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Jugendarbeitslosigkeit – Analyse und Massnahmen zur Bekämpfung

Jugendarbeitslosigkeit - Analyse und Massnahmen zur Bekämpfung

Die Jugendarbeitslosigkeit ist auch in der Schweiz ein Problem. Dies zeigt sich nicht zuletzt auf politischer Ebene. So hat der Bundesrat im Frühjahr dieses Jahres zusammen mit den Regierungsparteien, Experten sowie den betroffenen Bundesämtern – dem Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) sowie dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) – das Thema Jugendarbeitslosigkeit erörtert. Der folgende Beitrag zeigt auf, welche Massnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit das seco in diesem Jahr umgesetzt hat, gibt Hinweise auf erste Erkenntnisse und vermittelt einen kurzen Ausblick.

Jugendarbeitslosigkeit – ein Problem der Übergangsphasen


Jugendarbeitslosigkeit lässt sich als Problem der Übergänge erklären: Nach Abschluss der obligatorischen Schule findet normalerweise der Übergang 1 in die Berufsbildung oder eine weiterführende Schule der Sekundarstufe 2 statt. Anschliessend an die Berufsbildung gilt es, den Übergang 2 von der Berufsbildung in den Arbeitsmarkt zu bewältigen. Zu den Personen im Übergang 1 – das heisst in der Phase Schule/Berufsbildung – zählen die 15- bis 19-Jährigen. Arbeitslose Schulabgänger, welche sich bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden, weisen in überdurchschnittlichem Masse nur einen «mageren» schulischen Rucksack auf. Sie stammen häufig aus schwierigen familiären Verhältnissen und sind teilweise ausländischer Herkunft. Durch den Strukturwandel und den daraus resultierenden Trend zu Dienstleistungsberufen stellen immer mehr Lehrstellen hohe schulische und sprachliche Anforderungen. Jugendliche mit diesbezüglichen Defiziten haben es daher besonders schwer. Zudem reicht oft bereits der Hinweis auf eine ausländische Herkunft, um einen Bewerber abzulehnen. In einigen Fällen mangelt es auch an Vorbildern, welche motivieren, bei der Lehrstellensuche helfen und eventuell sogar potenzielle Lehrmeister persönlich kennen. In dieser Phase ihres Lebens ist die Persönlichkeit der Jugendlichen noch labil; das Gefühl, unerwünscht und nutzlos zu sein, kann schnell zu psychischen und sozialen Problemen führen. Zu den Jugendlichen im Übergang 2 – das heisst in der Phase Berufsbildung/Arbeitsmarkt – werden die 20- bis 24-jährigen Jugendlichen gezählt. Diesen Lehr- und Hochschulabgängern fehlt die Berufserfahrung ausserhalb des Lehrbetriebes. Dadurch werden sie – trotz ihrer guten Ausbildung – bei Stellenbesetzungen nicht berücksichtigt. Eine längere Arbeitslosigkeit birgt bei dieser Gruppe die Gefahr, dass erworbenes Wissen wieder verloren geht und die psychischen Folgen einer Langzeitarbeitslosigkeit die Chance auf einen Stellenantritt drastisch verschlechtern. Beide Kategorien Jugendlicher weisen eine hohe Saisonalität auf: Im Sommer/Herbst nach Ende des Schuljahres beziehungsweise der Berufslehre steigt die Jugendarbeitslosigkeit an. Sie erreicht im Winter ihren Höhepunkt und sinkt anschliessend, bevor sie nach Ende des nächsten Schuljahres wieder anzusteigen beginnt. Grafik 1 verdeutlicht diese saisonale Entwicklung.

Arbeitsmarktliche Massnahmen der Arbeitslosenversicherung


Die Arbeitslosenversicherung (ALV) bietet verschiedene arbeitsmarktliche Massnahmen an, um versicherte Personen rasch und dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzugliedern (vgl. Kasten 1 – Kurse;- Ausbildungspraktika;- Ausbildungszuschüsse;- Übungsfirmen;- Einarbeitungszuschüsse;- Motivationssemester;- Programme zur vorübergehenden Beschäftigung;- Berufspraktika;- Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit;- Pendler- und Wochenaufenthalterbeiträge;- spezielle Massnahmen bei Massenentlassungen.Weitere Informationen zu den arbeitsmarktlichen Massnahmen sind zu finden auf der Homepage der Arbeitslosenversicherung www.treffpunkt-arbeit.ch, Rubrik «Arbeitslos, was nun?», «Wiedereingliederung».). Organisation und Durchführung der einzelnen Massnahmen obliegen den einzelnen kantonalen Arbeitsämtern, während das seco die Kantone bei dieser Aufgabe unterstützt und beaufsichtigt. Für Jugendliche sind insbesondere die Motivationssemester, die Berufspraktika sowie die Übungsfirmen geeignet.

Übergang 1: Motivationssemester


Motivationssemester (Semo) nehmen eine spezielle Stellung innerhalb der arbeitsmarktlichen Massnahmen ein – und dies in zweifacher Hinsicht: – Erstens ist das Motivationssemester die einzige Massnahme, welche von Jugendlichen beansprucht werden kann, die sich direkt nach Abschluss der obligatorischen Schule bei der ALV melden. Für alle anderen AMM sieht das Gesetz eine Wartefrist von 120 kontrollierten Tagen vor, bevor Schulabgänger Leistungen der ALV beziehen können. Dadurch soll verhindert werden, dass sich Jugendliche nach der Schule und ohne erfüllte Beitragszeit direkt bei der ALV anmelden. – Zweitens ist das Ziel der normalerweise sechsmonatigen Massnahme, die Jugendlichen aufzufangen, punktuelle schulische Lücken zu schliessen und sie zu motivieren, eine Berufsausbildung, eine weiterführende Schule oder eine gleichwertige Ausbildung aufzunehmen. Damit soll verhindert werden, dass Jugendliche eine Arbeit aufnehmen, ohne eine entsprechende Ausbildung auf der Sekundarstufe 2 absolviert zu haben. Dies geschieht mit einer langfristigen Überlegung: Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind sowohl im Hinblick auf wiederholte Arbeitslosigkeit als auch im Hinblick auf die Dauer der Arbeitslosigkeit besonders anfällig, wie eine Nationalfondstudie bestätigt.1  An den Motivationssemestern nehmen relativ viele Jugendliche teil, welche nicht von der ALV verfügt werden; es sind so genannte «IIZ-Teilnehmer». IIZ heisst interinstitutionelle Zusammenarbeit und bedeutet, dass verschiedene Organisationen – wie etwa die Arbeitslosenversicherung, die Invalidenversicherung, das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (Berufsbildung), die Jugendämter sowie die Sozialdienste – ihre Teilnehmenden in die gleiche Massnahme schicken. Dadurch werden die Durchführungskosten der entsprechenden Massnahme gesenkt. Gerade bei Jugendlichen, welche sich in den Übergängen Schule/Berufsbildung/Arbeitsmarkt befinden, ist die Zusammenarbeit aller betroffenen Stellen äusserst wichtig.

Übergang 2: Berufspraktika


Jugendliche, welche nach erfolgreichem Abschluss ihrer Berufsbildung den Einstieg in den Arbeitsmarkt suchen, sind gut ausgebildet und somit für den Arbeitsmarkt ausreichend qualifiziert. Ziel der Arbeitsmarktmassnahmen muss es folglich sein, diesen Jugendlichen die fehlende Berufserfahrung, welche den Einstieg in den Arbeitsmarkt verhindert, zu vermitteln.  Dies geschieht beispielsweise im Rahmen von Berufspraktika in privaten Firmen oder Verwaltungen auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Dabei ist die ALV stark auf die Mithilfe von Arbeitgebern – private Firmen aller Grössen und Wirtschaftszweige, Verwaltungen – angewiesen. Schliesslich sind es diese Arbeitgeber, welche sich bereit erklären, Praktikumsplätze anzubieten. Daher hat das seco im vergangenen Mai in Zusammenarbeit mit dem Verband Schweizerischer Arbeitsämter, dem Schweizerischen Gemeindeverband sowie dem Schweizerischen Städteverband einen Aufruf lanciert, der über den Schweizerischen Arbeitgeberverband sowie den Schweizerischen Gewerbeverband auch an die privaten Arbeitgeber verschickt wurde. Ziel dieses Aufrufes war es, die Anzahl Praktikumsplätze für Jugendliche zu verdoppeln (vgl. Kasten 2).

Übergang 2: Übungsfirmen


Im kaufmännischen Sektor bietet ein Netz von Übungsfirmen Arbeitsplätze für ausgebildete Arbeitslose an. Dort sammeln die Jugendlichen in praktischen Arbeiten («on the job») Erfahrungen in allen internen Abläufen und Arbeiten einer Firma – von der Planung über den Einkauf, das Marketing sowie den Verkauf bis hin zur Buchhaltung. Die «gehandelten» Produkte werden jedoch nicht real hergestellt. Die rund 45 Übungsfirmen in der Schweiz sind mit dem weltweiten Netz solcher Unternehmen verbunden, sodass internationale Geschäftsbeziehungen real geübt werden können.

Übergang 1 und 2: Kantonale Massnahmen und Projekte


In vielen stark betroffenen Kantonen werden spezielle Massnahmen von der ALV unterstützt. Diese betreffen vorwiegend die Bereiche Betreuung/Vermittlung – wie etwa Coaching/Mentoring-Projekte -, Projekte zur Lehrstellenförderung und spezielle Arten der oben beschriebenen Massnahmen, wie zum Beispiel zielgruppenspezifische Berufspraktika. Sie werden dabei häufig im Rahmen der IIZ durchgeführt. Kantonale Massnahmen und Projekte ergänzen die bestehenden arbeitsmarktlichen Massnahmen sinnvoll und können gezielt auf die Anforderungen des regionalen Arbeitsmarktes eingehen. Oft werden die einzelnen Massnahmen mit den IIZ-Partnern gemeinsam aufgebaut und gefördert, wie beispielsweise «Vitamin L – Ausbildungspower» im Kanton Aargau, «Plan B» im Kanton Bern und «Entrée des Jeunes dans la Vie Active» im Kanton Waadt belegen.

Positives Fazit des Aufrufes 2005


Aufgrund der saisonalen Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit – und dadurch bedingt auch der Saisonalität der Entwicklung der Teilnehmerzahlen in den arbeitsmarktlichen Massnahmen – erfolgt eine quantitative Analyse erst Anfang 2006 für das ganze Jahr 2005. Dennoch lassen sich erste Tendenzen erkennen. Diese zeigen, dass die Anzahl Personen in Motivationssemestern – ohne Einbezug der IIZ-Teilnehmenden – bis Ende Jahr die Vorjahreswerte deutlich übertreffen und dass die budgetierte Anzahl voraussichtlich erreicht werden wird. Demgegenüber ist zur Zeit noch unklar, ob die Anzahl Personen in Berufspraktika die budgetierte Verdoppelung erreichen wird. Die Anzahl der Teilnehmenden in den Übungsfirmen hingegen dürfte den budgetierten Jahreswert deutlich übertreffen. Auch ohne detaillierte quantitative Auswertung lässt sich bereits heute ein positives Fazit des Aufrufes 2005 ziehen. Mit diesem Aufruf konnten die kantonalen und kommunalen Behörden sowie die privaten Unternehmen für das Problem der Jugendarbeitslosigkeit sensibilisiert werden. Weiter wurde ersichtlich, dass bei vielen Arbeitgebern Massnahmen ergriffen wurden, um die Jugendarbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen. Dies geschieht beispielsweise durch die Bereitstellung zusätzlicher Lehrstellen und Praktikumsplätze sowie durch die Weiterbeschäftigung von Lehrabgängern, welche noch keine Arbeitsstelle gefunden haben.

Ausblick 2006


Auch für das Jahr 2006 ist mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit zu rechnen. Folglich werden auch zukünftig viele Jugendliche an arbeitsmarktlichen Massnahmen teilnehmen. Wir gehen davon aus, dass der im Mai 2005 lancierte Aufruf auch 2006 noch eine Wirkung zeigen wird. Einige Unternehmen waren bisher noch nicht in der Lage, Lehrstellen und Praktikumsplätze anzubieten; sie planen dies jedoch für das nächste Jahr. Im Verlaufe des nächsten Jahres werden erste Erkenntnisse aus den 2005 ergriffenen kantonalen Massnahmen verfügbar sein. Die Frage, wie die Massnahmen der ALV weiter optimiert werden können, wird das seco 2006 – in Zusammenarbeit mit den kantonalen Arbeitsämtern und der Wirtschaft – auf drei Ebenen angehen: – auf inhaltlicher Ebene: z.B. der Einbezug von Massnahmen zur Gesundheitsprävention in den Motivationssemestern; – auf administrativer Ebene: z.B. die Schaffung von Praktikumsvermittlern, wie sie in einigen Kantonen bereits vorhanden sind; – auf finanzieller Ebene: z.B. eine Anpassung der Beiträge der Praktikumsfirmen.

Kasten 1 – Kurse;- Ausbildungspraktika;- Ausbildungszuschüsse;- Übungsfirmen;- Einarbeitungszuschüsse;- Motivationssemester;- Programme zur vorübergehenden Beschäftigung;- Berufspraktika;- Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit;- Pendler- und Wochenaufenthalterbeiträge;- spezielle Massnahmen bei Massenentlassungen.Weitere Informationen zu den arbeitsmarktlichen Massnahmen sind zu finden auf der Homepage der Arbeitslosenversicherung www.treffpunkt-arbeit.ch, Rubrik «Arbeitslos, was nun?», «Wiedereingliederung».

Kasten 2: Aufruf Praktikumsplätze Für private Unternehmen, aber auch für kommunale, kantonale und Bundesbehörden ist das Berufspraktikum sehr attraktiv. Der Arbeitgeber erhält bis zu sechs Monaten eine motivierte, ausgebildete Arbeitskraft, die er im Hinblick auf eine Festanstellung beurteilen kann. Er bezahlt jedoch keinen Lohn. Die Arbeitslosenversicherung zahlt weiterhin ein Taggeld aus und übernimmt davon bis zu 75%. Die restlichen 25% – mindestens aber 500 Franken pro Monat – werden dem Praktikumsbetrieb am Ende der Massnahme in Rechnung gestellt.Um Berufspraktika anbieten zu können, ist die ALV auf die Mitarbeit der Wirtschaft angewiesen. Die Anmeldung eines freien Praktikumsplatzes erfolgt über das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV).Dazu benötigt der Praktikumsbetrieb ein Formular, welches im Internet unter www.treffpunkt-arbeit.ch, Rubrik «Und für die Arbeitgeber…», «Berufspraktikum» bezogen werden kann. Dort befinden sich auch weitere Informationen zu den Berufspraktika.

Kasten 3: Links zur Jugendarbeitslosigkeit – www.treffpunkt-arbeit.ch: Seite der Arbeitslosenversicherung.- www.seco.admin.ch/publikationen/00401/index.html : Bericht des EVD zur Jugendarbeitslosigkeit.- www.bbt.admin.ch : Seite des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie.- www.motivationssemester.ch : Seite der Motivationssemester der Schweiz.- www.practicefirms.ch : Seite der Schweizerischen Übungsfirmenzentrale.- www.svoam.ch : Seite des Schweizerischen Verbandes der Organisatoren von Arbeitsmarktmassnahmen.- www.amosa.net/Jugend.htm : Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau und Zug: Studie über Jugendarbeitslosigkeit.- www.erz.be.ch/site/planb : «Plan B», Kanton Bern.- www.ag.ch/vitaminl/de/pub : «Vitamin L – Ausbildungspower», Kanton Aargau.- www.ejva.ch : «Entrée des Jeunes dans la Vie Active», Kanton Waadt.

Zitiervorschlag: Markus Weber (2005). Jugendarbeitslosigkeit – Analyse und Massnahmen zur Bekämpfung. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.