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Das Seco liefert der Politik ökonomisches Wissen

Politiker beklagen manchmal, dass sich Ökonomen in politische Diskussionen einmischen. Genau das ist jedoch die Aufgabe der Wirtschaftspolitik – und somit auch des Staatssekretariats für Wirtschaft.
Entscheiden muss letztlich die Politik: Nationalräte warten, um Bundesrat Johann Schneider-Ammann Fragen zur Frankenstärke zu stellen. (Bild: Keystone)

Ökonomen debattieren seit Urzeiten ihren Einfluss auf die Politik im Allgemeinen und auf die Wirtschaftspolitik im Speziellen. Sie sind in der Regel überzeugt, dass die theoretisch und methodologisch fundierte Arbeitsweise der Wirtschaftswissenschaften anderen Disziplinen der Sozialwissenschaften überlegen ist.[1] Zudem hat in den vergangenen dreissig Jahren ein fruchtbarer Austausch mit anderen Disziplinen wie der Psychologie oder der Neurobiologie stattgefunden.

Dennoch beklagen Wirtschaftswissenschafter oftmals den Umstand, dass Empfehlungen und Gutachten von Sachverständigen bei politischen Weichenstellungen selten ausschlaggebend sind.[2] Die Debatte ist vor allem aus den USA und aus Deutschland bekannt, die mit dem amerikanischen Council of Economic Advisers und dem deutschen Sachverständigenrat offizielle Institutionen der politischen Beratung aufweisen (siehe Kasten). Diese Gremien sichern gewissermassen den Transfer von wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis in die Politik.

Was ist Wirtschaftspolitik?


Zunächst muss für den politischen Praxisalltag geklärt werden: Was ist Wirtschaftspolitik?[3] Eine brauchbare Antwort liefern Juergen B. Donges und Andreas Freytag, welche den Begriff breit definieren: «Die Wirtschaftspolitik ist ein Teilgebiet der allgemeinen Politik, welches sich auf das ökonomische Geschehen – im nationalen wie im internationalen Rahmen – bezieht.»[4]

Unmittelbar in das wirtschaftliche Geschehen eingreifen können Ökonomen, indem sie die «klassischen» Hebel der makroökonomischen Politik betätigen. So steuert die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) die monetären Rahmenbedingungen, was sich auf den Gang der Finanz- und Kapitalmärkte auswirkt. Auch die Fiskalpolitik des Bundes beeinflusst mit den Bundesausgaben (Voranschlag und Finanzplan), der Schuldenbremse und den Bundessteuern die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.

Wirtschaftspolitik ist aber letztlich eine Querschnittsaufgabe, welche über die makroökonomische Beeinflussung der Volkswirtschaft hinausgeht. Sie leitet ihre Bedeutung von der konsequenten Analyse anderer Sektoralpolitiken wie der Arbeitsmarkt-, Wettbewerbs-, Sozial-, Energie- und Infrastrukturpolitik und weiteren ab.

Natürlich kann nicht jede politische Handlung der «Wirtschaftspolitik» zugeordnet werden. Wo aber ist die Abgrenzung? Als praxisnahen Ansatz schlagen Friedrich Breyer und Martin Kolmar einen «intentionalen» Begriff vor, welcher eine Wegleitung für die Alltagsarbeit sein kann.[5] Laut den beiden Professoren gehört eine Regel zur Wirtschaftspolitik, wenn sie wirtschaftliche Prozesse beeinflusst.

Mit dieser Definition zählt somit die Forderung an den Staat, gleiche Löhne durchzusetzen, nur dann zur Wirtschaftspolitik, wenn damit eine höhere Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt bezweckt wird. Wenn hingegen der Anspruch auf absolute Lohngleichheit gesellschaftlichen Zielen der Gleichstellung dient, fallen entsprechende Massnahmen – definitorisch – unter die «Gesellschaftspolitik».

Das Beispiel zeigt, warum sich wirtschaftspolitisch orientierte Ökonomen für viele Fragen der Politik interessieren müssen: Quasi jede gesellschaftliche Zielsetzung beeinflusst die Märkte und damit die wirtschaftliche Entwicklung. Deshalb fühlen sich Ökonomen geradezu berufen, sich in die Politik «einzumischen». Sie sind darin geschult, unerwünschte Nebenwirkungen scheinbar nicht ökonomischer Entscheidungen zu untersuchen. Bei gesellschaftspolitisch begründeten Lohnkontrollen müsste etwa geprüft werden, ob sich die Beschäftigungsperspektiven verschlechtern und/oder ob die administrative Belastung bei Unternehmen zunimmt.

Seco als ökonomisches Kompetenzzentrum


Wie kann angesichts der vielfältigen Themenfelder Kohärenz in der wirtschaftspolitischen Grundlagenerarbeitung gesichert werden? Hier kommt dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine wichtige Rolle zu. Der Bundesrat beschloss bei der Reorganisation des damaligen Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) im Jahr 1998, ein Kompetenzzentrum für Fragen der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik einschliesslich der Arbeitsmarktpolitik zu schaffen: das Seco. Dazu wurde unter anderem die zuvor von verschiedenen Stellen in mehreren Bundesämtern ausgeführte Wirtschaftsanalyse in der Direktion für Wirtschaftspolitik des Seco (siehe Abbildung) zusammengeführt.

Organigramm des Seco


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Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Heute ist das Seco – mit seinen vier Direktionen – offiziell das Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik.[6] Dieser Auftrag ist angesichts des sehr breiten Themenspektrums anspruchsvoll. Deshalb konzentriert sich die Arbeit primär auf diejenigen Aspekte, bei denen das Seco auf Stufe Bund federführend ist:

  • die Konjunkturbeobachtung;
  • die Wettbewerbs- und Wachstumspolitik;
  • die Aussenhandelspolitik und die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit;
  • die Arbeitsmarktpolitik;
  • die Raum- und Tourismusökonomie.


Bei anderen Themen wie der Klima-, Energie- und Umweltpolitik unterstützt das Seco mit der ökonomischen Analyse andere federführende Ämter wie das Bundesamt für Energie (BFE) oder das Bundesamt für Umwelt (Bafu).

Fachämter vs. Querschnittsamt


An dieser Stelle kann auf einen wesentlichen Unterschied in der Arbeitsweise des Seco und anderer wirtschaftspolitisch relevanter Fachämter verwiesen werden: Die Ökonomen in der Steuerverwaltung beschäftigen sich vorwiegend mit steuerökonomischen, die Fachkollegen in der Finanzverwaltung mit finanzwirtschaftlichen Fragen; die Wirtschaftswissenschafter im BFE mit Energiemärkten; die Spezialisten der Finma mit finanzmarktwissenschaftlichen Fragestellungen und die Fachleute in der SNB mit makroökonomischen und monetären Themen der Geldpolitik.

Das Seco hingegen nimmt bei der Vielfalt der volkswirtschaftlich relevanten Vorlagen stets die gesamtwirtschaftliche Perspektive ein: Was sind die Folgen der Energiestrategie 2050? Welches sind die Konsequenzen der Frankenstärke? Welches sind die Ursachen der Hochpreisinsel Schweiz, und welches sind wirksame Massnahmen? Welche Elemente der Altersvorsorge setzen die richtigen Anreize zu einem möglichst langen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt? Wie wirkt sich die Einwanderung auf das Wirtschaftswachstum aus?

Das Seco äussert sich deshalb auch zu Vorlagen anderer Ämter und interessiert sich vor allem für die internationale und nationale Perspektive sowie für die Zweckmässigkeit staatlicher Regulierungen und ihre ökonomischen Nebenwirkungen auch in einem internationalen und aussenhandelspolitischen Kontext. Dabei nimmt das Seco bewusst die Rolle des «ordnungspolitischen Gewissens»[7] ein.

Entscheiden müssen letztlich Bundesrat und Parlament


Bundesämter können vom Auftrag und vom Aufbau her nicht die Rolle von verwaltungsunabhängigen Beratungsgremien – wie zum Beispiel dem deutschen Sachverständigenrat – spielen. Dennoch gelangt das ökonomische Sachwissen dank guter Arbeitsteilung und lebhafter kritischer Debatte in der Bundesverwaltung zu den politischen Entscheidungsträgern.

Dass in diesem Prozess auch unterschiedliche ökonomische Einschätzungen oder andersgelagerte ordnungspolitische Überzeugungen zutage treten, ist gut so: Das hilft dem Bundesrat und dem Parlament, wirtschaftspolitische Massnahmen unter unterschiedlichen ökonomischen Blickwinkeln zu betrachten. Denn letztlich tragen sie die politische Verantwortung für die Entscheide.

  1. Marion Fourcade, Etienne Ollion, Yann Algan (2015). The Superiority of Economists, Journal of Economic Perspective, Vol. 29, No. 1, Winter 2015, S. 89–114. []
  2. Justus Haucap, Tobias Thomas (2014). Wissenschaftliche Politikberatung: Erreicht der Rat von Ökonomen Politik und Öffentlichkeit? In: Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 56, Januar 2014; Silvio Borner (2014). Warum marktwirtschaftlich denkende Ökonomen an Einfluss verlieren, in: Liberales Institut, Oktober 2014; Juergen B. Donges (2002). Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung, in: Wirtschaft im Wandel, 9/2002; S. 239–247. Bruno S. Frey (2000). Was bewirkt die Volkswirtschaftslehre? In: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 1 (1), S. 5–33. []
  3. Etwa «positive» versus «normative» Wirtschaftspolitik; Arten der Wirtschaftspolitik wie Ordnungspolitik, Strukturpolitik, Prozesspolitik. []
  4. Juergen B. Donges / Andreas Freytag (2009: 1): Allgemeine Wirtschaftspolitik. Stuttgart, Verlag Lucius & Lucius. []
  5. Friedrich Breyer und Martin Kolmar (2010:10). Im Gegensatz dazu Altmann, Jörg (2007): Wirtschaftspolitik. Stuttgart, Verlag Lucius & Lucius, 8. Auflage. []
  6. «Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik einschliesslich der Arbeitsmarktpolitik, der Aussenwirtschaftspolitik und, gemeinsam mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), der Entwicklungspolitik und Ostzusammenarbeit.» Vgl. Art. 5 Organisationsverordnung für das Eidg. Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (OV-WBF). []
  7. Unter Ordnungspolitik ist die Schaffung von Rahmenbedingungen zu verstehen, in welchen die Märkte bezüglich Allokationseffizienz funktionsfähig sind und wirtschaftliche Machtkonzentration den Wettbewerb nicht erheblich einschränkt. []

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2015). Das Seco liefert der Politik ökonomisches Wissen. Die Volkswirtschaft, 23. Juli.

Beratungsgremien in den USA und Deutschland

Das Council of Economic Advisers ist dem US-Präsidenten unterstellt und berät den Präsidenten sowie andere Büros im Weissen Haus zu wirtschaftspolitischen Fragen. Das Expertengremium besteht seit 1946. Als wichtige Aufgabe erstellen die Ökonomen den jährlich erscheinenden «Economic Report of the President» (mehr Infos unter www.whitehouse.gov). In Deutschland berät seit 1963 ein unabhängiger Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Regierung und Öffentlichkeit. Auch dieses Ökonomenteam verfasst jährlich ein «Jahresgutachten» (siehe www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de).