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Winterthur entwickelt sich von der Energiestadt zur Smart City

Die Stadt Winterthur sieht technologische und gesellschaftliche Entwicklungen als Chance. Die der Nachhaltigkeit verschriebene 100'000-Einwohner-Stadt will sich deshalb zu einer Smart City entwickeln.
Wer verbraucht wann wie viel Strom? Winterthur wertet solche Daten – unter Einhaltung des Datenschutzes – aus. (Bild: Michael Lio)

Winterthur hat eine lange Industriegeschichte und ist Trägerin des Labels Energiestadt Gold. Diese europäische Auszeichnung geht an Städte, welche ihre Energieeffizienz stark verbessern und auf erneuerbare Energien setzen. Hier knüpft die gemeinsame Initiative aus Verwaltung, Wirtschaft und Forschung – «Smart City Winterthur» – an: Zentrale Motive sind die Schonung natürlicher Ressourcen, die Digitalisierung und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen sowie gesellschaftliche Entwicklungen wie die Flexibilisierung von Lebens- und Arbeitsformen (siehe Kasten).

Die Aktivitäten von Smart City Winterthur orientieren sich am Grundsatzbeschluss für eine nachhaltige Entwicklung und den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft, die von der Winterthurer Stimmbevölkerung im November 2012 verabschiedet wurden. Angestossen durch die trinationale Städteinitiative «D-A-CH – Energieeffiziente Stadt», zu der sich Deutschland, Österreich und die Schweiz bekannt haben, bildete sich im Jahr 2013 eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern der Stadtverwaltung, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und von Energie Bewegt Winterthur, dem Verein zur Förderung des Wirtschaftsclusters Energie Region Winterthur.

Zusammenarbeit mit Genossenschaften im Talgut-Quartier


Drei erste Projekte von Smart City Winterthur konnten mit der Unterstützung des Bundesamtes für Energie (BFE) realisiert werden: Im Projekt «Sanierungsvorhaben smart gestalten» wurde beispielsweise versucht, die Idee auf die Ebene von Quartieren und Siedlungen zu übersetzen. Dazu wurde anhand eines konkreten Fallbeispiels, des Winterthurer Talgut-Quartiers, mit den dortigen Wohnbaugenossenschaften zusammengearbeitet. Nach einer Quartieranalyse, welche die Rahmenbedingungen und Entwicklungsziele aufnahm, wurden Massnahmen entwickelt, die den Energie- und Ressourcenverbrauch reduzieren und die Lebensqualität erhöhen sollen.

Der Fokus lag auf potenziellen Synergien und vorhandenen Ressourcen im Quartier. Aus einem breiten Spektrum an Ideen wurde die gemeinsame Nutzung der Grünflächen und der Freiräume als besonders vielversprechend erachtet. Ebenfalls von grosser Bedeutung sind ein Mobilitätsmanagement mit Angeboten bezüglich nachhaltiger Transportmittel und -infrastruktur sowie die Anzeige des Energieverbrauchs und eine nachbarschaftliche Energieberatung.

Die Zusammenarbeit mit den Genossenschaften zeigte die vielen Anwendungsfelder im Quartier auf, die zu den Zielen Ressourcenschonung und Lebensqualität beitragen. Des Weiteren ist die Frage, wie man die Mieter sensibilisieren und begeistern kann für ein Projekt, für viele Genossenschaften von grossem Interesse, da sie sich damit auch in ihrem Alltag oft beschäftigen.

Die technischen Möglichkeiten bezüglich Energieeffizienz in Gebäuden dagegen sind bei den Genossenschaften bereits gut bekannt und verankert. In der Projektevaluation wurde die Zusammenarbeit über lange Zeiträume als kritischer Faktor für Quartierentwicklungsprojekte genannt. Daher muss die Zusammenarbeit institutionalisiert werden, damit sie nicht am Engagement von Einzelpersonen hängt. Alle erarbeiteten Massnahmen und die Erkenntnisse aus dem Prozess werden im Leitfaden «Smarte Quartiere» zusammengefasst, der Mitte 2016 erscheinen und unter Smartcitywinterthur.ch zum Herunterladen bereitstehen wird.

Smart City Winterthur initiiert und begleitet weitere Projekte, die zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen: Das übergeordnete Ziel ist dabei immer die Entwicklung, Erprobung und Umsetzung von neuen Lösungen, welche technische und soziale Innovationen intelligent einsetzen und kombinieren. Hier vier Beispiele:

Saisonspeicher für Brenngut


Die Kehrichtverwertungsanlage von Stadtwerk Winterthur nutzt die im Abfall enthaltene Energie zur Strom- und Wärmeproduktion. Damit die Nachfrage im Fernwärmegebiet auch im Winter gedeckt werden kann, wurde in einer Machbarkeitsstudie der Bau eines Saisonspeichers für Brenngut geprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass dies grundsätzlich machbar und die Energiebilanz positiv ist. Offene Fragen zur Wirtschaftlichkeit sowie zu planerischen Aspekten sind in weiteren Schritten zu klären.

Stromverbrauchsanalyse


Zur Einführung zukünftiger sogenannter Smart Grids wurden von der ZHAW School of Engineering in Zusammenarbeit mit der Stadt Winterthur und dem Stadtwerk Winterthur Stromverbrauchsmuster von rund 300 Haushalten ausgewertet und der Einfluss von sozioökonomischen Faktoren untersucht. In ersten Schritten konnte aufgezeigt werden, wie innerhalb der städtischen Verwaltung bereichsübergreifende Daten in grossem Umfang erhoben und zusammengeführt werden können (Stichwort: Big Data).

Für die Auflagen des Datenschutzes – die Daten dürfen nicht rückverfolgbar sein – wurde eine Lösung gefunden. In einer Cluster-Analyse konnten die Haushalte neun Verbrauchertypen zugeordnet werden.

Grundlagenstudie Bicar


Die ZHAW hat ein Mobilitätskonzept entwickelt, das auf einem Sharingsystem beruht. Dereinst sollen Benutzer dreirädrige Elektrofahrzeuge – sogenannte Bicars (von Englisch Bike und Car) – ausleihen können. Als nächster Schritt wird nun ein Testbetrieb geprüft. Dieser könnte aufzeigen, wie urbane Mobilität (energie)effizient und nutzerorientiert umgesetzt werden kann.

Social Power


Social Power ist eine Kooperation zwischen Fachhochschulen, städtischen Energiebetrieben und der Privatwirtschaft. Das von der Gebert-Rüf-Stiftung finanzierte Forschungsprojekt untersucht mit einer Spiel-App das Potenzial, Haushalte zu einer langfristigen Verhaltensänderung beim Energiekonsum zu bewegen. Dabei kommen verschiedene Spielmechanismen zum Einsatz. Eine wichtige Rolle spielen soziale Interaktionen und ein Energie-Feedback.

Weitere Handlungsfelder wie Wohnen und Gesundheit


Dem globalen Megatrend Smart City wird ein Milliardenpotenzial an Wertschöpfung zugesprochen. Das Konzept lässt sich zudem auf die regionale und lokale Ebene übertragen, wo beispielsweise ein «Smart Home» oder eine «Smart Mobility» Potenzial für wesentliche Energieeinsparungen und eine nachhaltige Entwicklung aufweisen.

Bei Smart City Winterthur sollen zukünftige Projekte über Energiethemen hinausgehen und weitere Handlungsfelder wie Mobilität, Wohnen, Gesundheit, Ausbildung, Verwaltung, Informations- und Kommunikationstechnologien umfassen. Entsprechend werden die Teilprojekte über verschiedene Kanäle sowohl in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Ein zentrales Instrument dazu ist die Website von Smart City Winterthur. Für eine breitere Wirkung und Abstützung des Prozesses wird die Beteiligung an der Initiative schrittweise erweitert.

Die Entwicklung einer Smart City ist ein kontinuierlicher Prozess. Winterthur steht wie viele andere Städte noch am Anfang. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, in welcher Form Smart City Winterthur dazu beitragen kann, technische und soziale Innovationen intelligent einzusetzen und damit die Lebensqualität zu steigern und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren.

Zitiervorschlag: Katrin Bernath, Vicente Carabias, Andreas Mächler, (2016). Winterthur entwickelt sich von der Energiestadt zur Smart City. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.

Wie definiert Winterthur «Smart City»?

Eine Smart City ist eine fortschrittliche, vernetzte Stadt, die sich durch eine hohe Lebensqualität und einen effizienten Ressourceneinsatz auszeichnet.a Wichtig für die Steigerung der Lebensqualität und die Reduktion des Ressourcenverbrauchs ist ein gesamtheitlicher Ansatz, der ein themen- und organisationsübergreifendes Vorgehen erfordert. Intelligente und innovative Lösungen umfassen sowohl technische als auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen. Im Vordergrund von Smart City Winterthur steht der Prozess: Die Beteiligten entwickeln die Zielsetzungen und Aktivitäten kontinuierlich weiter.

aVgl. Definition von Peter Richner (Empa) auf Smartcity-schweiz.ch