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Kollektive Arbeitsstreitigkeiten des Jahres 2004

Die Erhebungen zu den kollektiven Arbeitsstreitigkeiten, welche zu Arbeitsniederlegungen führen, werden seit dem Jahr 1927 regelmässig durchgeführt. Die Auswertung erfolgt aufgrund von Angaben seitens der Verbände, der Gewerkschaften, der betroffenen Betriebe sowie der Berichterstattung in den Medien. Neben Indikatoren wie der jährlichen Zahl der aufgetretenen Bewegungen, der Anzahl der betroffenen Betriebe und der beteiligten Arbeitnehmenden gibt insbesondere die Zahl der verlorenen Arbeitstage Aufschluss über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Arbeitsniederlegungen. Im Jahr 2004 wurden in der Schweiz 8 Arbeitsniederlegungen registriert, die einen Tag oder länger dauerten. Die Zahl der verlorenen Arbeitstage betrug 38915.

Der absolute Arbeitsfrieden, dessen Entstehung auf das im Jahr 1937 geschlossene Abkommen zwischen dem Schweizerischen Uhren- und Metallarbeitnehmerverband Smuv und den Vertretern der Maschinen- und Metallindustriellen zurückgeht, und der Bundesratsbeschluss von 1943, welcher Gesamtarbeitsverträge (GAV) für verbindlich erklärte, bildeten die Grundlage dafür, dass die so genannte Friedenspflicht in der Folge in den meisten GAV Eingang fand und nachhaltig verankert wurde. Dies ermöglichte, dass die in den vergangenen Jahrzehnten in der Schweiz aufgetretenen Arbeitskonflikte in der Regel friedlich gelöst und dass auf Kampfmassnahmen weit gehend verzichtet werden konnte. Mit der Abstimmung vom 18. April 1999, in welcher Volk und Stände die neue Bundesverfassung gutgeheissen hatten, wurde erstmals in der Schweiz auch das Streikrecht als Grundrecht ausdrücklich festgeschrieben und damit eine lange währende Rechtsunsicherheit beseitigt. Nach wie vor sind jedoch die mittels Streiks geführten Sozialkonflikte in der Schweiz relativ selten. Dies bedeutet nicht, dass im Berichtsjahr zwischen den Sozialpartnern keine Konflikte aufgetreten wären. In aller Regel werden diese aber am Verhandlungstisch beigelegt, sodass auf Kampfmassnahmen verzichtet werden kann.

Entwicklung im Jahr 2004


Im Jahr 2004 wurden in der Schweiz acht Arbeitsniederlegungen registriert, die mindestens einen ganzen Arbeitstag andauerten. Die Statistik weist dabei 24399 direkt und indirekt betroffene Arbeitnehmende aus, die sich auf 1117 Betriebe verteilen. Die hohe Zahl der Betriebe erklärt sich aus dem Umstand, dass mit dem Streik im Maler- und Gipsergewerbe ein grosser Teil der Betriebe in der Deutschschweiz, im Jura und im Tessin betroffen war. Die Zahl der verlorenen Arbeitstage beläuft sich auf 38915. Sechs der acht erfassten Streikereignisse dauerten dabei länger als einen Tag. Eine Untergliederung nach Wirtschaftszweigen ergibt je zwei Arbeitsniederlegungen im Baugewerbe, in der Öffentlichen (kantonalen) Verwaltung sowie im Papier-, Karton-, Druck- und Verlagsgewerbe. Im Weiteren entfielen je ein Ereignis auf den Küchenbau sowie die Erzeugung und Bearbeitung von Metall. Die beiden kantonalen Ereignisse betrafen sowohl die Kantonsverwaltungen selber als auch die Bereiche Unterrichtswesen sowie Gesundheits- und Sozialwesen. – Ausgangspunkt für die landesweiten Streiks im Baugewerbe (Maler/Gipser) waren Forderungen im Zusammenhang mit dem GAV.  – Die Streiks in den Bereichen der Öffentlichen Verwaltung zweier Westschweizer Kantone betrafen in erster Linie Lohnforderungen, in zweiter Linie die Arbeitsbedingungen. – Bei den übrigen fünf Arbeitskonflikten (im Küchenbau, im Maler- und Gipsergewerbe, in den Bereichen «Papier/Karton» und «Verlag/Druck» sowie in der Metallerzeugung) handelte es sich um Aktionen aufgrund anderer Ursachen, wie beispielsweise Rücknahme von Kündigungen, Arbeitsbedingungen, Outsourcing oder Aktionen für einen Sozialplan aufgrund einer Betriebsschliessung).   Im Jahr 2004 kam es noch zu zahlreichen weiteren Arbeitsniederlegungen. Diese werden jedoch in den Statistiken der Arbeitskonflikte nicht aufgeführt, da sie die geforderten Kriterien – insbesondere die Mindestdauer von einem Arbeitstag und wirtschaftliche Zielsetzung – nicht erfüllen.

Schlussbemerkung


Wie in den vorhergehenden Jahren handelt es sich bei den aufgetretenen Konflikten jeweils um Streiks; Aussperrungen fanden keine statt. Insgesamt gilt für die Streikstatistik des Jahres 2004, was üblicherweise in den vergangenen Jahren festgestellt wurde: Die mit dem Mittel des Streiks geführten Sozialkonflikte sind relativ selten. Insgesamt sind die Beziehungen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt nach wie vor durch die Friedenspolitik charakterisiert, werden die zwischen den Sozialpartnern auftretenden Konflikte doch in der Regel am Verhandlungstisch beigelegt. Wird in einer Konfliktsituation eine Arbeitsniederlegung unvermeidlich, so bleiben deren Dauer und Ausmass im Allgemeinen beschränkt. Das Ausmass der Streikaktivitäten lässt sich beziffern, indem die Anzahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage zur Zahl der Erwerbspersonen ins Verhältnis gesetzt wird. Durch Streiks wurden im vergangenen Jahr 9,3 (und im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich pro Jahr lediglich 3,1) verlorene Arbeitstage je tausend Arbeitnehmende verzeichnet. Die Schweiz gehört damit im internationalen Vergleich zu jenen Ländern, welche kaum von Streiks betroffen sind.

Kasten 1: Definition und methodische Hinweise Laut Definition des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) spricht man von einem Arbeitskonflikt, wenn wegen unterschiedlicher Meinungen oder Forderungen bei Arbeitnehmenden und Arbeitgebern Divergenzen entstehen. In der Schweiz registriert die Statistik nur die Konflikte, die zu einer Arbeitsniederlegung führen, sei es, weil die Arbeitnehmenden einen Streik ausrufen, sei es, weil die Arbeitgeber zu Aussperrungen schreiten. Auch weist die Streikstatistik nur Streiks mit wirtschaftlichem Charakter aus. Streiks aus politischen und anderen Motiven, wie etwa der landesweite Frauenstreik vor einigen Jahren, erfüllen dieses Kriterium nicht und werden deshalb auch nicht ausgewiesen. Aber auch wirtschaftliche Streiks von weniger als einem ganzen Arbeitstag bleiben gemäss den internationalen Richtlinien unberücksichtigt.Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) ist gemäss Bundesstatistikgesetz verpflichtet, eine Statistik zu den kollektiven Arbeitsstreitigkeiten in der Schweiz zu führen und zu publizieren. Diese Erhebung wird mittels eines Fragebogens durchgeführt, der den beteiligten Konfliktparteien zugestellt wird. Die Auskunftspflicht ist obligatorisch, jedoch besteht keine automatische Meldepflicht. In aller Regel liegt uns mindestens eine der relevanten Informationsquellen (Betrieb/Unternehmung, Arbeitgeberverband, Arbeitnehmerorganisation) vor, um die notwendigen Angaben für die Erstellung der Statistik gemäss den konzeptionellen Erfordernissen herausfiltern zu können. Trotzdem sind wir stark auf die Mitarbeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen angewiesen. Diese sind insbesondere bei grossen, branchenübergreifenden oder gar landesweiten Streikereignissen die einzigen Organe, die als Branchenkenner und Branchenvertreter verlässliche Zahlen angeben können. Da aber auch die Kapazitäten der Verbände zur Erhebung möglichst zutreffender Zahlen bei solchen Grossereignissen an Grenzen stossen, ist es – auch international – üblich, dass anstelle detailliert erhobener Zahlen auch auf Schätzungen zurückgegriffen werden kann. Solche Schätzungen werden vom seco allerdings anhand der Medienberichterstattung plausibilisiert.

Zitiervorschlag: Walter Weber, Robert Häubi, (2005). Kollektive Arbeitsstreitigkeiten des Jahres 2004. Die Volkswirtschaft, 01. November.