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Massnahmen zur Sicherstellung der Erdölversorgung

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Der weltweit steigende Verbrauch von Erdöl sowie zunehmende angebotsseitige Störungen des Erdölmarktes können bereits heute dazu führen, dass es für die Schweiz innerhalb kurzer Zeit zu Einschränkungen beim Import kommen kann. Kleineren Schwierigkeiten vermag die schweizerische Erdölwirtschaft mit ihrer flexiblen Versorgungsstruktur selbst zu begegnen. Für die Bewältigung von grösseren Erdölkrisen trifft der Bund zusammen mit der Wirtschaft Vorbereitungen. Die Pflichtlagerhaltung, Massnahmen zur Verbrauchseinschränkung und die Mitwirkung bei der Internationalen Energieagentur (IEA) stehen dabei im Vordergrund.

Mit einem Anteil von knapp 60% am Gesamtenergieverbrauch1 ist Erdöl der mengenmässig wichtigste Energieträger der schweizerischen Energieversorgung. Das Fehlen eigener Vorkommen in der Schweiz macht Erdöl unter versorgungspolitischen Gesichtspunkten zu einem sehr kritischen Gut. Dies wird durch die Tatsache verstärkt, dass die wichtigsten Erdölquellen meist in politisch wenig stabilen Regionen der Welt liegen und die Förderung und Aufbereitung bei gleichzeitig weltweit stark steigender Nachfrage zusehends schwieriger wird. Zudem werden die schwindenden Kapazitätsreserven entlang der Erdölwertschöpfungskette (Förderung, Transport, Raffinierung, Lagerhaltung) in Zukunft neben starken Preisschwankungen auch zu temporären Unterversorgungen führen, welche nicht in jedem Fall ohne Weiteres durch die Wirtschaft selbst kompensiert werden können. Kommen unvorhergesehene Ereignisse hinzu – wie im vergangenen Sommer der Hurrikan «Katrina», welcher in den USA vorübergehend zu erheblichen Störungen in der Treibstoffversorgung geführt hat -, so rückt jeweils die Frage der Versorgungssicherheit bei Erdölprodukten im eigenen Land sofort wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Erdölversorgung der Schweiz


Die Versorgung der Schweiz mit Erdöl erfolgt aus verschiedenen Quellen sowohl in Form fertiger Produkte als auch von Rohöl. Fertigprodukte wie Heizöl, Benzin, Diesel und Flugpetrol werden zu rund 60% aus europäischen Ländern importiert. Diese Produkte gelangen über Strasse, Schiene, den Rhein oder die Pipeline Marseille-Vernier in die Schweiz. Die übrigen Mengen an Fertigprodukten stammen aus den beiden Inlandraffinerien Cressier und Collombey, die praktisch ausschliesslich Treib- und Brennstoffe für den schweizerischen Markt herstellen. Das dazu benötigte Rohöl – hauptsächlich leichte Sorten – kommt grösstenteils aus afrikanischen Ländern (Libyen, Nigeria, Algerien), während nur ein kleiner Teil aus dem Mittleren Osten (Iran) bezogen wird. Die Einfuhr des Rohöls erfolgt über die beiden Pipelines von Genua und Fos-sur-Mer. Neben der direkten Abhängigkeit von diesen Rohöl-Lieferländern besteht auch eine indirekte Abhängigkeit von weiteren Rohöl-Produktionsländern wie Russland, einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und dem Mittleren Osten; von diesen beziehen die europäischen Länder Rohöl, welche wiederum die Schweiz mit Fertigprodukten beliefern.

Strategie der wirtschaftlichen Landesversorgung


Der Bund trifft auf der Grundlage des Landesversorgungsgesetzes bereits heute Vorbereitungen, um im Falle von Mangellagen die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen zu können. In enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erarbeitet die wirtschaftliche Landesversorgung (WL) die notwendigen Massnahmen, die jedoch erst zum Tragen kommen, wenn der Markt aufgetretene Versorgungsstörungen nicht mehr selber beheben kann. Solche Eingriffe in das Marktgeschehen sind nur statthaft, wenn eine physische Mangellage besteht. Preiserhöhungen alleine, auch noch so schmerzhafte, gestatten eine solche Massnahme nicht. Nach der geltenden Strategie der WL stehen zur Bekämpfung von kurz- und mittelfristigen Versorgungsengpässen vorbereitete Massnahmen der Angebotslenkung im Vordergrund. Bei leichteren Versorgungskrisen im Erdölmarkt soll die Schweiz bis sechs Monate voll mit Erdölprodukten versorgt werden. In dieser Situation wird die Sicherstellung in erster Linie über die Freigabe von Pflichtlagern, meist begleitet von flankierenden Massnahmen wie einer Lieferpflicht, erfolgen (siehe Grafik 1, Phase 1). Mögliche Ursachen für eine solche Versorgungsstörung können eine internationale Verknappung von einigen Prozenten der Weltproduktion während wenigen Wochen bis einigen Monaten sein, so bei politischen Ereignissen in einem Förderland. Denkbar ist aber auch eine nationale Mangellage auf Grund einer Kombination mehrerer für die Schweiz relevanter Umstände und Ereignisse, wie eine Sperrung der Rheinschifffahrt und der Ausfall einer Raffinerie. Wegen der sehr knappen freien Betriebsvorräte der Branche könnte es ohne Massnahmen des Bundes beim Treibstoff oder beim Heizöl bereits nach einem weit gehenden Versorgungsunterbruch von 1 bis 2 Wochen zu einer spürbaren physischen Mangellage kommen. Erst wenn eine Vollversorgung trotz Angebotslenkungsmassnahmen nicht mehr gewährleistet wäre und eine Verbesserung der Versorgungslage nicht absehbar ist oder wenn plötzlich gravierende Ereignisse wie ein politischer Umsturz in einem Hauptförderland mit einem längerfristigen, massiven Förderausfall mit einem deutlichen Rückgang der Weltproduktion erfolgt, würde der Bundes-rat auch Verbrauchseinschränkungen ins Auge fassen. Für diesen Fall sind Nachfragelenkungsmassnahmen vorgesehen, so z.B. eine Kontingentierung oder Rationierung (Phase 2).

Massnahmen der Angebots- und Nachfragelenkung für Versorgungskrisen

Pflichtlagerfreigabe


Das wichtigste Instrument zur Bewältigung von Versorgungsengpässen ist die Pflichtlagerhaltung. Die Importeure von Erdölprodukten sind verpflichtet, Autobenzine, Diesel und Heizöl im Umfang von viereinhalb Monaten eines Normalverbrauchs an Pflichtlager zu legen. Beim Flugpetrol sind es drei Monate. Im Falle einer Verknappung dieser Erdölprodukte in der Schweiz oder in Mitgliedländern der IEA (siehe Kasten 1 Die IEA wurde 1974 als Reaktion auf das arabische Ölembargo von 1973 als autonome Organisation der OECD gegründet. Die Mitgliedländer, unter ihnen auch die Schweiz, sind unter anderem dazu verpflichtet, mindestens für 90 Tage ihren Verbrauch von Erdöl bzw. Erdölprodukten an Lager zu halten und weitere Massnahmen vorzubereiten, um bei gravierenden Störungen den Verbrauch einschränken und eine Versorgung mit Erdöl so gut als möglich sicherstellen zu können. In extremen Situationen haben die Länder gemäss Übereinkommen sogar die weltweit verfügbaren Ölmengen solidarisch unter sich aufzuteilen. ) liesse sich eine Versorgungslücke durch die Freigabe von Pflichtlagern kompensieren (Angebotslenkung). Im letzteren Fall bedürfte es dazu jedoch eines verpflichtenden Beschlusses der IEA. Mit dieser Massnahme wird nun aber nicht nur eine Vollversorgung – und damit eine Beruhigung des Marktes – erreicht, sondern gleichzeitig auch grosser volkswirtschaftlicher Schaden vermieden, der durch eine Unterversorgung oder eine allzu frühe Einschränkung des Mineralölverbrauchs entstehen würde. Der administrative Aufwand einer Pflichtlagerfreigabe ist gering; die Massnahme kann bereits innerhalb von zwei Wochen in Kraft gesetzt werden. Mit ihr gewinnt die zuständige Bundesbehörde überdies die notwendige Zeit und den erforderlichen Handlungsspielraum, um allfällig weitere, umfangreichere Bewirtschaftungsmassnahmen vorbereiten zu können, sollte sich eine schwer wiegende oder länger andauernde Versorgungskrise abzeichnen.

Bewirtschaftung von Heizöl


Bei einer Heizölbewirtschaftung ist vorgesehen, dass der Verbraucher Heizöl nur noch gegen Vorlage eines Bezugsausweises im Umfang einer von der Bewirtschaftungsbehörde festgelegten Menge beziehen kann. Als Basis für diese Bezugsmenge dient der individuelle Verbrauch vor der Bewirtschaftung. Der Verbrauch wird um einen einheitlichen Bewirtschaftungssatz reduziert, den der Bundesrat auf Grund der jeweiligen Versorgungslage festsetzt. Als Massnahme der Nachfragelenkung gestattet die Heizölbewirtschaftung den Behörden, direkten Einfluss auf den Brennstoffverbrauch zu nehmen.

Rationierung von Autobenzin und Diesel


Bei einer Treibstoffrationierung ist der Bezug von Autobenzinen und Diesel an öffentlichen und Betriebstankstellen ebenfalls nur noch gegen Vorweisung eines Bezugsausweises möglich. Für jedes immatrikulierte Fahrzeug wird dem Halter jeweils für zwei Monate ein Bezugsrecht für eine von der Fahrzeugart abhängige, einheitliche Menge Treibstoff abgegeben. Spezielle Regelungen sind für Verbraucher des öffentlichen Verkehrs, der Landwirtschaft oder der Ordnungs- und Rettungsdienste vorgesehen. Die Übertragbarkeit der Ausweise zwischen Verbrauchern mit einem Minderbzw. Mehrbedarf gestattet eine unbürokratische Umverteilung und damit einen Ausgleich, ohne dass der Staat sich um die Einzelfallgerechtigkeit zu kümmern braucht.

Kontingentierung von Flugpetrol


Für die Bekämpfung von Engpässen in der Flugpetrolversorgung ist das Instrument der Kontingentierung vorgesehen. Mit ihr wird eine Einschränkung des Absatzes und damit indirekt auch des Verbrauchs von Flugpetrol auf den Schweizer Flughäfen bezweckt. Durch diese Massnahme werden Importeure und Händler in die Pflicht genommen, die mit den Fluggesellschaften Lieferverträge abgeschlossen haben und die auf Schweizer Flughäfen an in- und ausländische Fluggesellschaften Flugpetrol liefern. Die für den Absatz freigegebene Menge richtet sich nach der Höhe eines bestimmten Referenzsatzes, welcher monatlich – unter Berücksichtigung eines der Versorgungslage entsprechenden Kontingentierungssatzes – reduziert wird.

Flankierende Massnahmen


Zur Unterstützung der oben beschriebenen Angebots- und Nachfragelenkungsmassnahmen können flankierende Massnahmen ergriffen werden. Einzelne oder gleichzeitig mehrere solcher Massnahmen sind situativ zur Unterstützung oder Ergänzung der Hauptmassnahme möglich. Beim Autobenzin und Diesel werden drei Arten flankierender Massnahmen unterschieden: – So genannte Soft-Massnahmen sollen auf freiwilliger Basis zu einer Verhaltensänderung im Umgang mit der Mobilität führen. Mit Aufrufen zu einer energieeffizienten Fahrweise, zur Bildung von Fahrgemeinschaften, zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr und zur Reduktion des Freizeitverkehrs lässt sich der Treibstoffverbrauch um rund 5% verringern. – Weitere angeordnete Massnahmen, wie Temporeduktionen, Verkehrsbeschränkungen auf Grund der geraden bzw. ungeraden Kontrollschildnummern oder ein Sonntagsfahrverbot können ebenfalls zu einer Reduktion des Treibstoffverbrauchs beitragen. – Schliesslich können – zusätzlich zur Pflichtlageröffnung – auch angebotsseitige Massnahmen eingesetzt werden. Mit einer Ausfuhrbeschränkung und einem Kanistermitführverbot kann einem unkontrollierten Abfluss von Treibstoffen ins Ausland entgegengewirkt werden.

Pflichtlagerfreigabe nach «Katrina»


Trotz wachsender Zunahme des weltweiten Erdölverbrauchs und der anhaltenden politischen Instabilität gewisser Förderländer hat es in der Erdölversorgung der Schweiz seit Langem keine wirkliche Mangelsituation mehr gegeben, die den Einsatz von Bewirtschaftungsmassnahmen erfordert hätte. Seit 1973, als der Bundesrat ein Sonntagsfahrverbot, eine Reduktion der Tempolimiten und ein Kanisterabfüllverbot erlassen hatte, war es im September 2005 das erste Mal, dass das zuständige EVD mit einer Pflichtlagerfreigabe wieder eine Bewirtschaftungsmassnahme in Kraft setzen musste. Diese Massnahme wurde notwendig, um auf die Versorgungsausfälle beim Benzin in den USA als Folge des Hurrikans «Katrina» reagieren zu können, dies, nachdem die IEA ihren Notstandsplan aktiviert hatte. Wäre auch in der Schweiz eine physische Mangellage entstanden, so hätte rasch eine Alimentierung des Marktes erfolgen können. Glücklicherweise musste von dieser Möglichkeit jedoch kein Gebrauch gemacht werden. Immerhin hat die Massnahme zu einer deutlichen Beruhigung des Marktes geführt.

Grafik 1 «Bewirtschaftungsmassnahmen für Erdölprodukte»

Kasten 1: Internationale Energieagentur (IEA) Die IEA wurde 1974 als Reaktion auf das arabische Ölembargo von 1973 als autonome Organisation der OECD gegründet. Die Mitgliedländer, unter ihnen auch die Schweiz, sind unter anderem dazu verpflichtet, mindestens für 90 Tage ihren Verbrauch von Erdöl bzw. Erdölprodukten an Lager zu halten und weitere Massnahmen vorzubereiten, um bei gravierenden Störungen den Verbrauch einschränken und eine Versorgung mit Erdöl so gut als möglich sicherstellen zu können. In extremen Situationen haben die Länder gemäss Übereinkommen sogar die weltweit verfügbaren Ölmengen solidarisch unter sich aufzuteilen.

Zitiervorschlag: Mueller, Peter (2006). Massnahmen zur Sicherstellung der Erdölversorgung. Die Volkswirtschaft, 01. März.