Suche

Abo

Gewandelte Wettbewerbsverhältnisse im Schweizer Detailhandel

Mit dem Eintreten von international tätigen Ladenketten in den Schweizer Markt hat sich der Wettbewerb deutlich intensiviert. Zuvor war der Detailhandel durch die zwei Grossverteiler geprägt, die ihre Position über Neuakquisitionen zusätzlich gestärkt haben. Im folgenden Beitrag gehen die Autoren den Fragen nach: Wie schätzen die Einkaufsverantwortlichen von Grossverteilern und Detailhandel die neue Konkurrenzlage ein? Mit welchen Strategien begegnen sie dem verschärften Preiswettbewerb? Welche Gegenkräfte behindern nach wie vor den Wettbewerb im Schweizer Detailhandel? Warum unterbleiben oft Parallelimporte, selbst wenn diese rechtlich möglich wären? Und wie verhält es sich mit dem Konsumentenverhalten als preisbestimmender Faktor?

Die Dominanz zweier grosser Detailhandelsketten und die Tatsache, dass beide Firmen in relativ grossem Umfang Produkte der Eigenmarken vertreiben, galten lange Zeit als massgebende Charakteristika des hiesigen Marktes. Sich hinziehende Diskussionen um die Schaffung einer «dritten Kraft» belegen dies. Entsprechend kritisch gewürdigt wurden die Entscheide der Wettbewerbskommission (Weko), die nicht nur den Zusammenschluss von Coop mit Waro, sondern kurz darauf auch noch den Aufkauf von Epa durch Coop zuliess. Parallel dazu erwarb die Migros Globus und sprach offensichtlich ein erhebliches Wort mit beim Aufkauf der Pickpay-Gruppe durch Denner, der langjährigen Nummer 3.  Mit dem Eintritt von Carrefour, Spar und Aldi sowie dem zu erwartenden Eintritt von Lidl sind nun verstärkt international tätige Ladenketten im Schweizer Markt präsent. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf den Lebensmittelhandel, sondern erstreckt sich auch auf den Fachhandel bzw. dessen Konkurrenten. Nach dem Auftreten von Ikea, Conforama, Media Markt und Jumbo sind es neu Obi und Hornbach, die an einer wachsenden Zahl von Standorten in der Schweiz tätig sind.

Auswirkungen der neuen Konkurrenzsituation


Der vorliegende Artikel fusst auf strukturierten Interviews, welche die Autoren im vergangenen Herbst mit Einkaufsverantwortlichen von Grossverteilern und Grosshandel geführt haben. Frau Irene Moser und Herrn Christian Brechbühl danken wir für die Aufzeichnung der Gespräche.

Preiswirkungen


Die Erwartung, dass der Eintritt internationaler Handelsketten den Wettbewerb in der Schweiz intensiviert, wird allgemein bestätigt, allerdings vorab für das Discountsegment. Gesprächspartner von Warenhäusern halten dies nicht für eine Bedrohung an sich, verzeichnen den zurzeit veröffentlichten Zahlen zufolge aber einen eher schleppenden Geschäftsgang. Die Swiss Retail Federation beklagt u.a. einen Rückgang der Häufigkeit des Einkaufs in den Innenstädten bei gleichzeitig deutlich sinkenden Ausgaben je Kunde (vgl. www.swiss-retail.ch, «Downloads», «Einkaufen in der Innenstadt: Schlussbericht». Langfristig möchten sich die Warenhäuser zu Erlebniskaufhäusern entwickeln, um sich damit vom Segment der Discounter abzuheben. Im Food-Bereich, so argumentieren die Befragten, werden die neu eintretenden Firmen die Preise nicht auf ein etwa mit Deutschland vergleichbares Niveau senken können, da auch sie in der Schweiz die Lebensmittel aus einheimischer Produktion beziehen müssten und der Faktor Agrarpolitik die zentrale Grösse für die Preisunterschiede sei. Berechnungen, die auf den Abgabepreisen der Landwirtschaft einerseits und den Konsumentenpreisen anderseits basieren, zeigen allerdings, dass die Einkommenssicherung für die Landwirtschaft nur beschränkt das Preisniveau im Detailhandel erklärt. So überrascht es nur wenig, dass auch der Food-Bereich beste Anschauung für den Wettbewerbs- und Preisdruck liefert, den neue Konkurrenz auslöst. Bevor die deutschen Firmen überhaupt erste Filialen in der Schweiz eröffnet hatten, reagierten die schweizerischen Grossverteiler mit der Einführung von Billiglinien wie «Prix Garantie», «Budget» oder «No.1». Auch auf dem übrigen Sortiment wurden Preise gesenkt, wo dies vorher kaum jemand erwartet hätte. Vorangegangen war nämlich eine Phase, in der man den Kunden mit guter Einkaufsatmosphäre und speziellen ökologischen Leistungen eher in das höhere Preissegment zu führen gedachte.

Neuorganisation in Einkauf und Vertrieb


Während Coop Einkaufsallianzen mit potenten ausländischen Partnern sucht, um gemeinsam bei den Lieferanten günstigere Konditionen einhandeln zu können, setzt die Migros auf Parallelimporte, mit welchen die Marge der Zwischenhändler in der Schweiz möglichst umgangen werden soll. Preisdruck manifestiert sich auch im Bereich der nicht verderblichen Waren. Der Möbelhändler Ikea, der identische Produkte je nach Land zu unterschiedlichen Preisen vertreibt, senkte 2005 die Preise auf seinem Katalog.  Gestärkt wird der Wettbewerb weiter dadurch, dass – neben Neuerungen im Einkauf – auch neue Vertriebsformen auftreten. Eine Apotheke im Kanton Solothurn gab mit der Aufnahme des Direktvertriebs von Medikamenten dem Bundesgericht Anlass, das 1996 erlassene Binnenmarktgesetz für einmal offensiv anzuwenden, indem es den neuen Weg zum Kunden schützte. Der Gesetzgeber konnte im Heilmittelgesetz diese Öffnung dann nur noch in geordnete Bahnen lenken. Geänderte Vertriebsformen – wie Bestellung über das Internet und Versand per Post – könnten auch im Buchhandel festgeschriebene Verkaufsstrukturen rascher aufbrechen, als es die Wettbewerbspolitik vermag.

Gegenkräfte zu mehr Wettbewerb


Gegenkräfte zu mehr Wettbewerb – und damit auch zu mehr Preisangleichung an das umliegende Ausland – bleiben nach wie vor wirksam. Nachstehend gehen wir auf Preisabsprachen, Normenprotektionismus, Haftungsfragen und Servicepakete ein.

Preisabsprachen


Ein offen deklariertes Kartell besteht unseres Wissens heute nur noch im Bereich des Buchhandels. Die Buchpreisbindung in der deutschen Schweiz ist allerdings Gegenstand eines langjährigen Kartellverfahrens. Kollektiv durchgesetzte Rabattordnungen und mit dem Preisüberwacher abgesprochene Tabellen für die Umrechnung der Preise von Euro in Schweizer Franken würden ein Ende finden, sollte das Urteil der Weko vom 31.3.2005 definitiv rechtskräftig werden. In der Französisch sprechenden Schweiz wird der Import von Büchern dagegen in hohem Mass durch 1-2 Firmen kontrolliert, mit der Folge, dass die Preisdifferenzen bei Büchern zwischen der Romandie und Frankreich prozentual grösser sind als zwischen der Deutschschweiz und Deutschland. Ob diese Differenz auch bei jenen Bestsellern besteht, wo die Fnac die Hachette-Gruppe als Besitzerin der Librairies Payot konkurrenziert, soll hier offen gelassen werden. Konzentration statt Kartell bleibt jedenfalls eine Herausforderung bei griffigerer Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts.  Anlass zu wiederholten Abklärungen der Wettbewerbsbehörde hat der Markt für Sanitärinstallationen geliefert; neben andern Märkten schimmern auch bei Bauprodukten kartellrechtlich fragwürdige Verhältnisse durch. Nach wie vor ist eine Tendenz der Abschottung feststellbar, die durch verbleibende technische Handelshemmnisse gestützt wird und mit Folgen für die Preise verbunden ist. Baumärkte oder Fachmärkte, die zu tieferen Preisen verkaufen möchten, werden von einigen schweizerischen Produzenten generell nicht beliefert. Nach Aussagen der Befragten hält sich der Sanitär-Fachhandel nach wie vor an die empfohlenen Preise der Produzenten. Der Kunde bezahle dies, weil die Schweiz ein «Mieterland» sei. Die Hausbesitzer gingen davon aus, die Kosten auf die Mieterschaft überwälzen zu können.

Normenprotektionismus


Zwar ist das Technische Recht weit gehend harmonisiert und die Schweizerische Normenvereinigung hat sich über ihre Mitgliedschaft in den europäischen Normenorganisationen verpflichtet, Schweizer Normen zurückzuziehen, wenn internationale Normen erlassen worden sind. Dennoch besteht ein gewisser Normenprotektionismus fort, z.T. aus schwer veränderlichen historischen Gründen. Zahllose Küchen wurden über Jahrzehnte für Küchenmöbel mit der Normbreite 55 cm geplant. Immerhin planen Architekten neue Küchen nun auch nach dem europäischen Standardmass von 60 cm.  Im Bereich Bau und Baumärkte verteuern noch einige weitere Schweizer Normen viele Produkte. Bei Elektrogeräten, Armaturen oder Öfen hat der Kunde Mühe auszuweichen, will er nicht Stecker ändern, Gewinde auswechseln oder riskieren, dass er mit Vorschriften der kantonalen Feuerversicherungen in Konflikt gerät. So gilt etwa bei den Armaturen in der Schweiz die Anschlussnorm von 153 mm; hingegen gelten in der EU 150 mm. Eine deutsche Firma produziert Armaturen speziell für den Schweizer Markt. Diese Produktion dauert bloss einen Tag pro Jahr, an dem die Produktionsmaschinen auf die Schweizer Norm umgestellt werden – eine Partikularität mit entsprechenden Folgen für Preis und Wettbewerbslage.

Haftungsfragen und Rückverfolgbarkeit


Zwar hat das Thema «Produkthaftung» in der Schweiz niemals jene Bedeutung, die es in den USA hat. Bei Campinggasflaschen wurde aber – neben dem eben genannten technischen Handelshemmnis – auch das Haftungsrisiko als Ursache für die beachtliche Preisdifferenz zum Ausland angeführt. Statt als Importeur zu haften, bevorzugt der Handel ohne entsprechenden Konkurrenzdruck den Einkauf beim lokalen Hersteller oder autorisierten Vertreter. Eng verwandt mit der Frage der Haftung ist die Frage der Rückverfolgbarkeit, die heute vermehrt unter Aspekten des Konsumentenschutzes gewünscht wird. Allerdings hat sie fragwürdige Rückwirkungen auf den Konsumenten, trifft diese Auflage – sofern unzweckmässig ausgestaltet – doch den Parallelimportkanal und nicht den «offiziellen» Importeur.

Kundenbindung durch Serviceleistungen


Die Kundenbindung durch Serviceleistungen hat sich insbesondere in der Autobranche etabliert. Unterschiedliche Servicepakete erschweren Preisvergleiche zwischen den Ländern erheblich und wirken so der Preisarbitrage durch Parallelimporte entgegen. Bestimmte Automarken haben auf dem Schweizer Markt teilweise sogar 10 Jahre Garantie (inkl. Service und Ersatzteile) angeboten. Hinzu kommen länderspezifische Ausstattungen, so genannte «Swisslines», die dem Bedürfnis der Schweizer Kunden nach einer besseren Ausstattung und Qualität entsprechen sollen. Obwohl die Anzahl parallel importierter Fahrzeuge relativ klein geblieben ist, hat eine Preisangleichung an Europa stattgefunden, wenn auch nicht in vollem Ausmass. Dass die Weko mit ihrer Bekanntmachung zu vertikalen Abreden im Personenwagenhandel dem Unterlaufen des Gebotes der Preistransparenz durch Formen von Kuppelgeschäften wie den Servicepaketen Grenzen gesetzt hat, bleibt deshalb mit Blick auf die Interessen der Kunden wichtig.

Weshalb rechtlich zulässige Parallelimporte unterbleiben


Angesprochen auf die Möglichkeit, bei spürbaren Preisdifferenzen zum umgebenden Ausland selber direkt zu importieren, geben die Gesprächspartner auf Handelsstufe vorwiegend eine negative Antwort. Die Gründe liegen bei den Grossen im Detailhandel allerdings anderswo als bei den kleineren Einzelhändlern.

Situation des Einzelhandels


Kleinere Einzelhändler kaufen selten zum weltweit günstigsten Preis ein. Gründe dafür sind – kumulativ – die fehlende Transparenz, die fehlende Zeit und die unterentwickelte Einkaufs-Organisation. Entsprechend fest verankert ist die historisch gewachsene Praxis des Wareneinkaufs beim vom Produzenten bezeichneten Importeur. Dieser wird zum «offiziellen» Importeur, obwohl keine staatliche Stelle ihm diesen Status verleiht. Die vom Produzenten eingesetzte Schweizer Vertriebsorganisation erledigt alle Formalitäten. Auch werden die Produkte bereits in der schweizerischen Version und mit der dem Sprachgebiet entsprechenden Beschriftung geliefert. Dem Einzelhandel fehlt es dagegen oft an der Vertrautheit mit Deklarationsvorschriften, und sie scheuen die Schwierigkeiten am Zoll. Einzelhändler haben zudem regelmässig weder die Lagerkapazitäten noch die finanziellen Mittel, um ein grösseres Warenlager zu unterhalten. Dies wäre aber Voraussetzung für konkurrenzfähige Preise, da mit wachsender Bezugsmenge günstiger eingekauft wird. Weiter ist es bei Reklamationen einfacher, wenn der Händler die Produkte an den Vertreter retournieren kann, statt selber die Reparatur organisieren zu müssen. Insgesamt erweisen sich Direktimporte für den Einzelhändler heute somit noch als zu umständlich und zu kostspielig und werden erst in Betracht gezogen, wenn die Preisdifferenzen erheblich sind.

Situation des Zwischenhandels


Das Angebot des Zwischenhändlers kommt nicht nur den eben beschriebenen Bedürfnissen des Einzelhandels entgegen – wichtig ist auch dessen Logistikangebot: Viele Hersteller möchten grosse Mengen an einen Händler verkaufen, der die Feinverteilung übernimmt und die Qualität der Beratung sowie die Zuverlässigkeit der Verkaufspunkte garantiert. Da der Generalimporteur oder Grosshändler den Schweizer Markt mit seinen Kundenwünschen kennt, kann er dem Produzenten auch Auskunft geben über die im jeweiligen Land abzusetzenden Mengen und Chancen neuer Varietäten eines Produktes.  Nicht nur wegen der Direktimportmöglichkeiten der Einzelhändler ist der Zwischenhandel nicht unbedingt profitabel. Er steht auch in Konkurrenz zu Vertriebsorganisationen, welche die Hersteller spezifisch für ihre eigenen Produkte aufbauen. Im Lichte der neuen Bestimmungen des Kartellgesetzes zu horizontalen Lieferverpflichtungen in selektiven Vertriebssystemen könnten eigene Verkaufsorganisationen als Instrumente der Preisdiskriminierung zu Lasten der Schweizer Kunden sogar noch an Attraktivität gewinnen. Allgemein wird aber erwartet, dass im Zeichen der heute einfachen grenzüberschreitenden Kommunikation – auch in Sachen Werbung und Verbrauchsgewohnheiten – Vertriebsorganisationen zunehmend auf ganz Europa oder zumindest eine Sprachregion ausgerichtet werden.

Situation der Grossverteiler


Grossverteiler sind an sich in einer starken Position gegenüber den Herstellern. Vgl. hierzu die Ausführungen der Weko in Sachen des Treueprozentes, das Coop unter dem Namen CoopForte einzufordern begann (RPW 2005/1 S. 146ff.). Umgekehrt benötigen Grossverteiler regelmässig gewisse beim Kunden sehr gut verankerte Produkte zur Vervollständigung ihres Sortiments. In dieser Situation haben sie Mühe, über die Drohung mit Parallelimporten den Produzenten unter Druck zu setzen. Zu schwer wiegt das Risiko, mit den benötigten Mengen auf den alternativen Versorgungskanälen nicht zeitgerecht und sicher genug versorgt zu werden. Hohe Preise aufgrund starker Marken sind in einer Marktwirtschaft an sich kein Problem. In einem dynamischen Marktumfeld müssen solche Positionen erst errungen und später laufend mit Leistung verteidigt werden. Namentlich gilt es, beim Kunden den psychologischen oder allenfalls auch faktischen Zusatznutzen eines Markenproduktes mit Verkaufsanstrengungen (Werbung, Beratung) zu verankern. Die Preisdiskriminierung zu Lasten der hiesigen Kunden kann von den Grossverteilern allerdings auf mindestens zwei Wegen in Schranken gehalten werden: durch Eigenmarken und durch das Eingehen von Einkaufskooperationen. Entgegen unseren Erwartungen – die Harmonisierung des Chemikalienrechts mit der EU erfolgte erst 2005 – verzeichnete die Schweiz bei einem grenzüberschreitenden Preisvergleich einen günstigen Preis für Blumendünger. Der Grund liegt darin, dass zumindest jener Anbieter, dessen Preis in die Erhebung einging, Mitglied einer europaweiten Einkaufskooperation ist. Grenzen finden die Vorteile von Eigenmarken allerdings in der Grösse des Landes. Wenn mehrere Schweizer Grossverteiler je eine eigene Linie von No-Name-Produkten führen, hat dies viele Kleinstauflagen zur Folge, die preislich nicht an die Verhältnisse im deutschen, französischen oder italienischen Markt heranreichen können, wo mit einem Produkt ganz andere Umsatzzahlen zu erzielen sind. Das Eingehen von grenzüberschreitenden Einkaufskooperationen muss deshalb auch bei Markenartikeln faktisch möglich sein. Dies bringt unter anderem das Kartellgesetz ins Spiel.

Offene Wirkung des neuen Kartellgesetzes


In den geführten Gesprächen wurden die Möglichkeiten skeptisch eingeschätzt, dank dem verschärften Wettbewerbsrecht bei Markenartikeln eine Senkung der Preise auf das europäische Niveau herbeizuführen. Wohl soll es nach Art. 5 Abs. 4 des Kartellgesetzes (KG) keine absolute territoriale Exklusivität mehr geben, was impliziert, dass sich der Handel in der Schweiz beim Grosshandel im Ausland sollte eindecken können. Dies wirft allerdings nicht nur die Frage auf, wie sich eine solche schweizerische Bestimmung gegenüber Produzenten und Händlern im Ausland durchsetzen lässt. Der fragliche Artikel könnte in der Realität auch dadurch ausgehebelt werden, dass die Detailhandelsstufe den Vertrag direkt mit dem Hersteller abschliessen muss, welcher zwecks Fortbestand der Preissegmentierung den bisherigen Alleinimporteur in die Schweiz noch als so genannten «Frachtführer» einsetzt. Ob und unter welchen genauen Voraussetzungen sich solche Praktiken als Rechtsumgehung zu den Bestimmungen in Sachen «territoriale Exklusivität» im KG qualifizieren, wird wohl erst die höchstrichterliche Rechtssprechung zeigen.

Konsumverhalten als preisbestimmender Faktor


Ein nicht zu unterschätzender, aber in den laufenden Diskussionen um die Erklärung der hohen Preise in der Schweiz wenig beachteter Faktor ist das Verhalten der Konsumenten selber. Statt preisbewusst einzukaufen, wird ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gesucht, wobei einzelne Leistungsaspekte sehr hoch bewertet werden, vermutlich oft deutlich über deren direkte Kosten für den Hersteller hinaus. Bei Babynahrung etwa werden in der Schweiz vorwiegend die teuersten Produkte abgesetzt, weil die Eltern glauben, ihren Kindern damit das Beste zu geben. Die Versuche mit Eigenmarken oder mit No-Name-Produkten sind entweder gescheitert oder haben die gewünschten Umsatzzahlen nicht erreicht. In Frankreich wird Babynahrung dagegen teilweise wie Sackware angeboten und dennoch gekauft.  In das gleiche Kapitel gehört auch die in der Schweiz ausgeprägte Neigung, Produkte zu kaufen, die eine ethische Verknüpfung aufweisen (z.B. Heidilinie der Migros, die der Unterstützung der Bergregionen in der Schweiz dient). Mehrmals wurde erwähnt, dass die Schweizer häufig emotional kaufen. Mit Schweizer Motiven bedruckte Zündhölzer eignen sich gut zum Sammeln oder Dekorieren, verteuern aber das eigentliche Produkt erheblich.  Konsumenten schätzen auch eine gediegene Verkaufsatmosphäre. Der Offenverkauf von Käse, Fleisch oder Fisch, der bei Migros und Coop in grossen Stadtgeschäften üblich ist, ist im übrigen Europa oft nur in gehobenen Einkaufsgeschäften anzutreffen. Die Validität von internationalen Preisvergleichen wird weiter dadurch in Frage gestellt, dass die Aktionstätigkeit in der Schweiz am meisten verbreitet ist. Detaillisten in der Schweiz bieten monatlich oder gar wöchentlich neue verbilligte Aktionen im Stile von «2 für 1» an, und eine grosse Anzahl von Kunden stellen ihr Einkaufsverhalten darauf ein. Diese Aktionen haben wenig mit der Entsorgung von Lagerbeständen zu tun, sondern sind in erster Linie Ausdruck einer Zweipreisstrategie: ein hoher Preis, der die Güte des Erzeugnisses signalisiert, und ein tiefer Preis während der Aktionen, der auf Umsatz ausgerichtet ist.  Ausgeprägt ist in der Schweiz auch das Bedürfnis, Markenartikel zu kaufen. Im Bereich der Unterwäsche werden die schweizerischen Traditionsmarken immer wieder billigeren No-Name-Produkten vorgezogen, obwohl es kaum mehr Qualitäts-, sehr wohl aber Preisunterschiede gibt. Bei mehreren Produkten (Traktoren, Unterhaltungselektronik, PC, Motorroller) ist der Schweizer Konsument gemäss den Einkaufschefs auf teure Grundausrüstung ausgerichtet. Deshalb sind hier die Preisvergleiche teilweise auch nur eingeschränkt möglich. Die in den umliegenden Ländern bereits vollgezogene Umstellung der Konsumenten auf Preissensitivität – sprich auf das Einkaufen billigerer No-Name-Produkte – steht in der Schweiz offenbar noch bevor. Die Umsätze der Markenhersteller werden nach Einschätzung mehrerer Interviewpartner beim verschärften Wettbewerbsdruck inskünftig allerdings als erste schrumpfen.

Zitiervorschlag: Jiri Elias, Peter Balaster, (2006). Gewandelte Wettbewerbsverhältnisse im Schweizer Detailhandel. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.