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Schweizer Städte verschlafen einen Trend

In der Schweiz sind die Voraussetzungen für Smart-City-Konzepte hervorragend. Dennoch tut sich erstaunlich wenig.

Schweizer Städte verschlafen einen Trend

Norwegen treibt Smart City voran: Auf dem ehemaligen Flughafengelände plant Oslo ein Geschäftsviertel auf dem neusten Stand der Technik. (Bild: Keystone)

Im Sog der Digitalisierung verändern sich die Märkte schneller als je zuvor. Stellt man die Chancen, welche neue Technologien bieten, städtischen Herausforderungen wie Verkehrsproblemen, sozialem Ungleichgewicht oder beschränktem Budget gegenüber, wird klar: Für eine Stadt ist die Entwicklung zur Smart City eine Überlegung wert. Denn: Erfolgreiche Smart-City-Projekte gehen von den Herausforderungen einer Stadt sowie von den Bedürfnissen ihrer Bürger aus und antworten darauf mit Technologie. Durch Vernetzung bietet eine Smart City ihren Bewohnern eine höhere Lebensqualität bei niedrigerem Ressourcenverbrauch.

Auch für die Umsetzung neuer Geschäftsideen stellen intelligente Städte den notwendigen Nährboden bereit. Dass diese Chance genutzt werden muss, erkennen mittlerweile Städte auf der ganzen Welt, wie beispielsweise Barcelona, Hamburg, Oslo oder Chicago. Allerdings stellt sich auch bei städtischen Strukturprojekten schnell die Frage, wie sie finanziert werden, welche Renditen sie abwerfen und wie das Geschäftsmodell dahinter aussehen soll.

Barcelona – mit smarter Vision voraus


Spaniens zweitgrösste Stadt Barcelona zeigt, wie sich eine Stadt mit einer ganzheitlichen Vision zur Smart City entwickeln kann und wie sich die Investitionen in dieses Unterfangen auf lange Sicht lohnen.[1] Seit Jahren setzt die Grossstadt Projekte zur intelligenten Vernetzung um. Durch den Einsatz technischer Mittel, wie beispielsweise Sensoren zur Messung des Verkehrsflusses oder des Wasserstandes, sammelt die Stadt relevante Daten und stellt diese als wertvolle Informationen zur Verfügung. Daraus konnten bereits Projekte zur intelligenten Verkehrssteuerung, zum Wassermanagement oder für smartes Parking realisiert werden.

Zudem förderte die Grossstadt mit der Datenoffenlegung die Entstehung des, für eine Smart City typischen, innovationsgetriebenen Ökosystems. Dieses Ökosystem besteht aus Anwendungsentwicklern, Lösungsanbietern und Investoren. Bis zum Jahr 2022 rechnet Barcelona damit, durch die Entwicklung zur Smart City eine Wertschöpfung in Milliardenhöhe zu erreichen. Gleichzeitig bringt das neue Ökosystem schätzungsweise 1500 neue Unternehmen und fast 50’000 neue Arbeitsplätze hervor.

Für die katalanische Hauptstadt ist Smart City die Lösung zur nachhaltigen Steigerung ihrer Attraktivität und Wirtschaftsstärke. Möchte die Schweiz in Zukunft intelligente Städte entwickeln, sollte sie sich deshalb ein Beispiel an Barcelona nehmen.

Wifi-Säulen in New York


Für die intelligente Vernetzung von öffentlichen Infrastrukturen bestehen verschiedene Finanzierungsmodelle. Je nach Ziel und Finanzlage einer Stadt stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand die Kosten selbst tragen kann oder ob sie die Projekte von privaten Investoren finanzieren lässt.

Übernimmt eine Stadt die Kosten selbst, plant sie üblicherweise, ihre Investitionen in Form von Renditen auszugleichen. Schnelle Renditen lassen sich etwa durch Werbung erzielen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Projekt «LinkNYC». Um ihren Bürgern kostenloses Wifi sowie weitere Services bieten zu können, ersetzt New York City zurzeit über 7500 Münztelefone durch Internet-Hotspots. Das Projekt finanziert sich durch Werbung, welche auf den fast drei Meter hohen Wifi-Säulen geschaltet wird.

Die Entwicklung zur smarten Stadt ist nicht nur für die Stadt selbst und die daran beteiligten Unternehmen interessant. Auch für Investoren bieten entsprechende Projekte neue Chancen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Investitionsmodell, welches der Technologiekonzern Cisco zusammen mit der Investorgesellschaft Whitehelm Capital im Bereich «Smart Lighting» umsetzt. Die Investoren finanzieren den Städten intelligente Strassenbeleuchtungssysteme und erhalten als Rendite einen Teil der Einsparungen aus dem gesenkten Energieverbrauch. Das Angebot stösst vielerorts auf Interesse. So prüfen zurzeit 50 italienische Städte das Konzept und dessen Umsetzung. Ein Modell, das auch für die Schweiz interessant sein könnte.

Die Schweiz steht noch am Anfang


Im kleinen Stil tut sich auch in der Schweiz etwas. So gibt es etwa in der Stadt Luzern kostenloses Wifi oder in Zürich die Smartphone-App «Sauberes Zürich». Eine wichtige Treibkraft ist «Urban Hive»[2], ein Zusammenschluss innovativer Schweizer Unternehmen, welcher Städte bei der Umsetzung von Smart-City-Projekten unterstützt. Die heimischen Smart-City-Initiativen sind jedoch weder in einem vergleichbaren Umfang noch mit einer derart starken, langfristigen und bereichsübergreifenden Vision verbunden wie etwa in Barcelona.

Das müsste nicht so sein. Denn die Schweiz verfügt über beste Voraussetzungen für die Förderung innovativer Projekte. So besitzen die Städte gute Infrastrukturen, die sich ausbauen und vernetzen liessen. Auch die Finanzierung von Bund, Kanton, Städten oder Investoren wäre verhältnismässig einfach. Ferner führt die Schweiz seit Jahren Innovationsrankings, wie beispielsweise den Global Innovation Index, in Europa an. Es stellt sich also die Frage: Warum gehen Schweizer Städte nicht schon lange gezielt Smart-City-Projekte an?

Datenhoheit und Gärtchendenken


Daten sind der Schlüssel für die Entwicklung zur intelligenten Stadt. Allerdings liegt genau hier einer der grössten Hemmschuhe für Smart-City-Vorhaben in der Schweiz. Denn obwohl die meisten Schweizer Städte über unzählige Daten zum Konsumverhalten oder der Mobilität ihrer Bürger verfügen, schöpfen sie das Potenzial nicht aus. Will eine Stadt zur Smart City werden, muss sie ihre Daten aktiv steuern, auswerten und vor allem nutzen. Verpassen Städte diese Gelegenheit, werden private Unternehmen die Lücken füllen.

Ein weiterer Grund ist die Tendenz zum Gärtchendenken in den Stadtverwaltungen. Möchte eine Stadt Smart-City-Lösungen erfolgreich umsetzen, ist aber Interdisziplinarität über einzelne Departemente hinaus gefragt. Um bereichsübergreifende Projekte steuern und die Vision voranbringen zu können, benötigt eine Stadt zudem einen Smart-City-Beauftragten. Dieser initiiert Projekte, bringt verschiedene Abteilungen an einen Tisch und überwacht die Fortschritte.

Schlussendlich spielt auch die Kommunikation für den Erfolg von Smart-City-Projekten eine entscheidende Rolle. Werden die geplanten Vorhaben sowie die fertigen Produkte und Services wie hierzulande nur zurückhaltend kommuniziert, gehen sie an der Zielgruppe vorbei. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich nur wenige Menschen – ob Bürger, Entscheidungsträger oder Investoren – des Potenzials in der Schweiz bewusst sind.

Eines ist klar: Eine intelligente Stadt ist nicht nur nachhaltiger und bürgerfreundlicher, sie ist auch wirtschaftlich erfolgreicher und birgt die Chancen für neue Geschäftsmodelle. Die Voraussetzung für das Gelingen ist jedoch eine klar formulierte und langfristige Vision, die mit den Bürgern zusammen entwickelt wird. Wenn Schweizer Städte es schaffen, die Hindernisse wegzuräumen, stehen die Türen für die Stadt der Zukunft offen.

  1. Der Technologiekonzern Cisco ist Partner bei den im Beitrag erwähnten Projekten. []
  2. Urbanhive.ch sowie Facebook.com/urbanhiveswitzerland[]

Zitiervorschlag: Markus Schrofer (2016). Schweizer Städte verschlafen einen Trend. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.