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Eigenständigkeit für Swisscom

Eigenständigkeit für Swisscom

Welche Rolle soll der Staat im Telekommunikationsmarkt spielen? Soll er weiterhin Mehrheitsaktionär der Swisscom bleiben? Der Bundesrat verabschiedete am 5. April 2006 die Botschaft zur Bundesbeteiligung am Unternehmen Swisscom AG. Durch eine Änderung des Telekommunikationsunternehmungsgesetzes (TUG) will er die Kompetenz erhalten, das Swisscom-Aktienpaket abzutreten. Im Folgenden werden die Gründe dargelegt, die aus der Sicht des Bundesrates für die Privatisierung sprechen.

Bereits 2001 strebte der Bundesrat im Rahmen des Gesamtpakets Post/Swisscom AG eine Flexibilisierung des Grundsatzes an, dass der Bund eine Mehrheit an Swisscom halten muss. Nach einer sehr kontroversen Vernehmlassung beschloss er damals, auf eine Vorlage an die eidgenössischen Räte zu verzichten, zumal der Handlungsdruck aufgrund der verlangsamten Branchenkonsolidierung nachgelassen hatte.  Ab 2004 intensivierte Swisscom ihre Bestrebungen zur Übernahme eines ausländischen Telekomunternehmens. Dies sowie grundsätzliche Überlegungen zur Rolle des Staates in der Telekommunikation veranlassten den Bundesrat im November 2005, eine neue Vorlage zur Abgabe der Bundesbeteiligung an Swisscom zu lancieren. In der Rekordzeit von nur vier Monaten hat er eine Vernehmlassung durchgeführt und die entsprechende Botschaft an die eidgenössischen Räte verabschiedet.   Für den Bundesrat gibt es fünf Hauptgründe, die für eine vollständige Privatisierung sprechen:  – Swisscom braucht unternehmerische Spielräume, die ihr der Bund nicht gewähren kann;  – mit dem Verkauf seiner Beteiligung kann der Bund seine finanziellen und unternehmerischen Risiken stark reduzieren;  – die Grundversorgung ist dank eines klugen Mechanismus im Fernmeldegesetz (FMG) auch ohne Bundesbeteiligung langfristig sichergestellt;  – der Bund kann sich der Interessenkonflikte entledigen, die sich unweigerlich aus seinen verschiedenen Rollen als Gesetzgeber, Regulator, Mehrheitsaktionär und Grosskunde ergeben;  – schliesslich sind mit dieser Vorlage auch die sicherheitspolitischen Interessen des Landes gewahrt.

Unternehmerische Spielräume für Swisscom


Swisscom arbeitet in einem ausgesprochen dynamischen Markt. Der rasante technologische Fortschritt bedingt eine konstante Überprüfung und Anpassung der Geschäftsmodelle. Gestern war ISDN die grosse Errungen-schaft, heute ist die Breitbandtechnologie ADSL in aller Munde; die Konzepte von morgen heissen «Triple Play» (Dienstebündel von Telefonie, Internet und Fernsehen aus einer Hand) und uneingeschränkte mobile Kommunikation. Während sich die Angebotspalette an Telekomdienstleistungen seit der Marktöffnung von 1998 beträchtlich erweitert hat, sind die Preise in gewissen Bereichen stark gesunken. Ein erfolgreiches Telekomunternehmen muss deshalb sehr innovativ und stets auf der Suche nach Effizienzsteigerungspotenzialen sein. In dieser kapitalintensiven Branche ist zum einen Risikofähigkeit gefragt, denn oft besteht Unsicherheit über den künftigen Erfolg neuer Technologien. Zum anderen können Allianzen in einem Geschäft, das aufgrund von Netzwerkeffekten hohe Skalenerträge aufweist, von zentraler Bedeutung für das Überleben eines Unternehmens sein.  Wer bestehen will, braucht also strategische und unternehmerische Spielräume, die bei einem mehrheitlich staatlichen Aktionariat nicht a priori gegeben sind. Obwohl der Bund ein starkes Interesse an einer erfolgreichen Swisscom hat, kann er nicht gleich hohe Risiken eingehen wie ein privater Aktionär. Er ist gegenüber den Steuerzahlerinnen und -zahlern zu einem sehr vorsichtigen Umgang mit öffentlichen Geldern verpflichtet. Die Befreiung von Swisscom aus diesem Korsett kann nur über eine vollständige Privatisierung erreicht werden.

Risikominderung für den Bund


Die Bundesbeteiligung an Swisscom hat heute einen Marktwert von rund 16 Mrd. Franken und stellt damit einen der grössten Vermögenswerte des Bundes dar. Eine Veränderung des Aktienkurses um nur 10 Franken beschert dem Bund einen Buchgewinn bzw. Buchverlust von rund 380 Mio. Franken. Es sind grosse Beträge, die hier auf dem Spiel stehen; im Rahmen der jährlichen Budgetdebatten streiten die eidgenössischen Räte auch um viel kleinere Beträge.  Die Grösse des Vermögenswerts ist umso problematischer, als Swisscom in einem höchst dynamischen Umfeld tätig ist. Die Herausforderungen für die Telekomunternehmen – und die damit einhergehenden unternehmerischen Risiken – sind entsprechend hoch. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Bundes, als Risikokapitalgeber aufzutreten. Er sollte sich vielmehr darauf beschränken, fruchtbare Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen.

Grundversorgung sichergestellt


In der Vernehmlassung bestand Einigkeit darüber, dass hoch qualitative und preiswerte Telekomdienstleistungen für die Schweizer Volkswirtschaft von überragender Bedeutung sind. Die Versorgung basiert in der Schweiz grundsätzlich auf einem funktionierenden Markt. Privat- und Geschäftskunden kommen dadurch in den Genuss eines überdurchschnittlichen Angebots an Dienstleistungen. Die Mobilfunknetze decken beinahe die ganze Schweiz ab; ADSL-Verbindungen sind in 98% der Haushalte möglich. Selbstverständlich verfügt jede Person, die es wünscht, über einen Telefonanschluss. Für die Einzelfälle, wo der Markt die politisch gewünschten Leistungen nicht erbringt, hat der Gesetzgeber im FMG ein solides Sicherheitsnetz gespannt. Das FMG regelt die Grundversorgung und stellt sicher, dass auch abgelegene Regionen mit einem breiten Angebot an Telekomdienstleistungen versorgt werden – zu gleichen Preisen wie in den Zentren. Zudem kann festgestellt werden, dass es bei Privatisierungen von Telekommunikationsunternehmen in anderen europäischen Staaten zu keinerlei Einbussen bei der Qualität der Grundversorgung kam. Das ist nicht nur auf das Konzessionierungsregime zurückzuführen, sondern auch auf die Tatsache, dass die Anbieter von Fernmeldediensten ein grosses Interesse daran haben, ihre Kunden über eigene Netzanschlüsse zu bedienen. In dem sich heute durchsetzenden «All-IP»-Szenario sind die Zahl der Hausanschlüsse und die Möglichkeit, den Kunden ein umfassendes Dienstebündel anzubieten, Schlüsselfaktoren für den kommerziellen Erfolg. Die von den Gegnern einer Privatisierung geäusserten Befürchtungen, dass die Grundversorgung zusammenbrechen könnte, sind deshalb unbegründet.

Interessenkonflikte beseitigen


Der Bund pflegt vielfältige Kontakte zu Swisscom. Er ist Gesetzgeber und regelt somit – u.a. im FMG – die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens. Als Regulator hat er die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft mit vielfältigen, preiswerten und qualitativ hoch stehenden Fernmeldedienstleistungen versorgt werden. Gleichzeitig soll eine zuverlässige und erschwingliche Grundversorgung für alle Bevölkerungskreise gewährleistet sein und ein wirksamer Wettbewerb ermöglicht werden. Die Interessen des Bundes als Mehrheitsaktionär von Swisscom sind hingegen anders gelagert: Die Steigerung des Unternehmenswertes steht hier im Mittelpunkt. Schliesslich ist er als Grosskunde von Swisscom vor allem an möglichst günstigen Dienstleistungen interessiert.  Die Öffnung der Letzten Meile hat diese Ziel- und Interessenkonflikte auf eindrückliche Weise offen gelegt: Die Öffnung, die den Wettbewerb verstärken soll, passiert möglicherweise auf Kosten der Swisscom. Die Überlagerung dieser verschiedenen Interessen führt den Bund unweigerlich in Konflikte, die nur mit einem Verkauf der Bundesbeteiligung behoben werden können.

Sicherheitspolitische Interessen gewahrt


Im Rahmen der Vernehmlassung ist die Befürchtung geäussert worden, dass die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz bei einem Verkauf der Swisscom an ein ausländisches Unternehmen nicht mehr gewahrt sein könnten. Der Bundesrat erachtet auch diese Befürchtungen als unbegründet. Zum einen sind die Anbieter von Fernmeldediensten – insbesondere Swisscom – verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die notwendige Infrastruktur im Inland jederzeit und unabhängig durch Personal in der Schweiz betrieben werden kann. Zum anderen würden Infrastrukturen – wie Kabel, Antennen und Telefonzentralen – nicht ins Ausland transportiert, selbst wenn Swisscom in ausländischen Mehrheitsbesitz gelangen sollte. Auch könnte der Bund in Notfällen die notwendige Infrastruktur requirieren.

Auswirkungen der Privatisierung


Eine vollständige Privatisierung wirkt sich vor allem auf Swisscom positiv aus. Das Unternehmen erhält den Spielraum, den es benötigt, um im dynamischen Telekommunikationsmarkt bestehen zu können. Folgerichtig fallen die in den strategischen Zielen festgehaltene Beschränkung der Auslandengagements und die Vorgaben betreffend Gewinnausschüttungen mit dem Verkauf der Bundesbeteiligung weg. Swisscom verbessert ihre Allianzfähigkeit und kann neue strategische Partnerschaften eingehen. Mit über 15000 Vollzeitstellen ist Swisscom eine der grössten Arbeitgeberinnen des Landes. Ihr Wohlergehen ist somit für die Schweizer Volkswirtschaft von grosser Bedeutung. Nur gesunde und dynamische Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze. Der Verkauf des Aktienpakets zum heutigen Marktpreis würde rund 16 Mrd. Franken einbringen, die nach Finanzhaushaltsgesetz als ausserordentliche Investitionseinnahmen für die Schuldentilgung einzusetzen sind. Die damit einhergehende Senkung der Bundesschuld erwirkt Einsparungen bei den Passivzinsen in der Höhe von etwa 0,5 Mrd. Franken. Auf der Einnahmenseite fallen durch den Verkauf des Aktienpakets die Dividenden weg, die im Durchschnitt der letzten acht Jahre etwas mehr als 0,5 Mrd. Franken betrugen. Einnahmenausfälle und Einsparungen halten sich somit in etwa die Waage. Die Staatsquote und die Anfälligkeit des Bundeshaushalts auf Zins- und Börsenschwankungen würden jedoch reduziert.

Negative Konsequenzen eines Verzichts


Kurzfristig ist bei einem Verzicht auf eine Privatisierung nicht mit grossen Schäden zu rechnen. Swisscom erwartet aber weiterhin sinkende Umsätze. Ohne Privatisierung ist sie in ihren Entwicklungsmöglichkeiten weiterhin eingeschränkt und verfügt deshalb nicht über alle Möglichkeiten, dem Umsatzrückgang entgegenzuwirken. Sobald die Kostensenkungspotenziale ausgeschöpft sind, kann dies zu sinkenden Gewinnen und entsprechend tieferen Investitionen sowie tieferen Erträgen für die Investoren führen. Dies wiederum ist ein Risiko für die Volkswirtschaft und den Standort Schweiz. Die Schweiz könnte bei der Versorgung mit technologisch hoch stehenden Telekommunikationsleistungen ins Hintertreffen geraten.  Auch dem Bund entginge eine gewisse Flexibilität; er müsste weiterhin gewichtige finanzielle und unternehmerische Risiken übernehmen. Zudem müsste der Bundesrat auch in Zukunft die politische Verantwortung für unternehmerische Entscheide von Swisscom tragen.

Ausblick


Die Vorlage soll gemäss Plan in der Sondersession im Mai 2006 durch den Nationalrat und in der Sommersession 2006 durch den Ständerat beraten werden. Eine rasche parlamentarische Behandlung der Vorlage vorausgesetzt, kann es im Falle eines Referendums frühestens im März 2007 zur Volksabstimmung kommen. Somit könnte der Bund im Laufe des Jahres 2007 mit dem Verkauf der Aktien beginnen. Nach dem Willen des Bundesrates soll das Paket – analog zum Börsengang von 1998 – mittels öffentlicher Sekundärplatzierung insbesondere bei in- und ausländischen institutionellen Investoren gestreut werden. Denkbar ist auch ein «persönliches Aktienangebot» nach dem Vorbild des Börsengangs von 1998. Damals profitierten Privatanleger von einem Rabatt von 5 Franken pro Aktie und von der garantierten Zuteilung von mindestens 10 Aktien. Der Bundesrat wird vor dem Verkauf die Marktverhältnisse analysieren und entsprechend berücksichtigen. Für überstürzte, panikartige Verkäufe besteht weder ein Anlass noch eine Notwendigkeit.

Kasten 1: Swisscom: Kommission des Nationalrates gegen Privatisierung Swisscom: Kommission des Nationalrates gegen Privatisierung

Der Bund soll seine Swisscom-Aktien nicht verkaufen. Mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Ent-haltung beantragt die Fernmeldekommission (KVF) dem Nationalrat, auf die Vorlage zur Privatisierung des Telekomunternehmens nicht einzutreten.

Der Bundesrat möchte die Bundesbeteiligung von 62,45% an der Swisscom im Wert von derzeit rund 16 Mrd. Franken veräussern, um dem Unternehmen mehr Freiheit zu verschaffen und den Bund von unabwägbaren Risiken in einem bewegten Markt zu entlasten. Der Erlös wäre für die Schuldentilgung bestimmt.

Dass die Kommission des Erstrates, die am 10. April 2006 tagte, das nicht will, hatte sich abgezeichnet. SP, Grüne und CVP, die sich der Abgabe der Bundesbeteiligung widersetzen, stellen hier mit 13 Mitgliedern just die Mehrheit. Vorbehaltlos für die Privatisierung der Swisscom hatten sich nur FDP und SVP ausgesprochen.

Angst vor Verkauf ins Ausland

Den Ausschlag hätten staats- und finanzpolitische Bedenken gegeben, sagten KVF-Präsident Franz Brun (CVP/LU) und Chiara Simoneschi (CVP/TI) am Montag vor den Medien im Bundeshaus. Der Bundesrat habe den ökonomischen, sozialen und politischen Risiken des Verkaufs in seiner Botschaft nicht genügend Rechnung getragen.

Die Mehrheit befürchtet insbesondere den Verkauf der Swisscom ins Ausland. Die flächendeckende Grundversorgung und die Sicherheit in Krisen wären in Gefahr. Die Swisscom werfe nicht nur eine gute Rendite für den Bund ab, sie sei auch ein sozialer Arbeitgeber und trage viel zur Innovation bei. Die Vorlage des Bundesrates könnte der «Auftakt zu einer Welle der Privatisierung» sein. Mit einem schnellen Nichteintretensentscheid bleibe der Swisscom eine lange Zeit der Unsicherheit bis zu einer wohl negativen Volksabstimmung erspart, sagte Brun. Zur künftigen Strategie der Swisscom – Stichwort Auslandengagements – meinte er, dem Unternehmen sollten «nicht zu enge Fesseln» angelegt werden.

Anders die Finanzkommission

Als Vertreter der Minderheit bedauerte Georges Theiler (FDP/LU) den Entscheid der Kommission. Dieser sei notabene gegen den Willen der Swisscom gefallen und schaffe erst recht Unsicherheit. Die Risiken und Interessekonflikte des Bundes als Gesetzgeber, Regulator, Grosskunde und Eigner blieben bestehen. Auch bei einer vollständigen Privatisierung garantiere das Gesetz die Grundversorgung auch für neue Technologien, sagte Theiler, der seine Hoffnungen nun ins Plenum setzt. Im Übrigen fand er es «interessant », dass sich die parteipolitisch ähnlich zusammengesetzte Finanzkommission gleichentags mit 15 zu 10 Stimmen für Eintreten ausgesprochen hatte.

Plenum entscheidet im Mai

Folgt die grosse Kammer in der Sondersession vom Mai 2006 dem Antrag der KVF, ist der Ständerat am Zug. Beschliesst im Sommer auch er Nichteintreten oder hält der Nationalrat in der Differenzbereinigung daran fest, ist das Geschäft vom Tisch. Wenn der Nationalrat im Mai aber Eintreten beschliesst, muss die KVF die Detailberatung vornehmen. Sollte die Vorlage das Parlament heil überstehen, hätte mit Sicherheit das Volk das letzte Wort. SP und Grüne haben das Referendum bereits angekündigt. Der Urnengang fände voraussichtlich am 11. März 2007 statt.

Zitiervorschlag: Martin Walker (2006). Eigenständigkeit für Swisscom. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.