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Ein gutes Bildungswesen liefert fehlende Fachkräfte. Deshalb muss stärker in die Bildung investiert werden. Die Sparmassnahmen von Bund und Kantonen führen in die Sackgasse.
Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes; Ständerat (SP/SG).

Standpunkt

Gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte sind für die Zukunft der Schweizer Wirtschaft entscheidend. Die Weichen dafür werden heute gestellt. Massgebend sind nicht Worte, sondern Taten.

Ausschlaggebend sind zuerst die Investitionen in die Bildung. Vieles ist in den letzten Jahren gut gemacht worden: Die Berufsbildung wurde gestärkt, und die Bildungswege wurden geöffnet. Zum Beispiel über die Fachhochschulen. Jetzt aber drohen im Zusammenhang mit Sparprogrammen grosse Rückschläge. Auf Bundesebene betrifft dies gemäss der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation vom vergangenen Februar die Bildungskredite, und auch bei den Kantonen nimmt der Spardruck zu. Mit Blick auf die Folgen ist das fatal, handelt es sich bei den Bildungsinvestitionen doch um die wichtigste Zukunftsressource.

Die Schweiz kann und darf sich nicht darauf verlassen, dass die Einwanderung für genügend gut ausgebildete Fachkräfte sorgt. Ganz abgesehen vom Recht der Jungen auf gute Zukunftschancen. Es ist die Aufgabe der heute politisch Verantwortlichen, mit den richtigen Entscheiden für die nötigen Bildungskredite zu sorgen. Die Sparpolitik ist kein Staatsziel, ein gutes Bildungswesen hingegen schon.

Mehr Lohn in der Pflege

Investitionen in die Berufsbildung sind zwar nötig und unabdingbar, für sich allein genügen sie jedoch nicht. Zusätzlich zur Bildung sind gute Arbeitsbedingungen die Voraussetzung dafür, dass die Ausgebildeten im Beruf bleiben. So gibt es bei den weiblich geprägten Pflegeberufen nach wie vor Nachholbedarf bei den Löhnen. Aber auch die Planbarkeit der Arbeit spielt für den Verbleib im Beruf nachweislich eine Rolle – darauf muss eine fortschrittliche Arbeitszeitpolitik Rücksicht nehmen.

Ins gleiche Kapitel gehört die in der Schweiz noch immer stark eingeschränkte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zwar ist die gestiegene Erwerbstätigkeit der Frauen die grösste Veränderung auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt der letzten Jahrzehnte. Aber auch hier gibt es viel Potenzial: Namentlich muss die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Betreuungsarbeit verbessert werden. Die neue Anschubfinanzierung des Bundes in der Höhe von 100 Millionen Franken ist zwar zu begrüssen, bleibt aber hinter den Bedürfnissen weit zurück.

Wie in anderen europäischen Ländern müssten Kinderkrippen und Tagesschulen auch in der Schweiz zum Grundangebot eines modernen Service public gehören. Dann würde sich das Problem, dass der Lohn für eine zusätzliche Erwerbsarbeit des betreuenden Elternteils oft von den Krippenkosten weitgehend aufgefressen wird, von selber erledigen. Solche Erwerbshindernisse sind umso unsinniger, als sie zunehmend gut ausgebildete Jüngere treffen: Deren Bildungsinvestitionen entwerten sich langfristig ohne Erwerbstätigkeit.

Respekt vor älteren Arbeitnehmenden

Überhaupt sind bessere Arbeitsbedingungen ein Schlüssel im Kampf gegen den Fachkräftemangel. In manchen gewerblichen Berufen sind die Löhne der Leute nach der Lehre stehen geblieben. Wer mehr verdienen will, ist oft gezwungen, den Beruf zu wechseln. Die Aufwertung der für die Volkswirtschaft wichtigen gewerblichen Berufe beginnt deshalb mit dem Lohn.

Schliesslich braucht es eine konsequente Bekämpfung der gravierenden Diskriminierung älterer Arbeitnehmender auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier ist die Schweiz gegenüber dem Ausland stark im Rückstand. Der Erfahrungsschatz und das Können vieler langjähriger Berufsleute sind gross. Trotzdem kommen sie sich auf dem Arbeitsmarkt spätestens ab Alter 55 zunehmend als Aussätzige vor. Hier sind neue Weichenstellungen fällig. Wertschätzung und Respekt vor den arbeitenden Menschen sind Voraussetzungen dafür, dass sich die Zukunftschancen auch in dieser kritischen Generation wieder verbessern. Wir haben es in der Hand!

Zitiervorschlag: Paul Rechsteiner (2016). Standpunkt: Die Bildung stärken. Die Volkswirtschaft, 22. September.