Demografischer und sozialer Wandel: Strategische Wettbewerbsvorteile durch Social Management
Ab 2010 wird qualifiziertes und jüngeres Personal immer knapper; Geburtenraten, Lebensarbeitszeit und die Ausbildungsqualität sinken. Gleichzeitig nimmt der Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften zu. Zunehmend ältere Kunden verlangen massgeschneiderte Angebote. Tendenziell steigen daher die Kosten. Wenn Unternehmen rechtzeitig strategisch reagieren, profitieren sie von Wettbewerbsvorteilen. Social Management ist eine systematische Vorgehensweise, um diese Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Der Autor dankt Dr. Klaus Schall, D-72501 Gammertingen, für personalstrategische Anregungen und Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Universität Lüneburg.
Social Management ist Teil des Nachhaltigkeitsmanagements, das drei zentrale Dimensionen umfasst: wirtschaftliche Unternehmensleistung (ökonomische Dimension), Umgang mit gesellschaftlichen Ansprüchen (soziale Dimension) und Umgang mit der Umwelt (ökologische Dimension). Social Management bedeutet im Kern: Unternehmen bewirtschaften ihre gesellschaftlichen Leistungen und Wirkungen bewusst strategisch, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. So fördert etwa ein Pharmakonzern – in Kooperation mit Versicherungsunternehmen – den Aufbau von Gesundheitsversicherungssystemen in wirtschaftlich schwachen Ländern. Wirtschaftlich Schwächere können somit wesentlich leichter auf lebensnotwendige Medikamente zugreifen. Die gesundheitliche und wirtschaftliche Situation verbessert sich. Dank aktiver Kommunikation zahlt sich dies für die Pharmafirma mehrfach aus: mehr Medikamentenverkauf, bessere Reputation, höhere Preise, entspanntere Beziehungen zu kritischen Anspruchsgruppen wie Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO).
Soziale Dimension – heute ein zentraler Wettbewerbfaktor
Die soziale Dimension ist heute zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor geworden, den es nutzbringend zu managen gilt. Ursprung sind u.a. die sozialen Wirkungen der Globalisierung und der Deregulierung. Hier nun einige zentrale Aspekte dieses erstarkten Wettbewerbsfaktors: – Pluralität von Werten und Ansprüchen: International tätige Firmen treffen auf verschiedenste Werte und Erwartungen, etwa zu Kinderarbeit, Arbeits- und Versicherungsschutz, Arbeitszeiten, Löhnen, Rolle von Gewerkschaften, Integrität und Korruption; – Beschleunigter sozio-ökonomischer Wandel : wettbewerbsbedingter Lohnabbau, Migration von Arbeitskräften, Strukturwandel, Ab- und Aufbau von Arbeitsplätzen; – Unterschiedliche Sozialstandards : globale Wertschöpfungsketten mit teilweise sehr problematischen sozialen Bedingungen. Massnahmen gegen Sozialdumping – z.B. Normen wie SA 8000 – sollen Mindeststandards sichern; – Staatsabbau: Der Staat reduziert seine sozialen Leistungen und kann das sozio-ökonomische Gleichgewicht immer weniger garantieren. Dafür gibt es finanzielle (z.B. höhere Defizite durch zunehmende Fürsorgefälle), wettbewerbliche (z.B. sinkende Steuern) oder demografische (z.B. Kostenanstieg durch Überalterung) Gründe; – Zuschreibung sozialer Verantwortung: Öffentlichkeit und NGO verlangen von den Unternehmen, sie sollen mehr Verantwortung wahrnehmen (z.B. Integration von Arbeitslosen, Zugang zu Medikamenten für wirtschaftlich Schwache); – Forderung nach Verhaltensänderungen: Medienkampagnen und Aufrufe von kritischen NGO führen zu Konsumentenboykotten (z.B. Néstle-Babymilch, Shell-Ölplattform Brent Spar). Obwohl Anspruchsgruppen verstärkt das gesellschaftliche Verhalten bewerten, beeinflussen und sanktionieren, vernachlässigt das Durchschnittsunternehmen die soziale Dimension. Selten analysiert es seine Stakeholder, deren Werte und Ansprüche. Nicht wenige Firmen arbeiten daher mit einem enormen sozio-ökonomischen Risikopotenzial, wie Skandale um Kinderarbeit, Verletzung religiöser Werte oder Managerlöhne zeigen.
Vorteile des Social Management
Social Management soll nicht nur Risiken senken, sondern durch systematisches Management von Stakeholder-Ansprüchen auch Wettbewerbsvorteile erzielen. Dazu braucht es eine von der Unternehmensführung erarbeitete und getragene Sozialstrategie. Die Vorteile sind vielfältig: – Eine Landkarte der Stakeholder(-ansprüche) befähigt Unternehmen, gezielt, glaubwürdig, angemessen und rechtzeitig zu handeln. – Haben Unternehmen erfasst, wie das eigene Verhalten ihre Wettbewerbschancen beeinflusst, können sie soziale Aspekte des Strukturwandels kontrollierter, offensiver – mit mehr Motivation und weniger Widerstand – managen und aktiv nutzen. – Konflikte werden reduziert, rascher identifiziert und konstruktiver gelöst. Die Kosten sinken und die Produktivität steigt – u.a. dank gutem Einvernehmen mit Politik, Behören, Anwohnern, Medien, NGO und Personal. – Die Reputation, Loyalität und Kundenbindung verbessern sich. Die Nachfrage, aber auch die Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu. – Proaktives Handeln ermöglicht es, Marktanteile zu gewinnen und neue Märkte aufzubauen. – Social Management kann generell genutzt werden, um Innovation, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit sowie Kundenorientierung zu fördern. Die Sozialstrategie und ihre 11 Dimensionen (vgl. Kasten 1 1. Aktion: Wie aktiv oder passiv verhält sich ein Unternehmen? Extrempole sind Laissez-faire bzw. aktive politische Einflussnahme. Beispiel: Betriebe in Regionen ohne Überalterung verlagern; sich gemeinsam mit Mitwerbern für eine bessere Qualifizierung von Berufsanfängern einsetzen. 2. Chancen/Risiken: Wie werden Schäden und Risiken verhindert, gemindert oder kontrolliert? Wie werden Erfolgspotenziale identifiziert und realisiert? Beispiel: Ein Unternehmen analysiert Chancen und Risiken des demografischen Wandels und ergreift Massnahmen in Marketing und Human Ressources, um langfristig eine Reputation als sozial verantwortliches Unternehmen aufzubauen und damit die besten Mitarbeitenden zu gewinnen und höhere Preise durchzusetzen.3. Compliance: Wie hält es ein Unternehmen mit Gesetzen, Standards und Normen? Beispiel: Die gesetzlichen Sozialleistungen werden übertroffen, um Fachpersonal zu gewinnen und zu binden. Es besteht ein Compliance-Management.4. Globalisierung: Wie werden global unterschiedliche Normen und Ansprüche gemanagt? Beispiel: Verlagern von Arbeitsplätzen, um den Kosten des demografischen Wandels auszuweichen; Bezahlen lokaler Living Wages.5. Kommunikation: Wie werden Leistungen und Probleme nach innen und aussen kommuniziert? Beispiel: Chancen und Risiken des demografischen Wandels und eigene Massnahmen intern und extern offensiv kommunizieren (Vertrauensstrategie).6. Organisation: Wie sind soziale Aspekte in der Unternehmensorganisation verortet? Beispiel: Verantwortung für das Demografie-Management bei Marketing und Human Ressources unter Leitung eines GL-Mitglieds.7. Reputation: Wie wird mit sozialen Leistungen die Reputation gesteuert? Beispiel: Vorteilhafte Konditionen bei Anstellung und Weiterbildung aktiv kommunizieren, um eine Reputation als attraktiver Arbeitgeber aufzubauen.8. Stakeholder: Welche Stakeholder werden wie berücksichtigt? Sind die Ansprüche erfasst? Wie werden kontroverse Ansprüche behandelt? Beispiel: Ansprüche von Mitarbeitenden, Kunden und Arbeitsmarkt analysieren und anhand eigener Unternehmenswerte priorisieren.9. Verantwortung: Wofür fühlt sich ein Unternehmen verantwortlich? Wo sind die Grenzen? Beispiel: Ein Unternehmen kümmert sich auch in Ländern ohne gesetzliche Vorschriften um die soziale Sicherheit seines Personals.10. Werttreiber: Wird die soziale Dimension als Werttreiber betrachtet, in den auf Grund von Kosten-Nutzen-Bewertungen investiert wird? Beispiel: Im Rahmen eines Verbandes wird in Lobbying investiert, um die Rahmenbedingungen zu verbessern (z.B. bessere Berufsbildung, tiefere Sozialkosten).11. Wettbewerb: Wie werden soziale Leistungen genutzt, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen? Beispiel: Personalleistungen als Instrument des Personalmarketings verwenden; im Marketing Produkte und Kommunikation im Hinblick auf die älter werdende Kundschaft überarbeiten. ) dienen auch dazu, Wettbewerbsstrategien zum demografischen Wandel zu erarbeiten. Für jede Dimension ist zu erwägen, welche Massnahmen zum demografischen Wandel das Erreichen der Unternehmensziele fördern. Um systematisch nutzenorientiert handeln zu können, brauchen Firmen eine spezifische Sozialstrategie, die sie selber entwickeln und pragmatisch in ihre Gesamtstrategie einarbeiten. Viele Unternehmen handeln nur auf Druck kritischer Stakeholder. Oft greift dann der Staat regulierend ein, was nicht selten als ineffektiv, aufwendig und wettbewerbsbehindernd kritisiert wird. Das liesse sich vermeiden, indem Unternehmen – im Alleingang oder gemeinsam mit anderen Firmen und weiteren Anspruchsgruppen – selber aktiv werden.
Demografischer Wandel verändert die Wettbewerbssituation
Wegen Frühpensionierungen und rigiden Ruhestandsregelungen verlieren Unternehmen an Know-how und Erfahrungen. Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung erhöhen das Durchschnittsalter des Personals. Die Mobilität sinkt und weniger Gebildete werden öfter krank. Arbeitgeber investieren weniger in Ausbildung, u.a. weil Arbeitnehmende weniger ausbildungsbereit und -fähig sind. Rationalisierungen steigern den Bedarf an qualifiziertem Personal. Berufsanfänger sind weniger qualifiziert, da Staat und Wirtschaft bei der Bildung sparen, um die höheren Kosten in Altersvorsorge und Gesundheitswesen zu finanzieren. Auch die Lohnnebenkosten steigen, da weniger Erwerbstätige mehr Rentner finanzieren müssen.
Sozialstrategie zur Bewältigung des demografischen Wandels
Zur Bewältigung des demografischen Wandels ist das Vorhandensein einer Sozialstrategie vorteilhaft, welche als Ankerpunkt für alle Massnahmen dient. Das Social Management steuert die Umsetzung der Strategie. Die Strategie wird wie folgt systematisch erarbeitet (vgl. Grafik 1 ): – Identifikation der aktuellen Strategie mittels 11 Dimensionen; – systematische Reflexion; – Bewertung im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit; – Entwicklung und Evaluation von Alternativstrategien; – Umsetzung einer neuen bzw. optimierten Strategie. Das Unternehmen profitiert von einer massgeschneiderten, fundierten und ausgewogenen Strategie zu gesellschaftlichen Themen, also auch zum demografischen Wandel. Das Unternehmen kann seine Risiken nun systematisch managen und Wettbewerbschancen gezielt nutzen. Gesunde, motivierte, qualifizierte und innovative Mitarbeitende sind zentral für die Wettbewerbsfähigkeit. An Beispiel der Anspruchsgruppe Mitarbeitende – Teil der Sozialstrategie-Dimension «Stakeholder» – zeigt die Tabelle 1 zentrale Massnahmen auf, um den demografischen Wandel erfolgreich zu bewältigen.
Strategische Optionen
Eine mögliche Offensivstrategie besteht darin, überdurchschnittlich in Weiterbildung und Work-Life-Balance zu investieren. Kombiniert mit aktiver Kommunikation stärkt dies den Ruf als hervorragender Arbeitgeber. Fachpersonal kann besser gewonnen, gebunden und qualifiziert werden. Eine Ausweichstrategie bestünde darin, in Regionen mit besserem Arbeitsmarktangebot zu produzieren. Im Alleingang mit einer sozialpolitischen Strategie Rahmenbedingungen ändern zu wollen (z.B. höheres Rentenalter), könnte die Reputation des Unternehmens gefährden und wäre auch kaum durchsetzbar. Es empfiehlt sich, mit einem Verband – z.B. dem Arbeitgeberverband – zusammenzuarbeiten. Kooperationsstrategien bestünden etwa darin, firmenübergreifend Innovations- und Weiterbildungspools oder Strukturen der Kinderbetreuung und der Gesundheitsförderung zu betreiben. Mit Marketingstrategien werden die speziellen Bedürfnisse der älter werdenden Kundschaft erfasst, bedient und so Marktanteile gesteigert.
Grafik 1 «Erarbeitung einer wettbewerbsorientierten Sozialstrategie zum demografischen Wandel»
Kasten 1: Dimensionen zur Entwicklung einer wettbewerbsorientierten Sozialstrategie 1. Aktion: Wie aktiv oder passiv verhält sich ein Unternehmen? Extrempole sind Laissez-faire bzw. aktive politische Einflussnahme. Beispiel: Betriebe in Regionen ohne Überalterung verlagern; sich gemeinsam mit Mitwerbern für eine bessere Qualifizierung von Berufsanfängern einsetzen. 2. Chancen/Risiken: Wie werden Schäden und Risiken verhindert, gemindert oder kontrolliert? Wie werden Erfolgspotenziale identifiziert und realisiert? Beispiel: Ein Unternehmen analysiert Chancen und Risiken des demografischen Wandels und ergreift Massnahmen in Marketing und Human Ressources, um langfristig eine Reputation als sozial verantwortliches Unternehmen aufzubauen und damit die besten Mitarbeitenden zu gewinnen und höhere Preise durchzusetzen.3. Compliance: Wie hält es ein Unternehmen mit Gesetzen, Standards und Normen? Beispiel: Die gesetzlichen Sozialleistungen werden übertroffen, um Fachpersonal zu gewinnen und zu binden. Es besteht ein Compliance-Management.4. Globalisierung: Wie werden global unterschiedliche Normen und Ansprüche gemanagt? Beispiel: Verlagern von Arbeitsplätzen, um den Kosten des demografischen Wandels auszuweichen; Bezahlen lokaler Living Wages.5. Kommunikation: Wie werden Leistungen und Probleme nach innen und aussen kommuniziert? Beispiel: Chancen und Risiken des demografischen Wandels und eigene Massnahmen intern und extern offensiv kommunizieren (Vertrauensstrategie).6. Organisation: Wie sind soziale Aspekte in der Unternehmensorganisation verortet? Beispiel: Verantwortung für das Demografie-Management bei Marketing und Human Ressources unter Leitung eines GL-Mitglieds.7. Reputation: Wie wird mit sozialen Leistungen die Reputation gesteuert? Beispiel: Vorteilhafte Konditionen bei Anstellung und Weiterbildung aktiv kommunizieren, um eine Reputation als attraktiver Arbeitgeber aufzubauen.8. Stakeholder: Welche Stakeholder werden wie berücksichtigt? Sind die Ansprüche erfasst? Wie werden kontroverse Ansprüche behandelt? Beispiel: Ansprüche von Mitarbeitenden, Kunden und Arbeitsmarkt analysieren und anhand eigener Unternehmenswerte priorisieren.9. Verantwortung: Wofür fühlt sich ein Unternehmen verantwortlich? Wo sind die Grenzen? Beispiel: Ein Unternehmen kümmert sich auch in Ländern ohne gesetzliche Vorschriften um die soziale Sicherheit seines Personals.10. Werttreiber: Wird die soziale Dimension als Werttreiber betrachtet, in den auf Grund von Kosten-Nutzen-Bewertungen investiert wird? Beispiel: Im Rahmen eines Verbandes wird in Lobbying investiert, um die Rahmenbedingungen zu verbessern (z.B. bessere Berufsbildung, tiefere Sozialkosten).11. Wettbewerb: Wie werden soziale Leistungen genutzt, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen? Beispiel: Personalleistungen als Instrument des Personalmarketings verwenden; im Marketing Produkte und Kommunikation im Hinblick auf die älter werdende Kundschaft überarbeiten.
Kasten 2: Literatur – Mintzberg, H. et al.: Strategy Safari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements. Vgl. Insbes. Kapitel 7: Lernschule. Strategie als sich herausbildender Prozess. Frankfurt, Wien, Überreuter 2003.- Spirig, K.: Social Performance and Competitiveness. Erscheint in: Schaltegger, S., Wagner, M. (Hrsg.): Managing the Business Case of Sustainability. Sheffield: Greenleaf, 2006.
Zitiervorschlag: Spirig, Kuno (2006). Demografischer und sozialer Wandel: Strategische Wettbewerbsvorteile durch Social Management. Die Volkswirtschaft, 01. April.