Die schweizerische Aussenwirtschaftspolitik stand in den letzten Monaten im Zeichen des Scheiterns der Gespräche über die Aufnahme von Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA. In der aussenwirtschaftspolitischen Strategie des Bundesrates, die seit einem Jahr in Kraft ist, bilden Freihandelsabkommen jedoch einen wichtigen Pfeiler. Im Gespräch mit dem Magazin «Die Volkswirtschaft» zieht der Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, Ueli Forster, eine aussenwirtschaftspolitische Bilanz und beklagt den Protektionismus im Agrarbereich, der das Freihandelsabkommen mit den USA, aber auch Fortschritte in der Doha-Runde verhindere.
Die Volkswirtschaft: Der Bundesrat hat vor gut einem Jahr eine neue Aussenwirtschaftsstrategie für die Schweiz verabschiedet. Wie beurteilen Sie – auf den kurzen Nenner gebracht – die Grundausrichtung der Strategie? Und wie die Umsetzung nach einem Jahr? Forster: Economiesuisse hat die neue Aussenwirtschaftsstrategie sehr begrüsst. Die Grundausrichtung ist die Nicht-Diskriminierung von Schweizer Firmen auf Auslandmärkten bei gleichzeitiger Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im Inland. Die Strategie hat vor allem im Bereich Marktzugang Offensivcharakter. Zudem werden die Märkte und Aussenwirtschaftssysteme gesamthaft betrachtet. Das berücksichtigt die Tatsache, dass aus Unternehmenssicht in globalisierten Märkten alles zusammenhängt. Wir teilen die Auffassung, dass die Binnenwirtschaft zur Konkurrenzfähigkeit der ganzen Volkswirtschaft beitragen muss. Wir können nicht eine sehr kompetitive Exportwirtschaft haben und im Inland zum Teil verkrustete Strukturen behalten. Je flexibler die Binnenwirtschaft ist, desto besser steht die Schweiz insgesamt da. Ein offener Binnenmarkt schafft auch Raum für gute internationale Abkommen. Gefestigte Rahmenbedingungen sind für die Exportwirtschaft wichtig. Mit der Umsetzung der Strategie sind wir hingegen bislang nicht zufrieden. Zwar gibt es Lichtblicke. Ich denke an die Fortschritte bei der Öffnung des Binnenmarktes und den Abschluss bestimmter Freihandelsabkommen wie jüngst mit Südkorea. Doch bezüglich der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA und vor allem bezüglich den Positionen in der Doha-Runde fällt das Urteil deutlich weniger gut aus. Die Volkswirtschaft: Welche Hoffnungen bestehen für den Multilateralismus nach der WTO-Ministerkonferenz vom letzten Dezember in Hong Kong? Forster: Economiesuisse hat immer den Multilateralismus im Rahmen der WTO unterstützt. Dies gilt auch für die Doha-Runde. Markante Fortschritte im Multilateralismus würden unserer Idealvorstellung entsprechen. Wir begrüssen neben dem wichtigen Bereich der Industrieprodukte Öffnungen auch in den Dienstleistungsmärkten und bei den Handelserleichterungen. Im Agrardossier müssen jedoch Fortschritte sichtbar werden, sonst bleibt die ganze Doha-Runde gefährdet. Die Volkswirtschaft: Erfolge in der WTO sind aber angesichts der unterschiedlichsten Interessen der Mitgliedländer und der Konsensbasis, die für Entscheidungen nötig ist, immer schwieriger. Was kann und muss die Schweiz tun, um diesen schwierigen Bedingungen zum Trotz weitere Liberalisierungsschritte zum Erfolg der Doha-Runde beizutragen? Forster: Wir stellen fest, dass die WTO zunehmend hinter den realen Bedürfnissen der international tätigen Wirtschaft nachhinkt. Ein Problem ist der latente Protektionismus in vielen Schwellenländern. Ein weiteres, zentrales Problem ist der Agrarprotektionismus vieler Industrieländer. Die Schweiz ist leider keine Ausnahme. Sie kann nicht bezüglich der Exportwirtschaft offensiv sein wollen und im Agrardossier bremsen. Wir müssen uns deshalb auch bewegen. Da die Doha-Runde nicht recht vom Fleck kommt, muss nun stark auf den zweiten Pfeiler der Aussenwirtschaftsstrategie – den Ausbau des Freihandelsnetzes mit den wichtigsten Marktpartnern der Schweiz – gebaut werden. Unbegreiflich ist für uns, dass der Bundesrat, der die Strategie erst vor einem Jahr verabschiedet hat, nicht den Mut hatte, sie im Falle der USA auch umzusetzen. Dies ist für uns ein Schlag ins Gesicht. Umso wichtiger ist es jetzt, dass andere Länder das nicht als negatives Signal werten und die Schweiz noch offensiver Freihandelsabkommen mit anderen wichtigen Ländern (Japan, Bric Bric = «Brasilien, Indien China»; grosse, bevölkerungsreiche Schwellenländer.) sucht, aushandelt und abschliesst. Die Volkswirtschaft: Die Analyse, was ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA bringen könnte, wurde in einer ausführlichen Studie vom renommierten Institute for International Economics (IIE) in Washington vorgenommen. Entsprachen die Resultate dieser Studie auch Ihren Erwartungen? Und welche positiven Wirkungen wären für Sie besonders wichtig gewesen? Forster: Das IIE ist für seine fundierten Studien und die eher zurückhaltenden Annahmen bekannt. Wie gross die Vorteile für beide Länder unter diesen Bedingungen dennoch ausfallen, hat uns positiv überrascht. Dabei hat das IIE interessanterweise gerade für den Agrarbereich in der Schweiz wie in den USA Wachstumsvorteile festgestellt. Die offensichtlichsten Vorteile wären der Wegfall der für einzelne Branchen immer noch sehr hohen Zölle, die Vereinfachung der komplexen US-amerikanischen Tarifstruktur und vor allem die Schaffung eines institutionellen Rahmens für die Gewährleistung des Marktzugangs gewesen. Dies hätte Schweizer Unternehmen international einen Konkurrenzvorteil verschafft. Nun droht eine Benachteiligung, falls andere Industrieländer selber Freihandelsabkommen mit den USA abschliessen. Die Volkswirtschaft: Hand aufs Herz: Haben wirklich alle Branchenvertreter der Schweizer Wirtschaft mit gleichem Engagement den Abschluss eines Freihandelsabkommen mit den USA gesucht? Forster: Entgegen den Äusserungen höchster Regierungsvertreter in den Schweizer Medien hat sich die Wirtschaft eindeutig für ein Freihandelsabkommen mit den USA ausgesprochen. Allerdings wirken sich die Vorteile nicht für alle Branchen und jede Unternehmung unmittelbar gleich stark aus. Deshalb ist auch das persönliche Engagement unterschiedlich ausgefallen. Langfristig profitiert aber die ganze Wirtschaft. Im Interesse des Ganzen haben sich daher alle Mitglieder in unseren Organen klar hinter das Projekt eines Freihandelsabkommens mit den USA gestellt. Die Volkswirtschaft: Könnte es nicht sein, dass die Grossunternehmen angesichts der Milliardengewinne, die sie im Augenblick erwirtschaften, auf die verhältnismässig kleinen Kosteneinsparungen, die ein Freihandelsabkommen ihnen gebracht hätte, ohne Weiteres verzichten können und deshalb die grössere Unterstützung ausgeblieben ist? Forster: Grundsätzlich kenne ich kein Unternehmen, das Kosteneinsparungen nicht begrüsst. Vielleicht können grosse Unternehmen mit Niederlassungen in den USA Problemen einfacher ausweichen als Klein- und Mittelunternehmen. Aber auch diese Gesellschaften leiden unter dem fehlenden Freihandel mit den USA. Deshalb sind Exponenten der grössten Unternehmen der Schweiz mit einer starken US-Präsenz sowohl beim Bundesrat wie auch bei der US-Regierung persönlich vorstellig geworden und haben das Abkommen unterstützt. Die Bemühungen sind alos keinesfalls an einer mangelnden Unterstützung der Wirtschaft, wohl aber an einer zu starken Orientierung unserer Behörden an den Agrarinteressen und an einer Scheu vor einer echten Öffnung gescheitert. Nach unserer Auffassung wurden die strategischen Chancen eines solchen Abkommens nicht erkannt. Diffuse Ängste vor negativen Reaktionen aus der EU mögen auch mitgespielt haben. Und schliesslich scheute man das von den USA vorgegebene Tempo. Die Volkswirtschaft: Was erhoffen Sie von der Schaffung eines schweizerisch-amerikanischen Kooperationsforums, wie es von Bundesrat Joseph Deiss und dem US-Handelsbeauftragten Robert Portmann anlässlich des WEF-Treffens in Davos beschlossen wurde? Was ist der Beitrag, den Economiesuisse hier leistet? Forster: Mit einem Kooperationsforum kann nicht die gleich breite Liberalisierung wie bei einem Freihandelsabkommen erreicht werden, weshalb ein solches nach wie vor Ziel bleiben soll. Wenn es aber gelingt, konkrete Anliegen zu identifizieren und dafür Lösungen bereitzustellen, können der Marktzugang und die Investitionsbedingungen dennoch verbessert werden. Ein Forum schafft auch einen institutionellen Diskussionsrahmen, wie er etwa zwischen der EU und den USA besteht. Economiesuisse unterstützt deshalb diesen Prozess aktiv. Wir bringen die Anliegen der Unternehmen konkret ein. Mittelfristig sollte aber ein echtes Freihandelsabkommen angestrebt werden. Die Volkswirtschaft: Hat die Aussenwirtschaftsstrategie, bilaterale Freihandelsstrategie mit den bedeutendsten Partnerländern der Schweiz – wie die USA, Kanada, Brasilien, Japan, aber auch China und Indien – nicht zu hohe Erwartungen geweckt? Und kann die Schweiz nach dem Nein des Bundesrates auf diesem Weg überhaupt weitergehen? Forster: Noch einmal: Die Strategie ist positiv zu würdigen und muss unbedingt entschlossen umgesetzt werden. Der Bundesrat hat Erwartungen geweckt; er muss sich nun an seine Strategie halten. Im Falle der USA muss er vorerst den Schaden begrenzen und später auf das geplante Freihandelsabkommen zurückkommen. Freihandelsabkommen mit den genannten Ländern sind sehr wichtig. Es kommen noch weitere Länder hinzu, namentlich in Südostasien. Die Volkswirtschaft: Die Landwirtschaft ist das wesentliche «Pièce de Résistance» für weitere Liberalisierungsschritte. Welche Vorstellungen und Konzepte hat Economiesuisse, wie die Strukturanpassungen in unserem Land beschleunigt werden könnten? Forster: Die Landwirtschaft muss sich bewusst sein, dass die heutige Abschottungspolitik im Zeichen der Globalisierung so nicht weitergeführt werden kann. Deshalb haben wir immer für eine offensivere Politik in Sachen Marktöffnung plädiert, gleichzeitig aber auch eine Anpassung des heutigen Direktzahlungssystems und des Boden- und Pachtrechts angeregt. Auch bei offeneren Grenzen kann die Landwirtschaft die von der Gesellschaft erwünschten öffentlichen Leistungen erbringen. Die Volkswirtschaft: Was halten Sie mit Blick auf die erforderliche Beschleunigung der Strukturanpassung in der Landwirtschaft von staatlich finanzierten Ausstiegshilfen für die Bauern? Forster: Es gehört zur schweizerischen Kultur und Tradition, dass der Strukturwandel, dem jeder Wirtschaftszweig permanent ausgesetzt ist, in sozial verträglichen Bahnen ablaufen muss. Zeitlich begrenzte Erleichterungen bei Betriebsaufgaben oder Ausstiegshilfen machen Sinn, wenn sich dadurch der Strukturanpassungsprozess beschleunigen lässt. Die Volkswirtschaft: Nun steht die Öffnung des Agrarmarktes gegenüber der EU – ein erfreuliches Nebenprodukt der Absage an Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA – im Bundesrat zur Debatte. Was erwarten Sie von Verhandlungen mit der EU im Agrarbereich? Forster: Ein Freihandelsabkommen im Agrarbereich mit der EU liegt nicht nur in der Logik der heutigen agrarpolitischen Reformen (Liberalisierung des Käsemarktes), sondern wäre auch eine vorausschauende Politik im Hinblick auf die zukünftige EU-Agrarpolitik. Ich bin überzeugt, dass im Zuge dieses Anpassungsprozesses die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Landwirtschaft gestärkt würde. Dieses «Nebenprodukt», wie Sie es nennen, darf aber nicht als Substitut für die verpasste Chance eines Freihandelsabkommens mit den USA verstanden werden. Die Volkswirtschaft: Economiesuisse hat klar Nein zu einem EU-Beitritt und klar Ja zum bilateralen Weg gesagt. Warum zeigt Economiesuisse der EU brüsk die kalte Schulter? Ist ein so schroffes Nein langfristig für die Schweiz überhaupt realistisch? Forster: Economiesuisse erachtet die Beziehungen zur EU weiterhin als sehr zentral. Wir haben letztes Jahr den Erhalt und die Zukunft des bilateralen Weges auch beim Volk erkämpft. Wir wollen auf diesem Weg weitergehen. Er ist entwicklungsfähig und zukunftstauglich. Die EU ist derzeit in mancher Hinsicht in keiner guten Verfassung und geht dazu in vielen Gebieten noch in die falsche Richtung. Ich denke da insbesondere an den institutionellen Bereich: Die Ablehnung der neuen EU-Verfassung hat gezeigt, dass eindeutig ein Manko an föderalen Elementen besteht. Andere Elemente sind der Steuerwettbewerb, der von gewissen Kreisen in der EU als schädlich eingestuft wird, oder die Mindestsätze der Mehrwertsteuer. Die Volkswirtschaft: Wie sieht Economiesuisse konkret die weitere Entwicklung des bilateralen Wegs mit der EU? Forster: Wir sehen den Bedarf für weitere Einzelabkommen mit der EU eher auf technischer Ebene, die im Normalfall von der Interessenlage her ausgewogen sein werden. Unter anderem geht es um Satellitennavigation, Energie, Gesundheitswesen und Verkehr. Wichtig ist, dass die bisherigen Abkommen – wenn erforderlich – den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Der Bilateralismus ist alles in allem ein dynamischer Prozess. Zwischen dem EU-Binnenmarkt und dem schweizerischen Heimmarkt sollen gute und solide institutionelle Brücken bestehen. Diese haben wir mit den bilateralen Verträgen. Die Volkswirtschaft: Angesichts des engen aussenwirtschaftspolitischen Spielraums der Schweiz stellt sich die Frage nach neuen Optionen. Wie beurteilen Sie die Idee eines global orientierten City State, wie sie von liberaler Seite in die Diskussion geworfen wurde? Forster: Die Idee des global orientierten City State stammt aus der Finanzwelt. Aus dieser Sicht mag sie Sinn machen. Es tut gut, ab und zu solche Überlegungen zu entwickeln. In Einzelgebieten mag die Idee auch durchaus attraktiv sein. Insgesamt sehe ich aber eher Fortschritte auf dem bisher eingeschlagenen Weg der Schweiz. Im Übrigen ist der aussenhandelspolitische Spielraum sicher am grössten in der gegenwärtigen Konstellation der Souveränität. Dies ist vor allem wichtig für die noch immer stark im sekundären Sektor verwurzelte Wirtschaft. Denn hier liegt langfristig gesehen wohl nach wie vor die solideste Quelle für Beschäftigung und Wachstum. Die Volkswirtschaft: Und wie beurteilen Sie die Option «Zollunion mit der EU», die immer wieder zur Diskussion stand, aber vom Bundesrat verworfen wurde? Forster: Wir haben die Frage der Zollunion mit der EU auf Herz und Nieren geprüft und kommen zum Schluss, dass diese für uns per saldo kein gutes Geschäft wäre. Die EU würde möglicherweise dazu auch nicht Hand bieten. Wir müssten uns ohne Mitsprache der EU-Aussenwirtschaftspolitik völlig anschliessen. Und diese glänzt nicht gerade durch dauerhafte Offenheit und einen entschlossenen Kampf gegen den Protektionismus. Zudem würde sich die Frage der Mehrwertsteueranpassung stellen – ein Gebiet, das grundlegende finanzpolitische Fragen aufwerfen würde. Soweit sind wir nicht. Auch die EWR/Efta-Staaten wie Norwegen haben keine Zollunion mit der EU. Freihandel ist ein sehr guter Ansatz. Die Volkswirtschaft: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Multilateralismus und Regionalismus? Forster: Für die Schweiz ist der Multilateralismus im Rahmen der WTO «first choice». In zweiter Linie – und ergänzend zum multilateralen Ansatz Handelsliberalisierung – sind es Freihandelsabkommen, welche die Schweiz anstreben soll. Freihandelsabkommen führen jedoch immer zur indirekten Diskriminierung der nicht beteiligten Länder. Von der Zunahme des Geflechts aus bilateralen und regionalen Abkommen verspreche ich mir deshalb, dass der Druck auf eine multilaterale Lösung verschärft und so stärkere Fortschritte innerhalb der WTO möglich werden. Einen wirklichen Gegensatz zwischen den Systemen sehe ich aber nicht, weil der Wettbewerb zwischen den Systemen letztlich den Multilateralismus, so hoffe ich, stärken wird. Die Volkswirtschaft: Herr Forster, wir danken Ihnen für das Gespräch.