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Unabhängige Regulatoren in der Schweiz: Eine bittere, aber stichhaltige Kritik

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Die Empfehlungen der OECD-Experten zu den so genannten «unabhängigen Regulatoren» sind richtig und präzis. Die ihnen zugrunde liegende Analyse ist zwar bitter, aber nichtsdestotrotz stichhaltig. Die Analyse hebt insbesondere «das Fehlen eines kohärenten Rahmens für die Regulierungsstellen» hervor, so dass sich die Schweiz heute in einem «Frühstadium der Herausbildung wirklich unabhängiger sektorieller Regulatoren» befindet. Zudem war «die Entwicklung der Regulierung in den Netzwerksektoren in der Schweiz langsamer als in zahlreichen europäischen Ländern». Als Folge davon fehlt es den Regulatoren hierzulande an Unabhängigkeit und an Einfluss.

Wichtigste Erkenntnisse des Berichts


Die Diagnose des OECD-Berichts beruht auf einer systematischen, interdisziplinären Analyse von Gesetzgebung, Institutionen und Praxis der sektoriellen (Infrastrukturen) und transversalen Regulierung (Wettbewerbskommission und Preisüberwachung). Sie führt zu folgenden vier zentralen Ergebnissen: – Die gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen sowie die Praxis der sektoriellen Regulierung in der Schweiz sind inkohärent. Zu Recht stellen die Autoren des Berichts eine punktuelle und wenig systematische Entwicklung der sektoriellen Regulierung in der Schweiz fest, was zu sehr unterschiedlichen, komplexen und insgesamt unbefriedigenden Praktiken führt. – Die Regulatoren sind generell zu wenig unabhängig, und dies sowohl von den traditionellen politisch-administrativen Strukturen wie auch von den jeweiligen Akteuren. So sind die heutigen Regulatoren in Eisenbahn, Luftfahrt und Telekommunikation einfach eine Fortführung der bestehenden Institutionen, d.h. der Bundesämter und ausserparlamentarischen Kommissionen. Sie entsprechen somit nicht dem Stand der unlängst liberalisierten Sektoren.  – Entsprechend sind – gemäss den OECD-Experten – die heutigen sektoriellen Regulierungen in der Schweiz oft durch einen Mangel an Professionalität gekennzeichnet, kombiniert mit beschränkten Mitteln und Kenntnissen sowie einer unklaren Rollenverteilung (z.B. zwischen Regulierung und Politikberatung). – Schliesslich konstatieren die OECD-Experten ein klares Koordinationsdefizit zwischen sektorieller und transversaler Regulierung. Aus diesem Grund vermögen die sektoriellen Regulatoren sowohl zur Förderung des Wettbewerbs wie auch zum Konsumentenschutz zu wenig beizutragen.  Obwohl diese Diagnose unter Experten schon hinlänglich bekannt war, ist sie nicht weniger bitter und ruft nach einer systematischen, grundlegenden Überarbeitung der unabhängigen Regulierung in der Schweiz.

Schwächen des Berichts


Obwohl stichhaltig und umfassend, weist der Bericht eine gewisse Anzahl von Schwächen auf. Sie betreffen insbesondere zwei Hauptpunkte, die beide von einem ideologischen Ansatz bei der Betrachtung der sektoriellen Regulierung herrühren: – Mit Ausnahme des Elektrizitätssektors, den die Experten eingehend untersucht haben, bleiben die Analysen der Sektoren Telekommunikation, Post, Luftfahrt und Eisenbahn oberflächlich und lückenhaft. So wurden zum Beispiel die technischen Eigenheiten dieser Sektoren, die oft sehr spezielle Regulierungen benötigen, kaum betrachtet. Umgekehrt wurde nicht bemerkt, dass die sektorspezifische Regulierung des Postsektors nicht sehr überzeugend ist. – Generell ist die unabhängige Regulierung gemäss OECD ausschliesslich in den Dienst der Förderung von Wettbewerb – und damit der Konkurrenzfähigkeit der Schweiz – zu stellen. Das mag zwar in der Tat ihre ideologische Rechtfertigung darstellen, reflektiert jedoch nicht die Realität der sektoriellen Regulierung – auch nicht in denjenigen EU-Ländern, wo der institutionelle Rahmen weiterentwickelt ist. In ähnlicher Weise ist die politische Dimension der sektoriellen Regulierung auf den Konsumentenschutz reduziert; die technische Dimension fehlt – mit Ausnahme von Fragen der Sicherheit in der Eisenbahn und in der Luftfahrt – praktisch gänzlich.

Fazit


Trotz dieser Kritikpunkte sind die Empfehlungen der OECD-Experten ohne Weiteres zu unterstützen, fordern sie doch einen strukturellen und einheitlichen Ansatz in der unabhängigen Regulierung der Schweiz. Zu diesem Zweck bräuchte es aber ein Gesetz, das alle Sektoren abdeckt und den Regulatoren die notwendige Unabhängigkeit, Expertise und Macht sowie die nötigen Mittel in die Hand gibt, um das Funktionieren der immer weiter liberalisierten Infrastrukturen zu garantieren.

Zitiervorschlag: Finger, Matthias (2006). Unabhängige Regulatoren in der Schweiz: Eine bittere, aber stichhaltige Kritik. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.