Suche

Abo

Investitionsschwäche in der Schweiz?

Seit der Finanzkrise hat sich die Investitionsquote in der Schweiz unterdurchschnittlich entwickelt. Von einer Investitionsschwäche zu sprechen, wäre aber übereilt, wie die empirische Evidenz und theoretische Überlegungen zeigen.
Die Preise von Investitionsgütern wie Computern sind in den letzten Jahren gesunken. (Bild: Alamy)

Das Produktionspotenzial – und damit das langfristige Wachstum – einer Volkswirtschaft wird bestimmt durch die Höhe des Kapitalstocks, durch das verfügbare Arbeitsvolumen und dessen Qualität sowie durch die eingesetzten Produktions­techniken. Investitionen sind dabei von zentraler Bedeutung: Sie erhöhen einerseits direkt den Kapitalstock, wenn beispielsweise eine Maschine angeschafft wird. Andererseits führen Investitionen in Forschung und Entwicklung zu Innovation und Produktivitäts­steigerungen.

Wird zu wenig investiert, führt dies folglich längerfristig zu einem tieferen Wachstumspotenzial. Doch sowohl theoretisch als auch empirisch ist es schwierig, zu bestimmen, wie hoch die gesamtwirtschaftlich «optimalen» Investitionen sind.

In der öffentlichen Debatte wird oft die nominale Investitionsquote – also das Verhältnis der Bruttoanlageinvestitionen (Bau- und Ausrüstungsinvestitionen) zum Bruttoinlandprodukt (BIP) – für die Argumentation einer Investitionsschwäche herangezogen: Diese weist seit den Achtzigerjahren, wie in vielen anderen Ländern, auch in der Schweiz einen negativen Trend auf. Eine solche nominale Betrachtung ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen, denn die Preise der Investitionsgüter – insbesondere von Computer-Hard- und -Software – gehen im Vergleich zu den Konsumgüterpreisen seit längerer Zeit bei steigender Qualität zurück. Damit sinkt nominal der Anteil, welcher aus Preis und Menge berechnet wird, auch wenn real ein gleich hoher Anteil investiert wird; beispielsweise gleich viele Maschinen im Vergleich zu Konsumgütern.

Ein geeigneteres Bild liefert die reale Investitionsquote. Mit einem Anteil von durchschnittlich knapp 24 Prozent der Bruttoanlageinvestition am BIP zwischen 1995 bis 2016 ist diese in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr hoch (siehe Abbildung 1). Im Gegensatz zur nominalen Reihe weist die reale Investitionsquote für die letzten 20 Jahre zudem keine strukturelle Abnahme auf.

Abb. 1: Bruttoanlageinvestitionen ausgewählter Länder (real, in % des BIP, 1995–2016)




Quelle: BFS, Eurostat, BEA / Die Volkswirtschaft

Schweiz bei Nettoinvestitionen im Mittelfeld


Weiter korrigiert wird das Bild durch eine Betrachtung der Nettoinvestitionen, da nur diese effektiv den Kapitalstock erhöhen. Wie bei einem Auto, das Reparaturen benötigt und mit der Zeit ersetzt wird, muss auch eine Volkswirtschaft den Kapitalstock erneuern. Die Wertminderungen (Abschreibungen) müssen durch Investitionen ersetzt werden und werden somit den Bruttoinvestitionen zugeschlagen.

Bei der realen Nettoinvestitionsquote liegt die Schweiz international nur im Durchschnitt (siehe Abbildung 2). Dies ist auf hohe Abschreibungen zurückzuführen, weil die Schweiz über einen grossen Kapitalstock verfügt. Zudem fliessen rund zwei Drittel der gesamten Investitionen in Ausrüstungen. Davon bestehen wiederum 40 Prozent aus immateriellen Investitionsgütern wie beispielsweise Forschung und Entwicklung (F&E) oder Software.

Solche Investitionen wirken sich zwar besonders positiv auf die Produktivität aus und sind zu begrüssen. Allerdings verlieren sie relativ schnell an Wert und müssen deshalb nach kurzer Zeit abgeschrieben werden. Dies führt zur paradoxen Entwicklung, dass – entgegen dem Trend bei den Investitionen – der Anteil der Bauinvestitionen am nicht finanziellen Kapitalstock zulasten der Ausrüstungen zugenommen hat.

Abb. 2: Nettoanlageinvestitionen ausgewählter Länder (real, in % des BIP, 1995–2016)




Quellen: BFS, Ameco / Die Volkswirtschaft


Längerfristig ist die Nettoinvestitionsquote der Schweiz im Trend rückläufig. Dies bedeutet, dass der Kapitalstock nicht mehr gleich stark ansteigt wie noch in den Neunzigerjahren. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 verharrt die Quote zudem unter dem langjährigen Durchschnitt – namentlich weil die Netto-Ausrüstungsinvestitionen sich mit der Frankenaufwertung schwach entwickelten und zeitweise sogar negativ ausfielen. Entsprechend nimmt die Kapitalintensität der Produktion in der Schweiz im internationalen Vergleich seit geraumer Zeit nur wenig zu; der reale Kapitalstock pro Arbeitsstunde stagnierte gar in der Zeit zwischen 2002 und 2013.[1]

Die Goldene Regel


Investitionen sind dadurch wohlfahrtserhöhend, dass ein Teil des heutigen Einkommens nicht konsumiert, sondern gespart und in Produktionsanlagen investiert wird. Dadurch ermöglichen sie in Zukunft ein höheres Konsumniveau. Entsprechend implizieren sowohl eine Investitionsquote von 0 Prozent am BIP als auch eine Quote von 100 Prozent den vollständigen Verzicht auf Konsum in Zukunft oder heute. Folglich besteht irgendwo dazwischen eine optimale Investitionsquote, welche den Konsum insgesamt (das heisst heute und in Zukunft) maximiert. In der Ökonomie spricht man von der «Goldenen Regel».

Vereinfacht sollte gemäss der Goldenen Regel so lange mehr investiert werden, bis der zusätzliche Ertrag des Kapitals (der mit steigender Investitionsquote abnimmt) der Summe aus Abschreibungsquote und Wachstumsrate (technischer Fortschritt und Bevölkerungswachstum) entspricht. Denn über diesem Optimum führen höhere Investitionen nur noch zu geringen Produktionsgewinnen, was die zusätzlich notwendigen Abschreibungen auf dem Kapitalstock nicht zu decken vermag. Bei einer unter dem Optimum liegenden Investitionsquote bedingt eine Erhöhung der Investitionen ein Abwägen, wie der Konsumverzicht heute gegenüber dem Konsumgewinn in Zukunft gewertet wird.

Verschiedene Gründe können dazu beitragen, dass eine Volkswirtschaft das optimale Niveau nicht automatisch erreicht. Beispielsweise, weil den zukünftigen Generationen zu wenig Beachtung geschenkt wird oder weil der aus den Investitionen resultierende Nutzen nebst der investierenden Firma auch anderen Unternehmen zugutekommt (zum Beispiel sogenannte Wissens-Spill-over aus der Forschung).

Empirische Überprüfung schwierig


So zentral das Konzept der Goldenen Regel theoretisch ist, so schwierig ist seine empirische Überprüfung. Entsprechend kommen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen für die Schweiz.[2] Vereinfacht gesagt, sollten die Erträge aus dem Kapitalstock langfristig ausreichen, um diesen konstant zu halten. Mit anderen Worten: Der Kapitalstock sollte proportional zum langfristigen Wachstum der Gesamtwirtschaft, welches aus technischem Fortschritt, Humankapitalzunahme und Bevölkerungswachstum bestimmt wird, bleiben. Der Kapitalstock befindet sich somit nahe dem optimalen Niveau, wenn die Kapitalrendite im langfristigen Durchschnitt der Wachstumsrate der Gesamtwirtschaft entspricht.

Neuere Berechnungen im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur gesamtwirtschaftlichen Kapitalrendite geben Hinweise auf diesen Zusammenhang: Im Mittelwert der Jahre 1997 bis 2010 lagen die Wachstumsrate und die Kapitalerträge relativ nah zusammen (siehe Abbildung 3). Dies deutet weder auf einen deutlich zu tiefen Kapitalstock noch auf eine starke Überakkumulation von Kapital hin – trotz hohem Kapitalstock, der grundsätzlich zu tieferen Kapitalrenditen führt.

Abb. 3: BIP-Wachstumsrate und Kapitalrendite (1997–2011)




Anmerkung: Die Kapitalrendite wurde mit den Kosten für Eigen- und Fremdkapital «Weighted Average Cost of Capital» (WACC) berechnet. Zur Berechnung siehe Dembinski et al. (2013), vgl. auch Knolle (2014).

Quelle: BFS, Dembinski et al. (2013) / Die Volkswirtschaft

Dienstleistungsgesellschaft und Demografie


Aufgrund von strukturellen Veränderungen kann sich die optimale Investitionsquote über die Zeit verschieben. Der in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu beobachtende Rückgang der Nettoinvestitionsquote könnte ein Hinweis darauf sein. In diesem Fall könnte eine «künstliche» Erhöhung der Gesamtinvestitionen im Hinblick auf die Wohlfahrt sogar kontraproduktiv sein.

Im Mittelpunkt solcher Erklärungen stehen der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft und die demografische Alterung. Wenn der Anteil Personen im erwerbsfähigen Alter abnimmt, sinken tendenziell auch das Potenzialwachstum und die Investitionsrenditen. Die Zunahme des Dienstleistungssektors wiederum könnte sich negativ auf die Investitionsquote auswirken, da sich dieser im Schnitt durch eine geringere Kapitalintensität auszeichnet.

Mit dem Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ist auch eine Änderung der Investitionsstruktur verbunden, welche statistisch nur unzureichend erfasst wird: Zwar werden F&E-Ausgaben oder Software als Investitionen berücksichtigt, andere Formen nicht physischer Investitionen wie in Mitarbeiterausbildung oder bessere Prozesse jedoch nicht. Gemäss Schätzungen sind solche Investitionen in Wissen und Information in den USA bereits doppelt so hoch wie die klassischen Investitionen in Maschinen oder Bauten.

Ähnliches gilt auch für Investitionen in Bildung und Humankapital insgesamt, welche aus Wachstumssicht wichtige Investitionen darstellen, aber nur zum Teil als solche verbucht werden. Damit wird die volkswirtschaftlich relevante Investitionsquote unterschätzt. Auch die Frage einer Schwäche öffentlicher Investitionen müsste unter diesem Blickwinkel neu beurteilt werden.

Immer weniger Firmen investieren in F&E


Bei einer Betrachtung der Gesamtinvestitionsquote wird schliesslich auch die Struktur der Investitionen vernachlässigt. So kommt etwa den Investitionen in F&E eine besondere Bedeutung zu, da sie in der langen Frist zentral sind für Innovation und technischen Fortschritt und damit die Produktivitätsentwicklung. Diesbezüglich ist in der Schweiz zwar seit Mitte der Neunzigerjahre der Anteil von F&E am BIP gestiegen (siehe Abbildung 4). Allerdings verteilt sich der Zuwachs auf immer weniger Firmen. Im gleichen Zeitraum hat sich der Anteil der Firmen mit Forschung, Entwicklung und Innovationen etwa halbiert.[3] Was dies für das langfristige Wachstumspotenzial bedeutet, bedürfte einer vertiefteren Abklärung.

Abb. 4: Forschung, Entwicklung und Innovation in der Schweiz (1996–2015)




Anmerkung: Fehlende Werte für F&E-Ausgaben interpoliert.

Quelle: BFS, KOF-Innovationserhebung / Die Volkswirtschaft


Die Betrachtung zeigt, dass eine Fokussierung auf die Investitionsquote nicht ausreicht, um die Diagnose einer Investitionsschwäche zu stellen. Auch mit einem angemesseneren theoretischen Konzept ist die «Optimalität» der Investitionsquote jedoch nur schwer zu bestimmen. Zu beachten ist insbesondere, dass die Struktur der Investitionen und des Kapitalstocks – und nicht primär deren Höhe – ausschlaggebend ist für die Wirkung auf das Wirtschaftswachstum. Zu berücksichtigen wären überdies zahlreiche weitere Faktoren wie die hohe Sparquote der Schweiz, welche mit erheblichen Investitionen im Ausland einhergeht.

  1. Vgl. Jäger et al. (2015). []
  2. Vgl. Geerolf (2013) oder Knolle (2013). []
  3. Vgl. Beitrag von Arvanitis et al. (KOF) in dieser Ausgabe. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Christian Busch, Timothey Nussbaumer, Philipp Wegmüller, (2017). Investitionsschwäche in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 24. Oktober.