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Preisschutz belastet die Schweizer Prämienzahler und ist ordnungspolitisch fragwürdig

Die freie Marktwirtschaft wird im Arzneimittelbereich auch in Zukunft nicht realisiert werden können. Eine stark beschränkte Marktzulassung, aber auch Patente und Preisregulierungen prägen den Schweizer Arzneimittelmarkt. Solche Regulierungen sollten kritisch hinterfragt werden, da sie häufig über ihr eigentliches Ziel hinausschiessen. Besonders Preisregulierungen behindern die Allokationseffizienz in erheblichem Masse. Santésuisse plädiert deshalb für eine Trennung des Preisschutzes vom Patentschutz und untermauert ihren Standpunkt mit einer Studie zu den Medikamentenpreisen im Ausland.

Originalpräparate geniessen während 20 Jahren einen staatlich garantierten Patentschutz. Zusätzlich kann der Hersteller ein so genanntes Schutzzertifikat von maximal 5 Jahren beantragen. Die Pharmafirmen werden in dieser Zeit zu Monopolisten. Die Marktexklusivität dient dazu, die Innovationsanreize für die Firmen aufrecht zu erhalten. Die Herstellung von Arzneimitteln ist relativ kostengünstig; der Forschungs- und Entwicklungsaufwand, um zu neuen Wirkstoffen zu kommen, ist jedoch beträchtlich. Könnten die Firmen ihre Innovationen nicht schützen, würde sich das Forschungsrisiko um ein Vielfaches erhöhen. Folge davon wären tiefere Investitionen in die Forschung und damit auch tendenziell kleinere Forschungserfolge. Santésuisse befürwortet den heutigen Patentschutz, damit auch in Zukunft die Versicherten von neuen und innovativen Medikamenten profitieren können.

KVG garantiert Preisstabilität während 13 Jahren


Im Krankenversicherungsgesetz (KVG) wird der Patentschutz mit einem Preisschutz im Arzneimittelbereich erweitert. Obwohl der Preisschutz mit den letzten Verordnungen ein wenig abgeschwächt wurde (bei Indikationsänderungen wird das Präparat nach 7 Jahren überprüft), können Pharmafirmen auch heute noch von einer 13-jährigen Preisstabilität ausgehen, unabhängig vom Wettbewerbsumfeld. In dieser Zeit ist es in der Praxis unmöglich, Preissenkungen durchzusetzen. Dies gilt sogar für offensichtliche Fehlbeurteilungen der Behörden bei der Aufnahme eines Präparates. Im Gegenteil: Solche Fehler werden sogar «weitervererbt», da sich die Hersteller auf das Prinzip der Gleichbehandlung berufen können. Weil während 13 Jahren die Preise nicht gesenkt werden können, Preiserhöhungen jedoch möglich sind, ergibt sich eine systembedingte Preisdynamik nach oben. Die Preisbildung in der Spezialitätenliste basiert auf den Säulen «therapeutischer Quervergleich» und «Auslandspreisvergleich». Mit diesen zwei Kriterien möchte man einen Preiswettbewerb simulieren. Wie in einer Wettbewerbssituation üblich, ändern sich bezüglich eines Präparates diese beiden Kriterien im Laufe der Zeit. Die Regulierung sieht allerdings während 13 Jahren keine Preisanpassungen vor. Bei neuen und innovativen Präparaten sind 13 Jahre fast eine Ewigkeit. Erst nach einiger Erfahrung in der klinischen Anwendung kann nämlich beurteilt werden, wie wirksam ein Präparat tatsächlich ist und mit welchen (längerfristigen) Nebenwirkungen man rechnen muss. Deshalb sollte der therapeutische Quervergleich regelmässig durchgeführt werden. Auch der Auslandspreisvergleich sollte regelmässig nachgeführt werden, da die Schweiz die neuen Medikamente früh in den Markt einführt und deshalb bei der Aufnahme einige Länder noch gar keinen Preis für das neue Präparat angeben können. Ferner erlauben die Regulierungen im Ausland teilweise Preisanpassungen, sodass sich der Auslandspreisvergleich ebenfalls verändert.

Vergleichsstudie zu Medikamentenpreisen


Santésuisse konnte diesen Effekt in einer Vergleichsstudie für Medikamentenpreise bestätigen: Als Vergleichsländer hierfür dienten Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Grossbritannien, Frankreich, Italien und Österreich. Alle diese Staaten sind Referenzländer, welche heute vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) zur Preisbildung herange-zogen werden, wobei Österreich, Frankreich und Italien weniger stark gewichtet werden als die anderen Länder. Die Preise der 100 vergleichbaren, umsatzstärksten Produkte aus der Spezialitätenliste wurden in der Studie den entsprechenden Preisen in den Vergleichsländern gegenübergestellt. Diese meistverkauften Medikamente machen 56% des Gesamtumsatzes der ambulant abgegebenen Medikamente in der Grundversicherung aus. Die durch Spitäler abgegebenen Medikamente wurden im Rahmen der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt.  Da die Vergleichsstudie vorwiegend in der zweiten Jahreshälfte 2005 erarbeitet wurde, dienen einerseits der Publikumspreis (PP) und andererseits der Fabrikabgabepreis (FAP) respektive Apothekereinstandspreis (AIP) des Jahres 2005 als Vergleichsgrössen. Als PP gilt der FAP inklusive Vertriebsanteil, aber exklusive Mehrwertsteuer (MWST), Pauschalen, Rabatte und Gebühren. Diese Grössen sind in jedem Land unterschiedlich hoch und können beim jeweiligen Vergleichsmedikament nicht in jedem Fall exakt beziffert werden. Die MWST wurde ausgeklammert, da sie vor allem mit Steuer- und weniger mit Preispolitik zu tun hat: Eine Erhöhung der MWST soll einen Medikamentenpreisvergleich nicht verzerren. In den Niederlanden und Dänemark musste der Apothekereinstandspreis als Vergleichsgrösse herangezogen werden, da es in diesen beiden Ländern keinen fixen FAP gibt: Er wird verhandelt, weshalb keine offiziellen Angaben bestehen. Gemäss BAG müssten in Dänemark vom AIP 2%-10% und in NL 6%-12% abgezogen werden, um auf den FAP zu kommen. Die Fabrikabgabepreise von Grossbritannien wurden analog der Praxis des BAG berechnet, indem vom NHS-Preis (National Health Service) 16% abgezogen wurden. Um möglichst genaue Preisvergleiche zu erhalten, wurden der PP und der FAP/AIP für jedes Vergleichsland und Medikament je Einheit – z.B. pro Tablette bei gleicher Dosierung – bestimmt und mit dem analogen Preis in der Schweiz verglichen. Auf diese Weise konnte die unterschiedliche Marktsituation in den einzelnen Vergleichsländern berücksichtigt werden. Die relative Preisdifferenz wurde je Einheit mit den jeweiligen Umsätzen 2004 (Umsatzdaten von 2005 standen noch nicht zur Verfügung) gewichtet und so das absolute Einsparpotenzial in Mio. Franken berechnet. Santésuisse ist sich deshalb bewusst, dass es beim absoluten Einsparpotenzial zu Verschiebungen innerhalb der Top 100 kommen kann, wenn anstelle der Umsätze 2004 die Umsätze 2005 verwendet würden. Die qualitative Aussage der Untersuchung würde sich jedoch auch beim Preisvergleich mit 2005 ergeben.

Das Resultat: Hochpreisland Schweiz


Die Grafik 1 zeigt, dass Deutschland, Grossbritannien und die Niederlande bei allen patentgeschützten Medikamenten günstigere Preise aufweisen. Die Gruppe der neusten Produkte (nach 2000) sind bis auf Dänemark ebenfalls preiswerter als in der Schweiz. Bei Dänemark muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Berechnungen auf dem Apothekeneinstandpreis beruhen und je nach Angaben der Pharmafirmen 2%-10% vom AIP abgezogen werden können. Bei NL würde das korrekte Einsparpotenzial um 6%-12% höher ausfallen. Die Berechnungen von Santésuisse unterschätzen also die Preisunterschiede. Die Vergleichsländer zeigen bei den patentgeschützten Medikamenten eine mit zunehmendem Markteintrittsalter höher werdende Preisdifferenz. Diese Dynamik lässt darauf schliessen, dass die Preise in der Schweiz nach der Überprüfung der Neuaufnahmen nach 24 Monaten während 13 Jahren unverändert bleiben, während sie im Ausland kontinuierlich sinken. Der Blick über die Grenze führt uns vor, dass Patentschutz nicht gleich Preisschutz bedeuten muss. Die Schweiz verfügt nicht nur über die höchsten Medikamentenpreise in Europa, sondern belässt diese auch noch am längsten auf dem hohen Niveau.

Fazit


Der Patentschutz darf nicht dazu missbraucht werden, auch einen Preisschutz zu installieren. Die negativen Marktwirkungen des Patentschutzes werden durch einen Preisschutz vervielfacht, ohne den Innovationsschutz zu verbessern. Im Gegenteil: Der Preisschutz begünstigt Präparate, die im therapeutischen Quervergleich zu teuer sind, deren Innovationsgrad also im Verhältnis zu den Mitbewerbern bescheiden ausfällt. Mit Wettbewerbselementen kann auch im Arzneimittelbereich eine effizientere Allokation der Ressourcen sichergestellt und der Patentschutz gewährleistet werden. Dabei muss der Preisschutz in den Verordnungen zum KVG fallen. Regulierte Arzneimittelpreise müssen regelmässig überprüft werden.

Grafik 1 «Einsparpotenzial bei Medikamenten nach Markteintrittsalter: Schweiz im internationalen Vergleich»

Zitiervorschlag: Marc-Andre Giger (2006). Preisschutz belastet die Schweizer Prämienzahler und ist ordnungspolitisch fragwürdig. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.