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Differenzierte Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums

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Die Erteilung von Patenten ist eine volkswirtschaftliche Gratwanderung. Wenn einer Person oder Firma ein 20-jähriges Monopol zugestanden wird, ist die Gefahr goss, dass der Akteur infolge fehlender Konkurrenz und zulasten der Konsumenten eine ungerechtfertigt hohe Marge abschöpft. Der Patentschutz kann also nur dadurch legitimiert werden, dass die Innovation angekurbelt wird. Doch nimmt das jetzige Patentrecht diese Funktion wirklich war? Diese Frage muss in vielen Fällen verneint werden. Die Erklärung von Bern (EvB) vertritt die Position, dass – je nach Entwicklungsstand und Technologiebereich – der Schutz des geistigen Eigentums differenziert geregelt werden muss. Und in gewissen Bereichen haben Patente nichts verloren.

Schenken wir der Litanei der Pharmaindustrie «Investitionen + Schutz des geistigen Eigentums = Innovation und Einnahmen» Glauben, so fallen wir in eine Simplifizierungsfalle, die zu Trugschlüssen führt. Empirische Studien zeigen, dass die Kausalität zwischen Patenten und Innovation schwer zu belegen ist. So sind zum Beispiel in den USA – wie auch anderswo – die Patentanmeldungen im Pharmabereich seit Mitte der Neunzigerjahre stetig gestiegen. Die Registrierung neuer Medikamente hat in derselben Zeitspanne jedoch stagniert oder ist gar rückläufig.  Die laute Forderung gewisser Wirtschaftsexponenten nach Monopolrechten steht in einem sonderbaren Widerspruch zum Dogma derselben Kreise, dass ein freier Handel den Wohlstand fördert. Im Bereich der Agrarprodukte wurden seit dem Bestehen der Welthandelsorganisation (WTO) etliche Staaten gezwungen, ihre Zollschranken und nicht-tarifarischen Massnahmen aufzuheben. Zur gleichen Zeit werden aber zunehmend Patente auf Nutzpflanzen erteilt, welche nun dem Patenteigner die Möglichkeit geben, deren Export oder Import an der Grenze zu stoppen. Von diesem Recht hat kürzlich Monsanto an der europäischen Grenze Gebrauch gemacht. Die Firma hat Sojaimporte aus Argentinien an der Grenze gestoppt, um Lizenzzahlungen einzufordern. Da die Schweiz keine Parallelimporte zulässt, könnte Monsanto das Spiel an der Schweizer Grenze nochmals wiederholen.

Ein Gen ist nicht bloss eine chemische Substanz


Besonders gross war die Zunahme von Patentanmeldungen im letzten Jahrzehnt im Bereich der Biotechnologie. Doch gerade hier – und insbesondere im Bereich der Genpatente – ist aufgrund der besonderen Sachlage Vorsicht geboten. Eine Gensequenz kann nicht mit einem chemischen Wirkstoff verglichen werden. Heute wissen wir, dass die Funktion eines Gens oder einer Gensequenz wesentlich von Proteinen, welche die Gene regulieren (sog. Transkriptionsfaktoren) oder vom Zusammenspiel mit andern Genen mitbestimmt wird. Die Position des Gens in der Architektur des Genoms spielt für seine Funktion ebenso eine Rolle wie die vielen Interaktionen mit der Zellumgebung. Zudem kommen dieselben Gene in unterschiedlichen Arten oder Familien des Pflanzenoder Tierreichs vor, was die Reichweite von Genpatenten nochmals erhöht.  Die OECD hat in ihrem Bericht «Patents and Innovation: Trends and Policy Challenges» festgehalten, dass die Breite von Patenten in der Biotechnologie überprüft werden müssen, und dass Regierungen Alternativen – wie der freie Zugang – untersuchen sollen. Der freie Zugang ist zum Beispiel ein zentrales Element beim Sortenschutz (dem System für den Schutz von Pflanzensorten) und hat sich über Jahrzehnte bewährt: Pflanzenzüchter auf der ganzen Welt profitieren davon, dass sie frei auf alle vorhandenen Pflanzensorten zurückgreifen können, um neue Sorten zu entwickeln. Eine ähnliche Lehre kann man im IT-Bereich ziehen, wo die Vorteile des freien Zugang erfolgreich von Linux vorgelebt werden. Indem nun Patente auf Gene und Pflanzen erlaubt werden, wird dieser freie Zugang auf dem Altar der Monopolrechte geopfert. Gefragt sind differenzierte Lösungen, welche die Besonderheiten der Biotechnologie oder der Pflanzenzucht in Betracht ziehen.

Indien ist nicht die Schweiz


Genauso wie zwischen Technologiebereichen differenziert werden muss, so braucht es auch eine Differenzierung der Schutzsysteme zwischen Ländern in verschiedenen Entwicklungsstadien. Ein Patentrecht, welches für die Schweizer Volkswirtschaft einen Nutzen bringt, kann in Indien negative Auswirkungen haben. Denn diesen Ländern wird mit dem Patentrecht die Möglichkeit zur Entwicklung der eigenen Industrie erschwert, welche oft mit der Produktion von Imitationen beginnt. Die Entwicklung der Schweizer Industrie am Ende des vorletzten Jahrhundert ist dafür das beste Beispiel. Die führenden Schweizer Industriellen (darunter auch Herr Geigy-Merian) haben zu dieser Zeit eine ausführliche Eingabe an den Bundesrat mit den Worten beendet: «Wenn man der schweizerischen Industrie eine Fessel schmieden will, wohlan, so schaffe man ein schweizerisches Patentgesetz». Eine ähnliche Position vertreten heute Vertreter aus ärmeren Staaten. Zudem wird mit der Einführung des Patentrechts ein zusätzlicher Geldfluss von Süden nach Norden etabliert. Die meisten Patente in Afrika gehören nicht Afrikanern, sondern US-Amerikanern oder Europäern.  Vertreter aus Indien und Brasilien waren denn auch die Hauptopponenten, als im Rahmen der WTO-Verhandlungen das Patentsystem des Nordens der ganzen Welt übergestülpt wurde. Seither kommt insbesondere der Patentschutz von Medikamenten in ärmeren Ländern nicht mehr aus den Schlagzeilen, weil in diesem Falle ein elementares Menschenrecht – das Recht auf Gesundheit – mit dem Recht der Patenteigner im Konflikt steht. Es ist die Kernaufgabe jeder Regierung, die Menschenrechte über Partikularinteressen zu stellen.

Notwendige Patentgesetz-Revision…


Die EvB vertritt die Position, dass eine Revision des Patentgesetzes dringend nötig ist. Dem grossen und einseitig verwendeten Interpretationsspielraum von Gerichten und Patentämtern, die in den letzten Jahren exzessiv Patente auf Leben bzw. auf Bestandteile von Lebewesen gesprochen haben, muss durch ein neues Gesetz klare Grenzen gesetzt werden. Es ist an der Zeit, dass das Parlament – und allenfalls die Stimmbevölkerung – die politischen Rahmenbedingungen von Biotech-Patenten definiert. Welche Position man auch vertritt – es ist klar, dass das aktuelle, rund 30-jährige Gesetz den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt.

…mit guten und schlechten Neuerungen


Der neue Entwurf zur Revision des Patentgesetzes beinhaltet immer noch eine explizite Festschreibung der Patentierbarkeit des Lebens. Gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen, sowie – auch menschliche – Gene, Zellen etc. sollen zweifelsfrei patentiert werden können. Aus diesem Grund wird auch der neue Vorschlag des Bundesrates in vielen Punkten von der EvB abgelehnt. Diese Position teilen wir mit vielen Bauern-, Umwelt- und Konsumentenorganisationen sowie Hilfswerken und Institutionen aus Forschung und Medizin. Der Vorschlag des Bundesrates bringt aber auch gute Neuerungen. So wird die Vergabe von Zwangslizenzen vereinfacht, und es werden Massnahmen vorgeschlagen, welche die Biopiraterie verhindern sollen. Die jetzige Situation, dass Firmen mit Patenten belohnt werden, welche offensichtlich gegen die Regeln der Biodiversitätskonvention verstossen, ist untragbar.

Eingeschränkter Stoffschutz


Am meisten zu reden gab während der Vernehmlassung aber die Frage des Stoffschutzes. Soll er auf den konkreten, offenbarten Zweck der gemachten Erfindung beschränkt werden (auf die Funktion beschränkter Stoffschutz), oder soll ein so genannter absoluter Stoffschutz gelten? In diesem Fall würde eine Gensequenz wie eine normale chemische Substanz behandelt. Das würde bedeuten, dass der Patentinhaber das Monopolrecht für alle Funktionen des Gens erhält, selbst wenn er diese beim Einreichen des Patentes gar nicht kannte. Auf diese Weise ist es für andere Forschende nicht mehr interessant, auf diesem Gen zu forschen.  Der eingeschränkte Stoffschutz, wie er zum Beispiel in Frankreich verankert wurde, wird deshalb insbesondere von Forscherkreisen begrüsst. Kleine und mittlere Schweizer Biotech-Unternehmen vertreten die Ansicht, dass ein eingeschränkter Umfang des Patentschutzes die Innovation fördere, da sie Monopole einschränke. Auf der anderen Seite steht die Pharmaindustrie, welche um ihre weit reichenden Patente und Pfründe bangt.

Zitiervorschlag: Meienberg, Francois (2006). Differenzierte Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.