Suche

Abo

Agrarpolitik 2011 in Konflikt mit der internationalen Marktöffnung

Agrarpolitik 2011 in Konflikt mit der internationalen Marktöffnung

Die Agrarpolitik 2011 (AP 2011) setzt den eingeschlagenen Weg konsequent fort. Aussenwirtschaftlich erweitert sie mit der vorgesehenen Abschaffung von Exportsubventionen, der deutlichen Reduktion von Verwertungsbeiträgen sowie der Verlagerung von Marktstützungsbeiträgen zu Direktzahlungen den Spielraum für internationale Verhandlungen. Die eingeleiteten internen Reformen werden aber kaum in der Lage sein, die Landwirtschaft ausreichend auf grössere Marktöffnungsschritte vorzubereiten. Dazu sind erhebliche Strukturanpassungen erforderlich, und zwar sowohl hinsichtlich Betriebsgrössen wie auch in Richtung einer deutlich stärkeren Spezialisierung auf differenzierbare Produkte.

Die Vorlage zur AP 2011 steht aussenwirtschaftlich unter einem besonderen Spannungsfeld und grosser Unsicherheit. Die Doha-Runde ist nicht zuletzt an der Agrarfrage gescheitert. Ebenso wurden die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA auch wegen der Forderungen im Landwirtschaftssektor nicht aufgenommen. Zurzeit finden explorative Gespräche mit der EU über ein mögliches Freihandelsabkommen im Agrarbereich statt. Vor diesem Hintergrund soll die AP 2011 die 2002 eingeleiteten internen Reformen weiterführen und die schweizerische Landwirtschaft besser auf die aussenwirtschaftlichen Herausforderungen vorbereiten.  Kann dieses Ziel erreicht werden? In einem Kommentar zur AP 2007 vom September 2003 in dieser Zeitschrift Vgl. «Die Volkswirtschaft» 9/2003, S. 19-23. hatte ich zusammenfassend formuliert, dass diese die eingeleiteten internen Reformen in Richtung einer verstärkten Marktorientierung konsequent fortsetze, dass sie aber hinsichtlich der für internationale Verhandlungen geforderten Marktöffnung nur ein erster zögerlicher Schritt auf einem langen Weg sein könne. Dasselbe muss leider auch von der AP 2011 gesagt werden.

Abbau von Exportsubventionen und Verwertungsbeiträgen erleichtert internationale Verhandlungen


Doch zuerst zu den Elementen der AP 2011, die mit Blick auf die internationalen Verhandlungen erfreulich sind. In erster Linie ist die Aufhebung der Exportsubventionen bis 2008 bzw. 2009 zu nennen. Davon betroffen sind Regelungen im Milchsektor, in der Viehwirtschaft sowie in der Obst- und Kartoffelverwertung. Exportsubventionen wären in einem Freihandelsabkommen mit der EU undenkbar und gelten in der WTO zu Recht als besonders marktverzerrend. Deren Abschaffung gibt der schweizerischen Verhandlungsdelegation erwünschten Spielraum.  Ebenfalls problematisch sind Subventionen, die zwar nicht direkt für den Export ausgerichtet werden, die aber an die Verwertung einheimischer Rohstoffe gebunden sind. Die handelsverzerrende Wirkung ist insbesondere dann fühlbar, wenn ein beachtlicher Teil der Produktion exportiert wird. Hier geht die AP 2011 einen grossen Schritt in die richtige Richtung. Die bislang an die Produzenten ausgerichtete Subvention für Milch, die zu Käse verarbeitet wird (Verkäsungszulage), soll ab 2007 deutlich reduziert werden. Daneben wird eine Reihe von Sonderzulagen an die Verwertung von Milch und Milchfetten sowie von Schafwolle, Ölsaaten und Kartoffeln aufgehoben.  Beim Futtergetreide wird der Inland-markt durch variable Zölle geschützt, die den Preisunterschied zwischen Weltmarkt- und Inlandpreis abschöpfen. Hier soll der inländische Referenzpreis (Schwellenpreis) schrittweise gesenkt werden. Damit wird der Konkurrenzdruck aus dem Ausland erhöht. Im Interesse einer erwünschten Kostensenkung für die Milch- und Fleischwirtschaft wäre allerdings ein grösserer Abbauschritt zweckmässig gewesen.  Dieser Umbau schlägt sich auch in den finanziellen Zahlen nieder. Der vom Bundesrat vorgeschlagene Rahmenkredit für die Jahre 2008-2011 beträgt 13,5 Mrd. Franken und entspricht damit recht genau den in der Periode 2004-2007 effektiv beschlossenen Ausgaben (Rahmenkredit abzüglich Sparbeschlüsse). Die Struktur der Ausgaben wird sich aber massgeblich ändern: Die für Marktstützung vorgesehenen Ausgaben sinken von 2,7 auf 1,5 Mrd. Franken, während die Direktzahlungen von 10 auf 11,3 Mrd. Franken zunehmen. Auch dies erhöht den Spielraum des Bundesrates in den zukünftigen WTO-Verhandlungen beträchtlich, unterliegen doch Direktzahlungen, soweit sie nicht an die Produktion oder Verwertung landwirtschaft-licher Produkte gebunden sind, keinen Abbauverpflichtungen.  Weniger erfreulich ist das Bild im Bereich der Marktöffnung. Konkrete Massnahmen enthält die Vorlage zur AP 2011 keine. Dies mag verständlich sein, wollte man doch den Verhandlungen in der WTO nicht vorgreifen. Die Botschaft erwähnt nur summarisch, dass mit der AP 2011 zwischen einem Drittel und der Hälfte der erwarteten Auswirkungen der Doha-Runde bewältigt werden können. Die Auswirkungen eines Freihandelsabkommens mit der EU würden weitergehen; die zusätzlichen Effekte sollten aber gemäss dem Willen des Bundesrates zumindest teilweise über befristete Anpassungshilfen aufgefangen werden.

Hohe Schutzwirkung der bisherigen Landwirtschaftspolitik


Jedes Jahr verschwinden rund 2% der landwirtschaftlichen Betriebe. Obwohl in den letzten Jahren die Strukturanpassung in der schweizerischen Landwirtschaft beachtlich war und die aktuelle Wahrnehmung bäuerlicher Kreise auf einen starken Importwettbewerb schliessen lässt, so sprechen doch internationale Vergleichszahlen eine andere Sprache. Der Selbstversorgungsgrad, die Preisdifferenz zum Ausland und die gesamthafte staatliche Unterstützung als Anteil an den landwirtschaftlichen Einnahmen haben sich in den letzten 10-20 Jahren kaum verändert. Grafik 1 zeigt, dass mit Ausnahme der Gruppe Obst und Früchte (starke Abnahme) und Zucker (starke Zunahme) der Anteil der Produktion am Verbrauch in den letzten 40 Jahren erstaunlich stabil blieb.  Die zum Teil sehr hohen Marktanteile konnten zudem bei anhaltend grossen Preisdifferenzen zum Ausland gehalten werden (vgl. Grafik 2). Auch hier fallen die geringen Veränderungen zwischen 1990/92 und 2002/04 auf. Über den gesamten Warenkorb betragen die EU-Produzentenpreise nur rund die Hälfte der schweizerischen Werte, mit Abweichungen nach unten und nach oben je nach Produktgruppe. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Prozentzahlen abgetragen sind; da die Produzentenpreise allgemein gefallen sind, hat sich die absolute Differenz verkleinert. Trotzdem: Anhaltend hohe Preisdifferenzen sind Ausdruck segmentierter Märkte. Es macht wenig Anschein, dass die neue Agrarpolitik bereits zur gewünschten Konvergenz geführt hat, die eine zukünftige Liberalisierung einfacher erscheinen liesse. Bezüglich der Milchmarktordnung muss allerdings noch abgewartet werden, inwieweit die mit dem deutlichen Abbau der Verkäsungszulage zu erwartende Milchpreissenkung den Abstand zu den umliegenden Ländern tatsächlich reduziert. Aufschlussreich ist schliesslich auch die Entwicklung der staatlichen Stützungsmassnahmen. Die umfassendste Masszahl ist das von der OECD erhobene Percentage Producer Subsidy Estimate (%PSE). Der Wert gibt an, welchen Anteil die durch Politikmassnahmen ausgelösten Transfers an den Bruttoeinnahmen landwirtschaftlicher Betriebe ausmachen. Dabei ist es unerheblich, über welche Instrumente diese Transfers ausgelöst werden. Darunter fallen staatliche Subventionen, aber auch Preisstützungsmassnahmen, aufgrund derer der Inlandpreis über dem Weltmarktpreis zu liegen kommt. Aus Grafik 3 wird deutlich, dass das %PSE in allen ausgewählten OECD-Ländern im Vergleich der Perioden 1986/88 und 2003/05 gesunken ist. Dies ist Ausdruck einer allgemein verstärkten Marktorientierung der Landwirtschaftspolitik. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind aber nach wie vor sehr hoch. Die Schweiz nimmt unter allen OECD-Ländern den Spitzenplatz ein, allerdings eng gefolgt von Norwegen, Korea und Japan.

Marktöffnung als zukünftige Herausforderung


Entgegen dem verhaltenen Optimismus in der Botschaft bereitet die AP 2011 die schweizerische Landwirtschaft nur ungenügend auf grössere Marktöffnungen vor. Dafür sind die Preisdifferenzen zu hoch und der Spezialisierungsgrad zu gering. Dies heisst aber, dass sich die Situation der Doha-Runde mit grösster Wahrscheinlichkeit in einer späteren neuen Welthandelsrunde wiederholen wird. Agrarexporteure werden an der Forderung nach Marktöffnung festhalten, und die schweizerische Regierung wird sich wiederum vor die unangenehme Alternative gestellt sehen, entweder in den Verhandlungen eine sehr defensive Position einnehmen zu müssen oder der eigenen Landwirtschaft hohe kurzfristige Anpassungskosten aufzubürden. Es sei daran erinnert, dass die schweizerische Regierung in eine ausserordentlich schwierige Situation geraten wäre, wenn die führenden WTO-Mitglieder (EU, USA, Japan, Brasilien und Indien) doch kurzfristig einen Kompromiss im Agrardossier gefunden hätten, der von der Schweiz mit Sicherheit eine deutlich über das bisherige Mass hinaus gehende Marktöffnung verlangt hätte. Die AP 2007 hat schlecht auf die Doha-Runde vorbereitet; die AP 2011 bereitet nicht besser auf zukünftige Verhandlungen vor.

Spezialisierung mit gleichzeitiger Markterweiterung


An dieser Stelle soll kurz auf die allgemeinen Strukturwirkungen von Marktöffnungen hingewiesen werden. Homogene Produkte, die sich gegenüber dem Konsumenten schlecht differenzieren lassen, folgen dem Gesetz komparativer Vorteile. Hier hat die schweizerische Landwirtschaft gegenüber wichtigen Anbietern einen empfindlichen Kostennachteil. Zucker, Getreide, Ölsaaten, aber auch Teile der Milch- und Fleischwirtschaft sind Beispiele. Die entsprechende Produktion würde bei einer vollen Marktöffnung deutlich zurückgehen. Anders wirkt sich die Marktöffnung bei differenzierbaren Produkten aus. Generell hat sich in solchen Industrien eine Spezialisierung mit gleichzeitiger Markterweiterung für den einzelnen Produzenten durchgesetzt. Schweizerische Nahrungsmittel können durchaus eine Marktchance haben – aber nur in Bereichen, die sich im Bewusstsein der Konsumenten differenzieren lassen und für die ein grösserer Markt als die Schweiz gefunden werden kann.  Intern setzt dies die Bereitschaft – oder den Druck – für rasche und weit reichende Strukturanpassungen voraus; extern müssen Strategien verfolgt werden, die parallel zur internen Marktöffnung neue Absatzkanäle für differenzierte Produkte im Ausland schaffen. Ein Freihandelsabkommen mit der EU wäre unter dieser Perspektive eine einmalige Chance; man muss die Verhandlungen aber offensiv angehen und nicht in erster Linie bestehende schweizerische Produktionsinteressen verteidigen wollen. Die Chancen eines Freihandelsabkommens können zudem nur genutzt werden, wenn man umfassende Strukturveränderungen als Ausdruck der Marktanpassung zulässt.

Sehr hohe Subventionierung


Eine Betrachtung der wichtigsten Komponenten der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigt den auffallend geringen Anteil des Unternehmenseinkommens am gesamten Umsatzvolumen (vgl. Grafik 4). Von Erträgen von 12,37 Mrd. Franken in der Basisperiode verblieben gerade 3 Mrd. Franken als Einkommen bäuerlicher Familien. Über 9 Mrd. Franken entfielen auf Fremdkosten, wozu Vorleistungen, Abschreibungen, bezahlte Löhne, Pachten und Zinsen gehören. Das Verhältnis wird in der Prognose für 2011 noch ungünstiger. Das Unternehmenseinkommen sinkt im Vergleich zur Basisperiode um 560 Mio. Franken; bei den Fremdkosten beträgt die Reduktion nur 180 Mio. Franken. Das Bild wird noch deutlicher, wenn man die Subventionen in Relation zu den bäuerlichen Einkommen setzt. In Grafik 4 sind die produktionsbezogenen Subventionen und Marktstützungsmassnahmen in der Rubrik «Erzeugung Landwirtschaft» enthalten. Fasst man alle Subventionen des Bundes zusammen, so ergibt dies gemäss den effektiv beschlossenen Ausgaben für den Zahlungsrahmen 2004-2007 rund 3,4 Mrd. Franken pro Jahr. Diese sind damit höher als die den Landwirten verbleibenden Einnahmen. Die Relationen würden sich gemäss den Projektionen für die AP 2011 sogar noch verschlechtern. Die sonstigen Subventionen, die vor allem die Direktzahlungen umfassen, sind allein um rund 700 Mio. Franken höher als das Nettounternehmenseinkommen der Landwirte. Handlungsbedarf besteht somit nicht nur mit Rücksicht auf die aussenwirtschaftlichen Anforderungen, sondern ebenso wegen der geringen Einkommenseffizienz der schweizerischen Agrarpolitik.

Strukturwandel als Voraussetzung für die aussenwirtschaftliche Öffnung


Die schweizerische Agrarpolitik sollte einige unangenehme Wahrheiten bzw. Wahlentscheide offener ansprechen und diskutieren. Dazu zählen vor allem die folgenden Zusammenhänge:

Grundversorgung vs. offene Märkte


Gemäss Artikel 104 Abs. 1 der Bundesverfassung sorgt der Bund dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leistet. Wenn dieser Auftrag dahingehend verstanden wird, dass die Grundversorgung mit allen Lebensmitteln gesichert sein muss, dann kann die Marktöffnung nach aussen immer nur eng begrenzt sein. Für schlecht differenzierbare Produkte sind die Kostenvoraussetzungen ungünstig und für differenzierbare Leistungen ist der Schweizer Markt zu klein. Wenn man unterstellt, dass die mit der AP 2007 eingeleitete und mit der AP 2011 fortgesetzte Reform der Agrarpolitik innerhalb vernünftiger Frist auf eine Marktöffnung vorbereitet, dann schliesst man die Augen vor der unangenehmen Wahrheit, dass breite Grundversorgung und offene Märkte nicht gleichzeitig erreichbar sind. Ein gangbarer Weg kann nur in der Integration in einen grösseren Markt bestehen, bei der eine deutlich höhere Spezialisierung – sowohl nach Produktionsrichtungen wie auch nach Produktlinien – innerhalb eines Segments akzeptiert wird.

Generationenwechsel genügt nicht,um aufzuholen


Die Reform der schweizerischen Agrarpolitik steht mehr oder weniger offen unter der Restriktion, dass die erforderliche Strukturanpassung im Rahmen des Generationswechsels zu vollziehen sei. Diese Zielsetzung wird es aber nicht erlauben, den Abstand auf die ausländischen Märkte aufzuholen. Auch wenn die Schweiz in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte bezüglich Betriebsgrössen und Produktivität erzielen konnte, so liefen diese im besten Falle im Gleichschritt mit den Entwicklungen auf anderen Märkten. Die bestehende Schere in den Kosten konnte auch gegenüber Ländern, deren Lohnniveau nur unwesentlich unter demjenigen der Schweiz liegt, nicht aufgeholt werden.  Die im vorangehenden Punkt geforderte Strukturanpassung setzt voraus, dass man sich von der Vorgabe löst, dass Strukturwandel nur im Rahmen des Generationenwechsels erfolgen soll.

Abbau von Hindernissen des Strukturwandels


Die Frage, wie Strukturwandel sozialverträglich gefördert werden kann, bräuchte vertiefte Untersuchungen. An dieser Stelle möchte ich nur auf zwei Hindernisse hinweisen, die der Freigabe von Land entgegenstehen und die man schwergewichtig angehen sollte. Das erste betrifft die heutige Form der Direktzahlungen: Diese sind entweder direkt oder über Beiträge für die Rauhfutter verzehrenden Nutztiere indirekt an die landwirtschaftliche Nutzfläche gebunden. Geht man für einen Milchwirtschaftsbetrieb der Talzone von 1,5 Grossvieheinheiten pro Hektare aus, so werden die in der AP 2011 vorgesehenen allgemeinen Direktzahlungen pro Jahr (ohne ökologische Direktbeiträge und Beiträge für das Berg- und Hügelgebiet) 2000 Franken pro Hektare betragen. Diese Rente, die mit dem Verkauf oder der Verpachtung der Fläche verloren geht, stellt ein ernsthaftes Hindernis zur freiwilligen Aufgabe von Land dar. Meines Erachtens müsste geprüft werden, ob die Direktzahlungen nicht auf anderer Basis – z.B. pro Vollerwerbsbetrieb, unabhängig von der Fläche – gezahlt werden sollten. Dabei müsste allerdings sichergestellt werden, dass die Aufsplitterung bisheriger Betriebe nicht zusätzliche Direktzahlungen auslöst. Wenn politikinduzierte Renten auf dem Boden für die Zukunft glaubhaft abgebaut werden, würde dies mit grosser Wahrscheinlichkeit auch die Bereitschaft erhöhen, nicht mehr selbst genutzten Boden zu verkaufen und nicht einfach zu verpachten. Dies könnte noch dadurch verstärkt werden, dass ein Teil der heutigen Direktzahlungen dafür eingesetzt würde, dem Verkäufer eine über den Verkaufspreis hinausgehende Subvention pro Hektare übertragenen Landes zu bezahlen, falls das Land beim Käufer zur Vergrösserung des Betriebs verwendet wird. Damit erhielten wir eine Spanne zwischen Angebots- und Nachfragepreis für landwirtschaftliches Land, welche die Mobilität des Bodens erhöhen würde.  Das zweite Thema betrifft die Tatsache, dass Betriebe teilweise aus vergangenen Investitionen in einem Ausmass verschuldet sind, das kaum über den Verkauf des Betriebs einge-bracht werden kann. Die Direktzahlungen sind oft eine wichtige Finanzierungsquelle für den Schuldendienst, auf die der Eigentümer nur schlecht verzichten kann. Die Vorlage zur AP 2011 sieht in sehr begrenztem Ausmasse eine Unterstützung bei vorzeitiger Betriebsaufgabe vor (Umwandlung von Investitionskrediten in zinsfreie Beihilfen), diese führt aber nicht zu einer Entschuldung und wird die Ausstiegsbereitschaft nur unwesentlich erhöhen. Es würde sich vermutlich lohnen, Alternativen zu klären, die eine stärkere Entlastung brächten.  Dies sind erste Gedanken zu Modellen, die weitergehender Abklärungen bedürften. Sie sollen aber darauf hinweisen, dass zentrale Bausteine des heutigen Systems die gewünschte Strukturanpassung verlangsamen und dass grundsätzlichere Reformen angedacht werden müssen, will man den Konflikt zwischen den bisherigen Zielen und Strategien der schweizerischen Landwirtschaftspolitik und den aussenwirtschaftlichen Erfordernissen auffangen. Der jetzige Weg kann den grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Interessen der Landwirtschaft und denjenigen der Exportwirtschaft nicht innerhalb vernünftiger Zeit abbauen – mit negativen Konsequenzen für beide Seiten.  Diese Überlegungen bedeuten nicht, dass forcierter und über eine Marktöffnung erzwungener Strukturwandel die einzig mögliche politische Option darstellt. Man sollte sich aber deutlich machen, welche Ziele man nicht erreichen kann, wenn man die in der heutigen Agrarpolitik angelegte Annahme eines langsamen Wandels weiter verfolgt. Die schweizerische Landwirtschaftspolitik hat wesentlich grössere Wahlmöglichkeiten, als man üblicherweise annimmt. Die oben angesprochenen Spannungsfelder sollten offen diskutiert werden.

Grafik 1 «Inlandproduktion in Prozent des Verbrauchs, 1960, 1980, 2003»

Grafik 2 «Produzentenpreise in der EU 4/6 im Vergleich zur Schweiz»

Grafik 3 «Percentage Producer Subsidy Estimate (%PSE) ausgewählter OECD-Länder, 1986/88 und 2003/05»

Grafik 4 «Landwirtschaftliche Gesamtrechnung 2002-04 und 2011»

Kasten 1: Weiterführende Informationen
Informationen über die Landwirtschaftspolitik der Schweiz sind im jährlichen Agrarbericht des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) enthalten. Die AP 2011 wird im Entwurf zur Botschaft des Bundesrats zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik (Agrarpolitik 2011) dargelegt. Die Stellungnahmen aus der Vernehmlassung sind zusammengefasst im Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik (Agrarpolitik 2011). Alle Dokumente können auf der Homepage des BLW eingesehen werden ( www.blw.admin.ch ). Auf der Homepage des Bundesamtes für Statistik (BFS) finden sich reichhaltige statistische Angaben zur Entwicklung der schweizerischen Landwirtschaft ( www.bfs.admin.ch ).Eine übersichtliche Zusammenstellung der mit der Landwirtschaftspolitik 2011 angestrebten Neuerungen findet sich in der Bauernzeitung vom 19. Mai 2006. Die im Auftrag des BLW erstellte Studie von Gabriele Mack und Christian Flury «Auswirkungen der Agrarpolitik 2011. Modellrechnungen für den Agrarsektor mit Hilfe des Prognosesystems Silas» gibt detaillierte Prognosen über die Preis- und Strukturwirkungen der Agrarpolitik 2011 (Internet: www.blw.admin.ch ).Internationale Vergleiche zur Landwirtschaftspolitik können den beiden alternierend erscheinenden OECD-Berichten «Agricultural Policies in OECD Countries – At a glance» (letzte Ausgabe 2006) sowie «Agricultural Policies in OECD Countries: Monitoring and Evaluation» (letzte Ausgabe 2005) entnommen werden (Internet: www.oecd.org ).

Kasten 2: Hohe Kosten nicht nur natürlich bedingt
In der öffentlichen Diskussion herrscht weit herum die Meinung vor, dass die Kosten durch die besonderen Bedingungen der schweizerischen landwirtschaftlichen Produktion exogen gegeben sind und sich daraus die für ein Überleben erforderlichen Erlöse ableiten lassen, die dann über entsprechende staatliche Massnahmen zu sichern sind. Dies widerspricht ökonomischer Logik. Über weite Bereiche sind die Kosten endogen, d.h. sie hängen von den marktmässigen Rahmenbedingungen ab. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: – Der Preis für Land (marktmässiger Kaufoder Pachtpreis) hängt davon ab, welcher Ertrag aus der Nutzung dieses Landes erwirtschaftet werden kann. Im alten System der Einkommenssicherung über Marktstützung waren es die staatlich garantierten Produktpreise, die den Wert landwirtschaftlichen Landes bestimmten. Im System der Milchkontingentierung hatte die Kontingentsrente einen wesentlichen Einfluss auf die Landpreise, und mit den flächenabhängigen Direktzahlungen bemisst sich der Landpreis zunehmend nach der kapitalisierten Rente dieser Zahlungen. – Ähnliches gilt für Maschinen und Gebäude: Die Schweiz hat im internationalen Vergleich einen sehr hohen Kapitalstock pro Hektare landwirtschaftlich genutztes Land. Dies ist das Ergebnis der im internationalen Vergleich kleinen Betriebsgrössen, die wiederum sehr stark von der staatlichen Landwirtschaftspolitik abhängen, sowie der hohen Grundausstattung durch Direktzahlungen, die entsprechende Anschaffungen finanziell möglich machen.

Zitiervorschlag: Heinz Hauser (2006). Agrarpolitik 2011 in Konflikt mit der internationalen Marktöffnung. Die Volkswirtschaft, 01. September.