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Der gegenüber dem Euro überbewertete Franken setzt die Exportindustrie unter starken Anpassungsdruck. Damit es nicht zu einer Deindustrialisierung kommt, ist den Unternehmen die nötige Flexibilität politisch zuzugestehen. Dafür ist der liberale Arbeitsmarkt unbedingt zu erhalten.
Jean-Philippe Kohl, Dr. rer. pol., Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik Swissmem, Zürich

Standpunkt

Die schweizerische Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) ist ausgesprochen exportorientiert. Rund 80 Prozent des Umsatzes werden im Ausland erzielt. Davon stammen 60 Prozent aus der EU und dabei hauptsächlich aus dem Euroraum. Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank hat den Franken gegenüber dem Euro schlagartig um über 15 Prozent aufgewertet. Solche abrupten Veränderungen der Währungsverhältnisse gefährden die preisliche Wettbewerbsfähigkeit vieler Exporteure. Die Nachteile können weder schnell noch einfach kompensiert werden.

Gemessen an der Kaufkraftparität ist der Franken seit über fünf Jahren überbewertet, was mit der Aufhebung des Mindestkurses nochmals stark akzentuiert worden ist. Vor diesem Hintergrund wird häufig auf die Gefahr einer Deindustrialisierung hingewiesen. Gemeint ist damit ein erheblicher Verlust an industrieller Substanz, der sich beispielsweise in einem starken Rückgang der industriellen Beschäftigung manifestiert.

Ob sich die Schweiz tatsächlich in einem Deindustrialisierungsprozess befindet, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststellen. Dafür ist der Beobachtungszeitraum zu kurz. Nach unseren Berechnungen beschäftigt die MEM-Industrie gegenwärtig rund 319’000 Personen. Seit Anfang 2015 sind 11’000 Stellen verloren gegangen, wobei die Aufhebung des Mindestkurses der Hauptgrund sein dürfte. Der Mitarbeiterbestand liegt damit aber immer noch über dem Niveau von 2005.

Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass der «Frankenschock» nicht zu einer Deindustrialisierung führt. Swissmem spricht deshalb vielmehr von einem «beschleunigten Strukturwandel». Das heisst: Das Gros der industriellen Substanz wird in der Schweiz verbleiben. Stark verändern werden sich jedoch die Tätigkeiten in der Industrie: Während manuelle, einfach zu automatisierende Aufgaben zunehmend verschwinden, gewinnen wertschöpfungsstarke Tätigkeiten, die eine Fachausbildung erfordern, an Gewicht.

Flexibilität ist entscheidend

Deindustrialisierung ist nie die Folge einer einzigen Ursache. Ob eine über längere Zeit überbewertete Währung zu einem starken Rückgang der industriellen Wertschöpfung führt, hängt entscheidend davon ab, welche Freiheitsgrade die Firmen besitzen, um sich an die neuen Währungsverhältnisse anzupassen. Allgemein gilt: Je flexibler die Firmen agieren können, desto geringer sind langfristig die Arbeitsplatzverluste.

Die Swissmem-Mitgliedfirmen haben zahlreiche Massnahmen zur betrieblichen Effizienzsteigerung ergriffen und in die Innovation investiert. Ein weiterer Ansatzpunkt besteht in der Kostensenkung des Produktionsfaktors Arbeit pro Zeiteinheit – wobei die temporäre Erhöhung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn bedeutend häufiger von den MEM-Unternehmen gewählt wird als etwa eine direkte Senkung der Löhne. Welches Massnahmenbündel optimal ist, muss aber jede Firma letztlich selbst entscheiden.

Unternehmen sind flexibel agierende Organisationen, die sich auf neue Gegebenheiten rasch einstellen können. Diese Flexibilität muss jedoch politisch auch zugelassen werden. Diesbezüglich hat die Schweiz einen komparativen Regulierungsvorteil gegenüber ausländischen Konkurrenzstandorten. Unser Arbeitsmarkt ist verhältnismässig flexibler ausgestaltet.

Das liberale Schweizer Arbeitsrecht bietet den Unternehmen Spielraum, um mit Massnahmen im personellen Bereich einen Teil des aufwertungsbedingten Verlusts der Wettbewerbsfähigkeit zu kompensieren. Dazu gehören beispielsweise temporäre Arbeitszeiterhöhungen oder die Möglichkeit, Jobs verhältnismässig rasch ab- und wieder aufzubauen. Der Abwanderungsdruck durch Standortverlagerung kann dadurch gemildert werden.

Zitiervorschlag: Jean-Philippe Kohl (2016). Standpunkt: Die Industrie wird überleben. Die Volkswirtschaft, 25. Juli.