die drei letzten erschienenen Bücher sind:

  • Buholzer Sonja A. (2010): Die Frau im Haifischbecken. Was wir vom Top-Räuber der Meere lernen können. Zürich.
  • Buholzer Sonja A. (2008): Umdenken jetzt! Ein Buch für Mutige. Orell Füssli Management.
  • Buholzer Sonja A. (2006): Shark Leadership. Management hinter den Grenzen der Angst. Orell Füssli, auch als Hörbuch im Markt, erschienen 2008 auch in China.