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Auf dem Weg zu einer nationalen Innovationspolitik

Unsere Bevölkerung hat auch in Zukunft eine grosse Chance auf attraktive Beschäftigung und gute Löhne, wenn Unternehmen am Standort Schweiz im Innovationswettbewerb konkurrenzfähig sind. Gleichzeitig muss sich die Schweiz im globalen Wettbewerb der Standorte um wertschöpfungsstarke Unternehmen unter den Besten behaupten. Um das Potenzial auszuschöpfen, soll auf der Basis einer Innovationsstrategie versucht werden, neue Ideen von ihrer Entstehung bis zur erfolgreichen Anwendung am Markt umzusetzen und dabei Kundennutzen zu generieren. Das gelingt nur, wenn Unternehmen am Standort Schweiz in Schlüsselbranchen in den international stärksten Wertschöpfungsketten gut positioniert sind.

Schlüsselbranchen operieren in Geschäftsfeldern, die im globalen Innovationswettbewerb der nächsten Jahre überdurchschnittlich wachsen. Sie sind in hohem Masse exportaktiv und erzielen Breitenwirkung in der Binnenwirtschaft. Sie basieren auf neuen Technologiefeldern sowie besonderen Kompetenzen und Erfahrungen. Ihre Stärken sind die Einzigartigkeit ihrer Produkte, Prozesse und Geschäftsideen. Elemente dieser wirtschaftlichen Zukunft sind etwa: – Re-Industrialisierung durch Life Science, Bio- und Medizinaltechnologie, Mikrosystemtechnik oder Nano- und Oberflächentechnologie;  – dienstleistungsunterstützte Industrieprodukte, wie z.B. Engineering und Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologien;  – Dienstleistungsprodukte, wie z.B. Finanzoder Versicherungsleistungen.  Voraussetzung für den Erfolg in diesen Schlüsselbranchen sind eine hohe fachliche Kompetenz in den entsprechenden Wissenschaftsdisziplinen und Geschäftsfeldern, hervorragende Fachleute, hohe Qualität und Flexibilität am Arbeitsmarkt und – damit verbunden – gute Rekrutierungsmöglichkeiten für Firmen sowie für Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen.

Intakte Innovationsleistungsfähigkeit


Schweizer Firmen behaupten sich seit Jahren erfolgreich im internationalen Innovationswettbewerb. Allerdings ist ihre Innovationsneigung im Verlauf der Neunzigerjahre zurückgegangen. Wohl konnte die Industrie ihre europäische Spitzenstellung behaupten; doch haben wichtige Konkurrenten aufgeholt. Der Dienstleistungssektor blieb unangefochten. Dass der Vorsprung geschrumpft ist, liegt weniger an den regulierungsbedingten Innovationshemmnissen, die gemäss dem Test der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) an Bedeutung verloren haben. Vielmehr schmolzen aufgrund der hartnäckigen wirtschaftlichen Stagnation die für die Innovationsprojekte erforderlichen Finanzierungsreserven. Die Schweizer Industrie verhielt sich somit in ihren Innovationsaktivitäten prozyklisch. Sie reduzierte ihre Innovationsanstrengungen bei sinkenden Umsätzen und Gewinnen. Untersuchungen zeigen, dass die technologischen Grundlagen für eine Dynamisierung der Innovationstätigkeit ausgezeichnet sind und zunehmend auch genutzt werden. Schweizer Firmen betreiben für die Entwicklung ihrer technologischen Basis weltweit ein ausgesprochen erfolgreiches »Technology Sourcing». Dabei werden Wissenskomponenten aufgenommen und mit eigenen kombiniert oder zur Erweiterung der Wissensbasis in die Schweiz transferiert. Im Vergleich dazu spielt das Motiv der Kosteneinsparung über im Ausland durchgeführte Forschung und Entwicklung (F&E) nur eine untergeordnete Rolle. Effektiv haben die wachsenden F&E-Aktivitäten Schweizer Firmen an ausländischen Standorten den Forschungsplatz Schweiz gestärkt. Mit dem Aufbau neuer, leistungsfähiger F&E-Standorte intensiviert sich allerdings der Wettbewerb für F&E-Aktivitäten am Standort Schweiz. Langfristig muss sich unsere Forschung noch stärker in internationale Netzwerke integrieren und sich dort behaupten. Dies ist von den Fähigkeiten der Firmen wie auch der Schweizer Hochschulen abhängig.

Prinzipien der Innovationspolitik


Die stärkere Anwendung der Prinzipien Wettbewerb, Effizienz und Qualität sowie eine konsequentere Berücksichtigung systemischer Zusammenhänge können zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Schweizer Innovationssystems führen, ohne dass dafür zwingend in allen Bereichen mehr öffentliche Gelder zu Verfügung gestellt werden müssen. Diese Grundregeln der innovationsorientierten Ordnungspolitik stellen sozusagen die «Governance» des Innovationssystems dar, wie sie im Folgenden ausgeführt ist: – Innovation ist das Ergebnis unternehmerischen Handelns und somit die ureigenste Aufgabe der Firmen. Die Privatwirtschaft hat die primäre Verantwortung für Innovationsprozesse. Sie muss dafür die entsprechenden Freiräume haben. Die öffentliche Hand ist subsidiär. Der Staat soll günstige Rahmenbedingungen und attraktive Voraussetzungen schaffen, sei dies durch Regulierungen oder materielle Vorleistungen, wie z.B. Infrastruktur für Bildung und Forschung. In der beruflichen Weiterbildung setzt er den Rahmen für den Weiterbildungsmarkt und unterstützt die Transparenz in der Qualität der Angebote. – Innovationspolitik wirkt im System. Veränderungen in den Teilsystemen Bildung und Forschung (öffentlich und privat) haben Auswirkungen auf das Innovationsverhalten in der Wirtschaft und umgekehrt.  – Innovationen basieren auf Netzwerken. Grosse und kleine Firmen, Zulieferer und Abnehmer, F&E-Einrichtungen sowie Bildungsinstitutionen arbeiten in Netzwerken national und international lösungsorientiert zusammen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen beruht deshalb ganz wesentlich auf der Qualität dieser Zusammenarbeit. Die Attraktivität eines Standortes steht und fällt mit dem Angebot guter Bedingungen für eine solche Zusammenarbeit. – Innovationen brauchen Wettbewerb. Akteure der Teilsysteme stehen häufig im Wettbewerb untereinander und zu Akteuren anderer Teilsysteme. So besteht beispielsweise ein Wettbewerb unter den Hochschulen. Öffentliche Anbieter von F&E-Leistungen sind immer stärker mit privater Konkurrenz konfrontiert. Die Innovationspolitik soll sich am Wettbewerbsprinzip orientieren und sicherstellen, dass staatliche Fördermassnahmen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. – Innovationspolitische Massnahmen müssen wirkungs- und leistungsorientiert sein. Finanzielle Mittel sollen – soweit möglich – im Wettbewerb vergeben werden. Insofern soll Innovationsförderung die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Akteure stärken und den strukturellen Wandel unterstützen. Dazu gehört die Förderung einer schnellen Umsetzung und Verbreitung neuer Erkenntnisse, also der Diffusion.  – Staatliche Innovationsförderung arbeitet dezentral und nach dem Bottom-up-Prinzip. Die Initiative der oder des Einzelnen wird gefördert. Investiert wird in Projekte und weniger in Programme. Dies schliesst eine Fokussierung auf strategische Themen nicht a priori aus.  – Staatliche Innovationsförderung orientiert sich an Exzellenz. Sie zielt darauf ab, Menschen in ihren jeweiligen Tätigkeitsgebieten Chancen zu geben und damit zur Entfaltung ihrer Talente optimal beizutragen. – Staatliche Innovationsförderung basiert auf soliden Daten und fundierten Analysen. Für eine wirkungsorientierte Innovationspolitik werden Informationen über die Entwicklung, die Wirkungen von Politikmassnahmen sowie internationale Vergleiche und Benchmarking benötigt. Strategisches Controlling in Bildung, Forschung und Innovation ist fester Bestandteil der Innovationspolitik. Es bietet die Voraussetzung für die Verbesserung von Politikwirkungen (Policy Learning).   Im Folgenden werden diese Prinzipien auf einige Schwerpunkte einer künftig zu beschliessenden Innovationspolitik angewendet.

Exzellenz durch Differenzierung über Autonomie und Wettbewerb


Die traditionelle Universalhochschule kann sich nicht länger behaupten. Unter dem Druck mangelnder öffentlicher Finanzen, aber auch dem wachsenden Bedarf nach akademischen Spitzenleistungen ist eine Differenzierung und Spezialisierung der Hochschulen absolut notwendig. Ansätze dazu sind im internationalen Rahmen bereits deutlich erkennbar. Eine Bereinigung des Schweizer Hochschulportfolios ist unausweichlich. Der beste Weg dazu ist aber nicht eine Top-down-Entscheidung durch den Staat, sondern der Wettbewerb unter möglichst autonomen Hochschuleinheiten. Dabei sollen mittelfristig die Hochschultypen Universität, ETH und Fachhochschule (FH) strukturell gleich behandelt werden.

Richtige Anreize im Finanzierungssystem setzen


Entscheidend für die Steuerung und Weiterentwicklung des Hochschulsystems wie auch für dessen Effizienz ist das künftige Regelsystem der Finanzierung mit seinen Anreizen und Sanktionen. Wichtiger als die absolute Höhe der Beiträge dürfte dessen Ausgestaltung sein. Eine Finanzierung ausschliesslich über Kopfpauschalen auf der Grundlage von Durchschnitts-Standardkosten würde sicherlich die falschen Anreize setzen.  Im Grundsatz ist ein hoher Anteil von Grundfinanzierung anzustreben. Die Steuerung soll über einen einheitlichen Mix von leistungsorientierten und indikatorengestützten Finanzierungsformen, verbunden mit einheitlichen Grundsätzen der Qualitätssicherung, erfolgen. Zusätzliche Mittel sollen weit gehend über Leistungen (Output-Indikatoren) und im Wettbewerb vergeben werden. Das Bündel von Indikatoren für die Finanzierung könnte sich aus der Anzahl an Studierenden, Diplomanden und Doktoranden, aus eingeworbenen Drittmitteln sowie aus dem Forschungs-Output zusammensetzen. Die Indikatoren sollten für alle Hochschulen dieselben sein, zwischen Universitäten, ETH und FH aber je nach Profil unterschiedlich gewichtet werden.  Voraussetzung für die Umsetzung solcher Finanzierungsregeln ist die Vergleichbarkeit der Bildungskosten. Dies wird z.B. in der Berufsbildung mit der Kosten-Leistungs-Rechnung angestrebt. Die Aushandlung und Durchsetzung solcher Regeln wird eine besonders wichtige nationale Aufgabe im Rahmen der neuen Hochschullandschaft sein.

Gleichstellung von Fachhochschulen mit Universitäten und ETH


Absicht des politischen Entscheids vor knapp 10 Jahren war es, die FH mit einem erweiterten Leistungsauftrag als «gleichwertig, aber andersartig» in den Hochschulraum zu integrieren. Soll das Konzept von Autonomie und Wettbewerb der Hochschulen glaubhaft sein, stellt sich die Frage, wann und wie dies auch für die FH gelten soll.  FH sind relativ zu den universitären Hochschulen pro erreichtem Studienabschluss oder pro Studierenden teuer. Der Koordinations- und Administrativaufwand ist gegenüber früher deutlich grösser geworden. Bei Anwendung der gleichen Regeln im gesamten Hochschulraum werden die FH früher oder später mit deutlich weniger Mitteln pro Studierenden auskommen müssen.  Unter dem Zwang zur Profilierung sollten die FH ihren bisher entwickelten Praxisbezug zum Kern ihrer Strategie machen. Ohnehin ist über den Wettbewerb ein Selektionsprozess – d.h. Portfoliobereinigung sowie Profilierung nach Fächern resp. Studiengängen – zu erwarten. Einige FH werden zu Hochschulen mit Schwerpunkt F&E; andere werden ihren Schwerpunkt in der Lehre haben; wieder andere werden mit beidem im Wettbewerb bestehen. Ihre Profilierung kann nur über Exzellenz funktionieren. Über die für sie richtige Strategie sollen die Fachhochschulen selber entscheiden.

Dilemma bezüglich des Mittelbaus


Will sich eine Fachhochschule auch in F&E behaupten, dann muss sie die entsprechenden personellen Kapazitäten aufbauen können. Hierzu sind ein wissenschaftlicher Mittelbau sowie interne Karrieremöglichkeiten nach Exzellenzkriterien notwendig. Da die FH kein Promotionsrecht besitzen, fallen Assistenten mit Dissertationsprojekten weg. Zumindest teilweise kämen als Kompensation Studenten und Absolventen von Master-Studiengängen infrage. Dafür müssten sich aber die FH auf Master-Stufe in zahlreichen akkreditierten Bereichen profilieren können. Der Status der FH als Hochschule hängt somit wesentlich vom Entscheid über die Zulassung von Masterabschlüssen an FH ab.  Ein Ausbau der Masterstufe könnte allerdings das angestrebte FH-Modell gefährden, und zwar indem sich die Fachhochschulen immer mehr in Richtung der universitären Hochschulen entwickeln. Damit steht die FH-Politik vor einem echten Dilemma: Ohne Masterabsolventen – und damit verbundenen Mittelbau – haben die FH keine genügenden Kapazitäten, ihren erweiterten Leistungsauftrag zu erfüllen; mit Master-Studiengang und entsprechend starker F&E verändert sie ihren Charakter in Richtung einer universitären Hochschule. Dies könnte die Attraktivität und Bedeutung der Berufsmaturität beeinträchtigen und letztlich die berufsorientierte Bildungssäule schwächen.

Von der vertikalen zur horizontalen Gliederung


Das Bildungssystem als Ganzes wurde traditionell primär unter dem Gesichtspunkt einer vertikalen Gliederung organisiert. Dabei wird die Säule Berufsbildung/Fachhochschule dem akademischen Pfad über Gymnasium und Universität gegenübergestellt. Neu steht die horizontale Gliederung im Vordergrund, die einen integralen tertiären Bereich mit gleichen Regeln für Universitäten, ETH und FH vorsieht.  Das erwähnte Dilemma der FH führt zur Frage, ob sich beides simultan realisieren lässt. Ein möglicher Weg könnte in Richtung verschiedener Formen der themenspezifischen und komplementären Zusammenarbeit der FH mit universitären Hochschulen gehen – sowohl in der Lehre als auch in der F&E.

Wissens- und Technologietransfer erfolgt vor allem über Köpfe


Der wirksamste Wissens- und Technologietransfer (WTT) erfolgt über die Köpfe und damit über die Mobilität am Bildungs- und Arbeitsmarkt. Der beste Garant dafür sind gute Professorinnen und Professoren sowie leistungsfähige F&E-Teams an den Hochschulen. Solche Forschungsteams können Forschung, Lehre und Umsetzung zugleich anbieten. Unternehmen kommen vor allem über die Rekrutierung von Absolventen aus solchen Teams zu neuem Wissen. Diese bringen es als «Tacit Knowledge» – d.h. als gebundenes Wissen – mit in die Praxis. Es ist ein strategischer Entscheid jeder Hochschule, ob sie das Schwergewicht primär auf F&E oder auf die Lehre legt. Eine solche Profilierung ist auch bezüglich WTT notwendig und erwünscht. Hochschulen muss es möglich sein, unterschiedliche Rollen wahrzunehmen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Mix von Lehre, F&E und WTT in der gesamten Hochschullandschaft wichtig.

Verbundprojekte sind besonders wirksam


Der Staat kann positive Anreize schaffen, indem er Teile der Hochschulfinanzierung von der Beschaffung von Drittmitteln abhängig macht oder Verbundprojekte zwischen Hochschulen und der Wirtschaft fördert. Solche Verbundprojekte – wie sie von der Förderagentur für Innovation KTI finanziert werden – sind eine besonders effiziente Form der Umsetzung von F&E. Auch kann die Hochschule selbst Anreize schaffen, etwa im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Rechte am geistigen Eigentum für Erfindungen ihrer Mitarbeitenden oder in Form von Kooperationsmöglichkeiten mit der Wirtschaft über Diplomarbeiten und Praktika.  Die wirksamste Unterstützung ist die Förderung des Transfers von Personen zwischen Wirtschaft und Hochschulen und damit der Mobilität in beiden Richtungen. Möglichkeiten sind temporäre Aufenthalte von Studierenden, Post-Docs, Forschenden und Dozenten in der Wirtschaft oder Projektarbeiten des F&E-Personals der Unternehmen in Hochschulen.1  Die Anforderungen an den WTT sind je nach Branche, Technologie und Unternehmensgrösse unterschiedlich. Grossunternehmen – z.B. aus dem Pharmabereich – finanzieren ganze Forschungsteams und -infrastrukturen an Hochschulen im Bereich der Grundlagenforschung. Kleinere und mittlere Unternehmen – etwa aus der Metall-, Elektro- und Maschinenindustrie – sind stärker an kurz- und mittelfristigen, praktischen Lösungen interessiert. Dies entspricht eher dem Profil der FH. Im Sinne des Wettbewerbs- und Autonomieprinzips sollte der Bund nur ein Minimum an gesonderter Förderung von WTT-Stellen der Hochschulen anbieten. Diese Förderung sollte allen Hochschultypen gleichermassen nützen und erhebliche Skaleneffekte erzielen können, wie etwa die Unterstützung von Projektträgern und WTT-Stellen in Patent- und Vertragsfragen.

Kasten 1 – Arvanitis, S., Hollenstein, H., Marmet, D., Sydow, N., Forschungs- und Technologiestandort Schweiz: Stärken-/Schwächenprofil im internationalen Vergleich, Strukturberichterstattung Nr. 32, Studienreihe des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco), Bern 2005;- Hotz-Hart, B., Küchler, C., Neue Dynamik im schweizerischen Technologieportfolio, in: Die Volkswirtschaft 1/2-2005, S. 59-62.

Zitiervorschlag: Andreas Reuter-Hofer, Beat Hotz-Hart, (2005). Auf dem Weg zu einer nationalen Innovationspolitik. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.