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OECD-Empfehlungen zur Wettbewerbspolitik: Missbrauchsansatz ist nicht das Problem

OECD-Empfehlungen zur Wettbewerbspolitik: Missbrauchsansatz ist nicht das Problem

Die OECD hat zur Wettbewerbspolitik insgesamt elf Empfehlungen an die Schweiz gerichtet. Im Vordergrund steht dabei eine kritische Analyse des Kartellgesetzes und der darauf abgestützten Anwendungspraxis der Wettbewerbskommission. Zu Recht folgte dieser Analyse ein Hinweis auf den wettbewerbshemmenden Schweizer Regulierungsperfektionismus. Bezüglich des Kernbereichs der Schweizer Wettbewerbspolitik auf der Grundlage des Kartellgesetzes übt die OECD wenig Kritik an den bestehenden materiellen Regeln. Das ist angesichts der Ähnlichkeit des Schweizer Rechts mit dem als internationalen Standard dienenden europäischen Kartellrecht nicht verwunderlich. Die Kritik konzentriert sich auf die prozedurale Seite und belegt , dass die Qualität materiellen Rechts nur spürbar wird, wenn die Qualität und die Effizienz der prozeduralen Mittel damit Schritt halten können.

Die OECD-Experten beanstanden aus materieller Sicht den Missbrauchsansatz, der zu einer Verlangsamung der Untersuchungsverfahren führe. Für die Qualität einer Wettbewerbspolitik ist jedoch nicht entscheidend, ob sie durch einen Missbrauchsoder Verbotsansatz geprägt ist. In der Grundregel für die Beurteilung von Wettbewerbsabreden des Kartellgesetzes ist nichts von einem Missbrauchsansatz zu spüren: Wettbewerbsabreden, die wirksamen Wettbewerb beseitigen oder nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden können, sind unzulässig. Es besteht eine klare Rechtsfolgeanordnung, wie sie auch bei einer Verbotsgesetzgebung nicht anders ausgestaltet wäre.  Im europäischen Recht wird als Grundregel ein Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen formuliert, das jedoch sogleich wieder durch die Freistellungsmöglichkeit vom Verbot durchbrochen wird. Diese Freistellungsmöglichkeit besteht generell – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Kernbeschränkung oder eine weiche Wettbewerbsbeschränkung (Kooperation) handelt. Im Gegensatz dazu werden die Kernbeschränkungen in der Schweiz dem besonderen prozeduralen Regime der Vermutungstatbestände unterstellt. In Abweichung vom EG-Kartellrecht sind bei Vermutungstatbeständen die Rechtfertigungsmöglichkeiten aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz, welche den Freistellungsvoraussetzungen des EG-Kartellrechts entsprechen, ausgeschlossen. Bei Lichte betrachtet würde es das Schweizer Prüfungsraster erlauben, einen schärferen Ansatz zu wählen als beim EG-Kartellrecht.  Die Kritik am Schweizer Wettbewerbsrecht kann folglich nicht beim Missbrauchsansatz ansetzen, im Gegenteil. Das Schweizer System ist der Beweis dafür, dass sich auf der Grundlage eines Missbrauchsansatzes ein striktes gesetzliches Regime formulieren lässt. Es muss aber die Frage gestellt werden, ob es mit der bestehenden Behördenstruktur möglich ist, eine effiziente und nachhaltige Wettbewerbspolitik zu betreiben.

Professionalisierung der Kommission


In der Schweiz besteht eine in Sekretariat und Kommission zweigeteilte Behörde, deren Aufgabenteilung im Kartellgesetz nicht klar geregelt ist. Das Sekretariat muss einer fünfzehnköpfigen Kommission einen Antrag unterbreiten. Die Kommission als Gemengelage aus Interessenvertretern und Wissenschaftern entscheidet anschliessend über komplexe ökonomische Sachverhalte und spricht drakonische Strafen aus.  Die Institutionen haben mit der Professionalisierung des materiellen Rechts nicht Schritt gehalten. Institutionelle Probleme dürfen nicht durch eine einfache Umkehr von Beweislastregeln gelöst werden. Will der Staat in die von ihm garantierte Wirtschaftsfreiheit eingreifen, hat er den Beweis dafür zu erbringen, dass seine Intervention und die ausgesprochenen Strafen gerechtfertigt sind.  Mittels der wohl formulierten Vermutungstatbestände ist es denn auch möglich, den Kern der nachweislich übelsten Wettbewerbsbeschränkungen schnell zu beseitigen. Dort, wo die Fragestellungen komplex sind, muss sichergestellt werden, dass eine frei von Interessenbindungen und fachlich ausgewiesene Behörde einen Entscheid fällt, der hohen rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird. Das lässt sich am ehesten bewerkstelligen, wenn die durch ein staatsanwaltschaftliches Sekretariat geführten Untersuchungen von einem richterähnlichen Gremium, das sich professionell und nachhaltig mit wettbewerbsrechtlichen Fragen beschäftigt, in einem kontradiktorischen Verfahren abgeschlossen werden. Mit diesem Ansatz könnte eine Vielzahl der Anliegen in den OECD-Empfehlungen auf einen Schlag verwirklicht werden.

Zitiervorschlag: Juerg Borer (2006). OECD-Empfehlungen zur Wettbewerbspolitik: Missbrauchsansatz ist nicht das Problem. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.