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Wie Innovation messen und effektiv fördern? Eine Delphi-Befragung

Politik und Wirtschaft stehen permanent vor der Frage, wie forschungsbasierte Innovation valid gemessen und effektiv gefördert werden kann. Im Rahmen einer einjährigen Studie hat das Bundesamt für Statistik (BFS) eine Expertenbefragung zu diesem Thema durchgeführt. Als Resultat konnte ein Modell des Innovationssystems hergeleitet werden, mit welchem das BFS die Innovationsindikatoren definieren kann, die für die Analyse des Systems notwendig sind und dem Entscheidungsträger Grundlagen für seine Weiterentwicklung liefern.

Am Ministertreffen des OECD-Komitees für Wissenschaft und Technologie vom Januar 2004 wurden die grössten Herausforderungen der Wissenschafts- und Innovationspolitik formuliert.1 Bezüglich der Modellierung des Innovationssystems gehören dazu eine bessere Erfassung der Prozesse und Vernetzungen in der Innovation, ein Einbezug der Akteure und deren Entscheidungsprozesse in diese Strukturen und eine stärkere Berücksichtigung von Managementaspekten der Innovation. Diese Herausforderungen haben einen entscheidenden Einfluss auf das Innovationssystem und somit auch auf die Definition von Innovationsindikatoren. Die Europäische Kommission hat in den Rahmenprogrammen 5 und 6 diesem Problem gebührend Rechnung getragen und verschiedene neue Modelle zur Definition von Innovationsindikatoren entwickelt.2 G. Beroggi/V. Täube/M. Lévy (2004): Neues Konzept zur Erfassung der Einflüssen von IKT auf Wirtschaft und Gesellschaft. Die Volkswirtschaft, 7-2004, S. 58-62. Dabei sollen auch die operativen Instrumente des Innovationsmanagements gebührend berücksichtigt werden.3 EU DG-Enterprise Innovation Papers No. 38: Innovation Management and the Knowledge-Driven Economy, 2004.

Methodisches Vorgehen


Das BFS befasst sich mit der Bereitstellung von Innovationsindikatoren als Basis für die politische und wirtschaftliche Entscheidungsfindung. Um das komplexe Innovationssystem effektiv erfassen und gezielt fördern zu können, genügen die heute bereitgestellten Innovationsindikatoren nur noch bedingt. Deshalb hat das BFS im Zeitraum von April 2004 bis Mai 2005 eine Delphi-Expertenbefragung durchgeführt (siehe Kasten 1). Ziel dieser Untersuchung war die Definition eines Modells des Innovationssystems, von dem relevante Innovationsindikatoren abgeleitet werden können. Die dabei angewandte Delphi-Methode besteht darin, anonym Expertinnen und Experten zu befragen, ob sie bestimmten Konzepten, Definitionen und Postulaten in einem zu validierenden theoretischen Rahmen zustimmen oder nicht. Diese Validierung wurde in drei Umgängen (Runden) vorgenommen. Die jeweils eingegangenen Antworten wurden in den theoretischen Rahmen integriert, worauf der neue Rahmen wiederum geprüft wurde, bis er von allen Experten akzeptiert werden konnte.  Die ersten zwei Runden dieser Befragung wurden über das Internet durchgeführt. In der zweiten Runde konnten die Experten die Verteilung der Antworten aller Experten aus der ersten Runde sowie die vorgeschlagenen Textänderungen der zweiten Runde beurteilen. Die dritte Runde fand als Workshop im BFS in Neuenburg statt. Dort wurde vertieft auf jene Postulate eingegangen, welche sich nach den ersten zwei Runden als die wichtigsten zur Definition eines Modells herauskristallisiert hatten. Insgesamt wurden 46 Innovationsexperten von verschiedenen Verwaltungsstellen auf Kantons- und Bundesebene, Think-Tanks, Instituten, Hochschulen und der Wirtschaft – vornehmlich aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland und Österreich sowie der Europäischen Kommission – zur Teilnahme an der Delphi-Befragung eingeladen.

Wichtigste Ergebnisse


Der durchschnittliche Konsens bezüglich der Postulate lag in der ersten Runde bei 78% und wurde in der zweiten Runde auf 94% verbessert. Die wichtigsten Resultate hinsichtlich der Modellbildung sind im Folgenden zusammengefasst. – Die Notwendigkeit, ein umfassendes Modell des Innovationssystems zu definieren, wird heute von allen Experten anerkannt. Dabei soll das Modell das «Eric»-Prinzip berücksichtigen, bei dem sich Innovation aus einem vierteiligen Prozess zusammensetzt (E: Education, R: Research, I: Innovation, C: Commercialization). – Es kam deutlich zum Ausdruck, dass die Innovation einen zugefügten Wert («Added Value») aufweisen soll – und zwar für politische Investitionsentscheide aus der Sicht der Volkswirtschaft und für wirtschaftliche Investitionsentscheide aus der Sicht der Unternehmen. Auf politischer Ebene soll sich die Schweiz auf ausgewählte Industrien konzentrieren, wo ein besonderer international entscheidender Wettbewerbsvorteil erzeugt werden kann. – Innovationstransfer ist ein zentrales Anliegen. Im Rahmen des 6. Forschungsprojekts der Europäischen Kommission wurde ein europäisches Netzwerk aus so genannten Innovation Relay Centres (IRC) – bestehend aus 72 europaweit verteilten Zentren – eingerichtet, die den transnationalen Austausch von Innovation fördern und so einen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung leisten sollen.4 Vgl. http://irc.cordis.lu. In der Schweiz wurden das Osec Business Network Switzerland und das Centre d’appui scientifique et technologique (Cast EPFL) als IRC anerkannt. – Stark hervorgehoben wurde die wachsende Bedeutung des Austausches von Wissen im Sinne einer Wissensgesellschaft nebst dem eher traditionellen Transfer von Technologien. Besonders im Rahmen des Bologna-Prozesses muss darauf geachtet werden, dass Wissen als praktisch umsetzbare Fähigkeit vermittelt wird. So soll z.B. die Fachkompetenz «Statistik» auch als Instrument des Innovations-Managements gelehrt werden. – Es wird erwartet, dass sich drei Formen der Hochschulbildung (Universitäten, Eidg. Technische Hochschulen sowie Fachhochschulen) noch stärker differenzieren und spezialisieren werden. Die sich schnell verändernde Bildungslandschaft wird eine wichtige Rolle bei der Innovationsförderung spielen. – Die Hochschulausbildung stand traditionellerweise vorwiegend unter der Verantwortung von Bund und Kantonen. Immer mehr treten aber private Anbieter auf dem Markt in Erscheinung und beginnen die Hochschulausbildung mitzuprägen.  – Ein zentraler Punkt für einen effektiven Innovations- und Wissenstransfer sind die Beziehungen zwischen den Forschungsinstituten, Hochschulen und Wirtschaftsinstitutionen. Dabei geht es um mehr als um die Durchführung gemeinsamer Projekte und bekannter Synergieeffekte. Vielmehr ist eine strukturelle Neuerorientierung im Sinne des Karrieretransfers zwischen Hochschule und Wirtschaft anzustreben.  – Mit der im Herbst 2005 in Kraft getretenen Bologna-Reform wird die Hochschulausbildung differenziert nach Methoden-, Fach-, Sozial- und Umsetzungskompetenzen. Letztere könnten in Form von Praktika realisiert werden. Realistischer ist aber eine verbreitete Einführung von berufs- und karrierebegleitenden Bildungsformen, welche die Umsetzungskompetenz kontinuierlich – nicht nur temporär beschränkt und laborartig – anstreben.

Ein Modell des Innovationssystems


Am Innovations-Workshop, der im BFS im Rahmen der dritten Delphi-Evaluationsrunde stattfand, führten die Diskussionen um die zehn Postulate praktisch zu einem Konsens. Basierend auf diesem Konsens konnte ein Modell des Innovationssystems abgeleitet werden. Im Modell werden drei Ebenen unterschieden (siehe Grafik 1).  – Die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger setzen die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Finanzmittel zur Förderung der Innovation fest. Im Sinne eines Regelkreises basieren ihre Entscheide auf dem Nutzen, der aus vorgängigen Entscheiden resultierte. Der Nutzen setzt sich zusammen aus dem Umsatz und der Anzahl neu geschaffener Stellen seitens des Verwenders der Innovation sowie aus dem Ertrag seitens des Entwicklers der Innovationsleistung. Die Entscheidungsträger beeinflussen den Innovationstransfer durch Förderung der Rahmenbedingungen für die Innovationsschaffenden (Innovationsofferte) und die Innovationsabnehmer (Innovationsnachfrage). Zudem beeinflussen sie Bildung und Forschung in Wissenschaft und Technologie (W&T) und im Management. – Auf der Praxisebene findet der eigentliche Innovationstransfer zwischen dem Anbieter einer Innovation (Innovationsangebot, z.B. Hochschule, Forschungszentrum, privater Anbieter) und dem Nachfragenden (Innovationsnachfrage, z.B. Unternehmen, Markt) statt. Der Transfer der Innovation kann gezielt gefördert werden, zum Beispiel durch IRC. Diese können private Vermittler, Technologietransferstellen an Hochschulen oder auch Beratungsbüros sein. – Die Ebene des W&T-Managements umfasst zum einen die wissenschaftlich-technische Entwicklung und zum anderen deren Management (Kommerzialisierung der Innovationen). Nur eine starke Synergie zwischen wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung und Kommerzialisierung kann zu einem Innovationstransfer führen. Das fachliche Wissen, aber auch jenes über Managementtechniken, muss in die Innovation und die Vermarktung einfliessen (Wissenstransfer).  Die in der Box «Management» in Grafik 1 aufgezeigten Wechselwirkungen entsprechen einem von der EU verwendeten Modell zur Förderung des Innovationsmanagements5 EU DG-Enterprise Innovation Papers No. 38: Innovation Management and the Knowledge-Driven Economy, 2004.. Die gleichen Wechselwirkungen gelten aber auch für den W&T-Bereich. In diesen beiden Bereichen spielt sich die Wechselwirkung zwischen Bildung (Hochschule) und Forschung ab, welche von Fachzentren und Beratungsfirmen unterstützt wird. Eine Neupositionierung der Hochschulen ist dabei unabdingbar. Die Experten empfahlen, als nächsten Schritt dieses Modell auf einen ausgewählten technologischen Bereich anzuwenden. Denkbare Bereiche sind die Biotechnologie oder die Mikrotechnologie; aber auch gesellschaftswissenschaftliche Bereiche wie die Pädagogik oder das Gesundheitswesen sind nicht auszuschliessen.

Definition von Indikatoren


Für die verschiedenen Elemente des Modells geht es nun darum, quantifizierbare Innovationsindikatoren zu definieren, mit denen die Leistung des Innovationssystems auf verschiedenen Niveaus erfasst werden kann. Die Niveaus beziehen sich auf regionale, branchenspezifische und marktrelevante Aspekte. Auf der Ebene der Praxis sollen primär drei Aspekte gemessen werden: – die Bereitstellung von Innovationsofferten und -nachfragen; – die Zusammenführung von Anbietern und Nachfragern; – der erfolgreiche Innovations- und Wissenstransfer.  Diese drei Indikatorengruppen führen sowohl für Anbieter als auch für Nachfrager zum Nutzen der Innovation. Der Nutzen wiederum liefert dann die Grundlagen für die Entscheidungsträger, ihren Mitteleinsatz zu optimieren.  Mit Hilfe dieser Indikatoren sollen die statistischen Grundlagen für die politischen Entscheidungsträger und Wirtschaftskreise erarbeitet werden. Auch wenn verschiedene Indikatoren bereits vorliegen, wird es notwendig sein, neue Indikatoren zu definieren, um das gesamte System auf allen Stufen erfassen zu können. Erst dann wird das Modell als effektives Entscheidungsinstrument auf wirtschaftlicher und politischer Stufe eingesetzt werden können.

Kasten 1: Teilnehmende Organisationen Die zur Teilnahme an der Delphi-Befragung eingeladenen 46 Experten gehörten zum Zeitpunkt der Befragung den unten aufgelisteten Organisationen an. Da jedoch die Delphi-Befragung anonym durchgeführt wurde, ist uns nicht bekannt, welche Experten welche Meinung vertraten. Ebenfalls darf nicht geschlossen werden, dass diese Organisationen irgendeine Stellung zu dieser Arbeit und diesem Artikel einnehmen.Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF), Staatsekretariat für Wirtschaft (seco), Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT), Bundesamt für Statistik (BFS), Zentrum für Wissenschaft und Technologiestudien (Cest), Europäische Kommission, Eurostat, Avenir Suisse, Economiesuisse, Osec Business Network, Steinbeis-Stiftung, verschiedene Universitäten und Fachhochschulen sowie verschiedene regionale Innovationstransfer-Zentren.

Zitiervorschlag: Giampiero Beroggi, Elisabeth Pastor, May Levy, (2005). Wie Innovation messen und effektiv fördern? Eine Delphi-Befragung. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.