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Weshalb verfolgen Schweizer Multis an ausländischen Standorten unterschiedliche Investitionsstrategien?

Schweizer Konzerne sind als Investoren weltweit präsent. Dabei verfolgen sie je nach ihren Konkurrenzvorteilen und je nach der Art der Standortmerkmale einer Zielregion regional unterschiedliche Investitionsstrategien.
Einkaufsstrasse in Seoul. Der Tigerstaat Südkorea ist ein vielversprechender Absatzmarkt. (Bild: Shutterstock)

Die im Ausland getätigten Direktinvestitionen (FDI)[1] von Schweizer Firmen sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Dabei gewannen Osteuropa und Asien als Unternehmensstandorte an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund widmete sich die ökonomische Literatur vermehrt der Internationalisierung der Wirtschaft, wobei jedoch die Frage der Standortwahl vernachlässigt wurde. Insbesondere gibt es nur wenige Studien, die auf Unternehmensdaten basieren. Dieses Manko fällt ins Gewicht, spielt doch bei der Analyse der Standortwahl die Interaktion zwischen den Eigenschaften der im Ausland investierenden Firmen und den Strukturmerkmalen der Zielländer eine bedeutende Rolle.

In der diesem Beitrag zugrunde liegenden Studie[2] untersuchten wir für schweizerische multinationale Unternehmen die Wahl des Standorts für ihre FDI und dabei insbesondere den Zusammenhang zwischen spezifischen Eigenschaften der Mutterfirma und wichtigen Strukturmerkmalen von neun Zielregionen (EU/Efta, Nordamerika, Lateinamerika sowie je drei Teilregionen Osteuropas und Asiens). Die Analyse beruht auf Daten einer Unternehmensbefragung, welche die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im Jahr 2010 durchgeführt hat. Dabei zeigte sich, dass 552 Firmen im Ausland durch FDI präsent waren.[3] Bei der Präsentation der Resultate können wir uns ohne grossen Informationsverlust auf die Regionen EU/Efta, Nordamerika, Osteuropa sowie die drei asiatischen Teilregionen China, «Tigerstaaten»[4] und Indien/Südostasien beschränken.[5]

Standortmerkmale der Zielregionen


Tabelle 1 gibt einen summarischen Überblick über die für unsere Zwecke relevanten Standortmerkmale der Zielregionen. Die ersten drei Kategorien von Merkmalen beziehen sich auf Faktoren, die für die Attraktivität eines Standorts für unterschiedliche Arten von FDI (markt-, technologie-, kostenorientiert) von Bedeutung sind, während die vierte Kategorie das allgemeine Investitionsklima erfasst (Qualität der institutionellen Rahmenbedingungen).

Zwischen den Regionen bestehen beträchtliche Unterschiede, wobei Nordamerika (durchwegs grosse Standortvorteile) und Indien/Südostasien (durchwegs grosse Nachteile) die Extreme darstellen. Innerhalb von Asien sind die Differenzen erheblich, wobei die Tigerstaaten deutlich besser dastehen als die beiden anderen Teilregionen. Die Standortattraktivität der Tigerstaaten entspricht ungefähr der von Westeuropa und ist damit höher als jene Osteuropas. China ist in Asien in einer mittleren Position (grosses Marktpotenzial, tiefe Kosten vs. schwache Wissensbasis, ungünstiges institutionelles Umfeld).

Tabelle 1: Standortmerkmale ausgewählter Zielregionen von FDI














Standortmerkmale

EU/Efta

Nordamerika

Osteuropa

«Tigerstaaten» (Hongkong, Südkorea, Taiwan, Singapur)

China

Indien / übriges Südostasien

Markt

Wohlstand hoch sehr hoch mittel hoch niedrig sehr niedrig
Bevölkerungszahl hoch hoch hoch niedrig sehr hoch sehr hoch
Marktwachstum schwach schwach stark mittel sehr stark mittel

Wissen

Humankapital mittel sehr hoch hoch mittel niedrig sehr niedrig
Forschung hoch sehr hoch mittel sehr hoch niedrig sehr niedrig

Lohnkosten

hoch sehr hoch niedrig mittel sehr niedrig sehr niedrig

Investitionsklima

Institutioneller Rahmen (Qualität) mittel sehr gut schlecht sehr gut sehr schlecht sehr schlecht


Anmerkung: Zur Definition der Regionen siehe den Anhang in Arvanitis et al. (2011). Dort finden sich auch die Werte der Indikatoren, die der Beurteilung der Zielregionen zugrunde liegen.

Quelle: Arvanitis et al. (2015) / Die Volkswirtschaft

Modell 1: Auslanderfahrung, Innovationsintensität und Firmengrösse


Modell 1 zeigt, ob und allenfalls wie stark die firmenspezifischen Variablen mit der Präsenz in den einzelnen Zielregionen korrelieren (siehe Tabelle 2). Konkret: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Auslanderfahrung einer Firma (Zeitpunkt der ersten Auslandinvestition, Firmenalter), der Innovationsintensität (Forschung und Entwicklung, Humankapital) und der Firmengrösse einerseits und den Direktinvestitionen in den einzelnen Regionen (FDI ja/nein) andererseits?

Die Auslanderfahrung einer Firma erhöht die Wahrscheinlichkeit von FDI in sämtlichen Zielregionen. Nicht bestätigt wird dagegen die zentrale Hypothese des Stufenmodells der Internationalisierung[6], wonach beim Gang ins Ausland zuerst Standorte gewählt werden, die ähnliche Merkmale aufweisen wie das Inland, während in kulturell verschiedenen und weit entfernten Regionen erst mit wachsender Erfahrung investiert wird. Denn es sind eher die wenig erfahrenen Firmen, die in Regionen investieren, welche sich von der Schweiz deutlich unterscheiden (Osteuropa, Indien/Südostasien, China). Die erfahreneren Unternehmen dagegen sind besonders stark in den Regionen EU/Efta und Nordamerika vertreten. Dies bedeutet, dass die Auslanderfahrung weniger die Entscheidung beeinflusst, welcher Standort gewählt wird, als vielmehr die Entscheidung, wie viel in einem bestimmten Standort investiert wird.

Innovationsintensive Multis investieren in fast allen Regionen häufiger als Firmen mit geringer Wissensbasis. Besonders ausgeprägt ist dies in Nordamerika, China und den asiatischen Tigerstaaten. Für dieses Ergebnis sind bei den Schwellenländern firmenspezifische Wissensvorsprünge der schweizerischen Multis verantwortlich; in Nordamerika ist es die hohe Attraktivität der USA für «technology-seeking» FDI. Dass die Innovationsintensität einer Firma mit der Wahrscheinlichkeit von FDI in der Region EU/Efta nicht korreliert, hängt damit zusammen, dass dort «distributionsorientierte FDI» im Vordergrund stehen (siehe die Resultate zu Modell 2 in Tabelle 3).

Schliesslich – und wenig überraschend – sind es primär die grossen Unternehmen, die im Ausland investieren. Dies ist besonders ausgeprägt der Fall bei geografisch entfernten (Nordamerika) und zudem kulturell andersartigen Zielregionen (Indien/Südostasien, China).

Tabelle 2: Wahrscheinlichkeit von Direktinvestitionen (Modell 1)










EU-15/ Efta

Nordamerika

Osteuropa

China

Asiatische Tigerstaaten

Indien / übriges Südostasien

Erstmals FDI vor 1990 (Auslanderfahrung) 1.066a 1.174a 0.681a 0.860a 1.049a 0.781a
Erstmals FDI 1990 bis 2000 (Auslanderfahrung) 0.569b 0.907a 0.153 0.713a 0.628b 0.279
Firmenalter –0.024 –0.007 –0.047 –0.009 –0.042 –0.153c
F&E-Intensität –0.018 0.113a 0.089a 0.048c 0.054c 0.046
Anteil Hochqualifizierte –0.007 0.220b –0.108 0.259b 0.225b 0.164c
Firmengrösse 0.130c 0.217a 0.172a 0.208a 0.137a 0.216a


Anmerkung: Die Angaben in der Tabelle sind die Koeffizienten der entsprechenden Determinanten (z. B. Firmenalter oder F&E-Intensität) aus einer multivariaten Regression, bei welcher die abhängige Variable die Wahrscheinlichkeit von FDI in einer bestimmten Region (z. B. Nordamerika) ist. Die Vorzeichen der Koeffizienten zeigen einen positiven oder negativen Zusammenhang zwischen der betreffenden Variablen und der abhängigen Variablen, der Wert des Koeffizienten das Ausmass dieses Zusammenhangs.

a Statistische Signifikanz beim 1-Prozent-Testniveau

b Statistische Signifikanz beim 5-Prozent-Testniveau

c Statistische Signifikanz beim 10-Prozent-Testniveau

Quelle: Arvanitis et al. (2015) / Die Volkswirtschaft

Modell 2: Leistungsflüsse innerhalb des multinationalen Unternehmens


Anhand von Modell 2, das sich auf die Leistungsflüsse zwischen Mutterfirma und Auslandtochter bezieht, lassen sich verschiedene Arten von FDI unterscheiden. Vertikale FDI liegen vor, wenn die mit FDI verbundenen Lieferungen von der Tochter zur Mutter jene in umgekehrter Richtung übersteigen (hohe «inflows», niedrige «outflows). Dies gilt für die wirtschaftlich zurückliegenden Regionen China und Indien/Südostasien, etwas weniger ausgeprägt auch für Osteuropa (siehe Tabelle 3).

Bei distributionsorientierten FDI dominieren die mit FDI verbundenen Lieferungen von der Mutter zur Tochter (hohe «outflows», niedrige «inflows»). Dies trifft insbesondere für die Region EU/Efta zu, weniger stark auch für die asiatischen Tigerstaaten und Nordamerika. Im nahen Westeuropa ist das Resultat darauf zurückzuführen, dass FDI vorwiegend dem Verkauf von in der Schweiz produzierten Gütern und Dienstleistungen dienen. Dagegen beruht die Erschliessung weit entfernter Absatzmärkte (Tigerstaaten) auf der Distribution dort gefertigter Produkte (horizontale FDI). Dass bei FDI in Osteuropa neben hohen «inflows» auch die Leistungen der Mutter an die Tochter («outflows») von einigem Gewicht sind, deutet darauf hin, dass Osteuropa infolge des seit der Wende starken Wachstums auch als Absatzmarkt attraktiv geworden ist.

Tabelle 3: Leistungsflüsse zwischen Mutter- und Tochterunternehmen (Modell 2)






EU-15/ Efta

Nordamerika

Osteuropa

China

Asiatische Tigerstaaten

Indien / übriges Südostasien

Lieferungen von der Tochter an die Mutter («inflows») –0.061 0.015 0.125a 0.080b 0.034 0.079b
Lieferungen von der Mutter an die Tochter («outflows») 0.185a 0.076b 0.087a 0.044 0.073b 0.002


Vgl. Anmerkung bei Tabelle 2.

 a Statistische Signifikanz beim 1-Prozent-Testniveau

b Statistische Signifikanz beim 5-Prozent-Testniveau

Quelle: KOF / Die Volkswirtschaft

Modell 3: Motive bei produktionsorientierten FDI


Modell 3 bezieht sich auf diejenigen schweizerischen Firmen, die im Ausland produzieren, d. h. dort nicht nur aus der Schweiz stammende Produkte vertreiben. Für diese liegen Informationen zu den Motiven für FDI vor, die es erlauben, zwischen vertikalen und horizontalen FDI zu unterscheiden. Basierend auf einer Verdichtung der subjektiven Angaben der Firmen zur Bedeutung von zwanzig sich inhaltlich überlappenden Motiven mithilfe einer «Faktoranalyse» lassen sich vier Motivgruppen identifizieren (siehe Tabelle 4). Die Resultate zeigen, dass nur zwei dieser Gruppen einen wesentlichen Einfluss auf die Standortwahl für FDI ausüben, nämlich «Marktmotive» (Erschliessung neuer bzw. Sicherung bisheriger Märkte, frühe Präsenz im Zielmarkt, Hauptkonkurrent ist im Zielmarkt aktiv usw.) und «Kostenmotive» (tiefere Lohnkosten, grösseres Angebot an natürlichen Ressourcen usw.). Ein signifikanter Einfluss der Marktmotive deutet auf horizontale FDI hin, eine grosse Bedeutung der Kostenmotive verweist auf vertikale FDI.

Tabelle 4: Standortattraktivität der Zielregionen für FDI im Urteil der Firmen (Modell 3)








 

 

Vorteile hinsichtlich:

EU-15/ Efta

Nordamerika

Osteuropa

China

Asiatische Tigerstaaten

Indien / übriges Südostasien

Marktchancen –0.008 0.239a 0.192a 0.325a 0.226a 0.112
Regulierung 0.049 0.133b –0.054 0.000 –0.004 0.029
Kosten –0.142b –0.056 0.358a 0.263a –0.043 0.145b
Verfügbarkeit von Ressourcen –0.038 0.094 –0.008 0.066 –0.026 –0.009


Vgl. Anmerkung bei Tabelle 2.

a Statistische Signifikanz beim 1-Prozent–Testniveau

b Statistische Signifikanz beim 10-Prozent–Testniveau

Quelle: KOF / Die Volkswirtschaft

Wie Modell 3 zeigt, beeinflusst keines der beiden Hauptmotive die Wahl der Region EU/Efta als Standort von FDI. Dieses Resultat weist – in Übereinstimmung mit den Ergebnissen für Modell 2 – auf die Dominanz distributionsorientierter FDI hin. Erwartungsgemäss sind kostenorientierte (vertikale) FDI nur für Osteuropa, China und Indien/Südostasien relevant. Allerdings spielen im Fall von Osteuropa auch Marktmotive (horizontale FDI) eine gewisse Rolle. Dies gilt noch ausgeprägter für FDI in China, wo Marktmotive – wegen des grossen Marktpotenzials – sogar noch relevanter sind als Kostenmotive. FDI in den Tigerstaaten sind vorwiegend horizontaler Natur, was aufgrund ihres hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes nicht überrascht. Auch in Nordamerika dominieren marktorientierte (horizontale) FDI, wobei auch der geringe Regulierungsgrad diesen Standort für FDI attraktiv macht.

FDI stärken die Produktivität der Schweizer Wirtschaft


Die Chancen einer Internationalisierung der Wirtschaft über ausländische Direktinvestitionen sind grösser als die Risiken. Evident ist dies für marktorientierte (horizontale) und distributionsorientierte FDI, die vor allem für die Investitionsbeziehungen mit Nordamerika, Westeuropa und den asiatischen Tigerstaaten kennzeichnend sind. Aber auch kostenorientierte (vertikale) FDI – insbesondere in Asien und Osteuropa verbreitet, z. T. zusätzlich zu marktorientierten FDI – sind aus volkswirtschaftlicher Sicht positiv zu bewerten. Denn solche Direktinvestitionen zur Verlagerung von Unternehmensaktivitäten (eine meist «defensive» Strategie) lassen sich mittelfristig in den meisten Fällen ohnehin nicht verhindern. Vielmehr sind sie ein normales Element des Strukturwandels in einer hoch entwickelten Volkswirtschaft.

Massnahmen zur Verzögerung dieses Wandels sind nicht sinnvoll, da dieser zum Produktivitätsfortschritt einer Volkswirtschaft beiträgt. Auch aus Kostengründen vorgenommene Teilverlagerungen (eine «offensive» Massnahme), die der Optimierung der Wertschöpfungskette dienen (Fragmentierung des Produktionsprozesses), sind vorteilhaft, erhöhen sie doch die Leistungsfähigkeit einer Firma. Damit werden unmittelbar die verbleibenden Arbeitsplätze gesichert und gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen, damit mittelfristig neue (höherwertige) Stellen entstehen können. Es besteht deshalb wenig Grund, kostenorientierte FDI zu beklagen, ausser es komme in kurzer Zeit zu einer Häufung kostenbedingter Verlagerungen. In welchem Mass dies nach der Frankenaufwertung von Anfang 2015 der Fall war, lässt sich heute nicht abschätzen.

  1. FDI umfassen Investitionen einer Firma im Ausland, wobei neben 100-Prozent-Tochtergesellschaften auch Beteiligungen (inkl. Minderheitsbeteiligungen) enthalten sind. Reine Finanzanlagen (Portfolioinvestitionen) sind jedoch keine FDI. []
  2. Grundlage ist ein Artikel der Autoren, der in der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik erschienen ist (2015, Heft 4, 261-298). []
  3. Arvanitis et al. (2011). Exportpotenziale im Dienstleistungssektor. Die Internationalisierung des Dienstleistungssektors und der Industrie der Schweizer Wirtschaft. Strukturberichterstattung des Seco, Nr. 47/1, Bern. []
  4. Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur. []
  5. Die Resultate für die osteuropäischen Teilregionen entsprechen jenen für Osteuropa insgesamt. Weggelassen haben wir auch die Ergebnisse für Lateinamerika, die teilweise nicht schlüssig sind. []
  6. Johanson, J. and J.E. Vahlne (1977). The Internationalization Process of the Firm: a Model of Knowledge Development and Increasing Foreign Market Commitments. Journal of International Business Studies 8(1), 23-32. []

Zitiervorschlag: Spyros Arvanitis, Heinz Hollenstein, Tobias Stucki, (2016). Weshalb verfolgen Schweizer Multis an ausländischen Standorten unterschiedliche Investitionsstrategien. Die Volkswirtschaft, 30. März.

Von der Forschung in die Politik

Die «Volkswirtschaft» und die ­Schweizerische Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik verbessern den Wissenstransfer von der For­schung in die Politik: Aktuelle wissen­schaftliche Studien mit einem starken Be­zug zur schweizerischen Wirtschafts­poli­tik erscheinen in einer Kurzfassung in der «Volkswirtschaft».