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Patente: Forschungsförderung oder Forschungsbehinderung?

Patente: Forschungsförderung oder Forschungsbehinderung?

Die überwiegende Mehrzahl der Ökonomen und Juristen sind der Auffassung, dass starke Patentrechte die wirtschaftliche Entwicklung fördern. Allerdings wurden im Laufe der letzten Jahre kritische Stimmen laut: Können zu starke und zu breite Patentrechte Barrieren für Nachfolgeforschung darstellen und insofern den technologischen Fortschritt mehr behindern als fördern? Eine Studie zu dieser Frage aus dem Jahr 2003 bestätigte gewisse Probleme, konnte aber weder ein Versagen noch einen systematischen Missbrauch des bestehenden Patentsystems für biotechnologische Erfindungen feststellen. Der folgende Artikel erörtert die Problemstellung, fasst die Resultate der Studie zusammen und verweist auf die konkreten Massnahmen im Rahmen der laufenden Revision des Schweizer Patentgesetzes, um eventuellen Problemen vorzubeugen.

Sinn und Zweck von Patenten


Patente haben keinen Selbstzweck und sind auch keine Naturrechte, sondern sie dienen der Innovationsförderung. Sie sind ein sozial geschaffenes Privileg für Innovatoren, die mit ihren Erfindungen den technischen Fortschritt fördern, was zur gesellschaftlichen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wachstum beiträgt. Als politische Massnahme der Innovationsförderung sollen Patente Anreize schaffen, damit Investitionen in Forschung, Entwicklung und Kreativität auch getätigt werden und sich lohnen. Die Rechtfertigung von Patenten ist somit eine utilitaristische; sie sind Mittel zum Zweck, die Forschung und Entwicklung (F&E) bestmöglich voranzutreiben.  Ein weiterer Zweck des Patentsystems ist die Verbreitung des technologischen Wissens, das den Charakter eines öffentlichen Gutes hat. Insbesondere die Nichtausschliessbarkeit anderer von der Nutzung verhindert die vollständige Amortisation des F&E-Aufwandes für Innovatoren. Ohne Patentschutz verlieren diese den Investitionsanreiz für F&E-Projekte. Da Innovation als Motor des gesamtwirtschaftlichen Wachstums betrachtet wird, aber das Ergebnis der Handlung profitorientierter Akteure – der Erfinder – ist, müssen künstliche Investitionsanreize durch die Gewährung von Patentrechten geboten werden. Ohne Patentschutz könnten Erfinder andere nicht von der Nutzung ihrer Erfindungen ausschliessen. Geistiges Eigentum kann von mehreren Marktteilnehmern gleichzeitig genutzt werden, ohne dass die Nutzung des jeweils anderen Teilnehmers dadurch eingeschränkt wird («Nicht-Rivalität» in der Nutzung). Ökonomisch ausgedrückt sind die Grenzkosten der Nutzung durch einen zusätzlichen Nutzer gleich null. Unter freien Marktbedingungen führt dieser Charakter eines öffentlichen Gutes zu einer Übernutzung des geistigen Eigentums und zu einer Verringerung des Anreizes zur Produktion von immateriellen Gütern. Dies ist üblicherweise das Argument, warum eine Intervention des Staates in Form eines Patentsystems notwendig ist. Die ökonomischen Zusammenhänge von Marktpreisen einer Innovation und Patentschutz sind in Grafik 1 dargestellt. Der Innovator hat die F&E-Aufwendungen zu tragen, bekommt dafür aber den Vorteil, der Erste auf dem Markt zu sein, was mit einem zeitlich begrenzten Produktmonopol vergleichbar ist. Ohne immaterialgüterrechtlichen Schutz werden allerdings schnell andere Anbieter (Kopierer), die keine F&E-Ausgaben hatten, auf den Markt drängen. Jeder zusätzliche Anbieter verringert die Nachfrage (die Nachfragekurve sinkt von D1 zu D3) und mindert den Gewinn für den Innovator. Schliesslich wird der Gewinn geringer sein als die F&E-Ausgaben (Fläche G3 ist kleiner als Fläche F&E). Damit geht der Anreiz, innovativ zu sein, verloren – der Innovator macht Verluste.

Behindern Patente die Forschung?


Die Anzahl der Patentanmeldungen ist in den letzten zehn Jahren extrem angestiegen. Im Jahr 2004 wurden beim Europäischen Patentamt 10% mehr Patente beantragt als im Jahr davor. In einer von der OECD durchgeführten Umfrage antworteten 75% der Unternehmen, dass sie heute Erfindungen patentieren, die sie vor zehn Jahren nicht hätten patentieren lassen. Vgl. OECD, 2004. Dieser starke Anstieg lässt befürchten, dass das ursprüngliche Ziel – die Innovation und die Verbreitung von Wissen zu fördern – durch das Patentsystem selbst behindert wird und sich die Vielzahl an Patenten letztendlich als Barrieren in der Folgeforschung erweisen könnten. Das Problem stellt sich insbesondere in jenen Bereichen, in denen es für die Gesellschaft von grossem Interesse ist, dass bestimmtes technologisches Wissen für Ausbildungszwecke oder zugunsten der öffentlichen Gesundheit allgemein zugänglich gemacht wird. Zu diesen sensiblen Bereichen zählt namentlich die Biotechnologie, und dort insbesondere der Bereich der genetischen Erfindungen. DNA-Patente wurden schon häufig kritisiert, da sie angeblich eine nachteilige Wirkung auf die weiterführende oder Folgeforschung hätten. Vgl. Cho et al, 2003.

Bekannte Probleme von Patentsystemen


Das so genannte Anti-Commons-Problem beschreibt eine Situation, in der die für die weiterführende Forschung notwendigen Kenntnisse durch eine grosse Anzahl von Patenten unterschiedlicher Firmen abgedeckt sind. Vgl. Heller/Eisenberg, 1998. Die Transaktionskosten für die Verknüpfung und Koordinierung all dieser verschiedenen möglichen Lizenzen sind unerschwinglich hoch, was zur Folge hat, dass keine Lizenzvereinbarungen abgeschlossen werden. Dadurch können patentierte, biotechnologische Informationen nicht so genutzt werden, wie es für die Gesellschaft von Vorteil wäre.  Ein weiteres Problem stellen Patentgestrüppe («patent thickets») dar. Um letztendlich eine neue Technologie vermarkten zu können, muss sich ein Unternehmen erst durch eine dichte Verästelung aus sich überschneidenden geistigen Eigentumsrechten kämpfen. Vgl. Shapiro, 2001. In einer solchen Situation erfordert die starke Zunahme an Patenten die Verhandlung multipler Lizenzen, was wiederum die Transaktionskosten in eine solche Höhe treibt, dass Lizenzen ineffizient werden. Auch wenn einzelne Firmen ein finanzielles Interesse an der Lizenzierung ihrer Patente haben, so können potenzielle Lizenzinhaber nicht die gesamten Lizenzgebühren aufbringen. Als Ergebnis werden sowohl die Lizenzgeber als auch die -nehmer daran gehindert, ihre F&E auf dem patentierten Technologiegebiet weiterzuverfolgen. Durch die grosse Anzahl der heute vergebenen Patente und die Tendenz, multiple Patente zu beantragen, um eine Erfindung abzudecken, kommt es zum Hold-Up-Problem. Das sind Situationen, in denen ein einzelnes Produkt potenziell gegen zahlreiche unterschiedliche Patentrechte verstossen kann. Eine grosse Anzahl an Patenten erhöht die Gesamtkosten der Lizenzgebühren. Die Anhäufung von Lizenzgebühren wirkt sich ebenso nachteilig auf weitere Investitionen in die F&E aus. Als Resultat einer solchen Situation kann es dazu kommen, dass die Forschung entmutigt oder fehlgeleitet und somit die gesellschaftlich erwünschte Entwicklung von Produkten und Verfahren verlangsamt wird. Vgl. Thumm, 2005. Die beschriebenen Szenarien sind dann besonders schwerwiegend, wenn ein Patent eigentlich gar nicht hätte erteilt werden sollen, weil die Erfindungshöhe nicht ausreichend war. Wie ernst das Anti-Commons-Problem, das Problem des Patentgestrüpps sowie das Hold-Up-Problem wirklich sind, ist wenig bekannt. Die Sorge um eine Überpatentierung und deren negative Auswirkungen ist jedoch weit verbreitet. Empirische Untersuchungen in den USA bestätigen Zugangsprobleme, insbesondere bei der Weiterentwicklung von Erfindungen. Vgl. Cho et al, 2003. Andere dagegen sind der Meinung, dass kein Zusammenbruch durch Anti-Commons stattgefunden habe, die Anhäufung von Lizenzgebühren unter Kontrolle sei und die Probleme im Zusammenhang mit Patenten im Grossen und Ganzen zu bewältigen seien. Vgl. Walsh et al, 2003.

Forschung und Patentierung in der Biotechnologie


Auf der Grundlage einer ersten Vernehmlassung zur Teilrevision des Patentgesetzes in der Schweiz forderte der Bundesrat im Jahr 2002 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) auf, bestimmte Fragestellungen zu vertiefen. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) erarbeitete zwei Fragebögen, mithilfe derer Forschungseinrichtungen und private Firmen aus der Biotechnologie zu problematischen Aspekten der Patentierung von biotechnologischen Forschungsergebnissen Stellung beziehen konnten. Vgl. Thumm, 2004. Ein spezieller Fokus der Studie ist die Frage, welchen Einfluss Patente auf den Zugang zu Forschungsergebnissen haben. Wann und unter welchen Voraussetzungen können Patente der biotechnologischen Forschung die Diffusion technologischen Wissens behindern? Dabei werden insbesondere die Anreizwirkungen von Patenten, die Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Notwendigkeiten gegenwärtiger und zukünftiger kreativer Arbeit resp. ihrer Produkte untersucht. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden im Bericht «Research and Patenting in Biotechnology. A Survey in Switzerland» veröffentlicht. Vgl. IGE, 2003.

Resultate der IGE-Untersuchung


Die Studie konnte kein Versagen oder systematischen Missbrauch des bestehenden Patentierungssystems für biotechnologische Erfindungen feststellen. Auch konnten keine systematischen Patentierungen beobachtet werden, die auf einen Missbrauch schliessen liessen. Die Ergebnisse bestätigten jedoch, dass Patente in ihrer aktuellen Form einen wichtigen Faktor für Innovationen und einen wichtigen Anreiz für biotechnologische Erfindungen darstellen. Die Untersuchung zeigte weiter, dass die Probleme Anti-Commmons, Patentgestrüppe und Anhäufung von Lizenzgebühren zwar eine gewisse praktische Bedeutung haben. Jedoch sind ihr wirtschaftliches Ausmass und die Folgen für die Biotechnologieindustrie noch unerheblich. So wurden bei DNA-Patenten die Probleme der Abhängigkeit von Vorgängerpatenten («crowded art»), des ungenügenden Zugangs zu Technologien wegen Patenten und der Schwierigkeiten beim Erschliessen technologischer Gebiete wegen zu vieler und überlappender Patente nur als mässig eingestuft (vgl. Grafik 2). Die Teilnehmer der Befragung betrachten ein breit angelegtes Forschungsprivileg und die Begrenzung des Patentschutzes auf spezifische offen gelegte Funktionen als Möglichkeiten, gegen bestehende Probleme bei DNA-Patenten anzugehen. Sie glauben, dass ein absoluter Schutz von DNA-Patenten die Forschung und Weiterentwicklung von Erfindungen behindern würde. Insbesondere könne ein sinnvoll austariertes Forschungsprivileg solchen Problemen entgegenwirken. Allerdings wurden Bedenken geäussert, dass die Umsetzung eines Forschungsprivilegs durch privatrechtliche Übereinkommen zur Übertragung von Forschungsmaterial («Material Transfer Agreements») umgangen werden könnte. Als sinnvolles Mittel, dies zu verhindern, erachten die Umfrageteilnehmer ein klinisches Nutzungsprivileg und die Erteilung nicht exklusiver Lizenzen für patentierte genetische Testverfahren. Auch wenn die oben erwähnten Probleme praktisch gesehen nur von geringer Bedeutung sind, so ist es doch wichtig, das Bewusstsein hierfür zu fördern und vorbeugende Massnahmen zu diskutieren. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen jedoch, dass Patente in ihrer aktuellen Form einen wichtigen Faktor für Innovationen und einen wesentlichen Anreiz für biotechnologische Erfindungen darstellen. Instrumente des freien Marktes – wie Patent-Pools, Kreuzlizenzen und Patentkonsortien -, die zur Verminderung von Transaktionskosten beitragen und Patentgestrüppe potenziell vermeiden helfen, sollten unterstützt werden. Eine gute Patentpolitik ist nicht notwendigerweise eine Politik der starken Rechte. Unnötige Patente, die lediglich die Anhäufung von Lizenzgebühren und weitere Probleme herbeiführen sowie Patente geringer Erfindungshöhe könnten zu wirtschaftlichen Problemen führen und sollten vermieden werden. Das heutige Patentsystem benötigt deshalb aber keine absolute Neuausrichtung, sondern eher eine permanente Feinabstimmung auf der Basis der bestehenden Bestimmungen.

Patentgesetz-Revision: Massnahmen im Bereich Biotechnologie


Der aktuelle Entwurf der Revision des Patentgesetzes sieht auf der Basis zweier Vernehmlassungen sowie der erwähnten empirischen Untersuchung eine Reihe von Massnahmen vor, die insbesondere den Bereich der Biotechnologie betreffen. Ein breit ausgelegtes Forschungsprivileg Art 9 1b rev. Pat. Ges. zielt darauf ab, die Forschung am Gegenstand patentierter Erfindungen zu verbessern – und zwar unabhängig von der Motivation der Forschung. Instrumente der Forschung sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Um dominierende Marktpositionen solcher patentierter Instrumente zu vermeiden und um einer Aushebelung des Forschungsprivileges durch privatrechtliche Übereinkommen zur Übertragung von Forschungsmaterial (MTAs) entgegenzuwirken, sieht der Gesetzgeber die Einführung des Rechts auf eine einfache rechtliche Lizenz vor. Art 9a rev. Pat. Ges.

Grafik 1 «Marktpreise für Erfindung ohne Patentschutz – kein Anreiz für Forschung und Entwicklung»

Grafik 2 «Umfrage Schweiz: Ausmass der Probleme mit DNA-Patenten»

Kasten 1: Literatur
– Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) (Entwurf) www.admin.ch/ch/d/ff/2006/155 .pdf.- Cho, M., llangasekare, S., Weaver, M., Leonard, D., Merz, J., 2003. Effects of Patents and Licenses on the Provision of Clinical Genetic Testing Services, Journal of Molecular Diagnostics, Bd. 5; Nr. 1, S. 3-8.- Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (2003), Research and Patenting in Biotechnology. A Survey in Switzerland, www.ige.ch/E/jurinfo/documents/j10005e .pdf.- OECD (2004), C. Martinez, D. Guellec, «Overview of Recent Changes and Comparison of Patent Regimes in the United States, Japan and Europe» in: Patents, Innovation and Economic Performance, S. 127-162.- Heller, M., Eisenberg, R., 1998. Can Patents Deter Innovation? The Anti-commons in Biomedical Research. Science, Bd. 280, S. 698-701.- Shapiro, Carl (2001). Navigating the Patent Thicket: Cross Licenses, Patent Pools, and Standard Setting. In: Innovation Policy and the Economy 1, S. 119-150, http://faculty.haas.berkeley.edu/shapiro/thicket.pdf.- Thumm, N. (2005) «Patents for genetic inventions: a tool to promote technological advance or a limitation to upstream inventions», Technovation, The International Journal of Technological Innovation and Entrepreneurship, Bd. 25/12, S. 1410-1417.- Thumm, N. (2004) «Motives for patenting biotechnological inventions; an empirical investigation in Switzerland»; International Journal of Technology, Policy and Management, Bd. 4, Nr. 3, S. 275-285.- Walsh, J., Arora A., Cohen, W., 2003. Effects of Research Tool Patents and Licensing on Biomedical Innovation. Paper presented at the OECD Conference on IPR, Innovation and Economic Performance, Paris, August, 2003.

Zitiervorschlag: Nikolaus Thumm (2006). Patente: Forschungsförderung oder Forschungsbehinderung. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.