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Patentierbarkeit von gentechnischen Erfindungen auf internationaler Ebene

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In der Öffentlichkeit wird die Anwendung privater Eigentumsrechte – wie Patente – auf biotechnologische Erfindungen und insbesondere auf transgene Organismen mehrheitlich abgelehnt. Ob diese Haltung den generellen Widerstand gegen die Genmanipulation widerspiegelt oder auf einer genauen Kenntnis des Patentsystems beruht, ist allerdings unklar. Ein Patent ist letztlich ein zeitlich begrenztes negatives Recht, das durch zahlreiche Einschränkungen ausgeglichen wird und den Erfinder dazu verpflichtet, seine Erfindung offen zu legen. Die Veröffentlichung und die vom Monopolrecht begünstigten Investitionen schaffen beide Anreize für künftige Forschung. Ein Patent beschränkt somit weder die Grundzulassung zur wissenschaftlichen Forschung noch die Genehmigung zur Vermarktung. Es geht einzig darum, Drittpersonen oder -unternehmen vom Ertrag aus einer Erfindung ausschliessen zu können, an der sie nicht mitgewirkt haben.

Mit der Offenlegung der Details einer Erfindung und dem Monopolrecht, das Anreize für Investitionen schafft, fördern Patente die zukünftige Forschung. Allerdings erlaubt gerade das Monopolrecht dem Inhaber, höhere Preise für ein patentgeschütztes Produkt zu verlangen. Zudem können die verlangten Lizenzen die Forschung verteuern und verzögern. Hier gilt es, ein Gleichgewicht zwischen Restriktionen und Nutzen von Patentrechten zu finden. Während insgesamt davon auszugehen ist, dass Patente für die (nationale) Gesellschaft notwendig und nutzbringend sind, muss dieses Gleichgewicht speziell auf internationaler Ebene gefunden werden. Dies könnte namentlich eine Sonderbehandlung der Entwicklungsländer bedeuten.  Im Bericht 2006 von Ernst & Young zum Biotechnologiesektor in der Schweiz wurde darauf hingewiesen, dass in diesem Sektor ein speziell hoher Investitionsbedarf besteht, der in unserem Wirtschaftssystem nicht allein vom Staat gedeckt werden kann. Somit kommt der Privatwirtschaft unweigerlich eine Schlüsselrolle in der Forschung zu.  Schon seit Jahren werden in den meisten Industrieländern transgene Pflanzen und Tiere, Gensequenzen, Mikroorganismen und andere biotechnologische Erfindungen patentiert. Die Fragen, die sich heute stellen, betreffen somit eher die Einschränkung der Rechte nach der Erteilung des Patents (Dauer, Rechte der Landwirte, Ausnahmen zu Gunsten der Forschung, Offenlegung der Quelle von genetischen Ressourcen usw.), aber auch der Patentierbarkeit selbst. In diesem Artikel wird auf diesen begrenzten, aber dennoch wichtigen Bereich eingegangen.

Biotechnologie: Verschiedene Auslegungen des Grundprinzips


Auf internationaler Ebene besteht heute weit gehende Übereinstimmung in Bezug auf folgendes Grundprinzip: Patente werden für alle Erfindungen – Erzeugnisse oder Verfahren – auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, gewerblich anwendbar sind und ausreichend verbreitet werden können. Erfüllen Erfindungen die oben genannten Voraussetzungen, kann ihre Patentierung nur abgelehnt werden, wenn es zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig ist, ihre gewerbliche Verwertung zu verhindern. Eine derartige Entscheidung kann unter anderem getroffen werden, um die Gesundheit oder das Leben von Menschen, Tieren oder Pflanzen zu schützen oder um eine schwere Schädigung der Umwelt zu verhindern. In mehr oder weniger gleich lautender Form finden sich diese Grundsätze nicht nur im Trips-Abkommen, sondern auch im Europäischen Patentübereinkommen, im Beschluss 486 der Andengemeinschaft zur gemeinschaftlichen Regelung über den Schutz gewerblicher Rechte, im Eurasischen Patentübereinkommen, im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (Nafta) und im Übereinkommen über die Gründung der Afrikanischen Regionalen Organisation für den Schutz gewerblicher Rechte.  An sich ist das Patentsystem dafür vorgesehen, auf jeweils neue und unbekannte Techniken angewandt zu werden. Gegen seine Anwendung auf die Biotechnologie – speziell auf höhere Lebewesen (Pflanzen, Tiere und Menschen) – wurden im Verlauf der Jahre indes zahlreiche Einwände vorgebracht. Viele Argumente wurden insbesondere von den Grundeigenschaften patentierbarer Erfindungen abgeleitet: – Erstens könnten biologische Verfahren und Materialien in keinem Fall eine technische Lösung für ein technisches Problem durch technische Mittel darstellen, wie die Lehre verlangt; – zweitens könne die Natur nicht erfunden, sondern nur entdeckt werden, wie es beispielsweise bei den Naturgesetzen der Fall ist.   So wurde argumentiert, bei einer Erfindung biologischer Art fehle es an der erfinderischen Tätigkeit, die verlangt werde, da es die Natur sei, die «die Arbeit mache». Zudem könnten diese Substanzen niemals neu im Sinne des Patentsystems sein, da sie in der Natur ja bereits vorkämen. Seit dem Aufkommen der modernen Biotechnologie und der Genmanipulation in den Siebzigerjahren sind diese Argumente jedoch nicht mehr haltbar. Denn die neuen Möglichkeiten, biologische – von blossem Auge teilweise nicht erkennbare – Substanzen aus ihrer natürlichen Umgebung zu isolieren, sie durch technische Verfahren zu reproduzieren und ihre Funktionen zu erforschen (um sie auf gentechnisch veränderte Arzneimittel, Pflanzen oder Tiere anzuwenden und somit auch Substanzen zu schaffen, die in dieser Form in der Natur nicht vorkommen), lassen die oben erwähnten Einwände – vielleicht mit Ausnahme der Gensequenzen – als überholt erscheinen. Im Übrigen besagt es schon der Begriff Biotechnologie an sich. Heute werden deshalb vor allem ethische Argumente vorgebracht. Die Kriterien der Patentierbarkeit spielen indes immer wieder mit hinein, etwa wenn argumentiert wird, höhere Lebewesen seien mehr als eine reine Aneinanderreihung ihrer genetischen Bestandteile, da ihnen ein Bewusstsein oder eine Seele innewohne, die sich definitionsgemäss und im Sinne der Voraussetzung der Verbreitung nicht beschreiben liessen.

Das Trips-Abkommen


Das 1994 lancierte Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Trips) ist eine wichtige Initiative zur internationalen Harmonisierung des Immaterialgüterrechts. Da es in das Durchsetzungssystem der WTO eingebunden ist, konnten erstmals in der Geschichte Rechtssachen zu Immaterialgüterrechten einer internationalen Gerichtsbehörde vorgelegt werden. Trotzdem werden die besonderen Merkmale des konkreten Schutzes im jeweiligen Einzelfall weiterhin durch die regionalen und nationalen Gesetze und Gerichte bestimmt. So können nach Artikel 27 des Trips-Abkommens die Mitgliedstaaten frei wählen, ob sie die Patentierung von Tieren zulassen wollen oder nicht (siehe Kasten 1 1. Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 werden Patente für Erfindungen, ob es sich um Erzeugnisse oder Verfahren handelt, auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vorbehaltlich des Artikels 65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 erfolgt die Erteilung von Patenten und die Ausübung von Patentrechten unabhängig vom Ort der Erfindung, vom Gebiet der Technik oder davon, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land selber hergestellt werden.2. Die Mitglieder können Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschliessen, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung in ihrem Hoheitsgebiet zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschliesslich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer schweren Schädigung der Umwelt notwendig ist, sofern der Ausschluss nicht allein deshalb vorgenommen wird, weil das Landesrecht die Verwertung verbietet.3. Die Mitglieder können von der Patentierbarkeit zudem ausschliessen:a) diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren für die Behandlung von Menschen oder Tieren; b) Pflanzen und Tiere mit Ausnahme von Mikroorganismen sowie im wesent-lichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren mit Ausnahme von nichtbiologischen und mikrobiologischen Verfahren. Die Mitglieder sehen jedoch den Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein wirksames System sui generis oder durch eine Verbindung beider vor. Die Bestimmungen dieses Buchstabens werden vier Jahre nach Inkrafttreten des WTO-Abkommens überprüft.). Im Bereich Pflanzen verlangt das Abkommen nur ein Schutzsystem sui generis, während es keine Bestimmungen zur Patentierung von Erzeugnissen enthält, deren Ursprung der menschliche Körper ist. In Bezug auf die Verfahren schliesst das Trips-Abkommen nur im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren aus. Für die Erzeugnisse, die sich aus derartigen Verfahren ergeben, gilt dieser Ausschluss jedoch nicht. Seine Wirkung ist somit sehr beschränkt, zumal die Biotechnologie allgemein als eindeutig technisches Verfahren anerkannt wird. Schliesslich sieht das Trips-Abkommen die Patentierbarkeit von nicht näher definierten Mikroorganismen vor. Nach allgemein anerkannter Meinung fallen darunter Bakterien, Plasmide und Viren, aber auch Zellen menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Ursprungs.  Mit diesem System wird die Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen auf internationaler Ebene nur in sehr geringem Ausmass harmonisiert. Die Biotechnologie ist jedoch ein heikler Bereich, der stark mit moralischen Aspekten, Gefühlen oder gar Angst befrachtet ist. Diesbezüglich bietet das geschaffene System den Vorteil, dass es an die lokalen Unterschiede der öffentlichen Meinung sowie die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Ländern angepasst werden kann.

Nationale und regionale Ansätze


Die nationalen Ansätze sind oft davon beeinflusst, welche Art von Industrie in einem Land vorherrschend ist («Forschungsindustrie» oder «generische Industrie»). In den USA, wo eine starke Forschungsindustrie dominiert, hat der oberste Gerichtshof in der Sache Chakrabarty schon vor über 20 Jahren entschieden, dass grundsätzlich alles patentierbar sei, was von Menschenhand gefertigt worden ist. Kanada, wo die generische Industrie vorherrscht, verfügt über ein praktisch identisches Patentgesetz wie die USA. Der oberste kanadische Gerichtshof hat jedoch 2002 in der Sache Harvard College entschieden, die Formen von höherem Leben vom Patentsystem auszuschliessen. Für die gleiche Erfindung (gentechnisches Verfahren zur Erhöhung der Krebsanfälligkeit bestimmter Tiere – wie der berühmten Krebsmaus – zu Forschungszwecken) war dem Harvard College schon über 16 Jahre zuvor ein amerikanisches Patent erteilt worden. Allerdings ist klarzustellen, dass der oberste kanadische Gerichtshof weder die Patentierbarkeit der Gensequenzen noch der Zellen dieser Maus ausgeschlossen hat. Somit stellt sich die Frage, inwieweit sich die beiden Ansätze tatsächlich unterscheiden, da der Verkauf oder die Herstellung jedes Materials unterbunden werden könnte, das die Sequenz enthält, unabhängig davon, ob dieses Material selbst patentiert ist oder nicht. Daher entsprechen sich die amerikanischen und kanadischen Patente – vielleicht abgesehen vom juristischem Beweis – stärker, als man meinen könnte.  In Europa ist das Grundprinzip nicht in einem Gerichtsentscheid, sondern in der Richtlinie 98/44 verankert. Gemäss diesem ist es nicht von Belang, ob biologisches Material – definiert als «Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann» – in der Natur «schon vorhanden war». Das Europäische Patentamt (EPA) patentiert das Material unter der Voraussetzung, dass es mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird und dass es neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und – auch ohne jegliche gentechnische Veränderung – gewerblich anwendbar ist. Im Folgenden sollen dieser Grundsatz und seine Auswirkungen genauer erläutert werden.

Pflanzen und Tiere


Im europäischen Recht wird unterschieden zwischen Erfindungen, die auf Pflanzen oder Tiere im Allgemeinen ausgerichtet sind, und Erfindungen, deren technische Machbarkeit sich auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt. Diese sehr technische Unterscheidung ist darauf zurückzuführen, dass im Rahmen des Internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (Upov) ein internationales Schutzsystem sui generis für Pflanzensorten besteht. Dieses bietet einen kostengünstigeren, einfacher zu erlangenden Schutz als ein Patent, verleiht jedoch nur beschränkte Rechte. Als dieses System geschaffen wurde, war die Patentierbarkeit von Pflanzen noch nicht denkbar, da hauptsächlich nicht-technische biologische Verfahren zum Einsatz gelangten.  Die gleichzeitige Anwendung der beiden Systeme könnte in Bezug auf bestimmte Rechte problematisch sein, so u.a. beim Recht der Landwirte zur Verwendung von Saatgut, das von einer geschützten Pflanze gewonnen wurde: Dieses Recht besteht zwar im Upov-System, ist im Patentsystem jedoch nicht systematisch verankert. Das EPA versucht, eine Überschneidung zwischen den beiden Systemen zu vermeiden. Unerklärlich ist allerdings, dass auch für Tierrassen eine derartige Unterscheidung vorgenommen wird, obwohl in diesem Bereich kein entsprechendes System besteht. Daher wird oft argumentiert, der Ausschluss der Pflanzensorten und Tierrassen sollte eigentlich alle Pflanzen und Tiere – ungeachtet ihrer Taxonomie – abdecken und die Unterscheidung sei in der Tat nur eine künstliche Konstruktion der Patentämter zur Erweiterung ihres Horizonts. Weder in den USA noch in Kanada oder Australien besteht übrigens eine derartige Unterscheidung. Schliesslich stellt sich auch die Frage, ob es notwendig ist, Pflanzen zu patentieren, da das Upov-System bereits einen ausreichenden Anreiz für Innovationen bieten könnte, und ob der Ausschluss, der als relativ durchlässig gilt, tatsächlich wirksam ist.  Bezüglich Tieren wurde für den möglichen Ausschluss der Patentierbarkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten eine Spezialbestimmung erlassen: Ausgeschlossen werden sowohl die Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die bei diesen Tieren Leiden verursachen können, ohne dass sich ein wesentlicher medizinischer Nutzen für den Menschen oder das Tier ergibt, als auch die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere. Die Anwendung dieser Bestimmung in der Sache der Krebsmaus stiess auf Kritik, da sie den Wert des Tieres nur in Verbindung mit dem Menschen berücksichtigt und somit dem Tier einen eigenen Wert abspricht. Da für die Pflanzen keine spezifische Bestimmung geschaffen wurde, lässt sich nur der allgemeine Ausschluss aus Gründen der guten Sitten – etwa bei starkem Widerstand der Bevölkerung – und der Gefährdung der öffentlichen Ordnung – z.B. eine offensichtliche Gefahr für die Umwelt – anwenden. Bisher wurde allerdings bei veränderten Pflanzen noch nie so entschieden. In der Rechtssache Plant Genetic Systems wurde eine Umfrage zum Widerstand in der Schweizer Bevölkerung nicht als ausreichender Beweis für einen Ausschluss aus Gründen der öffentlichen Sitten betrachtet.

Der menschliche Körper


Das EPA erteilt keine Patente auf den menschlichen Körper in den einzelnen Phasen «seiner Entstehung und Entwicklung». Es schliesst auch alle Verfahren zum Klonen und zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des Menschen aus und untersagt jede Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken .  Nachdem Spanien das therapeutische Klonen zugelassen hat und die Schweiz darüber diskutiert, stellt sich heute die Frage, weshalb Produkte oder Verfahren, die das Ergebnis einer zulässigen Forschung sind, wegen Verletzung der guten Sitten nicht patentierbar sein sollen, während die Forschung selbst keinen entsprechenden Verstoss darstellt.  Eine weitere brennende Frage betrifft die Patentierbarkeit von Erfindungen, die mit den umstrittenen, für die medizinische Forschung sehr viel versprechenden embryonalen men-schlichen Stammzellen zusammenhängen. In diesem Bereich hat das EPA die Erteilung von Patenten vorläufig eingestellt, bis eine Entscheidung der technischen Beschwerdekammer in der hängigen Sache des Edinburgh-Patents (EP 695351) vorliegt. Während die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken in Europa ausgeschlossen ist, wäre allenfalls an eine Patentierbarkeit zu wissenschaftlichen Zwecken zu denken. Da jedoch der menschliche Körper von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, würde sich die Frage stellen, ab welchem Punkt von einem «menschlichen Körper» auszugehen ist. In Übereinstimmung mit dem kürzlich veröffentlichten Standpunkt der Europäischen Kommission hat das britische Patentamt seinerseits entschieden, dass so genannte totipotente Stammzellen nicht patentierbar sind. Diese Stammzellen können sich zu jedem anderen Zelltypen, die für die embryonale Entwicklung notwendig sind, aber auch zu einem eigenständigen Organismus entwickeln. Hingegen spricht sich das britische Patentamt für die Patentierbarkeit pluripotenter Zellen aus, die sich nicht mehr derart umfassend, aber immer noch zu allen Körperzellen entwickeln können.

Gensequenzen


Gensequenzen (Nukleotidsequenzen) sind – ob pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Ursprungs – keine Organismen als solche. In den Industrieländern werden sie meist als patentierbar betrachtet, sofern sie aus ihrer natürlichen Umgebung isoliert wurden und für sie erstmals eine Funktion entdeckt wurde, die beispielsweise mit der Erzeugung eines bestimmten Proteins zusammenhängt.  Gensequenzen unterstehen den gleichen Grundsätzen wie chemische Substanzen und geniessen einen so genannten «absoluten» Schutz, der sich nicht auf eine spezifische Funktion des Gens beschränkt. Diese Gleichsetzung ist heftig umstritten. Es wird bemängelt, sie gewähre einen ungerechtfertigt breiten Schutz, der zu Anmeldungen von spekulativen Patenten führe und die Forschung zu den anderen Funktionen der Sequenz einschränke. Abgesehen davon, dass Gensequenzen viel stärker mit dem Leben und der Entwicklung verbunden sind als chemische Substanzen, liegt der angeführte Hauptunterschied darin, dass diese Sequenzen faktisch keine Substanzen sind, sondern In-formationsquellen zur Erzeugung von Substanzen. Gensequenzen lassen sich jedoch auch als chemische Substanzen betrachten, die ihre Funktionen nur in einem Organismus erfüllen können.  Unter dem Blickwinkel der erfinderischen Tätigkeit stellt sich die Frage, ob Patente für Sequenzen erteilt werden sollen, die zwar an sich neu sind, jedoch mit einem mehr oder weniger bekannten Verfahren isoliert wurden. Mit anderen Worten: Müssen sowohl Sequenz wie auch Isolationsverfahren im Sinne des Patentsystems neu/erfinderisch sein, oder genügt es, Patente für die Isolationsverfahren zu erteilen? Immer wieder wird auch der Vorwurf laut, die Grenze zwischen patentierbarer Erfindung und nicht patentierbarer Entdeckung werde absichtlich zu Gunsten der Industrie und der Forschung überschritten, wenn diese Sequenzen im «Rohzustand» – d.h. ohne Rekombination oder Veränderung irgendwelcher Art – patentiert würden.  Schliesslich muss klargestellt werden, dass bei der Patentierung nicht jene menschlichen Gensequenzen patentiert werden, die jeder in sich trägt, sondern diese Sequenzen isoliert vom menschlichen Körper. Zudem sind diese Sequenzen nicht immer mit jenen identisch, die im menschlichen Körper vorhanden sind. So war eine der ersten biotechnologischen Erfindungen die Einfügung einer aus menschlicher DNA abgeleiteten DNA («komplementäre DNA») in ein Bakterium, um Insulin zu erzeugen.

Fazit


Abschliessend ist zu betonen, dass das Patentsystem ein sehr technisches Gebiet ist und sich ohne genaue Kenntnis seiner sehr komplexen Gedankengänge nur schwer beurteilen lässt. Es gehorcht im Wesentlichen den Mechanismen der Selbstbeschränkung, die sich ständig anpassen, um das Gleichgewicht zwischen Rechten und Einschränkungen für jede neue Industrie (wieder) herzustellen. Zudem ist das Patentsystem – bildlich gesprochen – nur ein Atom eines viel grösseren Moleküls, bestehend aus einem Geflecht von Regelungen und Bedürfnissen, die im Streben nach einem ausgewogenen Gleichgewicht ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Im Biotechnologiebereich ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Er wird in den kommenden Jahren auf nationaler wie internationaler Ebene zweifellos noch zu zahlreichen Anpassungen führen, unter anderem im Rahmen der Revision des schweizerischen Patentgesetzes.

Kasten 1: Artikel 27 zu den patentfähigen Gegenständen des Trips-Abkommens 1. Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 werden Patente für Erfindungen, ob es sich um Erzeugnisse oder Verfahren handelt, auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vorbehaltlich des Artikels 65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 erfolgt die Erteilung von Patenten und die Ausübung von Patentrechten unabhängig vom Ort der Erfindung, vom Gebiet der Technik oder davon, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land selber hergestellt werden.2. Die Mitglieder können Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschliessen, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung in ihrem Hoheitsgebiet zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschliesslich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer schweren Schädigung der Umwelt notwendig ist, sofern der Ausschluss nicht allein deshalb vorgenommen wird, weil das Landesrecht die Verwertung verbietet.3. Die Mitglieder können von der Patentierbarkeit zudem ausschliessen:a) diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren für die Behandlung von Menschen oder Tieren; b) Pflanzen und Tiere mit Ausnahme von Mikroorganismen sowie im wesent-lichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren mit Ausnahme von nichtbiologischen und mikrobiologischen Verfahren. Die Mitglieder sehen jedoch den Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein wirksames System sui generis oder durch eine Verbindung beider vor. Die Bestimmungen dieses Buchstabens werden vier Jahre nach Inkrafttreten des WTO-Abkommens überprüft.

Zitiervorschlag: Temmerman, Michelangelo R.P. (2006). Patentierbarkeit von gentechnischen Erfindungen auf internationaler Ebene. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.