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Editorial

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Der Trend ist zu brechen

Noch hat die Schweiz im internationalen Vergleich einen unterdurchschnittlichen Bestand an Bezügern von Renten der Invalidenversicherung (IV) zu verzeichnen. Die Zahl der neu zugesprochenen Renten ist jedoch seit Anfang der Neunzigerjahre rasant angestiegen. Besorgniserregend ist vor allem die starke Zunahme von Rentenzusprachen bei jungen Versicherten. Der Anstieg der Neuverrentungen ist mit erheblichen finanziellen Konsequenzen verbunden: Während die IV zu Beginn der Neunzigerjahre noch ausgeglichene Rechnungsabschlüsse präsentieren konnte, war sie Ende 2004 mit über 6 Mrd. Franken beim AHV-Fonds verschuldet – mit massiv steigender Tendenz. Kann der Ausgabentrend der IV nicht gebrochen werden, ist die Liquidität des AHV-Fonds ernsthaft gefährdet. In den IV-Kosten nicht eingerechnet ist zudem, dass der Zuspruch einer Rente oft beträchtliche Zahlungen aus der beruflichen Vorsorge (2. Säule) nach sich zieht. Die Rechnung der IV widerspiegelt folglich die tatsächlichen Kosten für die Versicherten und die Steuerzahlenden nur unvollständig.  Der Bundesrat legt nun mit der 5. IVG-Revision ein ausgewogenes Paket an Massnahmen vor, die mittelbis längerfristig geeignet sind, die Dynamik bei den Neuverrentungen und den Kosten zu brechen. Das Spektrum reicht von einer Straffung und Reorganisation des Vollzuges, bis hin zu Massnahmen, welche dem Grundsatz «Eingliederung vor Rente» mittels einer Optimierung der Anreizstrukturen sowie einer Intensivierung der Integrations- und Präventionsbemühungen Nachdruck verschaffen soll. Realistischerweise muss man sich dabei der Einsicht beugen, dass die Einnahmen aufgrund der gestiegenen Anzahl an IV-Rentenbezügern zur Finanzierung der laufenden Kosten und zur finanziellen Sanierung der IV nicht ausreichen werden. Zusätzliche Einnahmen über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sind daher unvermeidlich.  Mit der laufenden Revision muss letztlich klar signalisiert werden, dass IV-Rentenzusprachen zur Lösung von Arbeitsmarktproblemen nicht das richtige Instrument sind. Einerseits bedeutet die Verfügung einer IV-Rente für die Betroffenen oft die endgültige Aussperrung vom Arbeitsmarkt. Andererseits verliert die Wirtschaft dadurch wertvolle Ressourcen. Gerade angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung kann die «Abschiebung» in die IV zu einer Kumulierung der Rentenfälle führen, die sich zwangsläufig negativ auf die Wirtschaftskraft der Schweiz auswirken wird.

Zitiervorschlag: Boris Zürcher (2005). Editorial. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.