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Administrative Entlastung von KMU im Kanton Graubünden

Aus Unternehmerkreisen verlautet immer wieder der Ruf nach Bürokratieabbau. Dieser Forderung kann die Politik kaum in pauschaler Weise nachkommen. Vielmehr bietet sich die gezielte Entlastung der Unternehmen in einzelnen Bereichen an. Der Kanton Graubünden ist dieser Frage erstmals flächendeckend nachgegangen. Zur Bestimmung konkreter Massnahmen wurde ein Vorgehen in drei Schritten gewählt: Erstens wurde in einer Unternehmensbefragung erfasst, welche administrativen Vorschriften in welchen Branchen als besonders belastend empfunden werden. Zweitens wurde abgeklärt, über welchen konkreten Handlungsspielraum zur Entlastung die Verwaltung verfügt. Daraus liessen sich drittens geeignete Handlungsfelder für Entlastungsmassnahmen ableiten.

Administrative Tätigkeiten können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) so stark belasten, dass ihre produktiven Leistungen dadurch beeinträchtigt werden. Ziel der im Auftrag des Departements des Inneren und der Volkswirtschaft des Kantons Graubünden durchgeführten Unternehmensbefragung war die Identifizierung von Handlungsfeldern, die im Weiteren mit konkreten Massnahmen zur Entlastung der KMU bearbeitet werden können. Im Einklang mit Müller1 definiert die Untersuchung administrative Belastungen als Zusatzaufwand im Geschäftsbetrieb, der durch verbindliche behördliche Vorschriften ausgelöst wird, und zwar unabhängig davon, ob die betroffenen KMU daraus eigenen Nutzen ziehen oder nicht. Keine administrativen Belastungen sind somit Vorschriften, welche von KMU als Beschränkungen des unternehmerischen Handlungsspielraums wahrgenommen werden. Gleichfalls ausgeschlossen sind administrative Auflagen der Leistungserstellung, welche Belastungen für KMU in Form von Zusatzinvestitionen oder erschwerten Betriebsabläufen nach sich ziehen. Vgl. auch Bundesrat (2003), S. 2.

Methodisches Vorgehen


Die breit angelegte Untersuchung basiert auf einer Stichprobe von insgesamt 5846 Bündner KMU, denen im März 2005 ein zweiseitiger Fragebogen zugestellt wurde. Gemessen an der gesamten Zahl von Arbeitsstätten im Kanton Graubünden (gemäss Betriebszählung 2001 rund 12000) wurde somit etwa die Hälfte der KMU kontaktiert. Obwohl die Ziehung der Stichprobe nicht zufällig erfolgte, sind die Resultate insoweit als repräsentativ zu betrachten, als die Zusammensetzung der antwortenden KMU die Struktur der Bündner Wirtschaft recht gut abzubilden vermag. Zudem deutet auch die Rücklaufquote von 24% darauf hin, dass sich aus den Umfrageergebnissen ein ziemlich aussagekräftiges Bild der Befindlichkeit unter den KMU zeichnen lässt. Bei den rund 1400 antwortenden KMU besteht ein Übergewicht in der Gruppe der Kleinstunternehmen mit weniger als 1 Mio. Franken Jahresumsatz und 1 bis 9 Vollzeitbeschäftigten. Die Gruppe der KMU mit 10 bis 49 Beschäftigten macht noch rund ein Viertel der Stichprobe aus, während die grösseren KMU mit mehr als 50 Beschäftigten lediglich 7% für sich in Anspruch nehmen. Einerseits spiegelt dies die ausgeprägte Dominanz der gewerblichen Wirtschaft im Kanton Graubünden (85% der Betriebe haben gemäss Betriebszählung 2001 weniger als 10 Beschäftigte). Zum anderen dürften Klein- und Kleinstunternehmen von Administrativarbeiten vergleichsweise stärker betroffen sein, müssen sie doch den behördlichen Vorschriften mit deutlich geringerer Ressourcenausstattung Folge leisten, als es bei den grösseren Unternehmen der Fall ist. Daher könnte diese Gruppe auch zusätzliche Motivation verspürt haben, sich an der Erhebung zu beteiligen. Der nach Branchen gegliederte Rücklauf zeigt ein ähnliches Bild ungleichmässiger Verteilung. Während einige der insgesamt 19 Branchen – strukturbedingt – deutlich überrepräsentiert sind (Gast- und Baugewerbe, Gross- und Detailhandel, Produzierendes Gewerbe), sind andere, z.T. wertschöpfungsintensive Wirtschaftszweige in geringerem Ausmass vertreten (so z.B. Industrie, Maschinen-/Fahrzeugbau, EDV, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, Banken und Versicherungen, Nachrichtenübermittlung). Auch hier dürfte die grössere subjektive Betroffenheit der KMU in einzelnen Branchen zu einer gewissen anteilsmässigen Verzerrung beigetragen haben.

Erkenntnisse aus der Erhebung


Die Mehrzahl empfindet ihre administrativen Belastungen als gewichtig: Rund drei Viertel der antwortenden KMU sind der Auffassung, die Erledigung behördlicher Vorschriften verursache in ihrem Betrieb zu viel Aufwand. 43% gaben an, dies sei lediglich teilweise zutreffend. Für rund 21% ist dies eher nicht oder gar nicht der Fall. Die effektive Belastung erscheint indes als nicht so gravierend, wie es zahlreiche Voten in Öffentlichkeit und Politik vermuten lassen. So sagen etwas mehr als ein Drittel aller antwortenden KMU, der zeitliche Gesamtaufwand für die Erledigung behördlicher Vorschriften betrage in ihrem Betrieb im Durchschnitt mehr als 20 Stunden pro Monat; nur rund 5% gaben mehr als 60 Stunden an. Hingegen wenden rund 60% weniger als 20 Stunden pro Monat auf. Als weiteres Ergebnis mag überraschen, dass – entgegen den zuvor geäusserten Vermutungen – das effektive Ausmass der administrativen Belastungen tendenziell mit wachsender Unternehmensgrösse zunimmt. So schätzt die Gruppe der Kleinstunternehmen ihre Belastung als nicht so gross ein, wenden doch 70% von ihnen weniger als 20 Stunden pro Monat auf. Von den grösseren Unternehmen sagen dies lediglich zwischen 10% und 45%. Folglich empfindet die Mehrzahl der KMU die Administrativarbeiten zwar als belastend; ihre effektiv aufgewendete Zeit erscheint aber als moderat. Die beanstandeten Mängel sind dennoch ernst zu nehmen, weil sie bei den betroffenen Unternehmen Zusatzaufwand verursachen, der sich möglicherweise vermeiden lässt. Auch im Branchenvergleich zeigt sich, dass die KMU ihre Belastungen unterschiedlich wahrnehmen. Der Anteil der Unternehmen, für die behördliche Vorschriften zumindest teilweise zu viel Aufwand verursachen, schwankt zwischen rund 85% bei den Branchen Gastgewerbe, Tourismus und Verkehr sowie Industrie und rund 65% bei den privaten Dienstleistungen und der Grundversorgung. Die Belastungen aus der Mehrwertsteuerabrechnung, der Unternehmensbesteuerung, den Umweltschutzauflagen sowie der Rechnungslegung sind für alle Branchen gleichermassen von Bedeutung. Hingegen werden die übrigen Belastungsarten lediglich in einzelnen Branchen als bedeutsam empfunden. Aufgrund dieser unterschiedlichen Gewichtungen lassen sich schliesslich die vorrangigen Handlungsfelder für administrative Entlastungen auf kantonaler Ebene aus Sicht der betroffenen Unternehmen herausschälen. Diese liegen:  – erstens im Bereich Unternehmensbesteuerung und Rechnungslegung für alle KMU; – zweitens im Bereich der Bewilligungen für Unternehmen aus den Branchen Bau- und Gastgewerbe, Tourismus und Verkehr, Industrie sowie Grundversorgung; – drittens im Bereich Arbeitsauflagen für Unternehmen im Bau-, Gast- und produzierenden Gewerbe sowie in Tourismus und Verkehr.   Weiter sind folgende Handlungsfelder auszumachen: ausländische Arbeitnehmende, andere Steuern und Abgaben, Lehrlingsausbildung, Warenein- und -ausfuhr sowie Sozialversicherungen.

Behördlicher Handlungsspielraum ausschlaggebend


Angesichts des spezifischen Problemdrucks der KMU muss sich die Verwaltung fragen, in welchen Bereichen sie über Handlungsspielraum für Entlastungsmassnahmen verfügt. Da ihr der Weg einer Anpassung gesetzlicher Regeln verschlossen ist, sind diese vorab auf den Vollzug beschränkt. Damit konzentrieren sich Massnahmen auf die bereits vom Bundesrat definierten grundlegenden Optionen Beschleunigung, Vereinfachung und Koordination von Prozessen, Prüfung und Einführung alternativer Verfahren sowie Durchsetzung der Kundenorientierung.3 Hinzu kommt, dass die kantonale Verwaltung Regelungen, welche auf Bundesgesetz beruhen bzw. in der Kompetenz der Gemeinden oder anderweitiger Dritter (z.B. der Suva im Bereich der Unfallversicherung) liegen, kaum beeinflussen kann. Grafik 1 zeigt eine Zuordnung, wie sie unter Berücksichtigung dieser Überlegungen vorgenommen werden kann. Dabei handelt es sich um eine erste Schwerpunktbildung, die sich aufgrund einer Sichtung der Belastungstatbestände aus kantonaler Perspektive ergibt. Administrative Vorschriften im Bereich der Mehrwertsteuer, der statistischen Auskünfte an Bundesämter, der Rechnungslegung, der Lehrlingsausbildung sowie der Arbeitssicherheit sind auf kantonaler Ebene nicht oder kaum beeinflussbar, obwohl sie zu den häufig genannten Ursachen für administrativen Mehraufwand zählen. Abgeschwächt gilt dies auch für die Renten- und Arbeitslosenversicherungen sowie für den Warenverkehr mit dem Ausland. Hingegen können die Bereiche Quellensteuer sowie andere Steuern und Abgaben, die statistischen Auskünfte an den Kanton, die Haltung von Motorfahrzeugen sowie die Alkoholabrechnung direkt angegangen werden, da sie weit gehend auf kantonaler Ebene geregelt sind. Die wichtigsten Handlungsfelder liegen jedoch im Feld oben rechts. Hierzu gehören die administrativen Abläufe im Bereich der Unternehmensbesteuerung, die indes im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Steuerbelastung für Unternehmen am Standort Graubünden noch genauer zu untersuchen sind. Eine weitere Gruppe betrifft den Bereich der Bewilligungsverfahren (Umweltschutz, Bauvorhaben), deren verwaltungsseitige Organisation ebenfalls vertieft zu analysieren ist. Aus kantonaler Sicht sind schliesslich die Produktionsvorschriften sowie die Administration der ausländischen Arbeitnehmenden vorrangig. Mit Blick auf die Umsetzung konkreter Entlastungsmassnahmen in den definierten Bereichen hat die Unternehmensbefragung auch gezeigt, dass die KMU dazu bereit sind, bei der Erarbeitung von Massnahmen zu ihrer Entlastung mitzuwirken. Dies zeigt sich an einer grossen Zahl konkreter Vorschläge zur Effizienzsteigerung der behördlichen Verfahren. Die Verwaltung definiert drei strategische Stossrichtungen, die je nach Situation eingesetzt werden sollen: – Fokusgruppen mit Branchen- und Verwaltungsvertretern bearbeiten Handlungsfelder, die für einzelne oder mehrere Branchen von hoher Bedeutung sind. – Verwaltungsinterne Arbeitsgruppen bearbeiten administrative Abläufe, die mehrere Verwaltungsstellen betreffen. – Einzelne Bereiche sind noch genauer zu überprüfen, um die materiellen und/oder administrativen Ursachen der Belastung zu identifizieren. Danach können Fokusgruppen oder verwaltungsinterne Arbeitsgruppen eingesetzt werden.

Schlussfolgerungen


Die administrative Entlastung der KMU ist eine politische Aufgabe, die mit grosser Beharrlichkeit im Detail vorangetrieben werden muss. Verbesserungen schaffen Win-Win-Situationen, weil sowohl die Unternehmen weniger Administrativarbeiten zu bewältigen haben als auch die Verwaltung von effizienteren Abläufen profitiert. Die vorgestellte Erhebung verschafft Gewissheit darüber, wie die Prioritäten für solche Entlastungsmassnahmen zu setzen sind. Die grosse Beteiligung zeigt zudem, dass KMU bereit sind, bei der Suche nach geeigneten Lösungen Hand zu bieten.

Grafik 1 «Kantonale Handlungsfelder für Entlastungsmassnahmen»

Kasten 1: Literatur – Müller, Christoph (1998): Administrative Belastung von KMU im internationalen und kantonalen Vergleich, Studienreihe Strukturberichterstattung, hrsg. vom Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (heute seco), St. Gallen, 1998.- Schweiz. Bundesrat (1999): Massnahmen zur Deregulierung und administrativen Entlastung, Bericht des Bundesrates vom 3. November 1999.- Schweiz. Bundesrat (2003): Massnahmen des Bundes zur administrativen Entlastung in den Unternehmen, Bericht des Bundesrates vom 16. Juni 2003.

Zitiervorschlag: Lutz E. Schlange (2006). Administrative Entlastung von KMU im Kanton Graubünden. Die Volkswirtschaft, 01. Februar.