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KMU-Verträglichkeitstest zum Gesetzesentwurf über die Forschung am Menschen

Die «Start-ups» und KMU des Biotechnologiesektors fühlen sich durch den Gesetzesentwurf über die Forschung am Menschen bedroht. Ein KMU-Verträglichkeitstest bei rund 15 Unternehmen hat aufgezeigt, dass die vorgesehenen Bestimmungen eine beträchtliche administrative Belastung für die Unternehmen der Branche hervorrufen können. Der Entwurf regelt nicht nur die Forschung an Personen, sondern auch die Laborforschung mit wiederverwendetem Material (Blut, Gewebe usw.). Während die Regelung des ersten Bereichs auf Zustimmung stösst, wird diejenige des zweiten stark kritisiert.

Der Bundesrat hat am 1. Februar dieses Jahres das Vernehmlassungsverfahren zum Verfassungsartikel und zum Bundesgesetz über die Forschung am Menschen eröffnet. Der Vorentwurf des Gesetzes wurde einem KMU-Verträglichkeitstest unterzogen, an dem rund 15 «Start-ups» sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) des Biotechnologiesektors beteiligt waren. Bei dieser Gelegenheit wurden die Bestimmungen des Entwurfs im Detail analysiert und den konkreten Gegebenheiten der Unternehmen der Branche gegenübergestellt. Das neue Gesetz sieht die Regelung zweier verschiedener Forschungsarten vor: die Studien «in vivo» (am Organismus) und diejenigen «in vitro» (im Laboratorium). Die Forschung an Embryonen «in vitro» fällt nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzesentwurfs, da sie bereits im Stammzellenforschungsgesetz geregelt wird. Einige Bestimmungen des heutigen Heilmittelgesetzes werden jedoch in das neue Gesetz über die Forschung am Menschen überführt.

Schutz der Würde und Persönlichkeit des Menschen


Der in die Vernehmlassung gegebene Entwurf bezweckt primär den Schutz der Würde und der Persönlichkeit des Menschen. Er sieht vor, dass eine Person nur an einem Forschungsprojekt beteiligt werden darf, wenn sie dazu nach hinreichender Aufklärung ihre schriftliche Zustimmung gegeben hat. Vor der Einwilligung muss der Person eine angemessene Bedenkfrist eingeräumt werden. Die Person muss mündlich und schriftlich auf verständliche Weise über den Projektablauf, die vorhersehbaren Risiken, die geplanten Massnahmen zum Schutz der Personendaten usw. informiert werden.

«In vivo»-Regeln: Einhellige Zustimmung


Die befragten Unternehmen und Forschenden begrüssen einhellig diese Regeln, so weit sie die Forschung «in vivo» betreffen. Es ist in der Tat unabdingbar, dass bei Heilmittelversuchen die Testsubjekte umfassend informiert und geschützt werden. Obwohl die Regeln einen bedeutenden administrativen Aufwand verursachen, werden sie als natürlich und notwendig erachtet und folglich bei den Interviews auch nicht in Frage gestellt.

«In vitro»-Regeln: Harsche Kritik


Die Bestimmungen zur Forschung «in vitro» wurden dagegen stark kritisiert. So wurden die oben beschriebenen Anforderungen an die Information und die Einwilligung für die im Labor durchgeführte Forschung mit wiederverwendetem biologischem Material als übertrieben erachtet. Solches Material (Blut, Gewebe, Urin usw.) wird im Allgemeinen von einem Arzt zu Diagnoseoder Behandlungszwecken entnommen. Anstatt es nach der Verwendung zu entsorgen, wird das Material an Forscher weitergegeben und für eine Vielzahl von Projekten wiederverwendet. Die neuen Bestimmungen sehen vor, dass die Wiederverwendung dieses Materials nur noch möglich ist, wenn die betroffenen Personen zuvor ihre ausdrückliche Einwilligung dafür gegeben haben. Diese Einwilligung muss für verschlüsseltes Biologisches Material und Personendaten, die vor der Verwendung zu Forschungszwecken mit einem Schlüssel versehen wurden. Der Schlüssel wird nicht von den Forschenden aufbewahrt, sondern von einer Institution, die allein in der Lage ist, die Verbindung zwischen dem Material und der betroffenen Person wiederherzustellen. Material in schriftlicher Form vorliegen, während es bei anonymisiertem Biologisches Material und Personendaten, deren Identifizierungsmerkmale so weit vernichtet wurden, dass die Person, von der das Material bzw. die Daten stammen, nur mit einem unverhältnismässig grossen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft bestimmt werden kann. Die Forschenden können die betroffene Person somit nicht identifizieren. Material ausreicht, dass die Person sich der Wiederverwendung dieser Proben nicht widersetzt hat. Nach Meinung der Unternehmen ist das geplante System problematisch. Es wird einen bedeutenden administrativen Mehraufwand verursachen – nicht nur für die Forschenden, sondern auch für die Ärzte, welche die Proben entnehmen. Die KMU des Biotechnologiesektors befürchten, dass die Ärzte aus diesem Grund das für ihre Forschung benötigte Material nicht mehr liefern würden. Die Beschaffung von Proben wird zusätzlich dadurch erschwert, dass eine rückwirkende Anwendung der Regeln über die Einwilligung vorgesehen ist. Das heute in den Spitälern, Universitäten und Unternehmen gelagerte Material wäre somit für Forschungszwecke nicht mehr einsetzbar, ausser die Einwilligung wird nachträglich eingeholt. Falls dies nicht möglich ist (z.B. beim Tod oder Verschwinden der betroffenen Personen), muss ein Einwilligungssubstitut von einer Ethikkommission eingeholt werden. Dies kann jedoch nur im Rahmen eines konkreten Forschungsprojektes erfolgen, mit dem – nach dem Wortlaut des Gesetzes – ein «wesentliches Ziel» verfolgt werden muss. Das Einwilligungssubstitut ist laut dem erläuternden Bericht auch für anonymisiertes biologisches Material erforderlich. Da vorgesehen ist, dass das Gesetz eine extraterritoriale Wirkung hat, können die Proben auch nicht aus dem Ausland importiert werden, es sei denn, sie entsprechen den in der Schweiz vorgesehenen Anforderungen an die Einwilligung und die Information. Biologisches Material menschlichen Ursprungs kann zudem nicht mehr exportiert werden, ausser die Bedingungen für die Wiederverwendung in den Destinationsländern entsprechen denjenigen der Schweiz. Die durch die Regeln zur Einwilligung hervorgerufene administrative Belastung und das Risiko, dass Millionen von Proben nicht mehr verwendet werden dürfen, beunruhigen die Unternehmen stark. Ferner könnten praktische Probleme hinsichtlich der Beweismittel entstehen:  – Wie soll der Datenschutz gewährleistet werden, wenn unterzeichnete Dokumente, welche die Namen der einwilligenden Personen enthalten, die Proben begleiten müssen?  – Bei wem sollen diese Dokumente ansonsten aufbewahrt werden?  – Welche Beweismittel werden für das anonymisierte Material verlangt? – Wie soll ohne schriftliche Dokumente bewiesen werden, dass die Personen sich der Wiederverwendung ihres biologischen Materials nicht widersetzen?  – Wem obliegt die Beweislast?  Diese äusserst wichtigen Fragen finden im Moment weder im Gesetzesentwurf noch im erläuternden Bericht eine Antwort.

Neues Bewilligungssystem


Das neue Gesetz sieht die Einführung einer Bewilligungspflicht für alle Forschungsprojekte vor. Während die befragten Unternehmer dieses System für die Projekte «in vivo» gutheissen, erachten sie es für die Forschung «in vitro» als eine unverhältnismässige administrative Belastung. So wäre es beispielsweise in Zukunft erforderlich, für eine einfache Studie im Labor eine Bewilligung zu beantragen. Im Vorentwurf ist allerdings vorgesehen, dass ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren mittels Vollzugsverordnung eingeführt werden kann. Die Bestimmungen des Entwurfs legen jedoch klare Bedingungen fest, von denen diese Verordnung rechtmässig nicht abweichen kann. Die Möglichkeiten zur Entlastung der Unternehmen werden somit beschränkt sein. Ausserdem ruft der bedeutende Arbeitsaufwand, mit dem die (Miliz-)Ethikkommissionen konfrontiert sein werden, bei den Unternehmen Zweifel hinsichtlich der Behandlungsfristen der Dossiers hervor. Ein weiteres Problem betrifft die Einstufung der Tätigkeiten, bei denen biologisches Material menschlichen Ursprungs zum Einsatz kommt, wie Qualitätskontrolle, Kalibrierung, Maschinentests und Ausbildung. Falls diese Tätigkeiten als Forschung anzusehen sind, müsste dafür jeweils eine Bewilligung beantragt werden, was laut den befragten Verantwortlichen der KMU übertrieben wäre. Falls es sich nicht um Forschung handelt, taucht ein anderes Problem auf: Das Gesetz sieht vor, dass für die Forschung verwendete Proben nur zu einem anderen Zweck weitergegeben werden dürfen, wenn eine zusätzliche Einwilligung vorhanden ist. So wäre es zum Beispiel erforderlich, eine erste Einwilligung zur Verwendung des Materials für die Forschung und eine zweite für die Kalibrierung einzuholen. Nach Ansicht der befragten Unternehmen wäre die administrative Belastung im einen wie im anderen Fall übermässig.

Weitere Neuerungen


Die neuen Bestimmungen betreffend die Multizenterstudien führen zu einer spürbaren Reduktion der administrativen Belastung der Unternehmen. Forschungsprojekte «in vivo», die heute an verschiedenen Standorten in der Schweiz durchgeführt werden, unterliegen der Prüfung der Ethikkommissionen aller betroffenen Kantone. Es ist verschiedentlich vorgekommen, dass dasselbe Projekt unterschiedlich eingeschätzt wurde. Gemäss den neuen Bestimmungen müssen solche Projekte in Zukunft nur noch einer einzigen Kommission unterbreitet werden. Dieses neue System wird von den befragten Forschenden denn auch begrüsst. Die Schaffung eines Studienregisters ruft hingegen geteilte Reaktionen hervor. Die Unternehmen befürchten, dass die in diesem (öffentlich zugänglichen) Register enthaltenen Informationen die widerrechtliche Aneignung von geistigen Eigentumsrechten erleichtern. Ausserdem fürchten sie die Reaktionen der Investoren, wenn Forschungsprojekte nicht die erwarteten Resultate hervorbringen oder wenn Studien unterbrochen oder geändert werden. Die Formulierung der Bestimmungen zum Recht auf Widerruf der Einwilligung führt schliesslich – laut den befragten Forschenden – zu einer gewissen Rechtsunsicherheit.

Allgemeine Auswirkungen auf die KMU


Die befragten Unternehmen sind der Ansicht, dass die gesamte durch die neuen Regeln verursachte administrative Belastung sehr hoch sein könnte. Bei einer Annahme des Gesetzes würden sich die Rahmenbedingungen für die Forschenden im Biotechnologiesektor verschlechtern. Die Schweiz würde im internationalen Vergleich an Attraktivität verlieren, und die Unternehmen unseres Landes könnten vermutlich an gewissen Projekten auf internationaler Ebene nicht mehr teilnehmen. Die meisten befragten Unternehmen aller Grössenklassen beabsichtigen, die Schweiz zu verlassen oder ihre Forschungstätigkeit ins Ausland zu verlagern, falls der Gesetzesentwurf in dieser Form angenommen wird.  Auch wenn unterschiedliche Interpretationen der Gesetzesbestimmungen möglich sind, halten die befragten KMU an ihrer Absicht fest, bei einer Annahme den Standort Schweiz zu verlassen. Angesichts des bedeutenden Zeit- und Finanzierungsdrucks sowie des starken internationalen Wettbewerbs wären sie nicht bereit bei Projekten, die sich über mehrere Jahre erstrecken und beträchtliche Investitionen erfordern, die zusätzlichen Risiken einzugehen. Ausserdem sind die Bestimmungen des Entwurfs eindeutig und strikt, sodass weder die Vollzugsverordnung noch die Ethikkommissionen rechtmässig davon abweichen können. Nach Ansicht der befragten KMU wären auch die grossen Unternehmen betroffen. Das neue Gesetz würde also den ganzen Sektor beeinträchtigen.

Stellungnahme des Forum KMU


Das Forum KMU begrüsst jede neue Regelung, welche den Schutz der Würde des Menschen und die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Forschung in der Schweiz bezweckt. Es unterstützt daher vorbehaltlos die Annahme der Regeln des Entwurfs für die Forschung «in vivo» und stellt mit Genugtuung fest, dass in mehreren Punkten die administrative Belastung reduziert werden kann. Hinsichtlich der Forschung «in vitro» teilt das Forum die Sorgen der Unternehmen und schlägt vor, dass die diesbezüglichen Bestimmungen vollständig überarbeitet werden. Dabei seien die folgenden Punkte zu berücksichtigen: – Die Unternehmen müssen weiterhin ohne Bewilligung oder administrative Einschränkung mit wiederverwendetem Material im Labor arbeiten können.  – Anonymisierte oder verschlüsselte Proben müssen für die Forschung wiederverwendet werden können, wenn die Patienten keine Einwände dagegen erhoben haben. – Die Unternehmen müssen davon ausgehen können, dass die Organisationen, die ihnen biologisches Material menschlichen Ursprungs liefern, den Willen der Patienten respektieren. Sie dürfen auf keinen Fall verpflichtet werden, selbst den Nachweis dafür zu erbringen. – In Sammlungen (Biobanken) gelagerte Proben müssen für Forschungsprojekte ohne jegliche Formalitäten wiederverwendet werden können. – Das Material muss sowohl für die Forschung als auch für die laufenden Tätigkeiten der Unternehmen verwendet werden können (Qualitätskontrollen, Tests, Kalibrierungen usw.). – Die Ein- und Ausfuhr von biologischem Material menschlichen Ursprungs muss frei bleiben.

Kasten 1: KMU-Verträglichkeitstest Nach Auffassung des Bundesrates ist es wichtig, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass die KMU nicht zu sehr mit administrativen Mehrarbeiten belastet werden, zusätzliche Investitionen und Erschwernisse im Betriebsablauf möglichst erspart bleiben und der unternehmerische Handlungsspielraum möglichst wenig eingeschränkt wird. Vor diesem Hintergrund wurden im Oktober 1999 die KMU-Verträglichkeitstest, eingeführt. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) soll durch einen Besuch in rund einem Dutzend gezielt ausgewählter KMU in Erfahrung bringen, wie sich eine Vorlage diesbezüglich auswirkt. Den Ergebnissen dieser Besuche kommt kein statistisch repräsentativer Charakter zu. Sie sind als Fallstudien aufzufassen, die namentlich drohende Probleme im Vollzug aufzeigen sollen. Diese qualitative Methode ist effizient und wird auch von unseren Partnern in der OECD angewandt.

Kasten 2: Das Forum KMU Als ausserparlamentarische Expertenkommission engagiert sich das Forum KMU seit seiner Gründung im Dezember 1998 dafür, dass die Bundesverwaltung den kleinen und mittleren Unternehmen, welche über 99,7% der marktwirtschaftlichen Unternehmen unseres Landes ausmachen, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Im Rahmen von Vernehmlassungen prüft das Forum KMU die Gesetzesoder Verordnungsentwürfe, welche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, und gibt eine Stellungnahme aus Sicht der KMU ab. Das Forum befasst sich ausserdem mit spezifischen Bereichen der bestehenden Regulierung und schlägt wenn nötig Vereinfachungen oder Verbesserungen vor.

Kasten 3: Position des BAG Der Bericht zum KMU-Verträglichkeitstest und die Vorschläge des Forums KMU wurden vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) positiv aufgenommen. Die Verantwortlichen des Gesetzgebungsverfahrens beabsichtigen, einige Artikel des Gesetzes und des erläuternden Berichts zu präzisieren. Auch eine vollständige Ausklammerung des Anwendungsbereichs der Forschung «in vitro» mit anonymisiertem Material wird geprüft. Damit wäre ein grosser Teil der im KMU-Test identifizierten Probleme gelöst.

Zitiervorschlag: Pascal Muller, Patrick Läderach, (2006). KMU-Verträglichkeitstest zum Gesetzesentwurf über die Forschung am Menschen. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.