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Langfristige Klimaversprechen sind schwer zu halten

Eine der gängigen Kritiken an die Politiker lautet, dass gewählte Volksvertreter in der Regel nicht über den Zeithorizont ihrer Wahlperiode agieren. Dies ist nicht überraschend. Denn Politiker, die nach einer Wiederwahl trachten, müssen die politische Nachfrage bis zum nächsten Wahltermin befriedigen. So gesehen gelten auf dem politischen Markt kurzfristige Wahlversprechen als starke Währung. Politische Entscheidungen, welche bis zum nächsten Wahltermin für eine spezifische Interessengruppe Vorteile bringen und die Kosten auf die breite Allgemeinheit überwälzen, sind deshalb besonders beliebt.

Anders verhält es sich bei der Klimapolitik. Seit dem Rio-Gipfel 1992 sucht die internationale Staatenvereinigung wiederholt nach Lösungen für globale Umweltprobleme. Dabei ist ganz entscheidend, dass die Staaten sich jeweils zu einer langfristigen Reduktion von Emissionen verpflichten – und diese Verpflichtung dann auch einhalten. Aktuell wird für Ende Jahr die UNO-Klimakonferenz in Paris vorbereitet, an der ein weltweites Klimaabkommen für die Jahre nach 2020 verabschiedet werden soll. Der Bundesrat hat dazu verlautbaren lassen, dass die Schweiz die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent (gegenüber 1990) reduzieren will. Bis 2050 sollen die Emissionen gar um 70–85 Prozent verringert werden.

Grundsätzlich ist es ein Zeichen von politischem Führungswillen, wenn generationenübergreifende Vorhaben durch langfristige Verpflichtungen untermauert werden. Es kann auch argumentiert werden, dass den wirtschaftlichen Akteuren durch solche Vorgaben aufgezeigt wird, auf welche Restriktionen sie sich über die nächsten 15 bis 35 Jahre einstellen müssen. Doch sind solche politische Commitments auch von Dauer – und damit glaubwürdig? Zweifel sind angebracht. Denn es gehört zum menschlichen Wesen, eine Präferenz für Gegenwartskonsum («Zeitpräferenz») zu haben.

Schon deshalb dürfte es der Staatengemeinschaft nicht leichtfallen, die Wählerschaft zu Hause dauerhaft zu überzeugen, dass sich eine starke Zurückhaltung bei Autofahrten oder Passagierflügen positiv auf das weltweite Klima in Jahrzehnten auswirkt. Hinzu kommt: Während die Kosten des Verzichtes für jeden Einzelnen unmittelbar spürbar sind, liegt der versprochene Nutzen ungewiss in ferner Zukunft.

Politiker denken an Wiederwahl


Langfristiges politisches Handeln unterliegt zudem dem Problem der Zeitinkonsistenz, welches bewirkt, dass glaubwürdige Ankündigungen politischer Entscheidungsträger vor der Realisierung oftmals über Bord geworfen werden. So bezweifelt heute kaum jemand, dass CO2-Emissionen generationenübergreifend reduziert werden sollten, um der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten; entsprechende politische Reduktionsversprechen, beispielsweise in Form einer Unterzeichnung eines internationalen Abkommens, sollten somit eigentlich glaubwürdig sein.

Dennoch wird die Politik später Mühe bekunden, sich zur konsistenten Umsetzung des Abkommens beispielsweise für wirksame, einschneidende Lenkungsabgaben einzusetzen. Vor Einführung der Abgaben werden sich Politiker mit Blick auf politischen Widerstand und das damit verbundene Risiko der Wiederwahl nämlich gut überlegen müssen, ob sie an früheren Verpflichtungen vollumfänglich festhalten wollen.

Damit sind wir beim dritten und schwierigsten Dilemma der langfristigen (Klima)politik. Klimaschutz ist ein öffentliches Gut, wo die Tendenz zum Trittbrettfahren besonders ausgeprägt ist. Sowohl als einzelner Konsument als auch als einzelnes Land besteht ein Anreiz, die Umsetzung von Langfristzielen allen anderen zu überlassen: Warum nicht von der Lösung des Klimaproblems profitieren, ohne die direkten Kosten aus dem Konsumverzicht schultern zu müssen? Weil viele Menschen und Länder entsprechend taktieren, dürfte Trittbrettfahren gerade im Klimabereich zur Regel werden. Alles in allem sind deshalb die Perspektiven für eine erfolgreiche, international koordinierte Klimapolitik wenig erhellend.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2015). Langfristige Klimaversprechen sind schwer zu halten. Die Volkswirtschaft, 24. September.