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Hochpreisproblematik bei Wareneinkäufen

Hochpreisproblematik bei Wareneinkäufen

Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten sowie KMU zahlen für die Wareneinkäufe in der Schweiz im Durchschnitt 20%-30% mehr für die international gehandelten, vergleichbaren Produkte als im benachbarten Ausland. Es ist nicht die höhere Wertschöpfung oder die höheren Vertriebskosten, die hauptsächlich zu dieser Verteuerung führen. Vielmehr werden die Importgüter bereits teurer in die Schweiz geliefert, weil der Importwettbewerb behindert und häufig Parallelimporte verhindert werden. Der Preisüberwacher erstellt in diesem Artikel aufgrund seiner Erfahrungen und der bei ihm eingehenden Preisbeschwerden eine Typologie der preistreibenden Faktoren und zieht Schlüsse für den Handlungsbedarf zur systemischen Senkung der Beschaffungspreise beim Import.

Hochpreisland in der Statistik


Produkte, die sowohl in der Schweiz als auch im europäischen Ausland vertrieben werden, sind in der Schweiz deutlich teurer als in den europäischen Nachbarländern. In summarischer Weise lassen sich aus den unterschiedlichen Preisvergleichsstudien folgende Resultate zusammenfassen: – Der Preisvergleich stichprobenweise ausgewählter Konsumgüter zwischen der Schweiz und Deutschland in 18 Produktbereichen (mehrwertsteuerbereinigte Verkaufspreise) des Lehrstuhls Zäch am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich zeigt bei identischen Produkten eine Preisüberhöhung der Schweiz gegenüber Deutschland von durchschnittlich 25%. Universität Zürich/Lehrstuhl Prof. Zäch (2001): Preisvergleiche stichprobenhaft ausgewählter Güter und Dienstleistungen Schweiz/Deutschland. Zürich, 2001. – Die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Auftrag gegebenen Preisvergleichsanalysen stellen nicht nur für Haushalte, sondern auch für Unternehmen eine Überteuerung von Produkten fest. Im Mittel beläuft sie sich auf 25% gegenüber europäischen Vergleichsländern. Seco (2003): Martin Eichler, Michael Grass, Christoph Koellreuter, Thomas Kübler: Preisunterschiede zwischen der Schweiz und der EU. Eine empirische Untersuchung. Strukturberichterstattung Nr. 21, Bern 2003.  – Ebenfalls vom Seco wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die eine Preisüberhöhung von 29% bei der Warenbeschaffung der Tourismusbranche im Vergleich zu Österreich darstellt. Seco (2003): Jürg Kuster und Peder Plaz: Tourismusdestination Schweiz: Preis- und Kostenunterschiede zwischen der Schweiz und der EU. Strukturberichterstattung Nr. 20. Bern 2003. – Die von der Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft in Tänikon FAT durchgeführten Preisvergleiche für eine repräsentative Zahl von Landmaschinen beziffern die Preisüberhöhung in der Schweiz ohne Berücksichtigung der Mehrwertsteuerdifferenzen auf 18% gegenüber Deutschland und Frankreich. Mehrwertsteuerbereinigt beträgt die Preisüberhöhung rund 25%. Agroscope FAT Tänikon (2005): FAT-Bericht Nr. 640/2005. Preisvergleich von landwirtschaftlichen Maschinen. Tänikon 2005. Sowie Agroscope FAT Tänikon (2004): Hauptbericht 2003. Tänikon. – Gemäss Preisvergleichen der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft Zollikofen (SHL) sind identische Pflanzenschutzmittel in der Schweiz mehrwertsteuerbereinigt durchschnittlich 70%-75% teurer als in Deutschland oder Frankreich (ungewogener Durchschnitt). Martin Raaflaub, Marco Pennoni (2005): Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel in der Schweiz und in den EU-Nachbarländern Deutschland und Frankreich. Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL, Zollikofen. September 2005. – Die Preisüberwachung hat auf Grund von Angaben aus der Branche bei Fungizi-den, Herbiziden und Insektiziden für die Landwirtschaft eine Preisüberhöhung von 43% (ungewogener Durchschnitt) festgestellt. Preisüberwachung (2005): Hohe Produktionsmittelpreise in der schweizerischen Landwirtschaft. September 2005, Seite 10 (siehe auch: Bei den SL-Präparaten ist allerdings der Einwand angebracht, dass es sich um administrierte Preise handelt, die vom Bund genehmigt werden. Bei 800 Präparaten, die nicht der staatlichen Preisadministration unterstehen (Hors-SL), beträgt die Überteuerung sogar 41% (ungewogene Mittel). Tätigkeitsbericht Preisüberwacher 2005, in: Recht und Politik des Wettbewerbs RPW Nr. 2005/5, Seiten 743, 774, 805. Februar 2006. (Im Tätigkeitsbericht 2005 des Preisüberwachers ist die hier vorgestellte Analyse der preistreibenden Faktoren skizziert worden.)  Über alle Produktgruppen gesehen ergibt sich nach unseren Berechnungen eine Verteuerung der schweizerischen Produkte um 20%-30% gegenüber dem EU-Niveau. In Tabelle 1 sind die verschiedenen Preisvergleichsstudien zusammengefasst.

Volkswirtschaftliche Bedeutung der Preisdiskriminierung


Die Schweiz hat im Jahr 2005 für rund 143 Mrd. Franken Waren aus dem Ausland importiert, was fast einem Drittel des Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht. Bei einigen Gütergruppen wirkt ein klarer Importwettbewerb mit angewandten Weltmarktpreisen, so etwa bei Erdölprodukten und Rohmaterialien. Bei Fabrikaten und Agrarprodukten, aber auch bei gewissen Dienstleistungen (z.B. Filmverleih-Mieten, Software) sind hingegen deutliche Preisüberhöhungen gegenüber dem Ausland auszumachen. Eine korrekte und durchwegs aussagefähige Preisanalyse müsste stets auf Ex-Factory-Preisen basieren, was nicht bei allen Preisstudien der Fall ist. Wir konnten aber auf Grund zahlreicher Detailanalysen und Preisbeschwerden feststellen, dass die Überteuerung notabene nicht bedingt ist durch die höhere Wertschöpfung und die Vertriebskosten im Inland, sondern durch höhere Transferpreise aus dem Ausland. Die Preisüberhöhung erfolgt bereits durch eine Preisdiskriminierung der ausländischen Lieferanten gegenüber der Schweiz. Die Mehrkosten sind also eine Art «Geschenk» an ausländische Lieferanten, die sich durch Ausreizung der höheren schweizerischen Kaufkraft auf ihre Art eine Kaufkraftabschöpfung zu Nutze machen.  Wir wagen auf Grund der verschiedenen Preisvergleichsanalysen die Hochrechnung, dass sich diese Preisüberhöhung bei den Importgütern in der Grössenordnung von jährlich 25-30 Mrd. Franken bewegt. Diese Kaufkraftabschöpfung durch die Hochpreispolitik bewirkt letztlich einen «Wachstumsgap», also eine makroökonomische Finanzierungslücke oder eine versteckte Verschlechterung der Terms of trade. Denn für den Exporteur gelten europäische oder Weltmarktpreise, während beim Import die Preisüberhöhung zum Tragen kommt und bezahlt wird.

Preisdiskriminierung auch durch Inländer


Diese Preisdiskriminierung zu Ungunsten der Schweiz wird nicht nur von den ausländischen Lieferanten durch eine Marktsegmentierungspolitik nach Kaufkraft und Ländern praktiziert, sondern auch schweizerische Hersteller wenden die gleiche Praxis an.  – Der grösste schweizerische Lieferant von Pflanzenschutzmitteln (Herbiziden, Insektiziden) beliefert den schweizerischen Detailhandelsmarkt mit seinen zehn umsatzträchtigsten Produkten im (umsatzgewichteten) Durchschnitt um 48% (Ex-Factory-Preise) teurer als das benachbarte europäische Ausland. Mitteilung an den Preisüberwacher: Details unter Geschäftsgeheimnis geliefert. – Die Preisdiskriminierung zum Nachteil des schweizerischen Pharmamarktes ist auch bei Hors-SL-Medikamenten feststellbar. Aufgrund der Firmendeklaration stellten wir bei einem umsatzstarken, exponierten und viel diskutierten Präparat eine Überteuerung von über 50% fest. Mitteilung an den Preisüberwacher: Details unter Geschäftsgeheimnis.

Handelskanal bestimmt Preisüberhöhung


Die Preisüberhöhung gegenüber dem Ausland hängt entscheidend davon ab, ob ein Produkt nur über den Alleinvertreiber in der Schweiz oder über den freien Importwettbewerb direkt resp. über Parallelimporte im Ausland bezogen werden kann. Hierzu ist eine Untersuchung der Swiss Retail Federation aussagekräftig, die bei einer repräsentativen Produktepalette die Verteuerung beim Import analysiert hat. BAK Basel Economics: Übersicht über die Kostenelemente des Detailhandels sowie internationaler Vergleich der Kostenelemente des Detailhandels. Studie im Auftrag der Swiss Retail Federation. Bern, 2002. Wenn die Produkte durch den Detailhandel direkt im benachbarten Ausland beschafft werden können, betragen die Preisdifferenzen bei den Warenbeschaffungskosten für den Detailhandel bloss 5%-10%. Wenn die Produkte aber nur indirekt über einen Alleinimporteur oder Alleinvertreiber in den schweizerischen Detailhandel gelangen, sind sie 30%-60% überteuert. Dabei ist nicht etwa die Marge des Alleinimporteurs der entscheidende Verteuerungsfaktor, sondern die Preisdiskriminierung durch den ausländischen Lieferanten: Er liefert die Waren schon teurer in die Schweiz! Die grossen multinationalen Konzerne betreiben eine sogenannte Marktsegmentierung, d.h. sie beliefern jedes Land getrennt und reizen beim Pricing die höhere Kaufkraft so weit wie möglich aus. Dabei versuchen sie, das Land über ihre Alleinvertriebsstrukturen («offizielle Vertriebskanäle») zu bedienen und den Parallelhandel zu verhindern.  Diese Marktsegmentierung ist das entscheidende Moment der Preisüberhöhung international handelbarer Güter in der Schweiz. Die (höheren) Kosten der internen Vertriebsleistungen des Detailhandels (Domestic services) sind dabei zwar noch nicht berücksichtigt, begründen aber die Überteuerung der internationalen Güter in der Schweiz ebenfalls nicht. Wir gehen davon aus, dass es nicht zulässig ist, bei international gehandelten Waren einen kaufkraftbereinigten Wechselkurs zu Grunde zu legen, wie dies bei interessenorientierten Vergleichsstudien etwa praktiziert wird.

Gründe für die Überteuerung


Die Vertriebsstrukturen und die Verhinderung von Parallelimporten haben also einen Trade-Diversion-Effekt zur Folge, d.h. eine Handelsbehinderung beim Import und – als Drittwirkung mangelnden Wettbewerbs – eine Verteuerung. Die vertikalen Lieferstrukturen sind meist historisch gewachsen und basieren auf vertikalen Preis- und Lieferbindungen. Weshalb werden trotz neuem Kartellrecht Parallelimporte systematisch verhindert oder verteuert?  Wir haben auf Grund zahlreicher Preisbeschwerden aus dem Publikum und Aussprachen mit den Marktakteuren eine Typologie von Verhinderungsmechanismen bei Parallelimporten identifiziert. In Grafik 1 sind die typischen Praktiken zur Verhinderung von Parallelimporten zusammengefasst, wobei die verschiedenen Faktoren oft hintereinander geschaltet oder kombiniert sind: – Vertikalbindungen: Solche Preis- und Lieferbindungen zwischen dem ausländischen Lieferanten und dem Alleinimporteur/ Grossisten in der Schweiz ermöglichen dem «Alleinimporteur» oder dem »offiziellen Vertriebskanal» eine marktmächtige oder -beherrschende Stellung. Mit dem neuen Art. 5 Abs. 4 des Kartellgesetzes wären solche Vertikalbindungen an sich schädlich und mit Bussen belegbar. Bei der Wettbewerbskommission (Weko) wurden in den letzten Jahren rund 200 Fälle von Vertikalbindungen gemeldet; doch zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regelung hat noch kein einziger Fall in der Weko zu Sanktionen geführt. – Technische Handelshemmnisse: Sie entstehen durch unzählige Differenzen bei Produktenormen wie Anschreibepflichten, Typenbezeichnungen, Materialvorschriften, Lebensmittel-, Umweltschutz-, Haftungs- und andere Vorschriften sowie Rückverfolgbarkeitsregeln und differierende Grenzwerte. Sobald eine unterschiedliche Norm zwischen der Schweiz und der EU besteht, kann das Produkt nicht ohne Weiteres direkt oder parallel importiert werden. Dabei ist wohl heute das Umwelt- und Konsumentenschutzniveau der EU etwa gleichwertig (aber nicht identisch definiert) wie in der Schweiz. Abhilfe könnte die Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips durch die Schweiz schaffen, indem sie die im EU-Raum zugelassenen Produkte ohne weitere Prüfung auch in der Schweiz zulässt. – Nationale Patenterschöpfung: Wenn ein Produkt patentiert ist oder wenn auch nur eine Komponente davon dem Patentschutz untersteht, ist der Alleinimporteur Inhaber des übertragenen Patentrechts auf diesem Produkt resp. auf dessen Komponente. Er verfügt faktisch über das Vertriebsmonopol in der Schweiz. Das so genannte Kodak-Urteil des Bundesgerichts von 1999, das nun als nationale Patenterschöpfung im schweizerischen Patentgesetz festgeschrieben werden soll, verhindert Parallelimporte bei patentierten Produkten und Komponenten und verteuert diese. Der EU-Binnenmarkt kennt demgegenüber die regional-europäische Patenterschöpfung. – Agrarmarktordnung: Durch sie werden die agrarischen Erzeugnisse mittels Importzöllen vom europäischen oder WeltmarktPreisniveau auf das schweizerische Preisniveau angehoben. Diese Protektion ist vom Gesetzgeber gewollt und wird im Rahmen der WTO-Runde oder eines Freihandelsabkommens im Agrarbereich mit der EU überprüft werden.  – Heilmittelmarkt: Die hohe Regulierungsdichte im Bereich der Heilmittel bewirkte, dass in den vier Jahren seit Inkraftsetzung des neuen Heilmittelgesetzes nur gerade für sechs Präparate eine Bewilligung für den Parallelimport in die Schweiz erteilt worden ist. Die hohe Normendichte führt zu einer faktischen Marktabschottung und entsprechender Verteuerung von Medikamenten. Dies ist besonders deutlich bei Hors-SL-Präparaten.   Oft sind diese preistreibenden Faktoren nicht allein, sondern in Kombination wirksam. Zumeist sind dem Importeur oder dem potenziellen Parallel-Importeur die Marktabschottungspraktiken nicht bekannt. Der Einkäufer beim Detailhändler weiss zum Beispiel nicht, welche Komponenten wegen der nationalen Patenterschöpfungspraxis nicht im Ausland beschafft werden können, weil sie patentiert sind. Deshalb wird nach unserer Einschätzung die preistreibende und importbehindernde Wirkung der nationalen Patenterschöpfung unterschätzt und nicht quantifiziert.  In der Preisüberwachung sind mehrere Dutzend Preisbeschwerden aus dem Publikum wegen der Abwicklungspraxis von Warenimporten am Schweizer Zoll eingegangen. Die Zollbearbeitungsgebühr wirkt in vielen Fällen von Kleinimporten behindernd; die verbilligte D’Office-Verzollung soll jetzt gar noch verschwinden. Dazu ein illustrierender Preisbeschwerdefall: Eine kleinere Unternehmung musste im Ausland einige Dichtungsringe zum Preis von je 70 Rappen für ein Ventil nachbestellen. Der ausländische Lieferant hatte keine D’Office-Verzollung beantragt. Daraufhin musste das Unternehmen für diese Ringe über 50 Franken Zollbearbeitungsgebühren an den Postdienstleister entrichten. Solche Hürden wirken geradezu prohibitiv.  Eine von Avenir Suisse in Auftrag gegebene Studie schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten der Zollschranken und Transaktionskosten im grenzüberschreitenden Warenverkehr auf jährlich 3,8 Mrd. Franken, wobei die aus verhinderten Parallelimporten und der Preisdiskriminierung resultierende Überteuerung leider nicht berücksichtigt worden ist. Wir haben diese Resultate nicht überprüft, halten sie aber auf Grund von Preisbeschwerden, die immer Einzelfallweise in der Preisüberwachung bearbeitet werden, für nachvollziehbar. Ruedi Minsch, Peter Moser: Teure Grenzen. Die volkswirtschaftlichen Grenzen der Zollschranken: 3,8 Mia. Franken. Avenir Suisse, Zürich, März 2006.

Handlungsbedarf aus preispolitischer Optik


Da die Hochpreisproblematik durch komplexe institutionelle Rahmenbedingungen verursacht wird, lässt sie sich nicht mit einer einzigen Massnahme beseitigen. Es braucht also eine Kombination von Massnahmen. Rund 85% aller Warenimporte stammen aus der EU. Übergeordnetes Ziel sollte deshalb die Anpassung an den Acquis Communautaire der EU im Bereich der Waren und des Warenhandels sein. Auch die EU hat eine hohe Regulierungsdichte. Doch unserer Erfahrung nach ist bezüglich der Handelsbehinderung nicht die Regulierungsdichte an sich entscheidend, sondern der Umstand, dass die Regeln, Normen, Grenzwerte, Anschreibepflichten, Verpackungsvorschriften etc. unterschiedlich sind. Sobald dies der Fall ist, wird der Importwettbewerb technisch behindert und es entsteht eine Trade Diversion. Aus preispolitischer Optik ist aus diesen Überlegungen ein Handlungsbedarf in zwei Stossrichtungen abzuleiten:

Global Approach


Unter «Global Approach» verstehen wir eine gesamthafte Übernahme des europäischen Rechts und der EU-Normen im Bereich der Waren und des Warenhandels («Waren-Acquis») mit einer dynamischen Fortentwicklung. Wenn wir einer Ideallösung der dynamischen Übernahme des Acquis Communautaire das Wort reden, meinen wir in diesem Zusammenhang nur den Waren- und Warenverkehrsbereich, nicht den ganzen Bestand des EU-Rechts (Letzteres ist eine politische Frage, zu der wir uns nicht äussern). Die bilaterale Case-by-case-Verhandlungsmethodik auf Grund der Gegenseitigkeit und des Mutual Recognition Agreement (MRA) ist statisch und aufwendig. Kaum ist eine gegenseitige Anerkennung einer bestimmten Warennormierung besiegelt, hat diese in der EU bereits wieder eine Änderung erfahren, was ein neuerliches Handelshemmnis bedeutet.  Im Übrigen ist die Annahme falsch, eine gegenseitige Normenanerkennung in einem bestimmten Warensortiment beseitige alle Handelshemmnisse und ermögliche automatisch den Parallelimport. Auch dieses Handelsregime erfordert Konformitätsnachweise, Identitätsnachweise und die Beibringung von Ursprungsdokumenten, die oft vom ausländischen Lieferanten aus naheliegenden Gründen – er will ja die Parallellieferungen in die Schweiz unterbinden – nicht oder nur widerwillig geliefert werden. Auf Grund der Meldungen, die in der Preisüberwachung eingehen, und der kasuistischen Praxis betrachten wir den Weg einer Fall-zu-Fall-Anerkennung auf Gegenseitigkeit und auf Grund des MRA als eine teure Sackgasse.  Aus diesen Gründen braucht es einen Global Approach. Es ist an den politischen Behörden auszuloten, in welchem handelsdiplomatischen Arrangement die Übernahme des «Waren-Acquis» möglich wäre: In Form eines erweiterten Agrar-Freihandelsabkommens mit der EU, das allerdings auch die vor- und nachgelagerten Stufen der Landwirtschaft einschliessen müsste, im Rahmen eines «EWR II», einer Zollunion oder einer Art «privilegierter Partnerschaft».

Einseitige Übernahme von EU-Recht


Die unilaterale Beseitigung von Handelshemmnissen nützt der Schweiz, weil der Importwettbewerb durch die Ermöglichung von Parallelimporten im Inland zu tieferen Preisen führt. Demzufolge ist die Beseitigung von Handelsbehinderungen und technischen Handelshemmnissen in der Schweiz auch dann sinnvoll und volkswirtschaftlich nutzbringend, wenn sie einseitig erfolgt. Konkret verstehen wir darunter: – die einseitige Übernahme und Fortentwicklung der EU-Normen und Grenzwerte im Warenbereich («Waren-Acquis»); – die einseitige Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips für EU-Waren;  – die einseitig angewandte oder per Protokoll mit der EU vereinbarte regional-europäische Patenterschöpfung (die auf dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EWG von 1972 basieren kann); – die gegenseitige oder einseitige Anerkennung der Medikamentenzulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde (Emea) durch die Schweiz.  Die einseitige Übernahme von EU-Handelsregulierungen hätte den Vorteil, dass die Schweiz auch einseitig Ausnahmen praktizieren könnte, z.B. eine Ausnahme vom Cassis-de-Dijon-Prinzip bei sensiblen Landwirtschaftsprodukten oder eine Ausnahme von der regional-europäischen Patenterschöpfung bei Produkten mit administrierten Preisen (z.B. Medikamenten). Die strikte Reziprozität im Verhältnis Schweiz-EU wird von einer latenten Gegnerschaft oft mit der Begründung gerechtfertigt, die schweizerischen Exporteure dürften beim Export nicht diskriminiert werden und die Schweiz müsse ihre Souveränität behalten. Wir stellen jedoch fest, dass jeder schweizerische Produzent, der in die EU-Länder exportiert, die EU-Normen von sich aus längst respektiert. Hinter dem Beharren auf einer abstrakten, handelsrechtlichen Reziprozität stecken nach unserer Erfahrung die üblichen Marktabschottungsmotive gegenüber ausländischen Lieferanten oder Parallelimporteuren in der Schweiz.

Grafik 1 «Preistreibende Faktoren im Konsumgütermarkt der Schweiz (Übersicht und Systematik der regulatorischen Faktoren)»

Tabelle 1 «Preisvergleichsanalysen Schweiz/EU: Ein Überblick»

Zitiervorschlag: Rudolf Strahm (2006). Hochpreisproblematik bei Wareneinkäufen. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.