Alterung und Arbeitsmarkt – Unternehmen in der Schlüsselrolle
Die Kombination von demografischer Alterung und raschem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Wandel fordert Politik, Wirtschaft und insbesondere Unternehmen heraus. Die Schweiz gehört zu den Ländern, die sich zuerst mit der historisch neuen Ausgangslage auseinander setzen müssen. Die Ausdehnung der Lebensarbeitszeit ist eine viel versprechende Strategie. Dies bedingt Modelle, welche die Beschäftigung älterer Menschen erleichtern. Unternehmen spielen dabei unzweifelhaft eine Schlüsselrolle. Wie sie sich der Herausforderung einer älter werdenden Belegschaft stellen, zeigt eine gross angelegte Befragung von Personalverantwortlichen in 804 Schweizer Unternehmen. Die Ergebnisse geben durchaus Anlass zur Zuversicht.
Demografische Alterung…
Wie andere europäische Länder erfährt auch die Schweiz eine demografische Alterung, die sich in den nächsten Jahrzehnten noch beschleunigen wird. Damit verbunden sind vier zentrale Entwicklungen: – Es kommt zu einem Anstieg der Rentnerbevölkerung sowie zu einer Verschiebung im Verhältnis von Personen im erwerbsfähigen Alter zur Gruppe der über 65-Jährigen. Bei gleich bleibendem Rentenalter verschiebt sich dieses Verhältnis von heute vier zu eins auf knapp zwei zu eins im Jahr 2040. Insbesondere bei der im Umlageverfahren finanzierten AHV sind Anpassungen notwendig. – Mit der steigenden Lebenserwartung ist ein markanter Anstieg in der Zahl hochaltriger Menschen verbunden, was speziell Gesundheitssystem und Langzeitpflege herausfordert. – Die Zahl älterer, aber kaufkräftiger Kunden und Kundinnen steigt rasch an. Dies eröffnet neue Märkte, vor allem bezüglich gesundheits- und freizeitbezogener Angebote. Namentlich im Dienstleistungssektor gewinnen Fragen des «Seniorenmarketings» an Bedeutung. Auch ein ausgewogener Generationenmix von Belegschaft und Kundschaft wird vermehrt zum Thema. – Der Arbeitsmarkt muss von einer immer älter werdenden Belegschaft getragen werden. Heute ist rund ein Viertel der Erwerbsbevölkerung älter als 50 Jahre. Bis 2020 steigt dieser Anteil auf rund einen Drittel an. Bei einer Erhöhung des Rentenalters nimmt der Anteil noch rascher zu.
…versus sozio-kulturelle Verjüngung
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die demografische Entwicklung vor dem Hintergrund grundlegender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse vollzieht. Gesellschaftlich wird die demografische Alterung durch eine verstärkte Dynamik späterer Lebensphasen teilweise kompensiert. Dieser Prozess wird als sozio-kulturelle Verjüngung älterer Menschen bezeichnet. Ältere Menschen zeigen heute ein Verhalten, das in vielen Bereichen innovativer, dynamischer und «jünger» ist, als dies bei früheren Generationen der Fall war. In diesem Rahmen kommt es auch häufiger zu einer Neuorganisation der Erwerbsarbeit und Berufstätigkeit, wie etwa Wahl einer neuen beruflichen Tätigkeit oder Wechsel der beruflichen Lebensziele mit 50 Jahren. Heute ist zudem nur eine Minderheit der 50- bis 69-Jährigen in der Schweiz körperlich oder psychisch so eingeschränkt, dass eine Weiterarbeit im höheren Lebensalter aus rein gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Überdies hat sich das gesundheitliche Befinden der grossen Mehrheit der über 50-Jährigen im Zeitverlauf eher verbessert als verschlechtert.
Neue Ausgangslage für Unternehmen
Sowohl die demografischen als auch die gesellschaftlichen Entwicklungen stellen die Unternehmen personalpolitisch vor neue Herausforderungen, etwa bezüglich Laufbahnplanung nach 50 und Weiterbildung in späten Erwerbsphasen. Gezielte Massnahmen zur Erhaltung und Stärkung der Arbeitsmotivation und Leistungsfähigkeit über 50-jähriger Mitarbeitender erhalten einen erhöhten Stellenwert. Gleichzeitig nimmt die Zahl der über 50-Jährigen zu, die in ihren späten Berufsjahren dynamisch, kompetent und innovativ verbleiben. Auch dies fordert Unternehmen heraus, neue Formen später Karrieren und von Weiterarbeit im höheren Lebensalter zu verankern. Im Folgenden wird auf der Grundlage einer 2005 durchgeführten Befragung (vgl. Kasten 1 Die 2005 durchgeführte Befragung basiert auf drei Stichproben: – «Top 100»: Sie umfasst 100 grosse private und öffentliche Arbeitgeber (Rücklaufquote: 68%);- «Mittelgrosse Arbeitgeber»: Stichprobe basierend auf 1059 selektionierten Mitgliederadressen der Basler, Berner und Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement (Rücklaufquote: 38%);- «kleinere Arbeitgeber» mit 10-50 Mitarbeitenden: Stichprobe von 1200 Adressen aus dem Betriebs- und Unternehmensregister (Rücklaufquote: 26%). Von den insgesamt 2337 angeschriebenen Arbeitgebern haben 804 den Fragebogen beantwortet, was einer Rücklaufquote von 34% entspricht. Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sind aufgrund des Vorgehens gezielt überrepräsentiert. Firmen mit weniger als 10 Beschäftigten und Selbstständigerwerbende sind nicht einbezogen. Hochrechnungen der Ergebnisse auf die gesamte Wirtschaft insgesamt sind deshalb nicht zulässig. Da aber auch kleinere Unternehmen einbezogen wurden, erlaubt die Erhebung dennoch aussagekräftige Quervergleiche zwischen KMU und Grossunternehmen. Ebenfalls zulässig sind Vergleiche nach Branchenzugehörigkeit.Höpflinger, François, Alex Beck, Maja Grob und Andrea Lüthi, Arbeit und Karriere: Wie es nach 50 weitergeht. Eine Befragung von Personalverantwortlichen in 804 Schweizer Unternehmen. Avenir Suisse, 2006 (www.avenir-suisse.ch).) bei 804 Personalverantwortlichen gezeigt, wie Unternehmen gegenwärtig mit dem Thema «Arbeit und Karriere nach 50» umgehen.
Personalpolitische Massnahmen für ältere Mitarbeitende
Die Unternehmen haben sich zu einer Reihe spezifischer Massnahmen für Mitarbeitende ab 50 Jahren geäussert (vgl. Tabelle 1). Die Personalverantwortlichen haben teilweise darauf hingewiesen, dass verschiedene der angeführten Massnahmen auch für jüngere Mitarbeitende angeboten würden oder nur für ausgewählte (Funktions-)Gruppen sinnvoll seien. Heute kennen rund 70% der befragten Unternehmen mindestens eine Massnahme für ältere Mitarbeitende. Je grösser ein Unternehmen und je älter die Belegschaft ist, desto mehr Massnahmen werden in der Regel angeboten. Am häufigsten sind Formen einer Teilzeitarbeit gegen Berufsende, wie es Konzepten einer flexiblen Pensionierung entspricht. Allerdings nutzen gerade Männer entsprechende Angebote wenig, da Teilzeitarbeit mit Lohneinbussen sowie teilweise mit Statusverlust verknüpft sei. An zweiter Stelle steht die Möglichkeit eines Wechsels der Stelle innerhalb des Unternehmens, wobei je nach Unternehmensgrösse deutliche Unterschiede sichtbar werden. Ein betriebsinterner Wechsel ist nur möglich, wenn mehrere Arbeitsfunktionen innerhalb eines Unternehmens offen sind. Dasselbe gilt für den Austausch einzelner Aufgaben bei Beibehaltung der beruflichen Position. Bei beiden Massnahmen wurde teilweise angemerkt, dass sie nur für ausgewählte Funktionsbereiche angeboten würden, wie z.B. Mitarbeitende ohne spezifische Qualifikationen oder Fachleute mit polyvalenten Kompetenzen. Auch mehr Erholungsmöglichkeiten für ältere Arbeitskräfte bieten vor allem grössere Unternehmen sowie öffentliche Verwaltungen an. Die Bereitstellung von Arbeitsplätzen mit weniger körperlicher Belastung steht hingegen weniger im Zentrum. Relativ oft finden sich entsprechende Angebote im Gross- und Detailhandel sowie in der Pharma- und Chemieindustrie, wo ältere Menschen teilweise aus der Produktion zu Büroarbeiten wechseln. Am Schluss der Rangliste steht die Unterstützung altersspezifischer Sportmöglichkeiten, auch weil alterssegregierte Sportangebote bei sportlich aktiven älteren Menschen eine geringe Akzeptanz finden.
Änderungen bei Aus- und Weiterbildung absehbar
Bei den Bildungsangeboten für ältere Mitarbeitende wurden vier Formen unterschieden: Laufbahnberatung und -gestaltung, spezifische Weiterbildung, Kurse zum Training der Lernfähigkeit und berufliche Umschulung. Eher wenig Unternehmen kennen Angebote zur spezifischen Weiterbildung nach 50 und zur Laufbahnberatung. Gegenwärtig bieten öffentliche Verwaltungen am häufigsten solche Massnahmen an. In grösseren Unternehmen dürften entsprechende Angebote in den nächsten Jahren ein Wachstum erleben. Namentlich Banken und Versicherungen thematisieren oder planen solche Massnahmen, da die Gruppe finanzkräftiger Senioren rasch anwächst und somit gut ausgebildete ältere Mitarbeitende bedeutsamer werden. Spezifische Weiterbildungskurse sind in grösseren Unternehmen nahezu ebenso häufig wie Kurse zum Training der Lernfähigkeit, um eine dem jeweiligen Lebensalter angepasste Lernstrategie zu erarbeiten. Weit verbreitet sind solche Trainingskurse bei öffentlichen Verwaltungen und im Finanzsektor, wo oft auch ein Ausbau entsprechender Angebote geplant ist. Eine eigentliche berufliche Umschulung nach 50 wird dagegen auch bei grösseren Unternehmen eher selten angeboten oder geplant. Hier steht die Frage im Raum, ob solche Angebote überhaupt von Unternehmen initiiert und angeboten werden sollen oder ob sie nicht vielmehr Sache der Arbeitnehmenden sind. Die Tatsache, dass berufliche Umschulungen heute oft erst in Zusammenhang mit längerer Arbeitslosigkeit unterstützt werden, reduziert zusätzlich das Prestige entsprechender Angebote.
Ansichten zu personalpolitischen Reformvorschlägen
Die Unternehmen haben ebenfalls sieben personalpolitische Massnahmen zur Förderung der Beschäftigung beurteilt. Dabei ging es sowohl um die Wünschbarkeit als auch um die Realisierbarkeit (vgl. Tabelle 2). Die Personalverantwortlichen erachten am häufigsten die Einführung von Teilzeitarbeit gegen Berufsende als wichtig wie auch als realisierbar. Tatsächlich handelt es sich um eine Massnahme, die schon heute mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen – zumindest für ausgewählte Berufsgruppen – anbieten. Formen der Teilzeitarbeit kurz vor dem Pensionsalter erlauben eine stärkere Flexibilisierung des Übergangs in die nachberufliche Lebensphase. Zukünftig dürfte auch Teilzeitarbeit über das offizielle AHV-Alter hinaus eine stärkere Verbreitung finden, beispielsweise in Form von «Senior Consultants». An zweiter Stelle der wünschbaren wie realisierbaren Massnahmen steht eine stärkere Beachtung von Erfahrung bei der Personalbeurteilung. Faktisch beziehen schon heute viele Personalverantwortliche implizit die Erfahrung bei Personalbeurteilungen mit ein. Hingegen fehlt häufig eine systematische Berücksichtigung von Erfahrungskomponenten, namentlich bei Personen, die nach 50 eine neue Stelle suchen. Die übrigen personalpolitischen Massnahmen für ältere Mitarbeitende werden weniger einheitlich beurteilt. So schätzt lediglich eine Minderheit Sabbaticals für ältere Mitarbeitende gleichzeitig als wichtig und realisierbar ein (43%). Formen von Sabbaticals – wie sie etwa an Hochschulen üblich sind – können zwar positive Wirkungen zur Erneuerung des Wissens wie auch zur Vermeidung von «Burn-out»-Syndromen aufweisen. Gleichzeitig kann sich eine längere Abwesenheit karrieremässig aber auch negativ auswirken. Zudem stellen sich Fragen betreffend die Vertretung während der Abwesenheit. Solche und ähnliche Überlegungen führen dazu, dass die Realisierbarkeit von Sabbaticals oft verneint wird, namentlich auch für Kaderpositionen. Eine Schulung von Vorgesetzten im Bereich des Altersmanagements erachtet zwar eine Mehrheit von 60% als realisierbar, aber nur 49% der Unternehmen beurteilen ihre personalpolitische Bedeutung als wichtig. Am Ende der Rangliste befinden sich – wenig überraschend – auch hier dem Alter angepasste Sportangebote.
Fazit
Die demografische Alterung und neue Wertvorstellungen über späte Berufs- und Karrierejahre erfordern gezielte Massnahmen für ältere und langjährige Mitarbeitende. Zwar haben dies nicht alle Unternehmen erkannt, aber immer mehr Unternehmen sind in dieser Hinsicht aktiv. Je nach Unternehmensgrösse und Branchenzugehörigkeit werden unterschiedliche Massnahmen angeboten. Auch personalpolitische Reformvorschläge werden verschieden beurteilt. Dies impliziert, dass viele Modelle branchenspezifisch auszurichten sind. Gleichzeitig sollten personalpolitische Reformen zugunsten älterer Mitarbeitender funktionsspezifisch konzipiert werden. Altersmanagement für Kaderfunktionen unterscheidet sich wesentlich von Altersmanagement für spezialisierte Fachkräfte oder übrige Mitarbeitende. Zudem dürfen Massnahmen zugunsten älterer Mitarbeitender nicht zulasten jüngerer gehen. Erst wenn genügend positive Modelle vorhanden sind, könnten übergreifende Regelungen überhaupt wirksam und sinnvoll sein. Staatliche Massnahmen sollten sich darauf konzentrieren, Regulierungen abzuschaffen, die ältere Arbeitskräfte verteuern oder eine Weiterarbeit im Alter behindern.
Kasten 1: Angaben zur Studie Die 2005 durchgeführte Befragung basiert auf drei Stichproben: – «Top 100»: Sie umfasst 100 grosse private und öffentliche Arbeitgeber (Rücklaufquote: 68%);- «Mittelgrosse Arbeitgeber»: Stichprobe basierend auf 1059 selektionierten Mitgliederadressen der Basler, Berner und Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement (Rücklaufquote: 38%);- «kleinere Arbeitgeber» mit 10-50 Mitarbeitenden: Stichprobe von 1200 Adressen aus dem Betriebs- und Unternehmensregister (Rücklaufquote: 26%). Von den insgesamt 2337 angeschriebenen Arbeitgebern haben 804 den Fragebogen beantwortet, was einer Rücklaufquote von 34% entspricht. Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sind aufgrund des Vorgehens gezielt überrepräsentiert. Firmen mit weniger als 10 Beschäftigten und Selbstständigerwerbende sind nicht einbezogen. Hochrechnungen der Ergebnisse auf die gesamte Wirtschaft insgesamt sind deshalb nicht zulässig. Da aber auch kleinere Unternehmen einbezogen wurden, erlaubt die Erhebung dennoch aussagekräftige Quervergleiche zwischen KMU und Grossunternehmen. Ebenfalls zulässig sind Vergleiche nach Branchenzugehörigkeit.Höpflinger, François, Alex Beck, Maja Grob und Andrea Lüthi, Arbeit und Karriere: Wie es nach 50 weitergeht. Eine Befragung von Personalverantwortlichen in 804 Schweizer Unternehmen. Avenir Suisse, 2006 (www.avenir-suisse.ch).
Kasten 2: Literatur – Clemens, W.; Höpflinger, F.; Winkler, R. (Hrsg.), Arbeit in späteren Lebensjahren. Sackgassen, Perspektiven, Visionen, Bern: Haupt Verlag, 2005.- Höpflinger, F.; Beck, A.; Grob, M.; Lüthi, A., Arbeit und Karriere: Wie es nach 50 weitergeht. Eine Befragung von Personalverantwortlichen in 804 Schweizer Unternehmen, Zürich: Avenir Suisse, 2006.- Riphan, R.T.; Sheldon, G., Arbeit in der alternden Gesellschaft: Der Arbeitsmarkt für ältere Menschen in der Schweiz, Zürich: ZKB, 2006.
Zitiervorschlag: Beck, Alex; Hoepflinger, Francois (2006). Alterung und Arbeitsmarkt – Unternehmen in der Schlüsselrolle. Die Volkswirtschaft, 01. April.