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Personenfreizügigkeit als Stütze der Bauwirtschaft

Personenfreizügigkeit als Stütze der Bauwirtschaft

Im Rahmen der ersten Etappe der Personenfreizügigkeit mit der EU 2005 leisteten rund 93000 Personen aus den EU-15-Staaten kurzfristige Arbeitseinsätze bis zu 90 Tagen in der Schweiz. Über ein Drittel dieser Arbeitskräfte waren im Baugewerbe tätig, und zwar weniger im Bauhauptgewerbe (Hoch- und Tiefbau) als vielmehr im Baunebengewerbe (Ausbau). Der vorliegende Artikel analysiert die im Rahmen der Meldepflicht für Kurzaufenthalter erhobenen Daten aus Sicht der Schweizer Bauwirtschaft. Zudem wird auch der Frage nachgegangen, welchen Einfluss diese erste Etappe der Personenfreizügigkeit 2005 auf die Schweizer Bauwirtschaft hatte.

Seit Juni 2004 müssen Firmen für Arbeitskräfte aus den EU-15- und Efta-Staaten für Kurzaufenthalte bis maximal drei Monate keine amtlichen Bewilligungen mehr einholen. Es gilt nur noch eine so genannte Meldepflicht. Für Kurzaufenthalter bis zwölf Monate und Daueraufenthalter bestehen dagegen weiterhin Bewilligungspflicht und Kontingente. Diese werden voraussichtlich ab Mitte 2007 schrittweise aufgehoben. Normalerweise gilt die Meldepflicht erst ab Perioden von acht Arbeitstagen. Eine strengere Regelung (Meldepflicht ab dem ersten Tag) gilt für das Bau-, Gast-, Reinigungs-, Überwachungs- und Sicherungsgewerbe. Diese Meldungen werden vom Bundesamt für Migration (BFM) zusammengefasst und bilden die Basis für eventuelle Kontrollen wie auch die statistische Grundlage dieses Artikels.

Bauwirtschaft als wichtigste Nutzniesserin der Personenfreizügigkeit


Im Jahr 2005 weilten aus den EU-15- und Efta-Staaten knapp 93000 Personen für einen durchschnittlichen Arbeitseinsatz von 42,5 Tagen in der Schweiz (siehe Grafik 1). Mehr als ein Drittel dieser Kurzaufenthalter waren in der Bauwirtschaft tätig. Es ist anzunehmen, dass dieser Anteil noch grösser ist, da auch aus dem Bereich «Personenverleih» ein Grossteil im Baugewerbe zum Einsatz kam. Interessanterweise beanspruchte das Gastgewerbe – als weitere vermeintlich bedeutende Zielbranche für kurzfristig Erwerbstätige – nur einen Anteil von 8%.

Ausgetrockneter Arbeitsmarkt im Baugewerbe


Für Branchenkenner ist diese Entwicklung indessen wenig erstaunlich. Seit dem konjunkturellen Aufschwung der letzten beiden Jahre ist der Arbeitsmarkt der Bauwirtschaft vor allem in den Sommermonaten praktisch ausgetrocknet. Rund 60% des Firmenpersonals stammte gemäss Beschäftigungsstatistik des Schweizerischen Baumeisterverbandes (SBV) im Sommer 2005 aus dem Ausland. Zudem sind qualifizierte Bauleute wie Kranführer oder Kadermitarbeiter in der Schweiz nur in ungenügender Zahl vorhanden. Dagegen befindet sich die Bauwirtschaft in Deutschland seit geraumer Zeit im Krebsgang, sodass viele qualifizierte deutsche Baufachleute arbeitslos sind. Dies veranlasst sie, Arbeit im benachbarten Ausland zu suchen oder sich ins Ausland vermitteln zu lassen.

Viele Meldungen, aber bescheidenes Arbeitsvolumen


Hätte die Schweizer Bauwirtschaft nicht die Möglichkeit gehabt, aufgrund der Liberalisierung des Personenverkehrs in erleichterter Form Personal im EU-Ausland für kurzfristige Arbeitsaufenthalte zu rekrutieren, hätten viele Stellen nicht besetzt und das Wachstumspotenzial der Bauwirtschaft nur in geringerem Umfang ausgeschöpft werden können. Allerdings wäre es falsch anzunehmen, diese zusätzlichen Ausländer hätten das Wachstum erst ermöglicht. Denn das geleistete Arbeitsvolumen der Kurzaufenthalter ist trotz allem relativ bescheiden. Im Bauhauptgewerbe beispielsweise erbrachten die Kurzaufenthalter gemäss Berechnungen des SBV einen Arbeitsanteil – in Form von Anteilen an den durchschnittlichen jährlich geleisteten Arbeitstagen – von nur rund 2%.

Deutschschweizer Firmen holen deutsche Arbeitskräfte


Im Vorfeld der Abstimmung über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten im September 2005 standen – insbesondere in der Bauwirtschaft – die entsandten Arbeitskräfte im Vordergrund der gegnerischen Argumentation. Dabei wurden immer wieder Befürchtungen betreffend Lohndumping und die Nichteinhaltung der Gesamtarbeitsverträge laut. Gemäss den Daten des BFM sind über die Hälfte (56%) aller kurzfristig Erwerbstätigen EU-Bürger von Schweizer Firmen geholt worden. Bei 38% handelt sich um von ausländischen Firmen in die Schweiz entsandte Arbeitskräfte. Hinzu kommen rund 6% Selbstständigerwerbende. Es sind also vor allem Schweizer Firmen, welche im Rahmen des liberalisierten Personenverkehrs Personal im Ausland rekrutieren. Die Problematik der Nichteinhaltung von Gesamtarbeitsverträgen wegen Unkenntnis der schweizerischen Anstellungsbedingungen in den einzelnen Branchen entschärft sich dadurch erheblich, da Schweizer Betriebe die jeweiligen Vorschriften und entsprechenden Risiken kennen. Vom Total aller Entsandten kamen zwei Drittel aus Deutschland, die übrigen aus Italien, Österreich und Frankreich. Aus allen anderen EU-Staaten sind nur vereinzelt Arbeitskräfte in die Schweiz beordert worden. Dies ist deshalb interessant, weil von den im Schweizer Bauhauptgewerbe arbeitenden Ausländern rund die Hälfte aus Portugal stammt. Zusätzliche Portugiesen wurden im Rahmen der Meldepflicht für Kurzeinsätze jedoch praktisch keine registriert. Vermutlich wirkt hier die Distanz prohibitiv. Insgesamt ist festzuhalten, dass kurzfristig in der Schweiz tätige Arbeitnehmende – nicht nur in der Bauwirtschaft – praktisch ausschliesslich aus unseren Nachbarstaaten stammen.

Mehr Entsandte im Baunebengewerbe


Das Baugewerbe weist bezüglich «Entsenden/Holen» im Vergleich zur Gesamtwirtschaft ein leicht anderes Bild auf: In der Bauwirtschaft werden im Gegensatz zur übrigen Volkswirtschaft vornehmlich Arbeitskräfte – v.a. von deutschen Firmen – in die Schweiz entsandt. Diese Entsendung von Personal für kurzfristige Arbeitseinsätze konzentriert sich indes auf das Baunebengewerbe (78% Entsandte, 13% Geholte, 9% Selbstständigerwerbende). Das Bauhauptgewerbe ist mit einem Anteil von knapp zwei Dritteln an Entsandten etwas weniger betroffen als das Baunebengewerbe. Zudem spielt das Bauhauptgewerbe mit Blick auf die Gesamtzahlen des Baugewerbes nur eine untergeordnete Rolle. Das Baunebengewerbe dominiert mit 74% aller Meldungen die Statistik des Baugewerbes deutlich. Erfahrungen aus der Praxis bestätigen diese Statistiken, indem sich das Baunebengewerbe vermehrt über eine stärkere Konkurrenz aus Deutschland beklagt.  Die Analyse dieser absoluten Zahlen bedarf allerdings einer Vertiefung: Aus der Grafik 2 ist ersichtlich, dass sich im Bauhauptgewerbe die Entsandten nur sehr kurz in der Schweiz aufhalten, die Geholten indessen meist die maximale Aufenthaltsdauer beanspruchen – der gleiche Sachverhalt wird auch im Baunebengewerbe beobachtet. Die meisten der kurzfristig in der Schweiz erwerbstätigen ausländischen Arbeitskräfte hielten sich in den Grenzkantonen auf. In den Innerschweizer Kantonen wurden die neuen Möglichkeiten des freien Personenverkehrs kaum genutzt (siehe Grafik 3).

Rund 40 Tage Arbeitseinsatz in der Schweiz


Laut Zahlen des BFM waren die registrierten Arbeitskräfte 2005 durchschnittlich 42,5 Tage (Bau insgesamt 38,5) in der Schweiz tätig. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer ist im Baunebengeringer als im Bauhauptgewerbe. Diese Erkenntnisse widerspiegeln Erfahrungen aus der Praxis: Kleinere Sanitäroder Fensterinstallationen dauern oftmals nur wenige Tage. Arbeiten an Rohbauten oder Renovationen im Hoch- und Tiefbau hingegen nehmen eine längere Zeitdauer in Anspruch.

Entsandte im Kurzeinsatz – Geholte häufig im Maximaleinsatz


Im Bauhauptgewerbe ist zu beobachten, dass gemeldete Arbeitskräfte, welche nur bis ca. 3 Wochen in der Schweiz arbeiteten, fast ausschliesslich entsandt wurden. Hingegen wurde Baustellenpersonal mit einer Einsatzzeit zwischen 81 und 90 Tagen grösstenteils von Schweizer Firmen rekrutiert. Dies lässt den Schluss zu, dass wertschöpfungsintensivere Arbeiten im Bauhauptgewerbe weiterhin durch Schweizer Unternehmen ausgeführt werden, bei kleineren Arbeiten aber auch ausländische Baufirmen zum Zuge kommen. Zudem ist anzunehmen, dass die erleichterte Rekrutierung im Ausland dazu genutzt wird, um konjunkturelle und im Bauhauptgewerbe vor allem auch saisonale Spitzen abzudecken. Diese Schlussfolgerungen werden auch durch die beobachteten saisonalen Schwankungen der Meldungen von bis zu 30% zwischen Spitzenmonaten und Winterzeit sowie durch die grosse Anzahl «Geholter» für die längstmögliche Verweildauer unterstrichen.

Erleichterte Personalrekrutierung


Das Schweizer Baugewerbe macht also insgesamt von der erleichterten Personalrekrutierung rege Gebrauch, zeigt aber ein uneinheitliches Bild: So entfallen auf das Baunebengewerbe mit Abstand am meisten gemeldete Arbeitskräfte. Im Gegensatz zu allen anderen Branchen überwiegen hier die entsandten Arbeitskräfte. In dieser Branche ist somit von einem leichten zusätzlichen Konkurrenzdruck zu sprechen, was auch Erfahrungen aus der Praxis zeigen. Dem ist jedoch anzufügen, dass vermehrt auch Exporte von Leistungen des Baunebengewerbes ins Ausland zu beobachten sind. Die entsandten Arbeitskräfte bleiben indes nur für sehr kurze Zeit in der Schweiz. Insbesondere im Bauhauptgewerbe werden von Schweizer Unternehmen viele Arbeitskräfte für die maximale Dauer von 90 Tagen angestellt. Wertschöpfungsintensive Arbeiten werden weiterhin von Schweizer Bauunternehmen getätigt.

Grafik 1 «Anteil der Meldungen kurzfristiger Arbeitsverhältnisse von EU-/Efta-Bürgern in der Schweiz nach Branchen, 2005»

Grafik 2 «Anzahl Meldungen ausländischer Arbeitskräfte nach Arbeitstagen und Firmensitz (Inland o. Ausland) im Bauhauptgewerbe, 2005»

Grafik 3 «Bauhauptgewerbe: Anteil kurzfristiger Erwerbstätigkeit und Annahme der erweiterten Personenfreizügigkeit pro Kanton, 2005»

Kasten 1: Baunebengewerbe – Bauhauptgewerbe Das Baunebengewerbe (auch Ausbaugewerbe genannt) und das Bauhauptgewerbe bilden zusammen das Baugewerbe.Zum Baunebengewerbe zählen Handwerksberufe wie z.B. Elektro-Installateure, Dachdecker, Sanitär-Installateure, Maler, Gipser, Fensterbauer, Küchenbauer oder Bodenleger (vor allem Parkett- und Teppichleger). Typische Berufe des Bauhauptgewerbes sind Maurer, Verkehrswegbauer oder Pflästerer.In der Schweiz produziert das Bauhauptgewerbe rund ein Drittel der Wertschöpfung (und der Umsätze) des Baugewerbes. Es wird durch den Schweizerischen Baumeisterverband repräsentiert. Das Ausbaugewerbe erwirtschaftet die übrigen zwei Drittel. Jede Berufsgattung im Baunebengewerbe ist in einem eigenen Verband organisiert.Die gesamte Bauwirtschaft (inkl. Planer und Zulieferer) hat sich im Dachverband Bauenschweiz zusammengeschlossen.Internet: www.bauenschweiz.chwww.baumeister.ch .

Kasten 2: Erläuterungen zu Grafik 3 Pro Kanton wird die Zahl der kurzfristig erwerbstätigen Ausländer im Bauhauptgewerbe durch das vom SBV ermittelte Stamm-Baustellenpersonal dividiert. Dies ergibt einen kurzfristig-langfristig-Arbeitskraft-Koeffizienten (kfr-lfr-Koeffizient) für diese Branche. Der Kanton Schaffhausen weist nach diesen Berechnungen den eindeutig höchsten Wert auf: Auf eine langfristige Arbeitskraft kommen 1,3 kurzfristig erwerbstätige Ausländer. Basel-Stadt zeigt mit rund 0,5 den zweithöchsten Koeffizienten. Im Schweizer Durchschnitt kommt auf sieben Festanstellungen eine kurzfristig angestellte Arbeitskraft aus dem EU-15-Raum (Koeffizient von 0,14).Die Grafik zeigt ebenfalls den Grad der Zustimmung/Ablehnung zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten im September 2005. Daraus lässt sich eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Ablehnung der Vorlage und der späteren Beanspruchung der erleichterten Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte für Kurzeinsätze ablesen.Allerdings trifft diese Aussage nur für die Bauwirtschaft zu. Werden die obigen Koeffizienten für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft berechnet, ergibt sich kein Zusammenhang zwischen Ausländerzahlen und Abstimmungsergebnis. Anteilmässig am meisten erwerbstätige EU-Bürger in Kurzeinsätzen über alle Branchen hinweg weisen die Kantone Schaffhausen, Graubünden, Genf, Tessin, beide Basel, Wallis und Thurgau auf. Die Kantone Zürich und Bern liegen – wegen ihrer absoluten Grösse und der relativen Entfernung zur Landesgrenze des Kantonsgebietes – am Schluss dieser Rangfolge.

Zitiervorschlag: Reto Duersteler (2006). Personenfreizügigkeit als Stütze der Bauwirtschaft. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.