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Hohe Systemrisiken bei den Pensionskassen

Eine Umfrage zeigt, dass die hohen Zinsversprechen und die eingeschränkte Sanierungsfähigkeit die grössten Risiken für die Stabilität der Pensionskassen darstellen. Am höchsten ist die Gefährdung bei den Kassen mit Staatsgarantie.
Die Sanierungsfähigkeit stellt bei vielen Vorsorgeeinrichtungen das grösste Risiko dar. Demonstranten in St. Gallen fordern im April 2017 eine 200-Millionen-Einlage in die Pensionskasse. (Bild: Keystone)

Pensionskassen haben in der Schweiz eine lange Tradition. Viele der grossen firmeneigenen Kassen existieren bereits länger als 90 Jahre. Die Versicherten haben dabei viel von diesen Kassen profitiert: Seit Einführung des Obligatoriums 1985 wurde den Altersguthaben im Durchschnitt ein inflationsbereinigter jährlicher Zinssatz von mindestens 1,9 Prozent gutgeschrieben. Das ist deutlich mehr, als man 1985 erwartet hatte. Tatsächlich wurden viele Altersguthaben noch höher verzinst, da zahlreiche Pensionskassen mehr als die Mindestverzinsung gewährten. Und auch seit 2009 zeigt sich inflationsbereinigt ein besseres Ergebnis, als die nominalen Zahlen vermuten lassen (siehe Abbildung 1). Doch wie sieht die Zukunft aus?

Abb. 1: BVG-Mindestverzinsung (1985 bis 2017)




Quelle: SNB, BSV

Immer weniger Vorsorgeeinrichtungen


Um die finanziellen Risiken des Pensionskassensystems beurteilen zu können, führt die eidgenössische Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) seit ihrer Gründung im Jahr 2012 eine jährliche Umfrage zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen durch. Die für die ganze Schweiz einheitliche Früherhebung ermöglicht eine aktuelle Gesamtsicht über die finanziellen Systemrisiken der beruflichen Vorsorge.

Die aktuelle Umfrage[1] für das Jahr 2016 zeigt, dass sich die Konzentration in der zweiten Säule fortsetzt. Die Zahl der Schweizer Vorsorge­ein­richtungen ist von 1936 im Jahr 2015 auf 1865 gesunken. Davon nahmen rund 92 Prozent an der Umfrage teil.

Vier Risikodimensionen


Gemäss der Umfrageergebnisse wiesen per Ende 2016 88 Prozent der privat- und öffentlich-rechtlichen Vorsorge­einrichtungen ohne Staatsgarantie einen Deckungsgrad von mindestens 100 Prozent aus. Das ist vergleichbar mit dem Vorjahr, wo es 87 Prozent waren. Um das Gesamtrisiko der Vorsorgeeinrichtungen einzuschätzen, genügt der ausgewiesene Deckungsgrad als alleiniger Parameter jedoch nicht. Er sagt zu wenig über zukünftige Veränderungen aus. Die Einschätzung des Gesamtrisikos basiert in der Studie deshalb auf vier Risikodimensionen:

  • Deckungsgrad mit einheitlichen Grundlagen
  • Zinsversprechen für künftige Rentenleistungen
  • Sanierungsfähigkeit in Abhängigkeit der Versichertenstruktur
  • Renditevolatilität der Anlagestrategie


Der Deckungsgrad ist die wichtigste Risikodimension und wird deshalb doppelt gewichtet – die übrigen Dimensionen nur einfach. Dennoch: Dies ermöglicht nur eine grobe Risikoabschätzung. Sie dient allein der Analyse der System­risiken und nicht der Beurteilung der individuellen Situation einer Vorsorge­einrichtung.

Ungenügender Deckungsgrad


Für die Schätzung des Deckungs­grads mit einheitlichen Grundlagen werden per Ende 2016 ein technischer Zinssatz von 2,4 Prozent[2] und Generationen­tafeln[3] zur Abschätzung der zukünftigen Sterblichkeit verwendet.
Die Deckungssituation hat sich im letzten Jahr geringfügig verbessert. Grund dafür waren die Anlagerenditen von durchschnittlich 3,6 Prozent für Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie. 24 Prozent dieser Vorsorgeeinrichtungen weisen diesbezüglich ein eher hohes bis hohes Risiko aus. Im Vorjahr waren es 27 Prozent.

Zu hohe Zinsversprechen


Zum Zeitpunkt der Pensionierung gibt die Vorsorgeeinrichtung durch die Umwandlung des Sparkapitals in eine Altersrente ein implizites Zinsversprechen ab. Je höher dieses nominale Zinsversprechen, desto risikobehafteter wird seine Erfüllung.

Die Analyse der Oberaufsichtskommission zeigt, dass die hohen Zins­versprechen in den Umwandlungs­sätzen das grösste Risiko für die Vorsorgeeinrichtungen darstellen. Durch die Senkung der Umwandlungs­sätze ausserhalb des BVG-Obligatoriums konnten die Vorsorgeeinrichtungen dieses Risiko im Vergleich zum Vorjahr zwar reduzieren, dennoch verharrt es auf einem relativ hohen Niveau. Aktuell tragen 52 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie ein eher hohes oder ein hohes Risiko. Im Vorjahr waren es noch 66 Prozent. Im Durchschnitt belaufen sich die Zinsversprechen bei Pensionierung auf 2,97 Prozent (Vorjahr: 3,25%). Ein Vergleich dieses Werts mit dem Marktzinsniveau per Ende 2016 von –0,1 Prozent zeigt, woher dieses Risiko kommt.

Eingeschränkte Sanierungsfähigkeit


Falls eine Vorsorgeeinrichtung saniert werden muss, sind die Kon­sequen­zen für die aktiven Versicherten und den Arbeitgeber in Form von Zusatzbeiträgen oder Kürzungen von zukünftigen Leistungen erheblich. Der eigentliche Risikofaktor dabei ist der Anteil der Renten­verpflichtungen. Denn die laufenden Renten müssen stets mit­finanziert werden. Je grösser dieser Anteil ausfällt, desto kleiner ist letztlich die Wirkung einer Sanierungsmassnahme.

Mit einem Anteil von 50 Prozent, die ein eher hohes bis hohes Risiko haben, stellt die eingeschränkte Sanierungsfähigkeit die zweitgrösste Gefahr für Vorsorgeeinrichtungen ohne Staats­garantie dar. Die eingeschränkte Sanierungsfähigkeit der Vorsorge­einrichtungen wird im aktuellen Tiefzinsumfeld noch akzentuiert, da Minder­verzinsungen nur noch ein sehr beschränktes Potenzial haben. Für die Stabilität des Systems ist es darum zentral, dass zur Bewertung der Verpflichtungen realistische versicherungs­technische Grundlagen verwendet werden.

Zunehmende Renditevolatilität


Vorsorgeeinrichtungen sind nach dem Gesetz verpflichtet, ihr Vermögen so anzulegen, dass neben dem Liquiditätsbedarf insbesondere auch Sicherheit, genügender Ertrag und eine angemessene Verteilung der Risiken gewährleistet sind.[4] Im aktuellen Tiefzinsumfeld würde allerdings eine reine Obligationen-Strategie für Arbeitgeber und aktive Versicherte höhere Beiträge und tiefere Leistungen bedeuten. Deshalb müssen fast alle Vorsorgeeinrichtungen gezielt zusätzliche Anlagerisiken eingehen. Sie investieren in Anlagekategorien, deren Werte sich im Gegensatz zu Obligationen nicht gleich wie der Wert der Rentenverpflichtungen verhalten und im Durchschnitt höhere Renditen versprechen. Daher müssen sie entsprechende Wert­schwan­kungs­reserven aufbauen.

Die Vorsorgeeinrichtungen haben während der letzten Jahre den strategischen Anteil der risikobehafteten Anlagen leicht erhöht. Entsprechend stiegen auch die Risiken im Bereich der Anlagestrategie. 2016 trugen 41 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie ein eher hohes bis hohes Risiko. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren nur 33 Prozent der Pensionskassen derart gefährdet. Solange die Zinsversprechen nicht ausreichend gesenkt werden, wird der Renditedruck auch in Zukunft nicht abnehmen.

Tieferes Gesamtrisiko der Pensionskassen


Die Pensionskassen haben teilweise reagiert und senken ihre Zinsversprechen langsam. Insbesondere deshalb hat das Gesamtrisiko der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatgarantie 2016 abge­nommen: 24 Prozent dieser Vorsorgeeinrichtungen weisen ein eher hohes bis hohes Gesamtrisiko aus, wobei nur wenige Vorsorgeeinrichtungen ein hohes Gesamtrisiko tragen (siehe Abbildung 2). Im Vorjahr waren es noch 32 Prozent der Pensionskassen ohne Staatsgarantie.

Abb. 2: Gesamtrisiko der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie




Quelle: OAK BV

Für die Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie[5], welche mehrheitlich im System der Teilkapitalisierung finanziert sind, zeigt sich ein ähnliches, aber deutlich risikoreicheres Bild. In der Risikodimension Zinsversprechen tragen 86 Prozent ein eher hohes bis hohes Risiko (Vorjahr: 94%). Bei der Sanierungsfähigkeit sind sogar 93 Prozent derart gefährdet (Vorjahr: 91%). Beim Gesamtrisiko tragen gut 60 Prozent dieser Vorsorgeeinrichtungen ein so hohes Risiko. 2015 waren es noch 70 Prozent.

Risiken senken


Jedes Altersvorsorgesystem ist mit Risiken verbunden. In der Schweiz erweisen sich die hohen nominalen Zinsversprechen und die eingeschränkte Sanierungsfähigkeit als die beiden grössten Risiken. Im Gegensatz zur Sanierungsfähigkeit, welche in der Regel kaum veränderbar ist, können die nominalen Zins­ver­sprechen für künftige Rentenleistungen grundsätzlich innerhalb kurzer Frist reduziert werden. Für die Zukunft ist es deshalb wichtig, dass Umwandlungssätze schneller an sich ver­ändernde wirtschaftliche Realitäten angepasst werden können.

Das Anlagerisiko ist im Kapitaldeckungsverfahren systemimmanent und kann folglich nie eliminiert werden. Es muss jedoch in einer für Versicherte und Arbeit­geber erträglichen Höhe gehalten werden. Dies ist von realistischen Zinsversprechen und realistischen technischen Zinssätzen abhängig.

Schliesslich sollte auch die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen verbessert werden. Aktuell sind die Wertschwankungs­reserven der Vorsorgeeinrichtungen trotz der vergangenen mehrheitlich guten Anlagejahre nur zu 39 Prozent geäufnet. Grund dafür ist, dass ein erheblicher Teil der Erträge der letzten Jahre für die vorsichtigere Bewertung der Rentenverpflichtungen eingesetzt werden musste.

Diese Massnahmen zur Verminderung der Risiken müssen von den aus aktiven Versicherten und Arbeitgeber zusammengesetzten Leitungsorganen der Vorsorgeeinrichtungen getroffen werden: Sie müssen die finanziellen Chancen und Risiken ihrer Vorsorgeeinrichtungen realistisch beurteilen, ihre Rentenverpflichtungen versicherungstechnisch korrekt bewerten, die notwendigen Beschlüsse fassen und ihre Versicherten transparent informieren.

Tragbare Rentenreform notwendig


Risikomindernde Massnahmen erfolgen fast ausschliesslich auf Kosten der aktiven Versicherten und der Arbeitgeber. Angesichts der geringen durch­schnittlichen Sanierungs­fähigkeit, des sehr tiefen Zinsniveaus und der zu erwartenden Erhöhung des Rentenanteils sind aber auch weitere Kreise aus Wirtschaft und Politik gefordert, um realistische und für alle Beteiligten tragbare Lösungen zu ermöglichen. Mit der Umsetzung der Rentenreform «Altersvorsorge 2020» könnten die Risiken im Bereich der beruflichen Vorsorge reduziert werden. Auch Vorsorge­einrichtungen mit einem hohen Anteil an obligatorischem BVG-Altersguthaben könnten dadurch ihre Umwandlungssätze reduzieren und somit der wirtschaftlichen Realität annähern.

  1. Siehe Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (2017). Online erhältlich auf Oak-bv.admin.ch. []
  2. Durchschnitt der technischen Zinssätze der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie. Der Vorjahreszins betrug 2,6%. []
  3. Generationentafeln des Projektes «Technische Grundlagen BVG 2015» der Pensionskassenexperten Aon Schweiz AG und Libera AG. []
  4. Art. 71 BVG. []
  5. An der Umfrage haben sich 39 Vorsorge­einrichtungen mit einer Bilanzsumme von insgesamt 103 Milliarden Franken beteiligt. []

Literaturverzeichnis

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (2017). Bericht finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen 2016.


Bibliographie

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (2017). Bericht finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen 2016.

Zitiervorschlag: Vera Kupper Staub, Stefan Eggenberger, (2017). Hohe Systemrisiken bei den Pensionskassen. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.