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Preisvolatilität und Versorgungssicherheit

In Zukunft sind beim Erdöl vermehrt signifikante, kurzfristige Preisschwankungen zu erwarten. Gründe dafür sind das verlangsamte Wachstum der Produktion in vielen Förderländern und die kleiner werdenden Reservekapazitäten der weltweiten Förderleistung, aber auch unvorhergesehene Ereignisse, die Nachfrage oder Angebot beeinflussen. Diese Preisschwankungen können zu unerwarteten und unerwünschten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen führen. Es stellt sich deshalb die Frage, inwieweit vorhandene strategische Reserven in der Schweiz effektiv und effizient zur Glättung dieser Preisschwankungen eingesetzt werden könnten.

Langfristige Erdölpreisentwicklung


Die langfristige Erdölpreisentwicklung wird von Experten sehr unterschiedlich beurteilt. Auf der einen Seite sagen die Modelle der Energy Information Administration (EIA) des US-amerikanischen Energiedepartementes eine mittelfristige Entspannung im Markt und bis 2030 einen Ölpreis auf dem heutigen Niveau voraus.1 Während sich andere Analysen nicht auf konkrete Preisprognosen einlassen, schliesst sich die neue Studie des renommierten Beratungsunternehmens Cambridge Energy Research Associates (Cera) grundsätzlich der Einschätzung der EIA an und prognostiziert für die Zukunft einen Ausbau der Produktionskapazitäten dank Produktediversifikation bis 2020. Auf der anderen Seite des Szenarienspektrums befindet sich die Analyse des Englischen Energy Institute in der Petroleum Review, welche die von Cera prognostizierten Kapazitätserweiterungen als unrealistisch einstuft und einen Produktionsengpass – mit entsprechenden Preissteigerungen – erwartet. Dieser Einschätzung schliessen sich andere prominente Kenner an, so zum Beispiel Colin Campbell oder Matthew Simmons .  Die Kritiker der optimistischen Produktionsszenarien zweifeln nicht primär das Ausmass der in der Erdkruste noch vorhandenen Ölreserven an. Stattdessen sagen sie – vor allem wegen des Alters der produktivsten Ölfelder – einen langsamen Rückgang der Produktionskapazität des «leicht förderbaren, günstigen Öls» ab 2010 voraus. Für die nächsten 25 Jahre ist demnach die entscheidende Frage nicht, wie lange das Erdöl noch reicht, sondern ob und wie lange die Förderkapazität aufrechterhalten oder ausgebaut werden kann. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, wäre mit einem deutlichen Trend zu höheren Preisen zu rechnen.

Kurzfristige Preisschwankungen


Bei aller Unsicherheit über die langfristige Entwicklung des durchschnittlichen Ölpreises bleibt die Tatsache der global schwindenden Reserven bei der Förderkapazität relativ unbestritten.  Mangelnde Investitionen und markante Nachfragesteigerungen in der Grössenordung von 2% pro Jahr haben dazu beigetragen, dass ein dramatischer Rückgang der Reservekapazitäten von etwa 8% auf 1,2% der Gesamtfördermengen innerhalb der letzten vier Jahre stattfand (siehe Grafik 1).  In der Vergangenheit konnten Produktionsengpässe oder akute Nachfragesteigerungen hauptsächlich durch Auslastung der Reservekapazitäten Saudi Arabiens aufgefangen und die Ölpreise stabilisiert werden. Diese Reservekapazität wird ohne Nachfrageeinbruch kaum wieder zu erreichen sein. Somit reduzieren sich auch die Möglichkeiten, Schwankungen im Angebot oder in der Nachfrage mit Anpassungen der Produktionsmenge aufzufangen. Die schwindende Reservekapazität und ungünstige Rahmenbedingungen in vielen Förderländern werden zu vermehrten kurz- und mittelfristigen Preisschwankungen führen. Die Auswirkungen dieser Preisschwankung können für Wirtschaft und Gesellschaft von grosser Relevanz sein. Der Economist fasst eine Analyse der zukünftigen Ölpreisentwicklung mit den folgenden Worten zusammen: «Das einzige Vernünftige, was man heute über die Ölpreise sagen kann, ist, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie stabil bleiben werden.» In der gegenwärtigen Situation kumulieren sich strukturelle Ursachen für die erhöhte Variabilität der Ölpreise mit politischer Instabilität in wichtigen Förderländern (z.B. Irak und Iran), welche spekulative Aktivitäten auslösen. Spekulationen auf den Erdölmärkten dürften in Zukunft das Risiko erhöhter Volatilität noch verschärfen. Ob Preisschocks durch Spekulation oder durch Ungleichgewichte im Markt ausgelöst werden – die verstärkte Volatilität der Erdölpreise birgt so oder so grosse Herausforderungen.

Auswirkungen kurzfristiger Preisschwankungen in der Schweiz mildern


Für die Entscheidungsträger in der Schweizer Wirtschaft und Politik gilt es, die Auswirkungen von kurzfristigen Preisschwankungen abzuschätzen. Die entscheidende Frage ist, wie wir auf mögliche künftige Störungen reagieren werden, wenn bereits das bestehende Preisniveau als «nahe der Schmerzgrenze» wahrgenommen wird. Während auf lange Sicht Energieträger substituiert werden können und auf langfristige Preissteigerungen mit Energiespar- und -effizienzsteigerungsmassnahmen reagiert werden kann, sind Wirtschaft und Gesellschaft kurzfristig stark von den Energieträgern abhängig, auf welche sie ausgerichtet sind. Als besonders empfindlich sind Verbraucher von Treibstoffen einzustufen. Dabei spielen auch psychologische Aspekte eine wesentliche Rolle, beansprucht doch diese Verbrauchergruppe rund 55% der Erdölprodukte (siehe Grafik 2).  Angesichts der Zunahme der Preisvolatilität stellen sich, wollen wir künftig die Auswirkungen kurzfristiger Preisschwankungen für unser Land minimieren, folgende zentrale Fragen:  Was kostet die Erdölpreisvolatilität die Schweizer Wirtschaft? Wie viel ist die Wirtschaft für effektive Massnahmen zur Sicherung der Stabilität in der Erdölversorgung zu bezahlen bereit? Welche Möglichkeiten bestehen für die Schweiz, um sich gegen die negativen Folgen der erhöhten Volatilität der Erdölpreise zu schützen?

Handlungsoption: Einsatz strategischer Reserven


Für die Schweiz, die ein kleiner Nachfrager auf dem Weltmarkt ist und sich ausserhalb politischer Allianzen befindet, sind die Handlungsoptionen beschränkt. Aber auch uns stehen Mittel zur Verfügung. Im September letzten Jahres haben die Mitgliedstaaten der Internationalen Energieagentur (IEA), darunter auch die Schweiz, einstimmig einem Notstandsplan zur Sicherung der Versorgung mit Erdöl zugestimmt. Die gemeinsamen Massnahmen zur Abschwächung von Preisschocks haben sich im Falle des Hurrikans Katrina bereits bewährt.  Analog zu den strategischen Reserven in den USA gibt es in der Schweiz Pflichtlager und militärische Einsatzreserven für Erdölprodukte. Seit einigen Jahren werden diese Reserven schrittweise reduziert. Die Verkleinerung der Armee sowie die Reduktion der Pflichtlager von ehemals 6 auf 4,5 Monate Gesamtverbrauch machen zahlreiche Lager obsolet. Es stellt sich die Frage, ob die ehemaligen Pflichtlager nicht neu als Lager für die Wirtschaft beansprucht werden könnten und ob mit dem Einsatz der neuen, grösseren Reserve bei starken kurzfristigen Preisschwankungen nicht ein Beitrag zur Stabilität der Erdölversorgung geleistet werden könnte. Insbesondere sollte geprüft werden, ob solche Reserven bewirtschaftet werden können, indem interessierten Schweizer Firmen und Organisationen Optionen für Treibstoff zu einem garantierten Preis offeriert werden. Anders als bei Optionen, wie sie auf dem Finanzmarkt erhältlich sind, würden die bestehenden Anlagen die Lagerung in der Schweiz ermöglichen und so kurzfristig eine vollständig autarke Versorgung sicherstellen.

Grafik 1 «Reserve in der Förderkapazität der Opec-Länder und durchschnittliche Rohölpreise auf Spotmärkten, 2002-2005»

Grafik 2 «Endverbrauch von Erdölprodukten in der Schweiz, 2004 (in 1000 t)»

Zitiervorschlag: Connor Spreng, Othmar Schwank, (2006). Preisvolatilität und Versorgungssicherheit. Die Volkswirtschaft, 01. März.