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Patente und Innovationen: Ökonomische Überlegungen zu einem komplexen Anreizproblem

Die ältere Theorie intellektueller Eigentumsrechte betonte den Zielkonflikt zwischen der Anreizwirkung von Patenten und der Ineffizienz, die durch die Monopolmacht des Patenthalters verursacht wird. Neuere Arbeiten weisen nach, dass diese Vorstellung in Anbetracht der sequenziellen Erfindungen zu kurz greift. Der folgende Beitrag befasst sich mit den Auswirkungen von Patenten auf das Ausmass und die Richtung des technischen Fortschritts. Dabei werden Fragen aufgegriffen wie: Welche Vor- und Nachteile haben Patente aus ökonomischer Sicht? Welche Auswirkungen hat ein intensiverer Patentschutz auf das Verhalten potenzieller Erfinder? Wie viel Patentschutz ist wünschenswert?

Patente gewährleisten den temporären Monopolschutz für die Erfinder, verlangen aber die Offenlegung des Wissens. Eine Reduktion der statischen Effizienz wird in Kauf genommen, um Innovationsanreize zu generieren und gleichzeitig die Verbreitung von Wissen zu sichern. Über diese Funktion des Patentsystems besteht in der Forschung weit gehende Einigkeit. Deutlich umstrittener ist dagegen die konkrete Ausgestaltung, insbesondere das Ausmass des Schutzes. In einer grundlegenden Arbeit kommt Nordhaus (1969) zu dem Ergebnis, dass längere Patente zu höheren Innovationsanreizen führen. Er zeigt, dass mehr Patentschutz wünschenswert wird, wenn die Forschungskosten und die Nachfrageelastizität steigen. Das Ausmass des Patentschutzes wird aber nicht nur durch die Dauer des Patents, sondern auch durch die Breite beeinflusst. In der ökonomischen Literatur wird die Breite des Schutzes auf verschiedene Arten quantifiziert, so etwa über die Kosten für die Umgehung des Patents. Gallini (1992) argumentiert beispielsweise, dass breite, jedoch kurzlebige Patente hohen Schutz gewähren, ohne verschwenderische Imitationsanstrengungen zu induzieren. Gilbert and Shapiro (1990) betonen dagegen die Vorzüge enger, langlebiger Patente.

Neuere Betrachtung von Patenten als sequenzielle Erfindungen


Die ältere ökonomische Literatur betrachtet Erfindungen implizit als isolierte Ereignisse. Viele Erfindungen beruhen indes auf vorherigen, oftmals bereits patentierten Ergebnissen; umgekehrt dienen manche Erfindungen als Grundlagen für nachfolgende. Die Lasertechnologie basiert beispielsweise auf mehreren aufeinander aufbauenden Grundlagenpatenten, die zahllose Anwendungspatente nach sich zogen. In ähnlicher Weise erfordern viele Erfindungen der modernen pharmazeutischen Industrie die Inputs der Genforschung. Die neue Betrachtungsweise sieht Patente als sequenzielle Ereignisse. Dieser erweiterte Blickwinkel bleibt für die Frage, ob die Innovationsfähigkeit durch Patente stimuliert oder behindert wird, nicht ohne Folgen. In den nachfolgenden Ausführungen geht es um die besonderen Schwierigkeiten von Patentsystemen bei diesen so genannten «sequenziellen Erfindungen». Die Darstellung im folgenden Abschnitt beruht auf Scotchmer (2004, Kap.5); vgl. auch Harhoff 2004.

Eine Ersterfindung und eine potenzielle Anwendungserfindung


Zur Illustration stelle man sich vor, dass es zu einer Ersterfindung eine einzige potenzielle Anwendungserfindung gibt. Dann erhebt sich die Frage, wie man gleichzeitig zwei Ziele erfüllen kann: – Die Ersterfindung soll nur dann stattfinden, wenn der erwartete Gesamtnutzen beider Erfindungen die Gesamtkosten übersteigt. – Die Anwendungserfindung soll nur dann getätigt werden, wenn ihr erwarteter zusätzlicher Nutzen die damit verbundenen zusätzlichen Kosten übersteigt.  Zur Vereinfachung nehmen wir weiter an, dass die Ersterfindung ohne Anwendungserfindung keinerlei kommerziellen Wert besitzt. In diesem Fall wird selbst eine wünschenswerte Ersterfindung von gewinnorientierten Agenten nur dann in Angriff genommen, wenn der Erfinder am Gewinn aus der Anwendung beteiligt wird, z.B. durch Lizenzen. Zudem gehen wir von folgender Konstellation aus: Die Ersterfindung ist durch derart breite Patentrechte geschützt, dass die Anwendungserfindung ohne Verletzung des Patents der Ersterfindung nicht durchgeführt werden kann und umgekehrt auch die Anwendungserfindung patentierbar ist.  Wird in dieser Konstellation der Preis für die Lizenz in Ex-Post-Verhandlungen – d.h. nachdem die Anwendungserfindung getätigt wurde – festgelegt, so hat der Anwendungserfinder eine schwierige Verhandlungsposition. Seine Investitionskosten sind versunken, sodass eine Drohung gegenüber dem Ersterfinder, Forschungsaktivitäten nicht durchzuführen, wenig glaubwürdig ist. Scheinbar paradoxerweise ist diese schlechte Verhandlungsposition des potenziellen Anwenders auch für den Ersterfinder problematisch. Antizipiert nämlich der Anwender seine zukünftige Situation, so wird er womöglich vor den nötigen Forschungsaktivitäten zurückschrecken. Tritt dieser Fall ein, kann der Ersterfinder die Investitionskosten nicht decken, da er keine Lizenzerlöse erhält.

Mehrere Anwendungserfinder und Forschungsinputs


Die Situation stellt sich noch komplizierter dar, wenn Anwendungserfinder auf mehrere patentierte Forschungsinputs (Research Tools) zurückgreifen müssen, die von verschiedenen Parteien angeboten werden. Die Transaktionskosten können dann beträchtlich sein; Vgl. Heller and Eisenberg (1998). darüber hinaus ist die Abstimmung der Preise für die verschiedenen Lizenzen der Research Tools schwierig: Verlangt einer der Patentbesitzer einen niedrigeren Preis für die Lizenz, so erhöht das nicht nur seine Chancen, mit dem Anwender ins Geschäft zu kommen, sondern auch die der anderen Parteien. Zurückhaltende Lizenzforderungen bewirken also eine positive Externalität auf die anderen Lizenzanbieter, die von gewinnorientierten Erfindern in der Regel nicht einkalkuliert wird. Aus diesem Grund ist mit höheren Lizenzpreisen zu rechnen, als wenn die Lizenzen von einer einzigen Partei angeboten werden. Entscheidend für dieses auf den ersten Blick kontraintuitive Argument ist, dass die verschiedenen Lizenzen in einer komplementären Beziehung stehen. Sind die Lizenzen dagegen Substitute, so dient eine Bereitstellung durch unterschiedliche Anbieter dem Wettbewerb und sollte sinkende Preise nach sich ziehen.

Unabhängige Agenten und eine Erfindung


Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die Parteien erstens als unabhängige Agenten agieren und zweitens im Fall einer Erfindung ein Patent besitzen. Sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Erfahrungen legen jedoch nahe, dass die geschilderten Probleme Kooperationsanstrengungen zwischen verschiedenen Erfindern induzieren oder das Patentierungsverhalten der Parteien beeinflussen können.

Kooperation unter den Parteien


Ein erster Schritt zu einer weiter gehenden ökonomischen Kooperation wäre die Vergabe von Lizenzen vor der Durchführung der Anwendungsforschung. Vgl. Green und Scotchmer (1995). Wenn die Lizenzverhandlungen abgeschlossen sind, bevor der Anwendungserfinder die Forschungskosten aufgebracht hat, verbessert sich seine Verhandlungsposition, sodass er günstigere Lizenzbedingungen erwarten kann als im Fall der Ex-Post-Verhandlungen. Dies kann aber auch im Interesse des Ersterfinders sein, da dieser nun eher damit rechnen kann, dass die Anwendungserfindung tatsächlich zustande kommt. Die Praktikabilität von Ex-Ante-Lizenzen wird allerdings vielerorts bezweifelt. Vgl. Gallini (2002). Ähnlich motiviert können jedoch noch weiter gehende Formen der Zusammenarbeit sein, wie die vollständige vertikale Integration von Ersterfindern und Anwendern oder die Bildung von strategischen Allianzen. So eröffnen beispielsweise Pharmaunternehmen eigene Biotechnologieabteilungen bzw. übernehmen Biotechnologieunternehmen. Vgl. Rai (2001). Novartis kann auf das «Genomics Institute» zurückgreifen, Pfizer auf das «Global Research and Development Center». Umgekehrt integrieren Biotechnologieunternehmen vorwärts, indem sie Pharmaunternehmen übernehmen. Die Vorteile einer solchen engen Zusammenarbeit zwischen Ersterfindern und Anwendungserfindern liegen nahe. Die oben geschilderten Anreizprobleme lassen sich beseitigen, wenn die Entscheidungen über Grundlagenforschung und Anwendungen in einer Hand liegen. Darüber hinaus tragen strategische Allianzen oder vertikale Integration zur verbesserten Koordination der Innovationsaktivitäten bei. Allerdings kann allzu enge vertikale Koordination den Wettbewerb behindern und die eingeschlagenen Forschungspfade übermässig einengen.

Weitere Strategien zur Reduktion von Transaktionskosten


Auch die horizontale Konsolidierung kann Anreizprobleme bei sequenziellen Erfindungen lindern, zumindest dann, wenn eine Anwendungserfindung mehrere Research Tools als Inputs benötigt. Horizontale Integration zwischen den Besitzern der Patente für solche komplementäre Erfindungen ändert zwar nichts an den Anreizproblemen zwischen Ersterfindern und Anwendern, sollte aber immerhin die Transaktionskosten reduzieren: Statt komplizierter Verhandlungen der Anwender mit mehreren Herstellern von Research Tools bedarf es nun lediglich eines «one-stop-shoppings». Ausserdem wird die Abstimmung der Preisbildung für die Lizenzen vereinfacht. Wenn diese Entscheidungen in einer Hand liegen, verschwinden die beschriebenen Externalitätsprobleme: Eine Firma, die alle Lizenzen besitzt, profitiert aufgrund der Komplementarität der Lizenzen selbst davon, wenn ein niedrigerer Preis für eine Lizenz auch die Nachfrage nach anderen Lizenzen erhöht. Deshalb ist mit niedrigeren Lizenzgebühren zu rechnen, als wenn die Lizenzen von verschiedenen Herstellern unkoordiniert angeboten werden. Ähnliche Effekte lassen sich auch ohne vollständige horizontale Integration erzielen. Patent Pools, in denen die Besitzer verschiedener Grundlagenpatente zwar unabhängig bleiben, aber ihre Lizenzen als Bündel verkaufen, können ebenso die Transaktionskosten reduzieren und eine Preisabstimmung ermöglichen.

Neue Optionen innovierender Firmen


Bis jetzt haben wir unterstellt, dass Firmen, die über die Möglichkeit der Patentierung verfügen, davon auch tatsächlich Gebrauch machen. Innovierende Firmen haben jedoch verschiedene Optionen neben der – mit der Veröffentlichung wissenschaftlicher Informationen verbundenen – Patentierung.

Strategisches Patentieren


Sie können beispielsweise versuchen, durch Geheimhaltung zu verhindern, dass das Wissen an andere Firmen fliesst. Auch wenn Manager derartige Strategien oft als effektiver für die Sicherung eines Wissensvorsprungs einstufen als die Alternative der Patentierung, Vgl. Cohen et al. (2000). haben beispielsweise Kortum und Lerner (1998) einen starken Anstieg der Patentierungsneigung von Unternehmen dokumentiert. Hall und Ham Ziedonis (2001) argumentieren anhand von Daten aus der Halbleiterindustrie, dass dieses so genannte «Patent-Paradox» unter anderem als Reaktion von Unternehmen auf verbesserten Patentschutz – insbesondere in den USA – zu verstehen ist: Angesichts der kumulativen Natur des technischen Fortschritts erweist es sich als potenziell nützlich, Patente als Verhandlungsmasse zu beschaffen – die Unternehmen patentieren strategisch, um sich nicht im «Patentdickicht» zu verirren. Das exakte Wechselspiel von strategischem Patentieren und Innovationsanreizen ist noch ungeklärt (vgl. Bessen 2004).

Freiwillige Veröffentlichung von Innovationen


Auf den ersten Blick überraschender ist aber eine umgekehrte Tendenz, die in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls in gewissen Industrien beobachtet wird. Bar-Gill und Parchomovsky (2003) argumentieren, dass sich Firmen immer häufiger der Möglichkeit bedienen, Forschungsergebnisse zumindest teilweise zu veröffentlichen, ohne ein Patent zu beanspruchen. Durch den Verzicht auf die Patentierung schwächen die Ersterfinder bewusst die eigene Verhandlungsposition gegenüber potenziellen Anwendern. Dies wiederum erhöht die Chancen des Ersterfinders, von Anwendungen zu profitieren.  Strategisches Patentieren und die freiwillige Veröffentlichung von Informationen sind zwei Seiten derselben Medaille. Beide Verhaltensweisen sind plausible Antworten auf die kumulative Natur des technischen Fortschritts. Befürchtet ein Erfinder mangelnde eigene Verhandlungsmacht, kann er zum strategischen Patentieren greifen. Erwartet er dagegen mangelnde Anwendungserfindungen, wird er die freiwillige Veröffentlichung von Forschungsergebnissen bevorzugen.

Kasten 1: Literatur
– Bar-Gill, Oren, und Gideon Parchomovsky (2003): «The Value of Giving Away Secrets», Harvard Law School, Public Law Research Paper Series, Nr. 64.- Bessen, James (2003): «Patent Thickets: Strategic Patenting of Complex Technologies», SSRN working paper, Internet: http://ssrn.com/abstract=327760.- Cohen, W. M., Nelson, R. R, und Walsh, J. (2000): «Protecting their Intellectual Assets: Appropriability Conditions and why U.S. Manufacturing Firms Patent (or not)», nicht publiziertes Manuskript.- Gallini, Nancy T. (2002): «The Economics of Patents: Lessons from Recent U.S. Patent Reform», in: Journal of Economic Perspectives, Bd. 16/2, Frühling, S. 131-154.- Gilbert, R., und Shapiro, C. (1990): «Patent Length and Breadth with Costly Imitation», in: RAND Journal of Economics, 21/1, S. 106-112.- Green, Jerry R., und Suzanne Scotchmer (1995): «On the Division of Profit in Sequential Innovation», in: RAND Journal of Economics, 26/1, S. 20-33.- Hall, Bronwyn H., und Rosemary Ham Ziedonis (2001): «The Patent Paradox Revisited: An Empirical Study of Patenting in the U.S. Semiconductor Industry, 1979-1995», in: RAND Journal of Economics, 32/1, S. 101-128.- Harhoff, Dietmar (2004): «Innovationen und Wettbewerbspolitik – Ansätze zur ökonomischen Analyse des Patentsystems», Vortrag bei der Jubiläumsveranstaltung «30 Jahre Monopolkommission» in Berlin.- Heller, Michael A., und Rebecca S. Eisenberg (1998): «Can Patents Deter Innovation? The Anticommons in Biomedical Research», in: Science, Mai, 280, S. 698-701.- Kortum, Samuel, und Josh Lerner (1998): «Stronger Protection or Technological Revolution: What is Behind the Recent Surge in Patenting?», in: Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy, 48, S. 247-304.- Nordhaus, W. (1969): «Invention, Growth and Welfare: A Theoretical Treatment of Technological Change», Cambridge Mass.: MIT Press.- Rai, Arti K. (2001): «Fostering Cumulative Innovation in the Biopharmaceutical Industry: The Role of Patents and Antitrust», Berkeley Technology Law Journal, Bd. 16.- Scotchmer, Suzanne (2004): «Innovation and Incentives», Cambridge Mass.: MIT Press.

Kasten 2
Firmen passen sich auf vielfältige Art an Patentsysteme an, zum Beispiel durch strategisches Patentieren, die freiwillige Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, vertikale oder horizontale Integration oder Patent Pools. Angesichts dieser Vielfalt der möglichen Verhaltensweisen potenzieller Erfinder sind einfache Politikempfehlungen schwierig. Sicher scheint aber, dass die Darstellung des Problems intellektueller Eigentumsrechte als Zielkonflikt zwischen gewünschten Innovationsanreizen und ungewünschter Ex-Post-Ineffizienz im Zusammenhang mit sequenziellen Erfindungen zu kurz greift. Es ist nicht einmal klar, dass mehr Patentschutz erhöhte Innovationsanreize für die Patenthalter nach sich zieht, da diese mit reduzierten Anwendungserfindungen rechnen müssen. Darüber hinaus gehende Handlungsempfehlungen erfordern weitere Verbesserungen der ökonomischen Theorie des Patentschutzes, die sich des Problems tatsächlich in zunehmendem Masse widmet.

Zitiervorschlag: Armin Schmutzler (2006). Patente und Innovationen: Ökonomische Überlegungen zu einem komplexen Anreizproblem. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.