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Das Ende der Arbeit?

Roboter ersetzen Fabrikarbeiter, und der Computer erledigt Aufgaben von Büroangestellten. Macht die Digitalisierung den Arbeiter überflüssig?
Die Digitalisierung verändert auch den Gesundheitsbereich: Frau mit japanischem Therapieroboter «Paro». (Bild: Keystone)

Nach der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Automatisierung ist mit der Digitalisierung eine weitere technologische Revolution im Gange, die sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt.[1] Sie betrifft sowohl manuelle wie auch kognitive Aufgaben. Während im Zuge der letzten sogenannten industriellen Revolution, der Automatisierung, vor allem manuelle und kognitive Routinearbeiten automatisiert wurden, schafft die gegenwärtige Entwicklung auch Automatisierungsmöglichkeiten von nicht routinemässigen Aufgaben.

Die in den letzten Jahren entwickelten Roboter und Rechner verfügen heute schon über weitreichende kognitive Fähigkeiten und können dank Algorithmen riesige Datenmengen strukturieren. Die gegenwärtige Entwicklung setzt somit einerseits die seit Jahrzehnten fortschreitende Automatisierung fort und erschliesst andererseits neue Möglichkeiten wie selbstfahrende Autos, was vor wenigen Jahren noch als unrealistisch galt. Die aktuelle Technologie stösst jedoch an ihre Grenzen, wenn es um Aufgaben geht, die sensomotorische Fähigkeiten, Intuition und Kreativität verlangen und deshalb nicht einfach in Algorithmen zu fassen sind.[2] Die Frage nach den technologischen Möglichkeiten und Grenzen ist insofern von Bedeutung, als diese mitentscheidend ist für die Frage, welche Folgen die aktuelle Entwicklung auf den Arbeitsmarkt haben wird.

Die Digitalisierung verändert einerseits die Art und Weise, wie gewisse Tätigkeiten verrichtet werden. Die Computerisierung und Vernetzung der Büroarbeitsplätze ist ein anschauliches Beispiel dafür. Andererseits kann die Digitalisierung aber auch die Branchenstruktur verändern. Ein Blick auf die verschiedenen Branchen zeigt, dass die Entwicklung je nach Sektor unterschiedlich fortgeschritten ist: So hat sich die Digitalisierung beispielsweise in der Foto- und der Musikindustrie weitgehend durchgesetzt – mit erheblichen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Im Zentrum des aktuellen technologischen Wandels könnten mittel- bis langfristig beispielsweise auch die Logistik (hoher Automatisierungsgrad in der Lagerbewirtschaftung, selbstfahrende Fahrzeuge und Drohnen), die verarbeitende Industrie (neue Fertigungstechniken wie 3-D-Drucker und leistungsfähigere Robotertechnik), Finanzdienstleistungen (digitale Abwicklung von Hypothekar- und anderen komplexen Finanzgeschäften sowie deren Beratung) und der Gesundheitsbereich (digitale Diagnostik, Roboter-unterstützte Chirurgie, Logistikunterstützung in der Pflege) stehen.

Arbeitsplätze verschieben sich


Im Zusammenhang mit technischem Fortschritt treten regelmässig Befürchtungen auf, wonach zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen. Gegenwärtig stehen sich zur Frage, wie sich die Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung auswirken wird, zwei Thesen gegenüber: Die eine prognostiziert, dass die aktuelle Entwicklung disruptiven Charakter aufweist und im Gegensatz zu den vorangehenden Basisinnovationen vor allem bei Berufen mit mittlerem Anspruchsniveau in grossem Ausmass Stellen wegrationalisiert und keine vergleichbare neue Arbeitsnachfrage erzeugt.[3] Die zweite These geht zwar ebenfalls von kurz- bis mittelfristigen Nachfrageverschiebungen auf dem Arbeitsmarkt aus, in langer Sicht postuliert sie aber dennoch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Entstehung von neuen Jobprofilen.[4]

Die Prognose vom Ende der Vollbeschäftigung folgt aus der Beobachtung, dass die Möglichkeiten zur Substitution aufgrund der deutlich verbesserten IT, der künstlichen Intelligenz und der Robotertechnologie aktuell zunehmen. Vereinfacht gesprochen, erfolgt eine Substitution von Arbeitskräften, wenn sich die Automatisierung von Arbeitsschritten ökonomisch lohnt. So weit die betriebswirtschaftliche Sicht.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt sich dagegen die Frage, was mit den frei werdenden Arbeitsressourcen und den eingesparten Kosten geschieht. Denn die Automatisierung eines Arbeitsschrittes bedeutet nicht zwingend, dass die Gesamtnachfrage nach Arbeit zurückgeht. Wenn Automatisierungen etwa mit sinkenden Preisen für die Konsumenten verbunden sind, verfügen die Haushalte über höhere Realeinkommen, mit denen sie weitere Produkte und Dienstleistungen nachfragen. Ferner kann eine Automatisierung dazu führen, dass Unternehmen aufgrund gesteigerter Produktivität ihre Marktanteile vergrössern und sich dadurch ihr lokaler Arbeitskräftebedarf in anderen Bereichen des Unternehmens erhöht[5] oder dass Arbeitsplätze in neu entstehenden Wirtschaftsbereichen geschaffen werden.

Insgesamt verschiebt sich die Beschäftigung mit der Zeit in Felder, die sich durch Technologie nicht oder nur sehr kostenintensiv substituieren lassen. Welche Produkte und Dienstleistungen in Zukunft gefragt sein werden, lässt sich nicht vorhersagen, doch die Erfahrung zeigt: Es entstehen immer wieder neue Bedürfnisse, die auch Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.

Ein weiterer – bislang hierzulande wenig beachteter – Aspekt der Digitalisierung sind die Chancen, die sich in Branchen mit strukturellem oder erwartetem Fachkräftemangel eröffnen. Automatisierung kann dazu beitragen, dass Leistungen trotz fehlender Fachkräfte erbracht werden. So steht hinter der Entwicklung eines leistungsfähigen Hausbau-Roboters in Australien und Pflegerobotern in Japan in beiden Ländern namentlich die Zielsetzung, angesichts der demografischen Entwicklung Dienstleistungen zu sichern.

Veränderte Qualifikationsanforderungen


Mit den neuen Technologien werden andere Qualifikationen verlangt. Dadurch entsteht für Arbeitnehmende der Anreiz beziehungsweise die Notwendigkeit, sich auf die veränderte Nachfrage durch Weiterbildung respektive Umschulung anzupassen. Hier ist auch die Bildungspolitik gefordert.

Die nötigen Anpassungen erfordern unter Umständen Zeit, weshalb es zu kurz- bis mittelfristigen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt kommen kann. Jedoch dürften nicht alle Branchen und Berufsprofile von der aktuellen Entwicklung im gleichen Ausmass betroffen sein. Eine Studie gelangt für die USA zum Schluss, dass dort bis zu 47 Prozent der aktuellen Berufsbilder infolge der Digitalisierung wegfallen könnten, ohne allerdings einen konkreten Zeithorizont zu nennen.[6] Es ist nicht untypisch, dass die Prognose vage ausfällt, da sehr viele Unsicherheiten hinsichtlich des effektiv eintretenden technologischen Wandels und dessen Integration in die Wertschöpfungsketten der Unternehmen bestehen. Zudem ist schwierig einzuschätzen, wie problematisch ein solcher Befund aus Arbeitsmarktsicht tatsächlich ist.

So waren in der Schweiz in den letzten 20 Jahren bedeutende Verschiebungen in den Beschäftigungsanteilen zu erkennen, während insgesamt ein substanzielles Beschäftigungswachstum resultierte (siehe Abbildung). Eine wichtige Rolle spielte das Bildungsniveau: Während in akademischen Berufen mehr Personen beschäftigt wurden, sank die Zahl in anderen Berufsfeldern. Die Nachfrage ist ferner bei Dienstleistungen mit begrenzten Verlagerungsmöglichkeiten wie dem Verkauf gestiegen.

Beschäftigungswachstum nach Berufsgattungen in der Schweiz 1992 bis 2015




Anmerkung: Die Berufshauptgruppen sind in absteigender Reihenfolge nach dem durchschnittlichen Bildungsniveau der Erwerbstätigen geordnet.


Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake), BFS; eigene Berechnungen / Die Volkswirtschaft

Arbeitsbedingungen ändern sich


Wie wirkt sich der Strukturwandel auf die Löhne aus? Einerseits sinken Einkommen bei Tätigkeiten, wo infolge Automatisierung von Arbeitsschritten das Arbeitsangebot die Arbeitsnachfrage übersteigt. Andererseits ergeben sich Lohnsteigerungen, wenn sich die Produktivität infolge technologischen Fortschritts positiv entwickelt.

Zusätzlich werden durch die neuen digitalen Möglichkeiten die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durchlässig. Jüngst sind zudem im Umfeld von Sharing-Economy-Geschäftsmodellen neue Arbeitsverhältnisse entstanden, die an der Grenze zwischen Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit anzusiedeln sind. Diese neuen Modelle eröffnen einerseits neue Perspektiven, indem sie aufgrund flexibler Einsätze die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern können.[7]

Gleichzeitig stellen sich aber auch arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Fragen.[8] Die Herausforderung für die Gesetzgebung besteht grob gesagt darin, einen Rahmen zu setzen, welcher sowohl technologische Entwicklungen ermöglicht als auch die Arbeitnehmenden gezielt schützt.

Schweizer Arbeitsmarkt bisher robust


Derzeit besteht noch wenig gesichertes Wissen über die Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung in der Schweiz, wohl auch, weil es sich bisher um eine eher schleichende und nicht disruptive Entwicklung gehandelt hat. Insgesamt hat sich die Beschäftigung in der Schweiz in den letzten zehn Jahren trotz Finanzkrise, deutlicher Währungsaufwertung und fortschreitender Automatisierung im Gegensatz zu anderen Industriestaaten sehr robust entwickelt.

Ein überdurchschnittliches Wachstum war im dritten Sektor zu verzeichnen, doch konnte sich auch der zweite Sektor gut halten. Die Abbildung veranschaulicht das bildungsintensive Beschäftigungswachstum der letzten Jahre und enthält Hinweise, dass die Nachfrage unter anderem bei Tätigkeiten zurückgegangen ist, die sich in der Tendenz leicht automatisieren lassen. So fällt beispielsweise der Rückgang bei Bürofachkräften und Monteuren auf. Ein Indiz für die Bedeutung der Automatisierung beispielsweise in der Industrie ist, dass die Arbeitsproduktivität im Zeitraum 1995 bis 2013 mit 2,5 Prozent gegenüber der Gesamtwirtschaft mit 1,7 Prozent überdurchschnittlich ausfiel. Der damit verbundene Rückgang an Arbeitskräften wurde jedoch in anderen Bereichen mehr als kompensiert. So verbleibt auch die Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich ausserordentlich tief.

Die Schweiz hat somit unter anderem dank der etablierten Sozialpartnerschaft, dem kompetitiven dualen Berufsbildungssystem, ihrer Innovationskraft und der stabilen sozialen Sicherung strukturelle Veränderungen auch in der jüngeren Vergangenheit erfolgreich gemeistert.

  1. Vgl. Brynjolfsson und Mc Afee (2014). []
  2. Vgl. Autor (2015). []
  3. Siehe beispielsweise Brynjolfsson und Mc Afee (2014). []
  4. Siehe dazu Joël-Luc Cachelin (2015); Autor (2015). []
  5. Siehe Beispiel der Zahnbürstenherstellerin Trisa, die infolge Automatisierung von verschiedenen Tätigkeiten in den letzten zehn Jahren erhebliche Produktivitätssteigerungen verzeichnen konnte. Als Folge davon wuchs ihre Anzahl Mitarbeitende im gleichen Zeitraum von 780 auf 1250. Vgl. NZZ vom 19. April 2015, Wer überleben will, setzt auf Robotik. []
  6. Vgl. Frey und Osborne (2013). []
  7. So hat beispielsweise das amerikanische Unternehmen Uber die Anzahl seiner Taxifahrer in den letzten Jahren alle sechs Monate verdoppeln können. []
  8. Siehe dazu The Economist vom 9. Juli 2015, McJobs and UberJobs. []

Literaturverzeichnis

  • Autor, David H. (2015). Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation, in: Journal of Economic Perspectives; 29(3), 3–30.
  • Brynjolfsson, Erik; Mc Afee Andrew (2014). The Second Machine Age, Work, Progress and Propsperity in a Time of Brilliant Technologies, W.W. Norton & Co.
  •  Cachelin, Jean-Luc (2015). Digitalisierung als Jobmotor – Wie die Digitalisierung neue Märkte und Berufsbilder hervorbringt, Dulliken.
  •  Frey, Carl Benedikt; Osborne, Michael A. (2013). The Future of Employement: How Susceptible Are Jobs to Computerisation.
  •  Mokyr, Joel; Vickers, Chris; Ziebarth, Nicolas L. (2015). The History of Technological Anxiety and the Future of Economic Growth: Is This Time Different? In: Journal of Economic Perspectives; 29(3), 31–50.
  •  Oesch, Daniel (2013). Occupational Change in Europe: How Technology and Education Transform the Job Structure, Oxford University Press.

Bibliographie

  • Autor, David H. (2015). Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation, in: Journal of Economic Perspectives; 29(3), 3–30.
  • Brynjolfsson, Erik; Mc Afee Andrew (2014). The Second Machine Age, Work, Progress and Propsperity in a Time of Brilliant Technologies, W.W. Norton & Co.
  •  Cachelin, Jean-Luc (2015). Digitalisierung als Jobmotor – Wie die Digitalisierung neue Märkte und Berufsbilder hervorbringt, Dulliken.
  •  Frey, Carl Benedikt; Osborne, Michael A. (2013). The Future of Employement: How Susceptible Are Jobs to Computerisation.
  •  Mokyr, Joel; Vickers, Chris; Ziebarth, Nicolas L. (2015). The History of Technological Anxiety and the Future of Economic Growth: Is This Time Different? In: Journal of Economic Perspectives; 29(3), 31–50.
  •  Oesch, Daniel (2013). Occupational Change in Europe: How Technology and Education Transform the Job Structure, Oxford University Press.

Zitiervorschlag: Ursina Jud Huwiler (2015). Das Ende der Arbeit. Die Volkswirtschaft, 26. Oktober.