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Diversifikation – das Gebot der Stunde

Die Abhängigkeit unseres Landes von Erdölprodukten ist mit einem Anteil von knapp 60% gefährlich hoch. Erdgas stellt für viele Anwendungen eine kommerziell und technisch mindestens ebenbürtige Alternative mit ökologischem Mehrwert dar. Umso bedauerlicher ist der «Rückstand» der Schweiz beim Erdgas, denn auch Umweltaspekte sprechen für diesen Energieträger. Nach der Förderung braucht Erdgas keine Emissionen verursachenden Umwandlungsprozesse in Raffinerien. Erdgas ist ungiftig für Mensch und Tier sowie für Boden und Gewässer, ist frei von organisch gebundenem Stickstoff und Schwefel. Bei der Verbrennung erzeugt Erdgas keinen Russ und gibt keine Schwermetalle an die Umwelt ab. Die CO2-Emissionen sind um 25% geringer als beim Heizöl.

Die 60%-ige Erdölabhängigkeit der Schweiz ist je nach Bereich höchst unterschiedlich: Bei der Stromproduktion spielt Öl gar keine Rolle. Im Wärmemarkt gibt es neben dem immer noch dominierenden Heizöl mit Erdgas, Strom, Holz und Fernwärme eine ganze Reihe von Alternativen, die überdies laufend Marktanteile gewinnen. Im Bereich der Prozessenergie für die Industrie ist Erdgas ebenfalls von hoher Bedeutung – soweit ein Erdgasnetz vorhanden ist. Dramatisch hingegen ist die Abhängigkeit vom Erdöl bei den Motorfahrzeugen, und bei den Flugtreibstoffen muss man schlicht von einem Monopol sprechen.

Schweizer Erdgasanteil unter europäischem Durchschnitt


In den meisten dieser Bereiche bietet Erdgas die Möglichkeit, zu technisch und kommerziell guten Bedingungen Öl zu substituieren und mittels Diversifikation die Risiken der Abhängigkeit abzufedern. Weshalb aber setzt denn die Schweiz mit 12% nur halb soviel Erdgas als Primärenergie ein als die umliegenden Länder?  – In der Schweiz ist der Bau von Erdgasnetzen aus topografischen Gründen deutlich aufwändiger. – Die Schweiz hat keine «Kohletradition», weshalb historisch kein Druck zur Substitution dieses als «schmutzig» betrachteten Energieträgers bestand. – Die Schweiz produziert (noch?) keinen Strom mittels Gaskombi-Kraftwerken: Während in anderen Ländern die Stromproduktion mit Erdgas als Klimaschutzmassnahme gilt, weil Schweröl und Kohle substituiert werden, stellen solche Kraftwerke in der Schweiz angesichts heute weit gehend CO2-freier Stromproduktion ein – wenn auch nicht unlösbares – Klimaproblem dar. – Last but not least hat es die Schweizer Politik immer noch nicht fertig gebracht, die im Vergleich zur EU dreimal so hohe Besteuerung von Erdgas als Treibstoff zu reduzieren. Bei den flüssigen Treibstoffen gilt unser Land hingegen immer noch als Eldorado für ausländische Tanktouristen.

Geografisch breit diversifiziertes Beschaffungsportfolio


Die Abhängigkeit von Erdölnationen ist das eine. Doch auch Erdgas wird zu 100% in die Schweiz importiert. Immerhin wird die westeuropäische Erdgasnachfrage zu über 60% durch eigene Produktion abgedeckt. Die statische Reichweite der sicher gewinnbaren Erdgastreserven ist mit 67 Jahren über 50% höher als beim Erdöl. Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat allerdings gezeigt, dass es ein geografisch breit diversifiziertes Beschaffungsportfolio mit langfristigen Verträgen bei langjährigen, zuverlässigen Partnern in politisch stabilen Ländern braucht, um Engpässe zu verhindern.  Die Lieferanten der Schweiz verfügen über grosse Untertagspeicher, wie sie in der Schweiz aus geologischen Gründen nicht möglich sind. Diese können auch eine temporäre Versorgungseinschränkung überbrücken. Die umliegenden Lieferländer übernehmen somit für die Schweiz auch eine Puffer-Funktion. Insgesamt 12 verschiedene Einspeisungen versorgen die Schweiz an ihren Grenzen zu Deutschland, Frankreich und Italien mit Erdgas.

Emissionen und Abhängigkeit reduzieren


Die Risikoexposition der Schweiz ist beim Erdöl im Mobilitätsbereich am gravierendsten. Hier gilt es deshalb in erster Linie anzusetzen, wenn die Abhängigkeit reduziert werden soll. Auch dafür bietet Erdgas – vor allem zusammen mit einheimischem, CO2-neutralem Biogas – eine kommerziell und technisch ausgereifte Substitutionsmöglichkeit. Gemessen an der Zahl von rund 3,5 Mio. immatrikulierten Fahrzeugen in der Schweiz haben die inzwischen 2000 Erdgasfahrzeuge die Promille-Grenze noch nicht erreicht. Die Schweizer Erdgaswirtschaft war auf eigene Kosten für den Ausbau des Tankstellennetzes auf inzwischen über 60 Stationen besorgt. Rund 100 sollten es bis 2007 sein. Es liegt nun an der Politik, den Gastreibstoffen durch die schnelle Revision des Mineralölsteuergesetzes zum Durchbruch zu verhelfen – zur Reduktion der Emissionen wie auch zur Reduktion der Erdölabhängigkeit im Treibstoffbereich.

Zitiervorschlag: Jean-Marc Hensch (2006). Diversifikation – das Gebot der Stunde. Die Volkswirtschaft, 01. März.