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Nicht jeder Kunde ist ein Schnäppchenjäger

Preiskämpfe treiben Unternehmen bis in den Ruin. Deshalb ist es aus Unternehmenssicht sinnvoller, eine langfristige Kundenbeziehung aufzubauen. Kunden hingegen können mit einem klugen Preisverhalten ihr Budget schonen.
Schaufensterpuppen locken mit Rabatten. Diese Strategie verfängt bei markentreuen Kunden nicht immer. (Bild: Keystone)

Der Preis ist der in Geld ausgedrückte Tauschwert eines Produktes. Als geldliches Äquivalent finden wir ihn ausser bei den Marktpreisen auch bei Gebühren oder Tarifen. Die Entwicklung des Einzelhandels stärkte das Konzept des Einheitspreises: ein einheitlicher Preis für ein Produkt. Das Internet wiederum ermöglicht – etwa mit Auktionsplattformen – vermehrt Individualpreise. Bei einem solchen Gleichgewichtspreis entspricht die nachgefragte Menge der angebotenen, so die klassische Volkswirtschaftslehre.

Ein Preismanagement einer Unternehmung hat sich am Markt (Kundennutzen), an der Konkurrenz (Kostensituation, Preise, Verhaltensweisen), an den Kosten (Deckungsbeitrag, Gewinn, Produktionsverfahren) und an den nicht preislichen Marketingaktivitäten (Markenführung, Produkt, Werbung) zu orientieren. Der Preis ist ein flexibles und schnelles Marketinginstrument, das kurzfristig variierbar ist (Aktionen). Das Preismanagement ist gleichzeitig ein wirkungsstarkes Instrument, da es mit seiner Gestaltung auf den Umsatz einwirkt, Angebote mittel- und langfristig positioniert sowie das Überleben einer Unternehmung ertragsmässig sichert.

Bei der Preisbildung ist zwischen zwei Zielen zu unterscheiden: Preisführerschaft und Leistungsdifferenzierung. Die Preisführerschaft ist als Preis-Mengen-Strategie Ausdruck eines vereinfachten Marketings. Ausprägungen sind ein direkter Vertriebsweg und eine klare Positionierung über den Preis. Der oft resultierende Preiswettbewerb führt zu marktlicher Unflexibilität (Einbahnstrategie) sowie zu einem Verdrängungswettbewerb. Die Anbieter wollen dabei den eigenen Marktanteil erhöhen und ihre Mitbewerber schwächen. Eine Preissenkung führt jedoch nicht zwingend zu Umsatzerhöhungen, weil konkurrierende Anbieter die Preissenkungen nachvollziehen und ruinöse Preiswettbewerbe in der Branche drohen.

Demgegenüber sucht die Leistungsdifferenzierung (Präferenzstrategie) mit Einmaligkeiten aus Kundensicht (Design, Dienstleistungen, Emotionen, Marke) eine langfristige Kundenbindung aufzubauen. Langfristig gebundene Kunden sind eher profitable Kunden und verhalten sich preisunelastischer. Sie sind beispielsweise einer Marke relativ treu, unabhängig von Preissteigerungen

Bei der Preisbestimmung mittels Zuschlagskalkulation (Cost Plus-Pricing) entspricht der Preis der Summe aus Kosten für Beschaffung/Herstellung sowie für Vertrieb/Verwaltung plus Gewinn für das Unternehmen. Dieses Verfahren ist methodisch einfach und anhand fester Kalkulationsschemata vollziehbar. Da es auf relativ harten Kostendaten aufbaut, erlaubt es eher eine bessere Bewältigung preislicher Risiken wie Fremdwährungen oder Preiswettbewerb.

Das Konzept des Target Pricing (Target Costing) geht demgegenüber von einem (globalen) tragfähigen Marktpreis (Target Price) aus: Es gilt kunden- und konkurrenzorientiert einen am Markt erzielbaren Preis zu ermitteln, von dem ausgehend man durch Abzug eines geplanten Gewinns die maximal zulässigen Kosten (Target Costs) erhält. Die Stärken dieses Vorgehens liegen in der klaren Marktorientierung, die Schwierigkeiten im Erkennen und Festlegen eines (globalen) Marktpreises. Im Sinne von Preisexperimenten können diese Marktpreise im Einzelhandel beim Einkaufen mittels (Self-)Scanning-Systemen und im E-Commerce mittels Auktionen ermittelt werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht auch die Schätzung von Preisabsatzfunktionen und -elastizitäten.

Kunden reagieren auf Preisänderungen


Die Wirkungen von Preisänderungen sind abhängig von den Preiselastizitäten. Diese sind das Verhältnis der relativen Änderung der Produktnachfrage zu der relativen Änderung des Produktpreises. Eine geringe Preiselastizität liegt beispielsweise dann vor, wenn eine Preissenkung von 20 Prozent eine Zunahme der Absatzmenge von 10 Prozent bewirkt: Hier weist die Preiselastizität einen Wert von –2 auf. Das Minuszeichen rührt daher, dass Mengen- und Preisänderungen entgegengesetzt verlaufen. Ein Wert von –2 resultiert deshalb auch dann, wenn der Preis um 20 Prozent zunimmt und der Absatz um 10 Prozent zurückgeht.

Anbieter versuchen mittels einer emotionalen Marke oder eines einmaligen Designs in einer gewissen Preisspanne einen unelastischen Bereich zu schaffen. In diesem Preisintervall kann ein Anbieter wie ein Monopolist agieren: Preisänderungen lösen keine mengenmässigen Absatzrückgänge und Abwanderungen zur Konkurrenz aus (doppelt geknickte Preisabsatzfunktion).

Eine empirisch gemessene relativ hohe Preiselastizität finden wir beispielsweise bei Konsumgütern wie Kaffee oder Papiertüchern. In der Literatur finden wir die verschiedensten empirischen Schätzungen von Preiselastizitäten[1].

Da die festgelegten Preise einen hohen Einfluss auf die Gewinnsituation der anbietenden Unternehmung haben, sind Preisänderungen und -nachlässe mit Vorsicht zu tätigen: So senkt eine 1-prozentige Anhebung des Preises den Betriebsgewinn gemäss verschiedenen Studien um rund 10 Prozent (und umgekehrt).

Die Preisdifferenzierung ist, oft in Verbindung mit einer Produktdifferenzierung, eine tragende preispolitische Möglichkeit zwecks einer differenzierten Marktbearbeitung: Sie hilft, neue Käufergruppen (Marktsegmente) zu erschliessen. Dazu müssen jedoch unterschiedliche Preisbereitschaften vorliegen und die Segmente identifizierbar und bearbeitbar sein.

Da eine Preisbildung nie isoliert betrachtet werden darf, sind die Potenziale von nicht preislichen Mehrwerten (Marke, Produktqualität, Service) und die vom Kunden wahrgenommenen Werte (Perceived Values) zu klären.

Internet bringt dem Kunden mehr Preistransparenz


Der Preis ist eine eindimensionale Grösse und ermöglicht dem Kunden einen relativ einfachen und schnellen Vergleich alternativer Leistungsangebote. Die Einstellungen und Erwartungen des Kunden gegenüber einem fairen Preis für eine Produktgruppe sind Ausdruck seines Preisbewusstseins. Dieses Bewusstsein ist ein subjektives Bezugssystem über den angemessenen Preis einer Leistung und zeigt sich in einer vagen Preisvorstellung. Ist der Kunde bereit, diesen angemessenen Preis im Sinne eines Toleranzbereiches zu bezahlen, so hat er eine Preisbereitschaft. Bei Produkten mit einem relativ hohen Engagement des Kunden ist diese Bereitschaft eng mit Image- und Qualitätsvorstellungen verbunden (High Involvement Products).

Suchen Kunden nach Preisinformationen – beispielsweise im Internet oder in Katalogen –, sprechen wir von einem Preisinteresse des Kunden. Dabei spielen die Persönlichkeit (Erfahrung, Herkunft, Motivation, Produktinvolvement), die Kaufsituation (Information, Verkaufsraum, Zeitdruck) und das subjektiv empfundene Kaufrisiko eine entscheidende Rolle. Letzteres ist die individuelle Unsicherheit in der Einschätzung der Kauffolgen und kann finanzieller, funktionaler, gesundheitlicher, psychischer oder sozialer Natur sein. Mobile Apps reduzieren beispielsweise in gewissen Kaufsituationen solche finanzielle und funktionale Risiken.

Dieses Preisinteresse führt über die Zeit zu einem Preiswissen (Preiskenntnis) über Einzelpreise, Preislagen[2], Preisverteilungen (Vertriebskanäle, Saison) und Referenzpreise. Dabei finden wir eine Vielzahl von möglichen Referenzpreisen: beispielsweise den üblichen Preis, den zuletzt bezahlten Preis, den zukünftig erwarteten Preis oder den als fair empfundenen Preis. Auch hier erleichtert das Internet umfassende Preisvergleiche, schafft Preistransparenz und erhöht für die Anbieter die Wettbewerbssituation.

Im Prozess der Preisbeurteilung spielt insbesondere im Einzelhandel die Preisschwelle, oft Ausdruck einer psychologischen Preispolitik, eine wesentliche Rolle: Sie gliedert sich in runde Preise, die knapp über einem runden Betrag liegen (beispielsweise Fr. 2.09), in glatte Preise auf «psychologischem Niveau» (1.99), in rein glatte Preise (2.00) und in gebrochene Preise (1.95).[3] Für gebrochene Preise finden wir verschiedene Erklärungen, sei es, dass Kunden einen Produktpreis von 199 Franken eher der 100- als der 200-Franken-Preisspanne zurechnen, oder sich an gebrochene Preise eher erinnern. Preisschwellen können insbesondere bei Preiserhöhungen eine wesentliche Rolle spielen, da bei ihrer Überschreitung Anbieter einen nachhaltigen Umsatzrückgang befürchten.

Bumerangeffekt bei Irreführungen


Bestimmte Preisdarstellungen können Kunden irreführen und den Impulskauf fördern. So erwecken optisch hervorgehobene Preise (Farben, Schriftgrösse, Symbole) eher den Eindruck von niedrigen Preisen. Möglicherweise werden dabei jene Kunden irregeführt, welche besonders preisbewusst sind. Bei Übertreibungen kann jedoch eine Ablehnung durch den Kunden erfolgen: Diese individuelle Reaktanz ist eine mögliche Gegenreaktion auf eine als übermässig empfundene Beeinflussung (Bumerangeffekt).

In einem umfassenderen Verständnis ist der totale Preis Ausdruck aller mittelbaren und unmittelbaren Kosten, welche für den Käufer einer Leistung im Lebenszyklus dieser Leistung entstehen: Informations-, Beschaffungs-, Installations-, Betriebs-, Instandhaltungs- und Entsorgungskosten. Diese «Total Costs of Ownership» sind beim Kauf oft unbekannt, da sie nicht bzw. noch nicht erfasst werden können (Garantieleistung, Produktqualität usw.) oder nicht bewertbar sind (Ärger, Freude usw.). Überschreiten diese Kosten im Produktlebenszyklus die erwarteten Kosten, so kann dies beim Kunden zu nachträglicher Unzufriedenheit, zur Reue nach dem Kauf führen (kognitive Dissonanz). Für den Anbieter ist daher wesentlich, ob beispielsweise beim Autokauf ein potenzieller Käufer den einmaligen Anschaffungspreis oder die gesamten Lebenszykluskosten als Entscheidungskriterium wählt.

Kunden erwarten ehrliche Preise. Diese Preisehrlichkeit zeigt sich in der Angemessenheit und der jeweiligen Einheitlichkeit der Preise. Sie stärkt das (Preis-)Vertrauen und die langfristige Kundenbeziehung, sie sichert der anbietenden Unternehmung langfristig den Ertrag.

  1. Diller, H. (2008), Preispolitik, Stuttgart; Olbrich, R. und Battenfeld, D. (2014). Preispolitik, Berlin. []
  2. Preislagen unterteilen ein Produktsortiment in verschiedene Preishöhen, um den Kunden den Überblick über die unterschiedlichen Artikel/Qualitäten einer Produktgruppe zu erleichtern, beispielsweise Herrenhemden mit Preislagen von Fr. 49, Fr. 99 und Fr. 139. []
  3. Andere Autoren bezeichnen Preise, welche mit den Ziffern 1 bis 9 enden, als gebrochene Preise und solche, die auf volle 10 Rappen lauten (z. B. 2.10), als runde Preise. []

Zitiervorschlag: Hans Peter Wehrli (2016). Nicht jeder Kunde ist ein Schnäppchenjäger. Die Volkswirtschaft, 23. März.