Suche

Abo

Erdölabhängigkeit der Schweiz – rechtzeitige Vorsorge ist angebracht

Erdölabhängigkeit der Schweiz - rechtzeitige Vorsorge ist angebracht

Die Energieversorgung der Schweiz beruht zu gut 80% auf der Einfuhr von Erdöl, Erdgas, Kernbrennstoffen und Kohle. Unsere Binnenlage verschärft die Importabhängigkeit. Zudem haben in den vergangenen Monaten verschiedene Ereignisse im In- und Ausland die Sicherheit der Energieversorgung in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Die Vorstellung von flächendeckenden Strom-Blackouts als Folge ungenügender Transport- und Versorgungskapazitäten, von zugedrehten Öl- und Gashähnen und damit neuer Energiekrisen wirkt in der Tat beunruhigend. Die Erdölkrisen der Vergangenheit schlugen sich zwar in Preiserhöhungen nieder, aber die Räder standen nie still. Physische Angebotsverknappungen waren, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer. Kann somit entwarnt werden?

Rohöl wird auf praktisch allen Kontinenten aus 830000 Bohrlöchern gefördert, in 700 Raffinerien weltweit verarbeitet, in mehr als 3000 Erdöltankern sowie über Pipelines, Schiene und Strasse zu den Konsumenten befördert. Zudem sind die flüssigen Brenn- und Treibstoffe mit verhältnismässig geringem Aufwand lagerbar. Die Bevorratung auf allen Stufen bis hin zum Tank des Konsumenten bildet zusammen mit der Vielzahl der Versorgungswege ein überaus flexibles Gesamtsystem. Schliesslich werden Rohöl und die Endprodukte an der Börse gehandelt, was den Markt transparent macht. Dies wiederum gibt dem Markt ein hohes Mass an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Erdölreserven: Geologisch gesichert, politisch umkämpft


Diese beste aller Erdölwelten setzt aber in entscheidender Weise voraus, dass die erdölfördernden Staaten willens und in der Lage sind, die Welt mit genügend Rohöl zu versorgen. Technisch/geologisch gesehen sind sie dies, decken doch die heute gesicherten Reserven den Bedarf von mehreren Jahrzehnten. Verbesserte Fördertechnologien und – in allerdings kleinerem Umfang – zu erwartende weitere Ölfunde in unterexplorierten Gegenden verstärken die Gewissheit der Erdölindustrie, dass die geologische Verfügbarkeit der fossilen Ressourcen auf absehbare Zeit hin kein eigentliches Problem darstellt. Hingegen stellt sich die Frage nach dem politischen und wirtschaftlichen Willen, die vorhandenen fossilen Ressourcen auch tatsächlich zu nutzen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass es sich letztlich kein Förderland leisten kann, auf die Einkünfte aus dem Erdöl- und Erdgasverkauf zu verzichten. Die Produzenten sind somit genauso erdölabhängig wie wir. Das setzt tatsächlich gelebtem solidarischem Verhalten unter ihnen – z.B. innerhalb der Opec – von vornherein Grenzen: Nicht nur bei uns geht im Ernstfall das Eigeninteresse der deklamierten Solidarität vor. Deshalb war und ist die «Waffe Öl» höchstens für kurzzeitiges Säbelrasseln geeignet.  Dieser Befund kann indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Erdölwirtschaft und Förderländer heute und in den nächsten Jahren einem hohen Handlungsbzw. Investitionsbedarf gegenüberstehen. Denn die globale Nachfrage nach fossilen Energieträgern wird weiter steigen. Die komfortablen Reservekapazitäten der vergangenen zwei Jahrzehnte auf den Stufen Förderung und Raffination haben sich zwar nicht aufgelöst, sind aber auf ein Niveau reduziert, das der künftigen Nachfrageentwicklung nicht gerecht wird. Wird in den nächsten Jahren nicht mehr investiert, dürften die Preise so lange weiter steigen, bis die Nachfrage zurückgeht.

Staatliche Investitionen im grossen Stil


Ausserhalb des Westens ist das schon vor einiger Zeit erkannt worden: Die Länder mit dem stärksten Verbrauchszuwachs (China und Indien) betreiben eine aktive, ja aggressive, staatlich gelenkte Investitionspolitik in wichtigen Förderregionen. Ihr Ziel: Die Sicherung von Erdölquellen und der Versorgungswege. Für den Westen, der diese Aufgabe bisher an die internationalen Konzerne quasi delegiert hatte, ist damit eine neue Konkurrenzsituation entstanden. Verschärft wird diese dadurch, dass einige Erdölförderländer immer mehr dazu übergehen, über staatliche Ölunternehmen das Geschäft in den eigenen Händen zu behalten. Und dort, wo das nicht der Fall ist, stellen sich vielfach Fragen nach der Investitionssicherheit, d.h. nach dem politischen und rechtlichen Umfeld. Zudem nimmt die Ergiebigkeit westlicher Ölquellen ab. Die Karten werden neu verteilt. Schlussfolgerungen: Die Sicherheit der Energieversorgung nimmt schon heute einen höheren Stellenwert ein als früher. Wir tun gut daran, das in unserer Macht Stehende beizutragen: Verbesserung der Energieeffizienz, Diversifikation der Energieträger und der Versorgungswege, Sicherstellung offener und damit flexibler Energiemärkte und – für den Fall der Fälle – eine einexerzierte Pflichtlagerorganisation.

Zitiervorschlag: Rolf Hartl (2006). Erdölabhängigkeit der Schweiz – rechtzeitige Vorsorge ist angebracht. Die Volkswirtschaft, 01. März.