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Preiskampf: Nicht zulasten der Arbeitnehmenden

Preiskampf: Nicht zulasten der Arbeitnehmenden

Der Schweizer Detailhandel ist eine Tieflohnbranche. Der Median der Löhne beträgt gerade 4260 Franken; der Durchschnitt der Privatwirtschaft liegt um 29% höher. Das tiefe Lohnniveau im Detailhandel trifft in besonderem Masse die Frauen: Nach Berücksichtigung der Faktoren Anforderungsniveau der Arbeit, Stellung im Betrieb, Alter und Dienstalter bleibt gemäss Lohnstrukturerhebung eine Lohndifferenz von 13%. Der Preiskrieg im Detailhandel hat – neben den erfreulichen Preissenkungen für Konsumentinnen und Konsumenten – zur Folge, dass diese ohnehin schon tiefen Löhne noch mehr unter Druck geraten. Gerecht wäre, wenn auch die Arbeitnehmenden von den Produktivitätssteigerungen profitieren und die stossende Lohndiskriminierung der Frauen endlich abgebaut würde.

Das Lohnniveau im Detailhandel lässt sich nicht durch die vermeintlich tiefe Wertschöpfung pro Arbeitsstunde erklären. Denn die Produktivität im Detailhandel ist jener anderer Binnenbranchen – wie Ausbau, Garagen usw. – ähnlich. Dort liegen die Löhne aber 10%-20% höher. Wesentliche Gründe für die tieferen Löhne sind vielmehr der hohe Frauenanteil und der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad. Dank der Kampagne der Gewerkschaften gegen die «Hungerlöhne unter 3000 Franken» konnten die allertiefsten Löhne angehoben werden: Sie stiegen bei Frauen mit einfacher und repetitiver Tätigkeit von 1998 bis 2002 um 8,2% gegenüber 4,2% beim Total der Beschäftigten aller Branchen. Insgesamt ist der Lohnrückstand im Detailhandel aber noch wenig abgebaut worden. Vor allem bleiben gelernte und erfahrene Frauen mehrheitlich ein Leben lang bei Löhnen unter 4000 Franken stecken.

Steigende Produktivität – stagnierende Löhne


In den letzten Jahren erlebte der Detailhandel unter dem Druck des Preiskampfs eine deutliche Produktivitätssteigerung: 2004 stieg der Detailhandelsumsatz um 1,5% und 2005 um 1,3%. Gleichzeitig war die Beschäftigung stark rückläufig (2004 -2,4%; 2005 -2,2%). 4,6% weniger Beschäftigte erwirtschafteten also 2,8% mehr Umsatz. Die Löhne sind hingegen nominal um 2,3%, real jedoch aber nur um 0,4% gewachsen! Für die Angestellten im Detailhandel hiess die neueste Entwicklung deshalb vor allem mehr Stress. Die Klagen bei Gewerkschaften und Beratungsdiensten haben entsprechend massiv zugenommen. Im Vordergrund stehen Schikanen bezüglich Arbeitszeit (kurzfristiges Aufbieten oder Nachhauseschicken), Änderungskündigungen mit tieferem Anstellungsgrad, Entlassungen und Mobbing.

Arbeit im Detailhandel muss aufgewertet werden


Dass der Strukturwandel im Detailhandel weitergehen wird, ist auch den Gewerkschaften klar. Aber die Entwicklung soll nicht unter dem Primat des tiefsten Preises, sondern unter jenem des umfassenden Nutzens erfolgen. Für den Kunden-Nutzen zählt nicht allein der tiefe Preis, sondern ebenso die Qualität, die Nachhaltigkeit und der gute Service. Es darf nicht sein, dass man sich erst wieder an Qualität erinnert, wenn das Know-how der Angestellten im Detailhandel zu Tode gespart ist. Ebenso muss in Zukunft der Arbeitnehmer-Nutzen im Detailhandel vergrössert werden. Die Arbeitnehmenden müssen am Produktivitätswachstum teilhaben, das sie erarbeiten, und zwar in verschiedener Form: – Gute Arbeitsplätze gilt es zu schaffen und zu erhalten. Die Arbeitnehmenden sind nicht einfach als manipulierbarer Kostenfaktor zu behandeln. Kontinuität und Dienstleistungsbereitschaft des Personals sind für die Branche wichtig. – Die Arbeit im Detailhandel muss grundlegend aufgewertet werden. Dies erfordert eine deutliche Lohnerhöhung, insbesondere bei den Frauen. Für das Image der Unternehmen im Detailhandel ist es untragbar, wenn die Lohndiskriminierung der Frauen von 13% einfach perpetuiert wird. – Mehr Produktivität ist auch mit höheren Ansprüchen an die Qualifikation der Arbeitenden verbunden. In kaum einer Branche ist der Lohnwert einer Berufslehre so gering wie im Detailhandel und berufliche Weiterbildung sowie Weiterbildungsurlaub so rudimentär. Das muss sich ändern.  Diese geforderte Besserstellung des Personals steht keineswegs im Gegensatz zur ökonomischen Entwicklung. Sie ist Abgeltung der Produktivitätssteigerung, welche wiederum zu einer Senkung des Lohnkostenanteils am Umsatz führt. Gerade noch 18% beträgt heute der Anteil der Lohnkosten bei Coop; bei Aldi und Lidl liegt er noch weit tiefer.  Verbesserungen der Bedingungen für die Angestellten im Detailhandel können nur mit einer umfassenden gesamtarbeitsvertraglichen Regulierung abgesichert werden, die alle konkurrierenden Unternehmen der Branche erfasst. Nur so lässt sich verhindern, dass der Preiskampf im Detailhandel über den Kampf um tiefere Arbeitskosten ausgetragen wird.

Zitiervorschlag: Andreas Rieger (2006). Preiskampf: Nicht zulasten der Arbeitnehmenden. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.